Donnerstag, 31. Dezember 2020

Jahresrückblick 2020

Der letzte Tag des Jahres schreit jetzt unüberhörbar nach einer Management Summary. Es wäre langweilig, auch ihn vom allgegenwärtigen Thema beherrschen zu lassen. Daher versuche ich zumindest im Rückblick aus meiner Perspektive das böse C-Wort zu vermeiden. Die Zeit vorher kommt mir zwar schon wie in einem anderen Leben vor, aber formal gehört alles zum gerade noch aktuellen Jahr. Los geht’s!

Januar 
Um diesen bleiernen Monat durchzuhalten, hatte ich zum vorangegangenen Fest einen Januarkalender bekommen. Wer hätte gedacht, dass er eigentlich auf das gesamte Jahr hätte ausgeweitet werden müssen? Im Nachhinein war dieser Monat der ereignisreichste des ganzen Jahres 2020. Schließlich wird man nicht alle Tage geschieden. Ich zumindest nicht. Und schon gar nicht nach gut 21 Jahren, von denen zugegeben mindestens die letzten zehn nur noch auf dem Papier existierten. Davor war die Ehe nur einseitig aufgekündigt. Auch wenn es am Ende nicht mehr viel zu regeln gab, war ich froh über meine Anwältin, die ihren Job um einiges besser machte als die der Gegenseite und mir dadurch ein klein wenig Genugtuung verschaffte. Besonders durch die kleine List, die sie den anderen unverhofft auftischte und über die sie sich anschließend, nicht hundertprozentig professionell, freute. Dass ich am Abend noch ein Date hatte, steigerte die Stimmung noch. Auch wenn ich guten Mutes aus dem Tag ging, war danach doch Zeit für eine kleine Resturlaubs-Erholungsreise. Ein paar Tage Anti-Honeymoon in Spanien. Wer hätte gedacht, dass die viereinhalb Tage dort die einzige Auslandsreise des Jahres sein würden? Ich nicht, denn ich ließ einen Gutteil meiner Sandalen dort. Es war allerdings nicht mein letzter Flug 2020, denn direkt nach meiner Rückkehr „durfte“ ich noch auf eine letzte Geschäftsreise zum glamourösen Flughafen Köln/Bonn.

(Sie nennen es: Happily Divorced. Oder: Als ich noch Kleider trug)

Februar
Auch dieser Monat wird in der Rückschau zum Partymonat. Nicht nur, weil er einen Tag länger war als sonst. Hier in Hamburg lag die aufgekratzte Atmosphäre (überraschend) weniger am Fasching. Wir begingen eher Wahlparties und Geburtstagsfeiern - zum Teil sogar zusammen. Der Sohn durfte das erste Mal in seinem Leben wählen. Wenn das keine Party wert gewesen wäre. 
Die Tage wurden merklich länger, nach dem milden Winter lag sogar schon etwas wie Frühling in der Luft, und der zusätzliche Februartag erwies sich als leichter als erwartet zu verkraften. Den Geburtstag des nunmehr Ex-Gatten kurz vorher konnte ich erfolgreich ausklammern. Überhaupt war ich entschlossen, das kommende Frühjahr zu genießen, hätte es doch das erste seit elf Jahren sein können, dass er mir nicht in irgendeiner Form verhagelt. Teil dieser Feiern war beispielsweise eine schöne Lesung im erweiterten Wohnzimmer (Heimspiel um die Ecke) und die Einladung für folgende im Jahr.


März
Doch so sollte es nicht kommen. Der März war der Monat der Absagen: Geburtstagsfeiern, Lesungen, Meetings, der Arbeitsplatz mit Blick auf die Elbe (immerhin nur der stationäre, nicht der gesamte!), Budgets, die Wohnung der Tochter. Fast alle Pläne mussten verworfen werden. Auch wenn die Dankbarkeit für alles siegte, was wir im Gegensatz zu vielen anderen Menschen haben, tat ich mich anfangs schwer mit der Heimarbeit. Wegen der geringen Distanz (!) gelang mir die Trennung zwischen Job und Privatem nicht, was zur Folge hatte, dass ich von Mitte März an viel zu viel arbeitete. Nicht stimmungsfördernd kam hinzu, dass die Tochter am uncharmanten Rauswurf aus ihrem WG-Zimmer verständlicherweise schwer trug. Wie gut, dass sie zusammen mit einer Freundin die leerstehende Wohnung meiner Eltern nutzen konnte und so wieder in unser Haus zog. Meine zusätzlichen Highlights waren die Mittagspausen an der Tischtennisplatte und die Kaffeepausen auf dem Balkon. Dass die Märzsonne am besten bräunt, stellte sie dieses Jahr mehr als deutlich unter Beweis. 

(Unsere Tischtennis-Hymne)

April
Auch wenn in diesem Jahr vieles ungewöhnlich lief, der April brachte traditionell Ostern und meinen Geburtstag (wenngleich nicht zwingend in dieser Reihenfolge). Die saisonalen Einkäufe (wenngleich nur im Lebensmitteleinzelhandel möglich) ermöglichten mir außerdem, in den Besitz des Trosthuhns zu kommen. Weise war auch die Entscheidung, die Fritteuse wieder aktiv in Betrieb zu nehmen. Zugegeben, keine leichte Frühlingsküche, aber Soulfood in seiner hochkalorischen Bestform. Wenn ich ganz ehrlich bin, fand ich die gemeinsamen Feiern und die Nähe (!) mit den vollzähligen Kindern zu allen Gelegenheiten sehr schön und gemütlich. Nicht alles an diesem Jahr war schlecht. Zusätzlich erfreut wurde ich durch meine Strategie, Blumenzwiebeln erst Ende Januar in die Erde zu setzen. Diese „Planung“ führte dazu, dass ich als wahrscheinlich einziger Mensch in Deutschland, nach warmem Winter und Frühjahr keine verblühten Osterglocken zum Ende der Fastenzeit (was war das nochmal?) hatte. Bei mir auf dem Balkon blühten sie liturgisch passend in voller Pracht.


Mai
Erste Freiheiten sorgten dafür, dass wir den einen oder anderen vorsichtigen Schritt außerhalb Hamburgs unternehmen durften. Das gute Wetter trug das seinige dazu bei. Es kam zum einen oder anderen Wandertag oder Stelldichein in der Natur. Gedanklich konnte ich Ausflüge nach Aumühle feiern wie einen zweiwöchigen Urlaub in der Ferne. Sogar ein Besuch bei meinen Eltern zum Geburtstag meines Vaters war möglich. Dass ich am Ende des Monats Urlaub hatte, war zwar nicht auf meinen Wunsch entstanden, trug aber zur Stimmungslage bei. Außerdem erschien mein Lieblingsbuch des Jahres, das als einzigen Nachteil hatte, dass es zu schnell ausgelesen war. Wen kümmert da Kurzarbeit?


Juni
Der Urlaub zum Ende des Vormonats zog sich noch in die erste Woche des Juni. Mit dem Unterschied, dass er in den Tagen nach Pfingsten eine echte Urlaubsreise meinte. Ans Meer! Mit fünf Übernachtungen außerhalb! Unklar, ob so viel Aufregung zu verkraften sein würde. Wie gut, dass wir uns im schlimmsten Fall nur anderthalb Stunden von zuhause entfernt befanden. Des warmen Klimas und der seichten See auf Poel sei Dank konnten wir sogar schon Anfang Juni in der Ostsee baden. Der Erholungseffekt war nicht nur für die vorangegangenen Monate nötig. Er wurde auch dafür gebraucht, um uns mit der Enttäuschung über die entfallende Europameisterschaft zu bringen.


Juli
Die Kurzarbeit hielt an, das gute Wetter der Vormonate leider nicht. Immerhin gab es die Gelegenheit, die Kolleginnen und Kollegen der Abteilung an einem Nachmittag draußen mit Abstand und Blick auf die Elbe wiederzusehen. Unsere Tischtennis-Skills ließen uns bedauern, dass in diesem Sommer nun auch die olympischen Spiele ausfallen sollten. Immerhin hatten die Friseure wieder geöffnet, so dass ich mich eines Gutteils der Matte entledigen konnte, die eigentlich schon viel früher fällig gewesen wäre. Vielleicht würde es doch noch sommerlich heiß werden? Für diesen Fall wäre ich nicht nur vom Kopfputz her gerüstet - auch der neue Sonnenschirm hätte geholfen, wäre er nötig geworden.


August
Die Tochter hatte wieder eine Wohnung gefunden. Natürlich freute ich mich für sie. Doch etwas wehmütig war ich auch, unsere räumliche Nähe wieder aufgeben zu müssen. Zu allem Elend stand in diesem Monat die verschobene, jährliche Eigentümerversammlung an, schon in guten Jahren ein Lowlight unter den Pflichtterminen. Sie verbesserte sich gegenüber den Referenzjahren durch die Location (draußen), den Abstand zur Nachbarschaft (groß) und die Abwesenheit des Ex-Mannes, der nun auch formal nicht mehr notwendig war. Schließlich muss ich mich seit Januar als unverheiratete und alleinige Eigentümerin wieder vor Heiratsschwindlern in Acht nehmen.
Galt ich dem Sohn in der Vergangenheit als Leugnerin (weil ich aus unerklärlichen Gründen nicht jeden Einkauf mit Einweghandschuhen bestreiten wollte), wagte er zum Ende des Monats etwas, das ich mich aus verschiedenen Gründen nicht getraut hätte: er flog nach Spanien. Immerhin hatte ich deswegen nicht nur Sorge; ich hatte auch sturmfrei. Das konnte ich zumindest vor Ort in vollen Zügen genießen.


September
Nach dem Januar war dies sicherlich der aufregendste Monat des Jahres 2020. Nicht nur, dass er weitere Sturmfreiheit mit sich brachte. Ich bekam in kurzer Abfolge gleich zweimal (unterschiedlichen) Besuch aus Berlin. Mit Übernachtungen chez nous, verrückt! Dann auch noch das einzige Konzert dieses Jahres. Als ob das nicht Aufregung genug gewesen wäre, vergurkte ich auch noch die Lage der Spielstätte, weshalb wir gezwungen waren, im Schweinsgalopp einmal durch die Stadt zu fahren, um nicht gänzlich zu spät zu kommen. Dass es ungefähr der kälteste Abend des ganzen Jahres war, tat der Freude keinen Abbruch. Zum Glück trug ich entgegen meinen sonstigen Usancen zu dieser Jahreszeit immerhin geschlossene Schuhe. Krank werden war schließlich nicht drin, schließlich fuhren wir am nächsten Tag für einen weiteren Garteneinsatz zu meinen Eltern. Aufregung pur eben, einen ganzen Monat lang.


Oktober
Noch größere Freiheiten als im späten Frühjahr ermöglichten, dass ich seit über einem halben Jahr wieder einen Tag in der Agentur zubringen durfte. Natürlich nur mit vorheriger Anmeldung und Platzbuchung. Der Wahrheit die Ehre war ich an diesem Tag deutlich weniger produktiv als an denen daheim: die zwei Monitore überforderten mich, die Tastatur schlug anders an als die des Laptops und die wenigen, sporadisch vorbeilaufenden Menschen führten selbst auf Abstand zu Reizüberflutung. Wie gut, dass die Lockerungen Mitte Oktober schon wieder aufgehoben wurden und mir weitere Expeditionen in die alte Arbeitswelt versagten.
Wegen des großen Erfolgs im Spätsommer, Flug, Reise und Test unbeschadet überstanden zu haben, wünschte sich der Sohn zu seinem Geburtstag (rauschendes Fest, Ehrensache!) eine weitere Reise. Diesmal nach Istanbul. Als gute Mutter schob ich meine Sorgen beiseite und schenkte zumindest den Flug. Immerhin spendierte ich mir damit wieder einmal schöne Stunden in Sturmfreiheit. Weiteres Geschenk an mich: dass er auch hiervon attestiert unbeschadet zurückkehrte.

(So muss ein Arbeitsplatz aussehen!)

November
Ausgefallene Halloween-Plünderungen sorgten dafür, dass meine Fenster Anfang November ausnahmsweise nicht von festgetrockneter Eierpampe befreit werden mussten. Sage ich doch: nicht alles an 2020 war schlecht. Konnte der Vormonat 2020 nicht mit seinen üblichen Attributen aufwarten, war der November überraschend golden und trocken. Leider musste ich feststellen, dass das schöne Wetter zu diesem Zeitpunkt nichts mehr reißen konnte, da die Sonne selbst zur Mittagszeit nicht den Weg über andere Dächer auf meinen Balkon schaffte. Anfangs war mir so, als ob sie tiefer stehe als in anderen Jahren. Dann wurde mir bewusst, bisher habe ich zu dieser Zeit wenig Mittage vor Ort erlebt. Es wird wohl schon immer so gewesen sein. Darauf lautete die Antwort, einfach keine Mittagspausen mehr und stattdessen noch mehr arbeiten. Dieses Modell kann ich nicht empfehlen, es steigert die angegangene Stimmung überraschend wenig. Als Aufheller verordnete ich mir wieder einen Friseurbesuch, diesmal allerdings mit dem Wunsch nach etwas Typveränderndem. So war ich es, die zum ersten Mal in ihrem Leben die Friseurin anwies, deutlich mehr abzuschneiden. Es wurde noch nicht ganz der altersgemäße, flotte Kurzhaarschnitt, aber für meine Verhältnisse sind die Haare ordentlich gekappt. Als ich dann noch eine Idee für den Adventskranz hatte, konnte der vermeintlich triste November trotz zu viel Zeit in der Tretmühle etwas besser als befürchtet abgeschlossen werden.


Dezember
Jede Familie hat ihre Adventstraditionen, meine ist es, die zwei Wochen vor Weihnachten in Spanien zu verbringen. Nach zu viel Arbeit in den vorangegangenen Wochen und keinem Urlaubstag seit Anfang Juni wäre eine Reise sicherlich verdient gewesen, doch es sollte nicht sein. Ein paar vorweihnachtliche Urlaubstage zu Hause mussten genügen. Weihnachten war bis auf ein paar weitere Enttäuschungen gar nicht so anders als in anderen Jahren. Der Baum war sogar größer als in den Vorjahren. Wenn uns 2020 etwas beigebracht hat, ist es Erwartungsmanagement, denke ich. Dass Silvester mehr oder weniger ausfällt, macht mir überhaupt keinen Puls. Meine Veranstaltung ist es ohnehin nicht. Lautes Knallen, schwefliges Feuerwerk und Fröhlichkeit auf Knopfdruck (siehe auch: Fasching) sind nicht meins. Dass Jüngere wie meine Kinder um diese Party gebracht werden, scheint sie auch nicht mehr zu stören. Sind sie doch schon seit längerem der generellen Feier ihres jungen Lebens beraubt.


Langer Rede, kurzer Sinn: 2020 war sicherlich auch nicht mein Jahr der Träume. Aber es hat mich vielleicht besser als manch‘ anderes gelehrt, was wichtig ist und was es braucht, um sich Tag für Tag bei Laune zu halten oder Stimmungstiefs gar nicht erst aufkommen zu lassen. Und Blumenzwiebeln spät zu setzen. Deshalb fühle ich mich gerüstet für 2021, von dem mir der Glauben fehlt, es werde ganz bald alles besser.



Dienstag, 29. Dezember 2020

The Days After

Neben dem Wecker deuten subtilere Anzeichen auf die Rückkehr zur Heimarbeit und das Ende des gepflegten Nichtstuns hin. Da wären zum Beispiel das schlechte Gewissen, mit der Tochter bis in die Puppen eine Folge Bridgerton nach der nächsten zu gucken. Oder die schlechte Laune, die sich am Sonntagabend breit macht, weil sich die Lust auf Arbeit in Grenzen hält. Diese Hinweise wären völlig ausreichend. Meinetwegen braucht die Hamburger Müllabfuhr nicht zusätzlich am Montag um 6:39 Uhr die neben meinem Schlafzimmer platzierten, über die Feiertage prall gefüllten Glascontainer zu leeren. Aber sicher ist sicher.

Freitag, 25. Dezember 2020

Weihnachten 2020

Es begab sich zu der Zeit, als das Gebot eines saisonalen Geflügels über uns erging. Also machten wir uns einen Tag vor Heiligabend auf, welches im niedersächsischen Umland zu besorgen. In einer Nebelsuppe, die selbst bei meiner Mutter nicht mehr als ihr oft konstatierter „Hochnebel“ durchging. Es war auch ohne Sicht schön, mal wieder aus der Stadt herauszukommen. Vor allem, da ich als Beifahrerin auf den Ortseingangsschildern aufmerksam die niederdeutschen Ortsnamen verfolgen konnte. Vermittelt fast etwas wie Urlaubsgefühl: ist doch egal, ob der Zweitname auf katalanisch oder auf plattdeutsch geschrieben steht. Exotik kommt schließlich auch bei „Öbelgünne“ auf, was komplett anders klingt als das ach so hochdeutsche „Övelgönne“. Unsere Destination erwies sich als bestens organisiert. Ein Pavillon mit zwei Eingängen wies uns den Weg zur Enten- oder Gänsegruppe. 

Erste Zweifel kamen auf, als eine Dame vor uns schwer beladen mit zwei durchsichtigen Plastiktüten, die ob der Größe des Geflügels bald auf dem Boden schleiften, das Zelt auf der Entenseite verließ. Mutierte Vögel, die in den Nähe des Atomkraftwerks aufgezogen wurden? Zum Glück zeigte sich unsere Gans nicht größer als die artverwandten Vorgängervögel. Zusätzlich erfreut wurde ich durch den Hinweis des verkaufenden Landwirts, ich könne mich bei Interesse „in die Hähnchen-Gruppe (WhatsApp) eintragen“. Obwohl die Liste vielleicht nicht ganz den Regeln der DSGVO entsprach, setzte ich mich natürlich gerne darauf. Nun bin ich sehr gespannt auf erste Nachricht aus meiner neuen Lieblingsgruppe. 
Zuhause angekommen zog ich in einem lichten Moment den recht ausladend vor der Wohnungstür liegenden Tannenbaum ins Wohnzimmer und stellte ihn dort unter Mühe in eine Ecke. Als ich anschließend Besuch bekam, stand dieser irgendwann nach dem Genuss einiger Gläser Glühwein kommentarlos auf, schnappte sich - im Gegensatz zu mir mühelos - den Baum und fragte mich, wo er stehen solle und später, ob er nicht schief stehe. „Ach, was! Das ist Natur!“ Sein Zupacken sparte mindestens eine Stunde, die ich gedanklich dafür veranschlagt hatte und die in der Vorweihnachtszeit mehr als doppelt zählt. 
Für den Vormittag des Heiligen Abends standen noch die letzten Einkäufe an. Auch sie brachten unerwartete Zeitersparnis mit sich, denn weder vor dem dörflichen Edeka, noch an der Kasse mussten wir anstehen. Die Honoratioren des Dorfes brachten ihre Zeit wahrscheinlich in den Schlangen des Wochenmarktes zu. Die wenigen Menschen kamen mir gelegen, denn ich musste mich mit roten Augen in die Öffentlichkeit wagen. Bin ich doch die einzige Person unter der (aktuell leider sehr tief stehenden) Sonne, die es schafft, sich bei dem Versuch, die Öffnung ihres Flakons zu reparieren, eine nicht unerhebliche Menge Parfüms in die Augen zu sprühen. So groß war der Zeitgewinn am Ende nicht - und der Verschluss kein Stück besser.
Mir blieb dennoch genügend Muße für den Konzeptbaum. Die erste, minimalistische Idee verwarf ich vergleichsweise schnell, da sie mir als übertriebene Lustlosigkeit hätte ausgelegt werden können.

(Als ob der kleidsame Fuß des Sohnes nicht ausreichend Deko wäre!)
Ich warf meine Weihnachts-Playlist an, die am Vortag bereits den Besuch „impressioniert“ hatte, und machte mich ernsthaft an die Arbeit. Leider unterliege ich dabei einigen Zwängen. Gaspare, Melchiorre und Baldassarre müssen in der richtigen Reihenfolge und himmlisch oben angebracht werden, Kugeln von oben nach unten größer werden, die einzelnen Themenbereiche ihren eigenen Platz und Glanz haben, Fliegenpilze müssen - Natur eben! - nach unten. Hinzu kam der Hinweis des Sohnes, eine Spitze fehle. Opferte ich eben meine Mütze. Im Schmückprozess, als noch die Leiter daneben stand, tauchte die Tochter auf und intonierte lediglich ein kurzes „Oh.“. Ich nehme an, es lag an Größe und Volumen des Baumes. Als ich das dritte Mal „Jauchzet, frohlocket...“ anstimmte (kein Wunder, dass ich diese Aufgabe alleine übernehmen sollte), sah ich mein Werk an, und es war gut.

(Wen kümmert da Unordnung?)
Die eingeschränkten Einkaufsmöglichkeiten limitierten nicht die allgemeine Freude über die Geschenke. Die Kinder freuten sich fast am meisten über ihre eigenen USB-Feuerzeuge (à 6,95€ von dm). Der Sohn gestand seinen Großeltern, seine Schwester und er haben sich im Advent über mein Exemplar „fast gestritten“. Ich striche „fast“. Wie viel macht das in österreichischen Schilling? 

Der Sohn war ebenso begeistert über sein fettes Küchenmesser - unter Mühen konnte ich ihn davon abhalten, es an „Pannenbaum“ (die Tochter damals) oder Kerzen einzusetzen. Das Bauernopfer einer gevierteilten Mandarine gab ich gerne - Fest der Liebe eben. Auch sein Reiskocher kam gut an. So gut sogar, dass er nach opulentem Weihnachtsmahl noch 700 Gramm (im trockenen Zustand) Reis darin kochte und diesen zu einem Gutteil inhalierte. Sein Codename lautet nicht umsonst unter anderem „Elise, der Ameisenbär“. 
Gut auch, dass er dadurch am ersten Weihnachtstag noch ein paar Reisreste hatte. Oma hatte die Kartoffelmenge zur Gans nicht ganz an den Kohlenhydratbedarf ihres jüngsten Enkels angepasst. Beim Geflügel handelte es sich um außerordentlich gutes Material, das von meiner Mutter in Perfektion zubereitet wurde. Das Wetter lud vorher zum Glück zum Spaziergang ein, der ausnahmsweise auch ohne Besuch eines portugiesischen Cafés zu schaffen war. Meine Vermutung ist, dass sich der Kalorienverbrauch der ansonsten exklusiv betriebenen Sportart Kniffeln in Grenzen hält. 
Die Tradition schreibt losgelöst vom Ausmaß der Bewegung und von der Anzahl der vorherigen Mahlzeiten vor, dass es am zweiten Feiertag selbstgebackenen Baumkuchen gibt. 

Dafür war allerdings unsere Medaillenhoffnung der Disziplin Kalorienvernichtung nicht mehr vor Ort. Der Sohn hatte sich schon vor dem Frühstück zu den Eltern seiner Freundin (und ihr) ins südliche Niedersachsen abgesetzt. Ich hoffe, sie wissen, dass sie mit der Einladung ein Weihnachtswunder der anderen Art erwartet. Fast so groß wie das, das dem knapp fünfjährigen Nachbarssohn begegnete: er war im Nachhinein angetan, überhaupt Weihnachtsgeschenke erhalten zu haben, seien dem senioren Weihnachtsmann als Mitglied der Risikogruppe doch eigentlich Besuche in anderen Haushalten verboten.





Mittwoch, 23. Dezember 2020

Menüfolge

Irgendwie war die Idee entstanden, Moussaka zu kochen. Die genaue Genese des Menüplans kann ich nicht mehr rekonstruieren. Wichtig ist es in jedem Fall, kurz vor den Feiertagen noch etwas Hochkalorisches auf dem Speiseplan zu haben. Wer weiß schon, wann es wieder etwas gibt? So scannte ich heute also meine Kochbücher, um ein passendes Rezept zu finden. Der Sohn empörte sich: „Mama, Du musst endlich mal im 21. Jahrhundert ankommen. Rezepte sucht man nicht in Büchern, die guckt man sich auf YouTube an.“ Da mir das andauernde Blöken irgendwelcher englischsprachiger Stimmen aus den Telefonen der Brut jedoch ein wenig auf den Geist geht, war ich nicht allzu angetan von seinem Vorschlag. Halbherzig kritisierte ich, ich habe die Mengenangaben lieber schwarz auf weiß. Versiert zeigte er mir, welche Stelle ich antippen müsse, um die Zutatenliste zu erhalten. Habe ich natürlich sofort vergessen. Überzeugt war ich erst, als er einen englisch (was sonst?) sprechenden Griechen aufgetan hatte. Akis Petretzikis oder so sprach in seinem Vortrag so wunderbar von diesem „Diss“, von „Besssamel Sauce“, „Vetzetabels“, „Aubertzines“, „Chreat (200°)“ und ähnlich schönen Dingen, dass ich beim Video backen blieb. Schade nur, dass kein „Tzicken“ in den Moussaka-Zutaten enthalten ist. Noch bevor ich mit dem Kochen anfing, wurde der Sohn leider in wichtiger Mission von zu Hause weggeholt. Ich musste also alleine mit Akis klarkommen. Fast sklavisch hielt ich mich an die Anweisungen des großen Meisters. Nur dass ich eine etwas größere Menge herstellen wollte. Der Authentizität wegen verzichtete ich nicht einmal auf Zimt und Muskat. Während ich im „Aubertzinen“-Dunst stand, erreichte mich eine Nachricht des Sohnes: „Kannst du mir ein Stück Moussaka aufheben, falls du das machst?“ Das sollte gehen, schließlich hatte ich mehr als das, was für die griechische Familie reichen muss. Wenn ich damit außerdem in der Generation Z meine digitale Kompetenz unter Beweis stellen kann, sind es umso besser investierte Kalorien. Und wirklich vom Munde absparen mussten wir uns auch nichts - obwohl das „Diss“ wie angekündigt wirklich „delissious“ war, blieb mehr als ein Drittel übrig.

Sonntag, 20. Dezember 2020

Geschenke, Geschenke

Wie bei vermutlich fast allen von uns gestaltet sich die Geschenkebeschaffung dieses Jahr schwieriger als ohnehin in der Vorweihnachtszeit. Zum einen musste ich meine Bemühungen einstellen, den globalen Online-Versandhändler zu boykottieren, denn zum anderen kommen die Wünsche der Brut bestenfalls zögerlich. Am Ende führt so unter den gegebenen Umständen kein Weg am amerikanischen Riesen vorbei. Doch ich will nicht klagen. Eine namhafte Drogeriekette half bei der Präsentfindung. Wegen zu erwartender Saisonhöhepunkte hatte ich mir bei dm ein sensationelles USB-Feuerzeug für 6,95€ geleistet. Wenngleich ich nicht behaupten kann, das Prinzip vollends verstanden zu haben, diente es bereits bei der Entzündung der statthaften Kerzenanzahl auf dem Adventskranz. Zwar gab sich die Tochter kosmopolitisch-unbeeindruckt - das Modell ihres Ex-Freundes sei besser gewesen und habe noch mehr Features gehabt -, doch am Ende konnte sie aus ihrer Herkunft aus einer Pyro-Familie keinen Hehl machen (ich bin unterdessen vermutlich das einzige aus der Art geschlagene Mitglied) und kaperte das Feuerzeug. Um damit meine Notizzettel anzukokeln. Meiner Ansicht nach stank diese Aktion im wesentlichen, doch als gute Mutter will ich dem Glück meiner Kinder nicht im Weg stehen. Leider entbrannte (!) daraufhin ein kleiner Streit um das Objekt der Begierde, denn der Sohn wollte dem Beispiel seiner älteren Schwester folgen und auch ein wenig zündeln. Er unterlag. Erst am nächsten Tag, als die Tochter bereits wieder in ihrer eigenen Wohnung war, kam seine Zeit. Er begutachtete das gute Stück geradezu liebevoll und meinte dann anerkennend: „Das ist der Tesla unter den Feuerzeugen.“ 
Als ich also beim nächsten Mal Klopapier kaufte, kam mir die Idee (in Ermangelung anderer), ich könnte jedem Kind ein solches Feuerzeug schenken. Anschließend dachte ich: Warum nicht auch für den Neffen eins mitnehmen und zumindest ein kleines Geschenk für ihn haben? Ich packte demzufolge drei dieser Highend-Produkte zusätzlich in meinen Einkaufskorb. Mit so vielen begehrten Produkten rechnete ich damit, an der Kasse zu hören, ich dürfe pro Haushalt nur eines besorgen. Ausnahmsweise war ich nicht unglücklich über die etwas längere Schlange vor der Kasse, denn so konnte ich versuchen, mir in der Wartezeit eine Geschichte zurechtzulegen. Unter Druck mögen zwar Diamanten entstehen, aber mir fällt nichts ein. Bang trat ich an die Kasse. Die einzige Frage des freundlichen Personals war jedoch, ob ich Payback-Punkte sammele. Ich kann also nach meinem Selbsttest beruhigen: Was für Klopapier oder Nudeln  nicht möglich ist, funktioniert mit USB-Feuerzeugen. 

Donnerstag, 17. Dezember 2020

Home Holidays

Folgerichtig wird in dieser Zeit die Heimarbeit an freien Tagen als Heimurlaub fortgesetzt. Während ich in den letzten Vorweihnachtszeiten beständig Zuflucht in Spanien fand, muss jetzt das dezemberliche Hamburg reichen. So gut Vorstellungskraft und Phantasie auch ausgeprägt sein mögen, es gelingt mir nicht aus Grünkohlpflanzen vor meinem geistigen Auge Palmen zu zaubern. Nasse Füße durch zu viel Modder im Schuhprofil provozieren auch nicht unbedingt die Bilder, mit nackten Füßen durchs Mittelmeer zu waten. Wenn sie denn einmal scheint, imitiert die hiesige Sonne aus tiefem Winkel und mit wenig Wärme definitiv nicht die des Südens. 
Doch wie üblich machen wir das beste aus der Situation. Unser „Urlaub in Italien“ (nicht wegzudenkender Bestandteil der „Fight the Virus“-Playlist) ist demnach ein Ausflug nach Moorfleet mit Spaziergang - daher immerhin mit nassen Füßen - und einem Besuch des dort ansässigen italienischen Spezialitätenladens. Dass wir auf dem Weg dorthin den Orient mitnehmen, steigert die Exotik nur: durch unvermeidliche Baustellen vom üblichen Weg abgebracht, befinden wir uns plötzlich inmitten im Stau zwischen Mercedessen und polnischen Lastwagen in einem Gewerbegebiet, in dem sich scheinbar endlos ein Markstand an den anderen reiht. Maximal gefüllt mit der üblichen Mischung aus Kleidung, Koffern, Töpfen, Teppichen und Kinderfahrrädern, ergänzt durch Second Hand-Kühlschränke, angereichert mit Plastikweihnachtsbäumen und ähnlicher Deko. Hervorgehoben durch blinkende bunte Schilder mit Leuchtschrift, auf denen sich Schlagwörter wie „Großhandel“, „Sonderpreis“, „Teppiche“ und „Import“ abwechseln. Dazwischen das passende Gewusel an Verkaufspersonal und Fußgängern. Unsere Sommerfrische an der See besteht aus einem Ausflug zur Wedeler Marsch. Auf dem Deich und mit viel Nebel klappt die Vorstellung, am Meer zu sein. Zugegeben, in ihrer Farbgebung ist es um diese Jahreszeit in jedem Fall die zurückhaltend-norddeutsche Variante des Meeres und nicht die ihres übertrieben bunten Parvenu-Stiefbruders, des Mittelmeers. Die vorherrschenden Farben sind - ein immerhin lichtes - Grau und Braun. Außerdem etwas Grün, lauer Witterung sei Dank. Auf dem Weg müssen wir immerhin nicht aufpassen, auf scharfkantige Muscheln zu treten, hier sind Schafshaufen die Hürden. Ein Hauch fremder Kulturen umweht auch den Deich, schließlich treffen wir neben den normalen Spaziergängern („Das ist ja das Tolle heutzutage. Wenn die Bilder nichts werden, kann man sie einfach wegschmeißen.“, „Meine Kusine Renate habe ich 1976 das erste Mal kennengelernt und seitdem auch nie wieder gesehen.“) auch auf vier junge Männer mit Profi-Kameras, die wir anhand ihres Idioms als Mitglieder der Associazione Giovanile Ornitologi vermuten. Einer von ihnen erzählt ausladend gestikulierend von Turkmenistan. Anzunehmen, dass auch dieses Land ein Kleinod der Vogelsichtung ist. Eine Vertiefung des Themas gibt die Kürze der Begegnung wie auch meine verbesserungswürdige Kenntnis der italienischen Sprache nicht her. Hier vor Ort sind selbst für uns Laien mit bloßem Auge viele Vögel zu sehen. Wenngleich in wenig Variationen: es scheint sich im wesentlichen um viele Enten oder Gänse der gleichen Art zu handeln. Ihre Spielregeln erschließen sich uns nicht. Irgendwann wechseln sie unter großem Geschnatter und Getöse das Feld - Halbzeit?. Die Wintersonne bricht durch den Nebel und wir beklagen, Sonnenbrillen und Sonnencreme vergessen zu haben. Wenn das man gut geht! Wieder einmal die Schuhe (in meinem Fall auch die Hosenbeine) voller Matsch kehren wir zufrieden zum Auto zurück, dessen zulässige Parkzeit wir nur leicht überschritten haben. Einzig der aus Gründen verhinderte Besuch in einem Café trübt die Urlaubsstimmung leicht. Doch uns bleiben noch immer Sehnsuchtsorte wie Aumühle, Blankenese oder Tiefstack.



Dienstag, 15. Dezember 2020

Season‘s Greetings

Es passt zur Perfektion in diese Zeit, dass jetzt auch mein Füller aufgibt. Ja, genau der, für den ich letzthin noch teure Tinte gekauft habe. Der mich schon einen Großteil meines Lebens begleitet, mit dem ich bereits das Abitur durchgestanden habe. Er zeigt wohl typische Alterserscheinungen - trifft die Besten von uns - und kann nicht mehr an sich halten. Verteilt, wenn überhaupt, die wertvolle Flüssigkeit nach dem Random-Verfahren auf Papier und Finger. Vor allem auf letztere. Es darf sich also niemand wundern, der von mir verschmierte Weihnachtspost bekommt, die zudem schwer zu lesen ist, da entweder zu viel oder zu wenig Tinte zum Schreiben ausgegeben wurde. Selbst die mit Sorgfalt ausgewählten Briefmarken habe ich - dank stylish midnightblauer Finger - zum Teil mit Tinte beschmiert. Hoffentlich gelten sie dadurch nicht als entwertet. Als ob die Weihnachtskarten in der Familie nicht schon ausreichend für Unruhe gesorgt hätten. Der Sohn empörte sich, dass nicht die Tochter und er Fotomotiv ebendieser Karten seien, sondern stattdessen der blöde Beagle („Schnupus“) abgebildet werde, der nicht einmal ein echter Hund sei. Mein Einwurf, sie haben sich doch immer geweigert, fotografiert zu werden, weswegen ich letztlich auf Motive zurückgegriffen habe, die sich nicht wehren, wurde weggewischt. Ich hätte sie immerhin fragen können, so sei es ihm auch nicht recht. Damit muss er zu leben lernen, fürchte ich, denn weiterer Zeitverzug durch endlose Diskussionen mit den Modells hätte am Ende bestenfalls zu Faschingskarten geführt. Das wollte wiederum ich nicht.
Doch zurück zur Herstellung. Zum Glück befindet sich ein weiterer Füller in meinem Besitz. Ein Geschenk und ein sehr ähnliches Modell, nur eben nicht auf mich eingeschrieben und mit einer deutlich schmaleren, für mich kratzig wirkenden Feder. Damit muss ich wohl zu leben lernen. Immerhin kann ich auf die Weise doch noch Karten beschriften und muss kein totes Kapital beherbergen, weil ich die neu erworbene Tinte sofort einsetzen kann. Nur meine Finger werde ich bis Weihnachten nicht von ihrem blauschwarzen  Schimmer befreien können. Uns alle wird über die Feiertage - und vielleicht darüberhinaus - das Wissen tragen müssen, dass ich mich für ein Qualitätsprodukt im Schreibwarensektor entschieden habe, das wirklich farbecht ist.



Freitag, 11. Dezember 2020

... heißa, dann ist Urlaubstag!

Mehr denn je ist die Fähigkeit gefragt, sich an kleinen Dingen des Lebens zu erfreuen. Zum Glück ist mir als Vizeweltmeisterin des Zweckoptimismus‘ in dieser Hinsicht einiges in die Wiege gelegt. Dennoch gestehe ich, nach bald zehn Monaten ununterbrochenem Home Office ohne nennenswerten Ausgleich oder gar Perspektivwechsel beständig trübtassiger geworden zu sein. Selbstverständlich ist mir bewusst, auch ohne Urlaub im Süden ein sehr privilegiertes Leben zu führen. Doch Glück, Freude und Zuversicht sehen eben anders aus. Um mich gerade zu dieser dunklen Jahreszeit nicht weiter in depressive Tiefen ziehen zu lassen, liste ich innerlich den einen oder anderen positiven Aspekt auf: Zum Beispiel die Kolleginnen, die sich dieser Tage in den Mutterschutz verabschieden, ohne dass wir sie jemals schwanger gesehen hätten. Wenn demnächst die Kinder da sind, kommen sie - mehr als ohnehin - einem Wunder gleich, das ein wenig an die Weihnachtsgeschichte erinnert. Toll! Dass wir uns diese Saison nicht in kilometerweit entfernte Post-Shops mit tieferbegabten Mitarbeitern quälen müssen, weil unsere Pakete, wenn nicht gar von uns selbst, dann auf jeden Fall von unseren nebenan heimarbeitenden oder unterdessen arbeitslosen Nachbarn angenommen werden. Hervorragend! Weil ich Kaffeepausen zwar nicht mehr auf dem Balkon verbringen kann, aber in ihnen zusätzlich zum Heißgetränk hübsche, selbstgebackene Kekse verhaften kann. Lecker! Dass ich am Montagabend eine Zwei-Haushalts-Fritierparty geben werde, bei der alles ins heiße Fett geworfen wird, das mir passend erscheint. Großartig! Weil mir das Kniffel-Orakel ein derart rosiges Liebesglück vorhersagt, dass mir dauergewinnende Spielpartner schon fast leid tun können. Spitze! Dass ich zwar nicht müßig in Cafés sitzen oder gar nach Spanien entschwinden kann, wie ich es in den letzten zehn Jahren zur hiesigen Dezembertristesse hielt, aber dennoch von Montag bis Weihnachten den Wecker ausschalten kann, weil ich Urlaub habe. Ausschlafen, Herumtrödeln und noch mehr Essen. Klasse! Oder, um es wieder einmal mit dem großen David Byrne zu sagen: Reasons to be cheerful.

Donnerstag, 10. Dezember 2020

Inflation

Mein Alter ist nicht zu leugnen, ich schreibe noch recht viel mit der Hand. Ich bin sogar so alt, dass ich dafür am liebsten Bleistifte oder Füller nutze. Letzterer ist so antiquiert, dass er keine Patronen hat, sondern aus einem Tintenfass befüllt wird. Es begab sich, dass dieses leer war. Ziemlich lange muss ich mich wohl aus dem Geschäft zurückgezogen haben. Meine Erinnerungen an den letzten Tintenkauf sind noch mit alter Währung verbunden. Als ich noch kinderlos war. Nach getaner Heimarbeit zog ich los, um unter anderem Tinte zu kaufen, denn für meine altmodischen Weihnachtskarten könnte sie hilfreich sein. Demnächst muss ich dafür sogar Briefmarken (WTF?!) besorgen, was mit den eingeschränkten Öffnungszeiten der Post - sehr sinnvoll, wenn sie in der Hochphase möglichst dichtes Gedränge produzieren wollen - schwer wird. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich ging also in eines der noch vorhandenen Kaufhäuser. Noch so eine vorsintflutliche Angewohnheit. Nach längerem Umherirren fand ich die Tintenecke. Und fiel aus allen Wolken. 19 Euro wollen sie für ein nicht merklich vergrößertes Tintenfässchen. An dieser Stelle ist es vermutlich wichtig, mit hoher Stimme lauthals anzumerken: „Das sind fast vierzig Mark!“ In jedem Fall ist es ein Vielfaches dessen, was ich früher dafür zahlen musste. Anmerken möchte ich zur Sicherheit, dass ich nicht so ein Luxusding bin, das Premiumtinte mit Blattgoldpartikeln als Produkt der Wahl ansieht. Es handelt sich bei meiner Sorte um normale Tinte. Blauschwarz von Montblanc, die heutzutage allerdings fancy „Midnight Blue“ heißt und dennoch günstiger ist als entsprechende Produkte von Pelikan. Seit diesem Erlebnis frage ich mich, was erstens in den letzten zwanzig-dreißig Jahren in der Tintenforschung passiert ist, dass es sich heutzutage um ein Highend-Produkt handelt, was zweitens auf dem Markt der Tintenrohstoffe los gewesen ist und welche Werte ich vielleicht noch unerkannt in meinem Sekretär verborgen habe. 

Montag, 7. Dezember 2020

Spannend

Am Wochenende war es so weit: das erste Mal seit drei Monaten aus Hamburg herausgekommen. Vielleicht liegt es an meinem Alter oder am unterschiedlichen Abwechslungsreichtum der beiden Städte, dass mir solche Zeitspannen damals in West-Berlin weniger ausmachten. Ansonsten fällt mir kein Grund ein. Schön war’s allemal, sich überraschend wenig Seewind um die Nase pusten zu lassen! 
 Doch Aufregendes passiert auch in der angestammten Hansestadt. Letzthin kam ich an einem Reformhaus vorbei. Im Schaufensterbereich hatten sie - jetzt kommt‘s! - Alkohol ausgestellt. Wie der Zufall es will, meinen favorisierten Prosecco in verschiedenen Gebindegrößen. Dieser ist zwar aus ökologischer Herstellung, sieht aber mit Reliefflasche und rosa-glitzernder Kopfbedeckung gar nicht so aus. Auch nicht so wie das, was ich sonst in „Home of the Kräuterblut“ dargeboten vermute. Er wurde mit einem Sonderangebot (mindestens einen Euro günstiger als in den einschlägigen Biosupermärkten) offensiv angedient. Mir schwirrte der Kopf: Reformhaus,  merkantile Stätte des gelebten Protestantismus, und Alkohol zum Sonderpreis, das passte nicht zusammen. Ich ging trotzdem hinein und kaufte zwei Flaschen. Tarnte sie nicht einmal mit einer Packung Holstener Liesl oder einem anderen veganen Topseller. Um mein Weltbild wieder herzustellen, bekam ich nicht nur den Kassenbon zurück („Damit können Sie sich bei Ihrem nächsten Einkauf die gesparte Mehrwertsteuer rückvergüten lassen.“), sondern auch die nicht-verkäufliche Warenprobe eines alkoholfreien Aperitifs in der Sorte („feinherb“) Curcuma-Ingwer. Na, bitte - geht doch! Bei so viel Exotik im Alltag braucht es eigentlich gar keine Fluchten.

Freitag, 4. Dezember 2020

Neue Besen

Das Update auf iOS 14.2 brachte mir nicht nur Störungen aufs Telefon. Gleichzeitig wurde auch die Wetter-App verschönert. Sie zeigt nun auch den „EUMETNET - Wetteralarm“ an. Zum Glück warnt sie jetzt vor „extremer kälte“. Im Dezember. In dem laut Prognose die nächsten zehn Tage - und Nächte! - kein einziges Mal die Temperatur unter 0° fallen soll. Von Groß- und Kleinschreibung möchte ich gar nicht sprechen. Ich kann meine Aufregung kaum mehr im Zaum halten, was bei dauerhaften Minustemperaturen passieren wird. Kommen sie endlich, die gleichermaßen falschen wie hässlichen Steigerungen „extremst“ oder „noch extremer“? (Die die von mir ohnehin wenig geschätzte Architektin letzthin bei ihrer Begehung meines Schlafzimmers selbstverständlich auch gebrauchte.) Das Leben kann eben auch im Home Office unglaublich aufregend sein.

Dienstag, 1. Dezember 2020

This Time of the Year Again

Als ob die allgemeine Lust-, Licht- und Trostlosigkeit nicht ausreichte, muss noch die dubelige Architektin, Typ Migränetante, mit einer Ortsbegehung aufwarten. Außerdem spinnt das Telefon herum. Nachdem ich es mit iOS Vierzehnpunktwasauchimmer auf den neuesten Stand gebracht habe, geht nur noch sehr wenig. Selbst mit den mühsam erlernten Skills der Mobile Native-Brut kann ich keine Sprachnachrichten mehr abhören. Mit Lautsprechern verbindet es sich nur noch nach eigenem Ermessen - und das ist äußerst wankelmütig. Aus diversen Apps werde ich grund- und ansatzlos herausgeworfen. Blogposts lassen sich anders als sonst nicht mehr verlinken. Das immerhin führt dazu, dass meine zuletzt leicht depressiven Texte von einem größeren Publikum gelesen werden, scheint mir. Obwohl Post-Titel und Fotos nicht mitkommen. Die Resonanz war jedenfalls sehr aufbauend. Doch auch Adventskranz und -kalender gelangen mir nicht ganz so wie gedacht. Kekse habe ich schon mal besser hinbekommen. Läuft gerade nicht richtig rund. Immerhin trifft es mich nicht allein. Letzthin lief ich an den Fenstern der Nachbarwohnung vorbei. Maskiert erkannte mich der herausblickende Nachbar nicht. Stattdessen guckte er ins Unendliche, mit einem Gesichtsausdruck wie Kinder, wenn sie gerade in die Windel machen. Nur viel, viel trauriger. Vielleicht sollte ich ihm beim nächsten Treffen einen Friseurbesuch empfehlen? Mir hat’s zumindest zeitweise geholfen.



Montag, 30. November 2020

Erster Advent

Wer hätte das gedacht? Meine „Fight The Virus“-Playlist musste nun doch um „Last Christmas“ erweitert werden. In diesen Zeiten müssen wir alle Opfer bringen. Dennoch war ich selten so desinteressiert und lustlos, was die Adventsdekoration angeht. Der Adventskranz entstand im wesentlichen aus Pflichtgefühl, weil ich letztes Wochenende auf dem Markt Rumpf-Kränze besorgt hatte. Und mich auch da schon ärgerte, es zu tun, weil ich erstens den angestammten Händler nicht fand und zweitens nicht die üblichen Auswahlkriterien hatte, ihn vor allem nach Geruch zu kaufen. Mit Maske einfach nicht drin, wenn du nicht Armin L. geben möchtest. Auch auf den Adventskalender für den Sohn hatte ich aus Gründen keine Lust. Am Ende konnte ich mich dadurch motivieren, dass er auch für mich eine Augenweide wird - beziehungsweise unterdessen ist. Seit Mitternacht des 29. Novembers ist er bereits fertig installiert. Trotz Lustlosigkeit oder vielleicht gerade deswegen.
Kleiner Hinweis übrigens für alle, denen es dieses Jahr ähnlich geht: Dass die Besinnlichkeit unterdessen Einzug gehalten hat, merken wir, weil Altglascontainer so voll sind, dass zum ersten Advent nicht mehr länger lärmend Flaschen eingeworfen werden können und weil die Container am nachfolgenden Morgen nicht um 6:30 Uhr sondern erst um 6:40 Uhr mit vorweihnachtlichem Klirren geleert werden.



Samstag, 28. November 2020

Happy Thanksgiving

Nun also keinen Truthahn oder Ähnliches. Überrascht uns in dieser Zeit nicht. Auch wenn es wahrscheinlich nicht mehrheitsfähig ist, die Tochter und ich vermissen den Rosenkohl sehr. Dafür gibt es andere Highlights. Wie den Black Flamingo Friday oder die Wortschöpfungen des Sohnes. Er beklagte letzthin unsere „Haarspinnen“. Zuerst war mir nicht klar, was er damit meinte. Dann legte er dar, dass er darunter diese Wesen versteht, die aus mehreren langen Haaren zusammengeknotet in der Waschmaschine entstehen und zu Tage treten, wenn die Wäsche herausgeholt oder aufgehängt wird. Auch wenn es noch schöner wäre, sie entständen gar nicht - denn sie können nur von einem Ursprung, nämlich meinem Kopf, herrühren -, die Bezeichnung gefällt. Mag auch ansonsten wenig wie geplant laufen. Ende November ist es so wichtig, sich an kleinen Dingen zu erfreuen.

Dienstag, 24. November 2020

Muss auch sein

Unterdessen gestehe ich mir schlechte Laune zu. Mich strengen Arbeitgeber, Chefs, die Nachbarn, der Sohn fast gleichermaßen an. Die eigenen Durchhalteparolen, dankbar für alles zu sein, im Kleinen das Leben zu genießen, verfangen nach acht Monaten ununterbrochenem Dauertrompeten nur noch bedingt. Die Formel „Zu viel Anstrengung auf zu wenig Ausgleich“ beschreibt es wohl am besten. Ich mag mir den Unmut zugestehen, mein Umfeld tut es nicht. Der Chef beklagt meine mangelnde Verve, der Sohn ist genervt über meine Arbeitsaufforderungen, die beste Reaktion der Nachbarn ist Ignorieren. Im Moment frage ich mich wirklich, wie ich die eigene Moral für die nächsten, sagen wir, vier-fünf Monate aufrechthalten soll. Wenn dann noch die Haushaltshilfe Grüße und sonnenbeschienene Palmen-Pool-Fotos aus High Society-Hot Spots schickt, droht die eigene Stimmung ins bestenfalls Anthrazite abzusinken.

Mittwoch, 18. November 2020

Foulspiel

Es ist weder gerecht noch nachvollziehbar, dass wir, die wir mit deutschem Herbst geschlagen sind, also aktuell wahrlich keine Temperaturen von über 20° haben, und uns mit geschlossener Gastronomie arrangieren müssen, uns nicht als Ausgleich an einem bravourösen 7:1 erfreuen können. Stattdessen bekommen die, die all‘ das genießen können, was wir vermissen, obendrein noch ein 6:0 geliefert. Das erscheint mir nicht fair. Allein, nie hat jemand behauptet, es gehe fair zu im Leben. Wenn das Debakel wenigstens dazu gut gewesen wäre, sich des popelnden Trainers zu entledigen, hätten die Zweckoptimistinnen unter uns jubeln können. Doch danach sieht es im Moment nicht aus. Es läuft gerade nicht so bei uns.

Dienstag, 17. November 2020

Bunt sind schon die Wälder

Während in der Woche Arbeit und Laubpuster vereiteln, Stille in der Natur zu finden, sind es am Wochenende eher die Mitmenschen.
Beim Reißverschluss-Einfädeln in die Reihen der Alsterumrunder - können Deutsche übrigens auch ohne Auto nicht - landeten wir Sonntag hinter einem nicht mehr völlig jungen Mann, der telefonisch Beziehungsprobleme besprach oder vielmehr nach dem Ende einer Beziehung zu bilanzieren gezwungen war. Sofort waren wir mittendrin. In Schuldzuweisungen, Vorwürfen, passiver Aggressivität und Nachtreten. Zwischenzeitlich war ich versucht zu überholen und im Vorbeigehen zu säuseln: „Ach, Schatz, lass‘ doch das ich unnötige Telefonieren und uns endlich Spaß haben!“ Nur damit es aufhört. Während anfangs meine niederen, voyeuristischeren Instinkte wachgerufen waren, fand ich es schnell anstrengend, Teil am unteren Ende fremden Privatlebens sein. Zumal mein Kopf vergleichsweise schnell das Bild des unbekannten Gegenübers produzierte. In meiner Vorstellung war sie zierlich, blond (mit Highlights) mit Skinny Jeans, hohen Absätzen und hoher Stimmfrequenz. 
Vielleicht ist es wirklich besser, das beschauliche Dorf nicht erst zu verlassen?  Manchmal ist häusliche Quarantäne nicht einmal die schlechteste Wahl.

(Zuhause ist es eben doch am schönsten.)

Montag, 16. November 2020

Goldener November

Spontan fuhr der Sohn am Freitagabend übers Wochenende ins südliche Niedersachsen. Bei dem vergleichsweise wohltemperierten Wetter sicher erst recht eine Reise wert. Meine Ermahnungen, an eine Zahnbürste zu denken oder rechtzeitig beim Abräumen zu assistieren, nahm er sehr kooperativ auf. Wirklich. Nicht ironisch gemeint. So waren wir beide guter Dinge. Weniger befriedigend für mich: dass ich nicht früher von meiner Sturmfreiheit wusste. Was kein Vorwurf sein soll, denn er selbst entschied so kurzfristig. Doch es verhinderte fürs weitere Wochenende zusätzliche, schöne Programmplanung, die der Seele zuträglich gewesen wäre. So verging ein nicht unerheblicher Teil des sonnig-lauen Sonntags damit, die Hinterlassenschaften zahlreicher Schadnager auf Balkons sowie weiterer Wohnungsperipherie zu entsorgen und sich Strategien zu überlegen, wie wir die Rattenplage zukünftig abwenden können. Wenn diese Freizeitgestaltung anstelle schönerer nicht symptomatisch für die aktuelle Zeit ist, dann weiß ich auch nicht.
Die neue Flasche Sriracha opferte ich für die gute Sache der Schädlingsbekämpfung fast schon gerne. Selbst die gute, ohne Geschmacksverstärker. Die Vorstellung, wie nun nächtens Ratten mit hängender Zunge und grummelnden Eingeweiden durch die Gegend taumeln, hat in diesen Zeiten immerhin ein wenig Aufbauendes.




Donnerstag, 12. November 2020

Besserwisserin

Gerne hätte ich unrecht gehabt. Nun muss ich ungern damit leben, wahrscheinlich recht behalten zu haben. Dass der Wasch-Mich-Aber-Mach-Mich-Nicht-Nass-Shutdown, der alles schließt, das keine Lobby hat (denn nur da besteht Ansteckungsgefahr!), nichts bewegen wird. Außer natürlich, dass unsere saisonal und vorgeschichtlich ohnehin angezählte Moral deutlich darunter leidet. Und auch sonst ist die Stimmung super.

Dienstag, 10. November 2020

Jetzt mal ehrlich

Ihr fragt: „Wie umgehen mit diesen ewig gleichen Tagen ohne Ausgleich?“
Ich sage: „Wieso gleichförmig? Jeder Tag, der wunderbar lautstark mit der Stadtreinigung (Ihre Experten an Glascontainern und Laubbläsern) in Dunkelheit eröffnet wird, ist eine individuelle Herausforderung. Wie soll ich mich heute motivieren, überhaupt aufzustehen? Wie schaffe ich es wieder, zu viele Kalorien auf zu wenig Bewegung vor mir selbst zu rechtfertigen? Welche Jobs lasse ich liegen, obwohl sie vor lauter Deadlines schon nachts leuchten und tagsüber rot blinken? Von wem darf ich mich während der zehn bis zwölf Stunden Arbeit heute wieder anquaken lassen - und das ganz kostenlos, wenn nicht gar umsonst? Wenn das nicht genug Challenges für diesen Tag und die folgenden 140 sind, seid Ihr einfach zu anspruchsvoll.“

Montag, 9. November 2020

Rollentausch

Ein weiteres Glück des zweiten Mals ist, dass montags morgens die neben meinem Ohr platzierten, überbordenden Glascontainer dank MEWZ nach und nicht vor sieben Uhr geleert werden. Kurz danach klingelt der Wecker ohnehin. Dann stört auch die lautstarke Laubentsorgung nicht mehr. Anders als die Nachbarn, die meinten, am heiligen Sonntag ab 10 Uhr morgens konzertiert Hämmern und Werkeln zu müssen. Das störte schon. Vor allem, da ich nach einer schlechten Nacht um diese Zeit gerade dabei war, wieder einzudruseln. Immerhin ist bereits eine Woche geschafft - und die war wie prognostiziert überraschend golden oder weniger novemberlich. Ein Kontakttagebuch brauche ich auch nicht zu führen, denn bis zu drei Kontakte pro Woche bekomme ich rekonstruiert, ohne sie aufschreiben zu müssen. Für mich weniger positiv, aber als Empfehlung für alle anderen ein Gewinn: mit Rückenschmerzen ist eine 50-Stunden-Woche keine allzu gute Idee. Vor allem wenn die Ausgleichssportarten Laubfegen und Wohnungputzen heißen. Don‘t try this at home! „Mama hat viel zu viel gearbeitet.“ kommentierte der Sohn in Gesellschaft zumindest meinen bezahlten Frondienst. Er belustigte mich außerdem damit, dass er nach sonntäglichem Nichtstun (normalerweise mein Part) sich aufs Sofa fallen ließ und den Fernseher anschaltete, um lineares Fernsehen zu verfolgen. In trauter Zweisamkeit sahen wir die Tagesschau. Wir senkten damit das Durchschnittsalter der Sendung von 64 auf jugendliche 63, könnte ich mir vorstellen. Als Boris Johnson mit seinem Kommentar zu US-Wahl gezeigt wurde, musste er lachen. „Wenn man einen Lutscher anleckt und auf einem Flokati wälzt, dann kommt er dabei heraus.“ Ein schönes Bild, das sich jetzt in meinem Hirn festgesetzt hat. Im Anschluss ließ ich den Sohn allein zuhause und ging zur Nachbarin. Als ich zurückkam, lag er noch immer auf dem Sofa und guckte „Anne Will“. Etwas, das ich ich freiwillig nie tue, denn meine Maxime heißt: Anne will, aber kann nicht. Der Sohn wiederum erfreute sich am tautologischen Geblase und warf zusätzlich ein, dass Anne „ganz schön gebotoxt sei“. Ich hätte erstens nicht gedacht, dass ihm so etwas auffalle, zweitens dass es für seine Altersklasse überhaupt eine Rolle spiele. Anschließend bemerkte er noch, der Tatort sei super gewesen und lächelte darüber, dass ich ihn „zu spooky“ fand. Einzig das in den vergangenen anderthalb Stunden von ihm verputzte Essen hielt mich davon ab zu vermuten, über sein Sonntagnachmittagschläfchen wäre der Sohn vom Millennial ohne Umwege in die Boomer-Generation übergegangen.

Donnerstag, 5. November 2020

So ist es

Als positiv lässt sich immerhin vermerken, dass ich einige Tage sturmfrei hatte. Gut, noch besser wäre gewesen, hätte ich es vorher gewusst. Oder, dass das iPhone unterdessen aufgegeben hat, mich daran zu erinnern, in der Vorwoche, im Vormonat oder im Vorjahreszeitraum habe ich mich mehr als jetzt bewegt. Mehr als 3.000 Schritte sind nicht drin, Freundchen, wenn ein Tag im wesentlichen erschreckend viel Arbeit im Home Office zu bieten hat! Diese Lektion scheint es endlich gelernt zu haben. 
Im Zuge des erwähnten Arbeitsaufkommens bereitet es nur mäßig gute Laune, wenn wie gestern während eines Kundentermins, genau genommen während eines meiner Sprechparts darin, an meiner Tür sturmgeklingelt wird. Um den weiteren Fortschritt des Meetings nicht durch meine Bimmeldisco zu gefährden, erbarme ich mich und öffne. Ich sehe den abwandernden DPD-Mann und beschließe, dass mich seine Fracht unter diesen Umständen nicht kümmert. Dann entdecke ich jedoch, dass er etwas in der Haustür eingekeilt hat, um diese geöffnet zu halten. Unser Dorf mag zwar prinzipiell beschaulich sein, aber ganz ungefährlich ist so etwas hier nicht. Mit Verve schließe ich also die Tür, um schnell wieder an meinen Arbeitsplatz (meinem Kampfplatz für den Frieden) zurückzukehren. Dabei fällt der Scanner herunter, den der Paketbote als Keil eingesetzt hatte. In dem Moment sehe ich, wie er - in einer Hand ein Handy, in der anderen einen Auspuff - auf mich zugeschossen kommt. Ich solle sein Telefonat annehmen. Ich quake ihn an, ich sei in einem Meeting und sein Geschäft kümmere mich nicht, denn meins sei mir wichtiger. Kurzzeitig packt mich das schlechte Gewissen, mich mit diesem Verhalten nicht wesentlich von Rassisten zu unterscheiden, aber meine Anspannung ist größer; außerdem bin zumindest ich sicher, dass Hautfarbe oder Akzent meines Gegenübers keine Rolle spielen. Er insistiert, es sei mein Nachbar, ich solle mit ihm sprechen. Ich lasse mich breitschlagen, wenngleich enerviert, und melde mich mit meinem Namen. Stille. Dann ein Blöken aus dem Handy. Ob wir jetzt eine Konversation führen? Ich explodiere und weiß nun endgültig, dass meine Unfreundlichkeit nicht fremdenfeindlich motiviert ist. Wer da überhaupt sei, will ich wissen, und führe nochmals und noch ungehaltener aus, dass ich aus Gründen keine Zeit habe, die Christel von der Post zu spielen. Die Stimme am anderen Ende sagt: „Stefan.“ Ich überlege kurz. Der (erweiterte) Nachbar gleichen Namens hat einen leichten Sprachfehler. Er ist es also nicht. Irgendwann komme ich darauf, dass es der Freund eines anderen Nachbarn ist, den ich in diesem Sommer bei ihnen traf und da schon reichlich unsympathisch und von sich selbst eingenommen fand. Das kümmerte ihn wiederum wenig. Er wies mich in bester Gutsherrenmanier an, ich solle den Auspuff für besagten Nachbarn annehmen und vor dessen Wohnungstür legen. Da er anschließend sofort auflegte, konnte ich Einwände wie Rückenschmerzen und Gewicht des Dings nicht mehr loswerden. Ich quengelte mein „Gern geschehen!“ folglich ins Leere. Um meinem Unmut etwas Luft zu verschaffen, warf ich das schwere Teil krachend an die verabredete Stelle. So machte der Auspuff seinem Namen wenigstens alle Ehre. Im Meeting wunderten sich Kundin und die anderen Teilnehmerinnen, warum ich blasierte Kuh nicht auf ihre Fragen antworte. Was nehme ich nicht alles für meine lieben Nachbarn und deren Peripherie in Kauf?

Mittwoch, 4. November 2020

Business As Usual

Alles ist wie immer. Schülerhorden pilgern an meinen Fenstern vorbei. Der Berufsverkehr rattert vorüber. Beim Einkauf haben sich Betrieb und Warenangebot nicht verändert. Aber von all‘ dem bekommen wir es nicht. Nein! Denn gefährlich sind die Restaurant-, Sport- und Veranstaltungsbesuche - genau die, die mit Hygienekonzept und Abständen, von denen der ÖPNV nur träumen kann.
Ob es wirklich jemanden gibt, der glaubt, Krankheitszahlen gingen dadurch herunter, dass der berufliche Betrieb uneingeschränkt aufrecht erhalten wird (plus Stoßlüften natürlich!) und alles, was zum Ausgleich dient, ausgesetzt wird? In einer Zeit - wir sprechen von November, in dem sich nicht zufällig Tage wie Totensonntag oder Volkstrauertag aufhalten -, die in hiesigen Klimazonen schon im besten Fall nicht zu ertragen ist? Deren Charme sich auch nach vielen Urlaubstagen im Süden nicht erschlösse (nie war Konditional II, Irrealis, notwendiger als in dieser Frage)?
Selbstverständlich spiele ich auch die neuen Spielregeln mit. Das Denken habe ich zum Glück schon länger eingestellt. Besser ist das. Doch die Preußin in mir wird langsam, aber beständig an ihre Grenzen gebracht.

Sonntag, 1. November 2020

Allerheiligen

In den letzten Tagen dachte ich oft: Ein Unglück kommt selten allein. Zu allen alltäglichen Unbilden kam hinzu, dass die Woodstock-Tasse verschwunden war. In meinem mütterlich-antrainierten Ritual verfiel ich selbstverständlich in eine Verhaften-Sie-die-üblichen-Verdächtigen-Haltung und fragte den Sohn, ob er sie in seine Räuberhöhle verschleppt habe. Er wies dies empört von sich und gab mir zu bedenken, ich solle „mich an die letzten Male erinnern und ihn nicht wieder zu unrecht akkusieren“ (seine Worte, nicht meine). Im Rahmen einer paradoxen Intervention rollte ich heranwachsendengleich mit den Augen und sagte nichts, schließlich wusste ich altersgemäß alles besser. Um die Tasse zwei Tage später im Bücherregal wiederzufinden, wo ich sie hingestellt hatte, nachdem ich mein abendliches Heißgetränk ausgetrunken hatte. Zu meiner Ehre gereicht vielleicht, dass ich ihm nach dem Fund eine Nachricht schickte und ihm darin recht gab. Trotz dieses Schnitzers war mein seelisches Gleichgewicht wiederhergestellt. Ich beschloss daraufhin, es mit dem von mir geschätzten David Byrne zu halten und in nächster Zeit vor allem „Reasons to be Cheerful“ aufzulisten.
Da wäre zum Beispiel der von meinem Vater angekündigte „Goldene November“, der im Gegensatz zum gesamten Vormonat bereits am ersten möglichen Tag Einzug hielt.
Da wäre außerdem das ganz anständige Gulasch, das ich gekocht habe. Zugegeben, es ist vielleicht nicht ganz so gut wie das meines Vaters, aber eben sehr leckeres Herbst-Soulfood.
Oder das gemeinsame Laubfegen mit zwei Nachbarn, das wir in der richtigen Anzahl und Zusammensetzung mit lauter Beschallung (damit die Nachbarschaft auch den Einsatz der Feierabendbrigade unbedingt bemerkt) gut gelaunt am ansonsten nutzlosen Feiertag zügig erledigten. 
Oder dass wir an ebendiesem Feiertag von den sonst üblichen Auswüchsen keltischen Brauchtums verschont blieben und keine Eier an den Fensterscheiben wiederfanden. 
Oder dass wir zur Feier des Tages, der getanen Arbeit und der letzten Möglichkeit noch einmal feudal Essen gingen.
Oder dass auf dem Rückweg der Vollmond so schön schien. Und wir die Hoffnung haben können, dass zum nächsten Vollmond schon wieder viel mehr erlaubt sein könnte.
Wen kümmern da weitere vier Wochen auf Sparflamme?



Mittwoch, 28. Oktober 2020

Mist!

Enttäuschend, diese Mitmenschen. Sie verhalten sich so vorhersehbar und langweilig, indem sie exakt die gleichen Dinge wie beim ersten Mal horten. Klopapier, Mehl, Hefe und Nudeln. Ich wäre sehr dafür, etwas Farbe und Abwechslung ins Hamstergeschäft zu bringen. Warum nicht zum Beispiel mal eine Müllbeutelknappheit heraufbeschwören? Oder Nähgarn und Tomatenmark? Als ob der Alltag nicht ohnehin öde genug wäre, müssen wir uns vier Wochen um die gleichen Sachen wie im Frühjahr prügeln? Fade. Zumal der November per se ein schwierigerer Monat als der April ist. Besonders, wenn er auf einen eher grauen als goldenen Oktober folgt, in dem es spätestens zu Mittagspause regnet oder anderweitig ungemütlich wird. Ich kann so nicht arbeiten.

(Nichts unversucht lassen.)

Sonntag, 25. Oktober 2020

Annus semihorribilis

Gerade als ich beschloss, im Laufe des vierten Quartals könnte ich 2020 vielleicht in eine der unteren Schubladen meiner Erinnerung einsortieren - ganz unten bleibt in meinem Ranking 2008 -, beförderte es sich selbst noch ein wenig nach oben. Zum einen weil ich nach hinten heraus noch relativ viel sturmfrei hatte, zum anderen weil ich im Rahmen meiner Sturmfreiheit an ein neues Lieblingswort geriet. Es wurde mir zugetragen, als ich beim zweiten Rendezvous der Woche (Dass ich das noch erleben darf!) von meinen Erlebnissen berichten und sie als meine ganz persönlichen Erfahrungen kennzeichnen wollte. Um niemanden länger auf die Folter zu spannen: es heißt „Individualempirie“ und ersetzt die etwas sperrige „N=1-Studie“ aufs Schönste. Im Verlauf der Begegnung hatte ich es zwischenzeitlich vergessen, wurde dann aber zum Glück und ohne Augenrollen ob meiner Vergesslichkeit wieder daran erinnert. Mag sein, dass es den Status des Lieblingswortes nicht für lange Zeit innehaben wird, so eng verwoben wie es mit ebendiesem Jahr ist. Aber solange genießen wir die Zeit miteinander. Im Zuge dessen kann ich berichten, dass hier im beschaulichen Dorf, wie auch im Rest der Hamburger Innenstadt, die Klopapiervorräte im Einzelhandel wieder ziemlich geplündert sind. Die Nudeln allerdings halten sich noch wacker. Doch es gibt sie wieder, die Schilder, auf denen es heißt, jeder Haushalt dürfe nur eine Packung kaufen. Meine Individualempirie besagt nun, dass es sich bei den Hamsterkäuferinnen und -käufern ausnahmslos um Menschen mit Migrationshintergrund handelte. Diese Beobachtung lässt diverse Theorien zu: 
a) Im Gegensatz zu uns (west)deutschen Wohlstandsmenschen kennen sie noch echte Notstände und Versorgungsengpässe. Das erklärte mir jedoch nicht den vergleichsweise hohen Anteil asiatischer Provenienz.
b) Horten/Hamstern/Bunkern ist gar nicht so eine deutsche Eigenschaft, wie ich immer gedacht hätte.
c) Integration ist doch gelungen. Wenn die Bunkergemeinschaft jetzt noch an der Kasse in epischer Breite über das Wetter philosophiert, haben wir alles erreicht.



Donnerstag, 22. Oktober 2020

Vorwärts

Kleckern scheint von jeher zu meinen Kernkompetenzen zu gehören. Doch in letzter Zeit  wirkt es, als hätte ich meine Fähigkeiten noch weiter perfektioniert. Heute früh habe ich beispielsweise meine erste Portion Tee anstatt in n meinen Schlund im wesentlichen breitflächig auf den Fußboden gegeben. Um anschließend keinen Tee mehr vorrätig zu haben. Also hieß es einkaufen. Vor Ort freute ich mich, wie entspannt es am Morgen im Laden ist. Zuhause ebbte die Freude ab, denn die Corona-Warn-App meldete mir daraufhin drei Risiko-Kontakte, wenngleich mit niedriger Gefährdung. Alles in allem ein Vormittag mit Optimierungspotential. Ähnlich wie vorgestern. Da versuchte ich, die am Vorabend geleerte Aperol-Flasche vorschriftsmäßig in den Altglas-Container zu expedieren. Mit dem Erfolg, dass ich sie aus Versehen und aus Ungeschicklichkeit in den Hauseingang warf. Der war dann übersät mit vielen klebrigen Scherben. Vielleicht will mir das sagen, morgens einfach besser im Bett liegen zu bleiben. Mir wäre derzeit durchaus danach. Andererseits hätte ich auf die Weise heute eine ausgedehnte Mittagspause auf dem Balkon verpasst. Wenn es mir gelang, das fallende und verfärbte Laub zu ignorieren, konnte ich mir dort einen schönen Frühlingstag einbilden. Nicht so schlecht.



Montag, 19. Oktober 2020

Gerettet

Gerade als der Tag beschloss, alle Vorurteile einem Montag im Herbst gegenüber zu bestätigen, kam noch ein Lichtblick daher. Damit hatte ich nicht gerechnet, nachdem er in der Frühe mit dem üblichen Glascontainerleeren vor 7 Uhr begann, sich mit johlend vorbeimarodierenden Schülern fortsetzte, die mich bei der Arbeit störten, eine ausgekippte Teetasse aufbot und mit schlechtem Wetter pünktlich zur Mittagszeit weiterging. Sturmfreiheit sei Dank konnte ich ein spontanes Date am Abend einrichten. Dies war zwar damit verbunden, einigermaßen pünktlich die Heimarbeit zu beenden und anschließend flügelschlagend einen ausgiebigen Abstecher in die Maske einzulegen. Aber das war es allemal wert. Schon allein, weil festgestellt wurde, ich habe abgenommen. Was nach zehn Tagen mütterlichem Präpeln gar nicht stimmen kann, ich aber dennoch mit Freuden abkaufe. Merke: Nicht jeder Montag ist ein schlechter.



Sonntag, 18. Oktober 2020

Testen

Während um mich herum wieder ausprobiert wird, zum Beispiel wie das mit Urlaubsreisen nochmal ging, ist eine Versuchsreihe in meinem Leben wieder eingestellt. Nach anderthalb Monaten, in denen wir testhalber sogar mal zur Arbeit gehen durften - wenngleich in Stoßzeiten zu maximal 30%, das allerdings nur ganze zwei Wochen lang - und ich es genau einmal genutzt habe, ist jetzt wieder verbindliches Home Office angesagt. Mein Problem dabei: dass meine Motivation maximal zu einem ähnlichen Prozentsatz anwesend ist. Alles, mit dem ich mir die Heimarbeit bisher schönreden konnte, scheint ausgehebelt. Der Balkon hat wegen des Wetters und der vormals Begrünung, jetzt Begelbung oder Bebraunung, seine Attraktivität eingebüßt. Tischtennis fällt mangels Partnerin ins Wasser und selbst gekochtes Essen aus „Fruits de la Tristesse“ eignet sich auch mehr dazu, es unter vorsichtigem Rühren in den Ausguss zu geben. Amüsant finde ich immerhin all‘ diejenigen, die wettern, was für ein mieses Jahr 2020 doch sei. Süß, dieser Glaube mit dem Jahreswechsel werde alles besser.

Dienstag, 13. Oktober 2020

Don‘t Try This at Home

Für Sie getestet und nicht für gut befunden:
Morgens muss ich mir nun also wieder Strümpfe aus dem Kleiderschrank holen (das empfehle ich sogar allen). Eine Routine, die noch nicht wieder sitzt und die ich entsprechend oft vergesse. Was ich nicht empfehlen kann: so dicht vor dem Kleiderschrank zu stehen (noch keine Kontaktlinsen), dass ich mir die Schranktür beim Aufklappen mit ausreichend Wucht gegen den großen Zeh dengele. Der Vorteil: danach war ich wach. Der Nachteil: ein blanker Zeh schmerzt noch relativ lange nach einer solchen Behandlung.
Was ich, ohne es selbst getestet zu haben, auch nicht empfehle, was vom Sohn als Tester allerdings ans Herz gelegt wurde: äthiopisch/eritreisch Essen zu gehen. Im Rahmen seiner Geburtstagsfeierlichkeiten war er in trauter Zweisamkeit in einem solchen Restaurant. Es sei so lecker gewesen, dass sie so viel gegessen haben (in seinem Fall waren es wohl vier Portionen plus viel Brot - „sooo lecker!“), dass sie im Anschluss beide haben spucken müssen (meine Worte, seine waren etwas malerischer). Freudestrahlende Quintessenz war selbstverständlich, es habe einfach zu gut geschmeckt. Wir sollen das auch mal ausprobieren. Vielleicht wäre es einen Versuch wert, denn ich könnte damit herausfinden, ob mein Mehr an Lebensjahren auch mit einem Plus an Lebensweisheit und Selbstbeherrschung einhergehen könnte.

Samstag, 10. Oktober 2020

Ausnahmsweise

Neben Herbst und viel zu viel zu tun muss ich mich nun auch noch damit abfinden, heute nicht das Sagen zu haben. Wenn es nach dem designierten Bestimmer geht, gilt dies nicht nur sofort, also unverzüglich, sondern sogar für die gesamte Woche. Diese Regel hat der Jubilar heute Nacht noch vorausschauend postuliert. Das wird eine harte Umstellung, schließlich genieße ich doch seit 20, wenn nicht gar nach über 21 Jahren die Freuden größter Freiheit und Selbstbestimmung. 
Zum Glück geht es gleich heute Abend nicht allzu schlimm los, denn der Sohn verbringt den Rest seines Ehrentags lieber bei Schwester und Freundin. Demnach unverdient sturmfrei für die Nicht-Bestimmerin.



Dienstag, 6. Oktober 2020

This Time of the Year Again

Müsste ich derzeit einen Depressionsfragebogen ausfüllen, könnte ich wohl meinen Highscore schaffen. Dieser Herbst ist mit allem, was ihm vorangegangen ist, noch schwerer zu ertragen als ohnehin. Als ob die Herbstfarben auf dem eigenen Balkon, für die ich eine Zero-Tolerance-Policy fahre, nicht genügten. Nein, es muss sich zum alleine zu absolvierenden Alsterspaziergang, voraussichtlich zum letzten Mal in diesem Jahr in offenen Schuhen, aus ebendiesem Grund eine fette Blase unter dem Fuß gesellen. Außerdem musste ich die Heizung anstellen. Und einsehen, dass ich den Premium-Sonnenschirm unterdessen für längere Zeit einmotten kann. Sollte jetzt noch Melonen-Design angesagt sein, dann wohl nur als Mütze oder Regencape. Auch wenn mich der einmalige Ausflug in die stationäre Arbeit wegen Reizüberflutung nicht vollständig überzeugen konnte, verliert das Home Office ohne Mittagspausen auf dem Balkon kontinuierlich an Attraktivität. Doch ein Ausweg zum Herbstblues bleibt mir. Ich könnte auch Amok laufen. Ein Opfer hätte ich schon. Wahlweise die Halterin des Hundes „Buddy“, die dessen Namen im Dreißigsekundentakt über die benachbarte Hundewiese skandiert, oder das Tier selbst, damit mich das ewige Buddy-Geplärre nicht mehr ständig aus der Arbeit reißt. Selbst um diese Jahreszeit werde ich ja wohl noch träumen dürfen.

(Da waren Fußsohle und Wetter noch halbwegs in Ordnung.)

Samstag, 3. Oktober 2020

Jagd auf 3. Oktober

In meiner Jugend war der 3. Oktober - anders als der 17. Juni - noch ein Tag, der nicht weiter aus dem Alltag herausstach. Mir selbst ließ er qua Datum damals wie heute wenig Chancen, nicht das Ende des Sommers zu beklagen. Trotz dessen Getragenheit eins zu null für den Feiertag im Juni. Davon, dass unser Wessi-Festtag in diesem Jahr auf einen Mittwoch gefallen wäre, möchte ich gar nicht sprechen. Während in meiner Kindheit Aufreger wie „Der Butterberg“ vorzuherrschen schienen, geht es für mich heute darum, einen anderen abzubauen: den Haufen akkumulierter, wegen Besuch, Abwesenheit, Steuererklärung und allgemeiner Lustlosigkeit ungelesener Zeit-Ausgaben. Dafür ist ein Feiertag an einem Sonnabend im Herbst allemal gut. 
Seit nunmehr zwanzig Jahren, also seit dem zehnjährigen Wiedervereinigungsjubiläum, markiert der 3. Oktober zusätzlich den einwöchigen Countdown zum nächsten Saisonhöhepunkt, den Geburtstag des besten denkbaren Sohnes. Sich steigernd bis vor zehn Jahren hörte ich mir geduldig seine Begeisterung an ob der Tatsache, am 10.10.2010 10 Jahre alt zu werden. Unterdessen ist er ruhiger geworden; zumal der 20 an besagtem Datum nicht der gleiche Charme innewohnt. Mich hingegen treibt es um, dass mein Millenniumbaby demnächst nicht einmal mehr Teenager ist. Und dazu noch eine ältere Schwester, die beste denkbare Tochter, hat. Das eigene Älterwerden lässt sich so schlecht ignorieren. Sein Geburtstagswunsch dieses Jahr ist eine Reise. Dass dieser in diesem Jahr vielleicht nicht der zuträglichste ist, stelle ich als verständige Mutter hintan. Der Sohn hatte schon immer einen Hang zum Außergewöhnlichen, warum sollte sich das mit Eintritt in die neue Dekade (ja, ich weiß, Ihr Kleingeister, darin befindet er sich schon seit letztem Jahr!) ändern. So wundert es mich nicht weiter, dass einer seiner Reisepläne vorsieht, in der Türkei Uigurisch essen zu gehen. Wie Usbekisch sei das schließlich auch eine Turksprache, und unterstützen wolle er sie sowieso. Um neben dem Grünschnabel nicht ganz so unbedarft dazustehen, wollte ich ihn fragen, ob er auch einen Restaurantbesuch dieser turksprachigen Minderheit aus dem Süden Moldawiens vorsehe. Blöderweise fiel mir natürlich ihr Name nicht ein. War irgendwie klar, dass er, während ich noch überlegte, wie aus der Pistole geschossen „Gagausisch“ sagte (und mich vorsichtig für mein Unwissen tadelte, schließlich sei ich im Gegensatz zu ihm schon einmal in der Republik Moldau gewesen. Es schloss sich abermals die Tirade über die Armut eines Landes innerhalb Europas an, über die alles gesagt sei, wenn dessen Bevölkerung  zum Geldverdienen in die Türkei gehe.). Eigentlich sollte ich mich im Laufe der vielen Jahre daran gewöhnt haben, aber sein enzyklopädisches Wissen verblüfft mich gelegentlich noch immer.

(Herbstfarben allenthalben. Nie so mein Ding.)

Donnerstag, 1. Oktober 2020

Online-Dating

Zum weiteren ersten Mal in meinem Leben habe ich online ein Date klargemacht. Morgen ist es soweit.  Nach sieben Monaten Abwesenheit vom Geschäft ist es wahrscheinlich egal, dass es sich dabei um den gebuchten Arbeitsplatz vor Ort handelt. Die Aufregung ist im Zweifel sehr ähnlich. 

Mittwoch, 30. September 2020

Die Gleichung geht nicht auf

Es war wahrscheinlich kein Zufall, dass meine Steuererklärung praktisch zeitgleich mit der Nachricht, wie wenig Steuern Trump gezahlt habe, fertig wurde. Es ist garantiert kein Zufall, dass ich nun weiß, 2019 auf ein zweistelliges Vielfaches der Steuern des amerikanischen Präsidenten gekommen zu sein. Ich bin nur noch nicht sicher, ob diese Erkenntnisse mehr über seine oder meine Blödheit aussagen.

Montag, 28. September 2020

Mehr als sie erlaubt

Ein Wochenende, das mit der üblichen, vorfristigen Leerung der Altglascontainer ausgeläutet wird, das im wesentlichen aus nasskaltem Wetter und der Steuererklärung bestand, darf meines Wissens nicht in die Wertung eingehen. Zumindest nicht im September. Im November handelte es sich selbst in meinen Augen um einen Zweifelsfall. Wenn sich bei besagter Steuererklärung herausstellt, das Jahr 2019 hatte in Hamburg 251 Arbeitstage und das vorherrschende Gefühl sagt, dies waren mindestens 220 zu viel, steigen weder Stimmung noch Motivation für den Rest dieses Jahres. Ich beantrage daher einen Reset auf Freitagabend. Wenn’s nach mir ginge, gleich auf einen Freitagabend im Frühjahr. Doch ich fürchte, dieser Antrag würde von höherer Stelle als unrealistisch abgeschmettert. 

(Immerhin)

Freitag, 25. September 2020

Wenn es dunkel und kalt wird...

... kommt der Katalog mit den Weihnachtskugeln ins Haus geschneit (sic!). So werdet Ihr mit mir garantiert kein Geschäft machen, ich trage noch Sandalen! Zu recht und undeutsch sogar ohne Strümpfe. 
Immerhin verfestigte sich in mir - ob der Aussicht auf einen Tag im September, an dem es nicht hell zu werden versprach - heute die Vorstellung, ich könnte wegen der Ambiance und des Wohlgefühls neben meinem Bildschirm Kerzen anzünden. Warum soll der Sohn der Einzige in diesem Haushalt sein, der kokeln darf? Am Arbeitsplatz kommt es mir fast noch sicherer vor als auf dem Hochbett. Wird aber vermutlich ein Fotofinish.

Donnerstag, 24. September 2020

Seit der Himmel

Es ist nicht einmal so, dass im Moment gar nichts passiert. Es gibt sie schließlich noch, die lauschigen Abende auf dem Balkon in bester Gesellschaft. Dennoch komme ich gedanklich immer wieder auf das letzte Wochenende zurück, auch wenn die Brandblasen nach und nach besser werden und der Muskelkater überwunden ist. Meine größte Leistung der Tage bei meinen Eltern war nicht die körperliche Arbeit in der Pflanzenbekämpfung. Sie bestand im Versuch, der Nachbarschaft vielleicht arbeitserleichterndes Werkzeug entlocken zu können. Dazu musste ich mich zu den Nachbarn begeben, die in schönster Mehrgenerationen-Harmonie zum Kaffeestündchen auf dem eingemauerten und gepflasterten Vorplatz des Hauses saßen (während die scheckheftgepflegte, 1A-vertikutierte Rasenfläche im Garten hinterm Haus wie üblich für bessere Zeiten geschont wird). Die Besetzung gilt es sich so vorzustellen: Tochter (um die 50 Jahre) und ihre Eltern sitzen auf Camping-Klappstühlen (so diese erkennbar ist mit ausgeblichener 70er Jahre-Bespannung) um einen ebensolchen Tisch, in dessen Resopaloberfläche das verblichene Wachstuch bereits serienmäßig eingebaut ist. Darauf Kaffeebecher unterschiedlicher Provenienz. Ausnahmsweise nicht dabei: Ehemann und Tochter der Tochter. Die Stühle der beiden anwesenden Frauen werden ob des Lebendgewichts hart an die Grenze der zulässigen Maximalbelastung gebracht. Vielleicht sogar darüber. Einzig der Vater kommt etwas dynamischer daher. Demzufolge wende ich mich mit meinem Ansinnen an ihn. Ob ich die Geräusche vorher richtig gedeutet habe und sie einen Hecksler haben, den sie uns ausleihen können. Die Tochter ignoriert mich geflissentlich, die Mutter blickt mich stumm und herablassend mit demonstrativ zusammengekniffenen Lippen (kluges Konzept, sollte sie vielleicht öfter tun) an. Wahrscheinlich weil mein kaputtgespieltes Aussehen die Friseurin in ihr nicht erfreut. Immerhin kann ich sagen, dass meines einigermaßen temporär ist. Einzig Papa durchbricht die schweigende Tristesse. Nein, das sei ein Vertikutierer gewesen. Freunde, ich mag zwar Stadtkind sein, aber ich kann die Geräusche eines mechanischen Vertikutiergeräts schon von einem motorisierten Hecksler unterscheiden! Wenn ihr mir keine Gerätschaften ausleihen oder ihr mich nicht unterstützen wollt, sagt es mir ruhig. Ich kann gut damit leben.
Selten habe ich mich mehr über das Glück gefreut, in die richtige Familie hineingeboren worden zu sein.

Beiläufige Notiz am Rande zur allgemeinen Auffrischung: Wer noch einmal sagt: „Hach, Herbst, einfach schönste Jahreszeit!“, bekommt ansatzlos eine gedrückt. Ich bin gerade in Stimmung.





Dienstag, 22. September 2020

Still wird das Echo sein

In meiner Reihe „Neue Erlebnisse“ habe ich gestern einen Posten vergessen: unsere Hin- und Rückfahrt zu meinen Eltern. Dass sich einige Menschen beim Autofahren in ihrer Denkleistung nicht wesentlich von, sagen wir, da der Gedanke saisonal gerade so naheliegt, Wespen unterscheiden, war keine neue Erfahrung. Schon eher die Erkenntnis, dass es unter Transportunternehmen auch solche mit philosophischer Ausrichtung gibt (Das wirft gleich die Frage auf, ob auch anthroposophische Umzugsfirmen existieren? Wenn ja, ihnen viel Spaß mit den nicht-rechtwinkligen Umzugskartons und ebensolchen LKW!). Auf einem Rastplatz sah ich im Vorbeifahren bzw. im Vorbeigefahrenwerden einen britischen Laster mit Anhänger, auf denen der Unternehmer oder die Unternehmerin in gelber Negativschrift auf weinrotem Grund den Slogan „Fear is temporary, regret is forever.“ angebracht hatte. Das ist sicherlich tiefsinnig (oder wie die Brut es ausdrückte: „safe deep“). Allein, ob es dem Geschäft zum Vorteil gereicht, vermag ich auch nach längerem Nachdenken nicht zu sagen.

Montag, 21. September 2020

Das alles kommt mit

Wieder einmal gab es für meine Alterskohorte in kürzester Zeit viele erste Male. Obwohl sie unterdessen doch ausgefallen sein sollen. Da wäre zum Beispiel die Erkenntnis, dass der Plan „Gartenarbeit light“ nicht umsetzbar ist. Einsatz im Garten kommt, so weiß ich jetzt, binär „anstrengend“ oder „gar nicht“ daher. Herbstliche Grautöne sind an der Stelle nicht vorgesehen. Obwohl wir einen Bambuswald gerodet haben, der einen fetten Panda-Clan auf längere Zeit glücklich gemacht hätte, habe ich nicht etwa Rückenschmerzen oder Muskelkater im Oberkörper. Nein, er beschränkt sich auf die Oberschenkel. Den kannte ich bisher nicht vom Bambus-Verhackstücken. Eine beachtliche Menge dem Garten entrissener Brombeer-Lianen und Brennessel-Büsche kam zwar nicht auf gleich viel Volumen wie der Bambus, war aber auch beeindruckend. Wenn auch nicht ganz so wie meine amtlichen, in Bestzeit nässenden Brandblasen, die ich zum ersten Mal im Leben (!) aus dem Kontakt mit piksenden Pflanzen entwickelte. Meine Arme sehen noch immer aus, als hätte ich sie kurzzeitig in der Fritteuse geparkt. Überhaupt reifte die Überzeugung, dass alles Schlechte im Garten auf einen Namen mit B hört. Neben der Erfahrung, dass Bambus noch in der Entsorgung aufmuckt, indem er einer mexikanischen Springmaus gleich wieder und wieder aus Mülltonnen hüpft, gibt es über ihn zumindest auch Positives zu berichten: werden nach getaner Arbeit am Abend seine hölzernen Rohre verbrannt, wird die Cowboy-Lagerfeuer-Romantik garantiert zerstört, weil sie unter bestimmten Voraussetzungen im Feuer knallen wie oberarmdicke China-Böller. Wahrscheinlich rührt die Bambus-Affinität der chinesischen Pandas genau daher. Mein Vater, ganz Naturwissenschaftler und Pyromane in Personalunion, hatte schnell heraus, welche Bedingungen die Stangen erfüllen müssen, um echte Kracher zu sein („mindestens zwei Kammern“). Entsprechend stapelten sich neben ihm bald viele Rohre, die wir in Ermangelung der oben genannten Eigenschaften blöderweise zu kurz gekappt hatten und die er für „ungeeignet“ befand. So immerhin kam doch, nur selten durchbrochen durch laute Knaller, vor dem Feuer der eine oder andere gefühlvolle Moment auf. Wäre da nicht der fernmündlich hinzugeschaltete Bruder gewesen, der anregte, solche Öko-Böller seien eine Marktlücke. Ab dem Moment habe ich Margen berechnet.

(Es gab auch pittoreske Momente.)

Freitag, 18. September 2020

Romantik, sagen sie

Für rosarot getünchte Gefühle waren wir zu spät. Dabei gab das Umfeld alles. Doch was tun, wenn der Sonnenuntergang sich schon mal ohne die eigene Präsenz erledigt hat? Immerhin war es nach der im Schweinsgalopp hingelegten Tour de Hambourg anfangs nicht allzu kalt. Da allerdings endet mein Zweckoptimismus, denn ich trage die Schuld, die schöne Romantik vereitelt zu haben. „Scheiß‘ doch auf die Seemannsromantik! Ein Tritt dem Trottel, der das erfunden hat.“ Doch ich greife vor. Mir als Quasi-Neuhamburgerin - immerhin keine dreißig Jahre hier und noch niemand vor mir in Ohlsdorf zu liegen - war nicht klar, dass es in der Hansestadt drei „Hamburg Cruise Center“ gibt. Das erste erreichten wir überpünktlich. Leider war es nicht das, in dem ein Konzert stattfinden sollte. Und leider auch das, das vom dritten maximal entfernt war. Immerhin auf der Habenseite: das zweite konnten wir auslassen, nachdem uns die Google-Recherche dazu ermutigte. Wieder einmal bewahrheitete sich die gute, alte Regel, dass in Hektik getroffene Entscheidungen nicht immer die besten sind. So hätten wir die Wahl der Verkehrsmittel von A nach B optimieren können. Doch erstens gilt es das durch die Krise gebeutelte Taxigewerbe zu subventionieren und zweitens liegt das Cruise Center Steinwerder für mein Empfinden derart in der Einöde, dass wir es ohne professionelle Hilfe vermutlich nicht (oder wenn, noch viel später) gefunden hätten. Die als „Box“ bezeichneten Sitzplätze erreichten wir also deutlich nach Konzertbeginn und auch nicht ohne die Rüge des Platzanweisers, uns nicht vorschriftsmäßig dorthin begeben zu haben. Was natürlich schwer problematisch ist, wenn alle anderen bereits sitzen und sich besagte Boxen ohnehin draußen befinden. Aber egal, denn Herr Regener sang und blies schon für uns. Und sofort war sie wieder da, die Erinnerung an das Konzert vor zwei Jahren in Lübeck, als die in der Nachbarschaft stehende Truckerlesbe (leider fällt mir keine politisch-korrekte Beschreibung ein) im Moment, als ebendieser Herr Regener zur Trompete griff, weithin hörbar skandierte: „Sven, blas‘ mir einen!“ Auch diese Reminiszenz kein Anlass, besonders gefühlsbetont zu werden. Hinzukam die nüchterne Analyse, dass bei näherer Betrachtung auch Musikstars - zumal mit allen Beinen fest in der Risikogruppe stehend - nicht ganz unbeschadet durch die letzten Monate gekommen sind, was Faltenwurf und BMI angeht. So vorteilhaft Video-Leinwände neben der Bühne für die Wahrnehmung weit voneinander entfernt sitzenden Publikums sind, so wenig sind sie es für die Akteure. Am Ende wird sogar in der Dunkelheit offenbar, dass der Frontmann nicht nur die gleiche Frisur hat, sondern auch die gleiche Tönung wie die Kanzlerin einsetzt. Schön und stimmungsvoll war es trotz Frisuren, die nichts für Musiker tun, und der verpassten Programmpunkte Sonnenuntergang/Konzertbeginn.
„Diesmal, mein Herz, diesmal fährst du mit.“
Dass der Rückweg unglaublich lange dauerte, die Bandmitglieder in ihrem schwarzen Berliner Mannschaftsbus schon winkend an uns vorbeifuhren, während wir auf den Shuttlebus warteten, konnte in vollem Umfang den Hamburger Verkehrsbetrieben angelastet werden. Was ich begierig tat. Schon allein, um von der Hinfahrt abzulenken. Doch selbst deren Aufregung war hilfreich (doch wieder Zweckoptimismus!), denn so konnte ich das solitäre Konzert 2020 ohne Herzprobleme überstehen.



Donnerstag, 17. September 2020

Stark

Endlich passiert wieder etwas! Heute Abend findet also mein erstes - und voraussichtlich letztes - Konzert dieses Jahres statt. Umsonst zwar nicht, aber dafür immerhin draußen. Ich bin mir noch unsicher, ob ich so viel Aufregung an einem Tag verkraften werde. Wenn sonst die Abwechslung in meinem Alltag darin besteht, dass ich einen neuen Gebrauchstee habe, der auf den Namen „Fritjof“ hört. Wenn die verwegene Erkenntnis des Tages heißt, dass Wespen vegetarische oder gar vegane Ersatzwurst nicht als Nahrung anerkennen. Sie optisch zwar von ihr angezogen werden, sie kopfschüttelnd nichts davon absägen und sich anschließend akribisch alle Füße reinigen, mit denen sie darauf herumgetrampelt sind. Auch gut, dann muss ich wenigstens nicht teilen. Wenn der wochentägliche Hauptaufreger bedeutet, beim Teekochen jeden Schultag wieder Privatschüler zu beobachten, die sich, ihre aktuellen iPhones gezückt und (für was auch immer) eingesetzt, im Schutze der Mandelbäumchen vor meinem Küchenfenster vor Lehrern oder Hausmeistern verstecken, um danach schnell über den Zaun zu klettern und sich anschließend unauffällig schlendernd auf dem meist leeren Schulhof zu bewegen. Ob ich ihnen zu verstehen geben sollte, dass ich sie sehe? Dass Cyber Mobbing verwerflich ist? Dass mein Schweigen kostet (Notiz an mich selbst: Bei den Forderungen nicht am falschen Ende sparen!)? In jedem Fall ärgere ich mich schon fast, dass ich mit meiner Mandelbaumhege - die ich im Gegensatz zur Zierkirsche daneben von ihren befallenen Ästen erlöst habe resp. erlösen konnte und somit am Leben erhielt - ein Biotop für schnöselige Blondknäblinge erschaffen habe. 
Spätestens heute Nacht werde ich wissen, ob ich einen solchen Abend überstehen kann. Sollten meine Fotobeweise auf den üblichen Netzwerken irgendwann abrupt abbrechen, war es vermutlich zu viel.

(Natur, ohne Eindringlinge)

Dienstag, 15. September 2020

Meinetwegen

Wenn es nach mir ginge, dürfte es bis Weihnachten so bleiben: eine Mittagspause bei 30° und Sonnenschein auf dem Balkon. Home Office sei Dank sogar ohne die Notwendigkeit, den Temperaturangaben Drei-Wetter-Taft hinzuzufügen. Mein aktueller Standort mag zwar - wie in der Werbung damals - Hamburg sein, aber es ist eben nicht der Flughafen sondern mein windgeschützter Balkon. Wenn ich noch eine kleine Anregung geben sollte: es könnte abends erst etwas später dunkel werden. Ich fürchte, allein daran wird deutlich, dass es eben nicht um mich geht.

Montag, 14. September 2020

Nicht fair

Natürlich nehme ich den ersten hausgemachten Schnupfen des Jahres mit. Kein Wunder, wenn selbst die High Potential-Klimazone meiner Wohnung, der Balkon - wie in den letzten Wochen - nur noch kalt und nass ist. Natürlich kommt die Erkältung pünktlich am Wochenende mit Einzug des schönen Wetters auf und vereitelt Ausflugspläne. Natürlich hat sie sich auch am Montag nicht so weit gegeben, dass ich mich wieder gesund fühlte. Aber eben auch nicht so krank, dass ich reinen Gewissens meinen Einsatz in Heimarbeit aussetzen könnte. Natürlich beginnt der Montagmorgen kurz nach sechs Uhr damit, dass die direkt neben meinem Ohr verorteten Altglascontainer geleert werden. Ich werde mich nicht dahingehend wiederholen, dass die serienmäßig festgesetzten Entsorgungszeiten montags früh deutlich außerhalb der statthaften Einwurfzeiten liegen. Damit rechnen sie bloß! Ich kann aber sagen, dass ich das allwöchentliche Spektakel dann besonders ungern vernehme, wenn die Nacht vorher schon nicht allzu erholsam war (siehe oben). Immerhin nehme ich ziemlich altruistisch und wohlwollend zur Kenntnis, dass die Entsorgenden anders als bei konventionellem Abfall sogar die zahlreichen, auf dem Boden um die Behälter gescharten Flaschen einzeln in ihr Müllauto werfen. Damit kann die Zeit bis 6:40 Uhr locker überbrückt werden. Natürlich geht der Montag prototypisch weiter, als der Chef den Wochenauftakts-Call mit den Worten eröffnet, jetzt noch zwei-drei warme Tage und dann sei es für dieses Jahr vorbei. Auch wenn er auf widersinnige Weise selbst zu dieser Erkenntnis gekommen sein mag, soll er sie aus Gründen der Moral doch bitte für sich behalten. Ich möchte das nicht.

Freitag, 11. September 2020

Umorientiert

In der aktuellen Unzufriedenheit, hervorgerufen durch anhaltende Heimarbeit, reduzierte Sozialkontakte und Herbststimmung, gewinnt eine neue berufliche Ausrichtung an Attraktivität. Pensionsmuddie macht sich bestimmt gut auf jeder Visitenkarte. Meine Ausbuchungsquote erfüllte derzeit einen Gutteil der Hoteliers mit Neid. Wäre da nicht das Manko, das häusliche Organisation nicht unbedingt mein zweiter (und dritter) Vorname sind. So warte ich schon einmal am falschen Abend auf meinen Logiergast. Passiert. Immerhin komme ich bei der Gelegenheit dazu, Küchenschränke zu entrümpeln. Eine Teesorte namens „Purple Rain“ kann trotz schönen Namens den Weg alles Irdischen gehen, wenn ihr Mindesthaltbarkeitsdatum im Jahr 2009 liegt. Obwohl mein Pensionsbetrieb (noch) nicht ganz rund läuft, bereitet er mir viel Freude. Selbst ohne Bezahlung. Die Stielaugen der Nachbarin sind Lohn genug, wenn schon wieder ein anderer gutaussehender Mann meine Wohnung verlässt.

Mittwoch, 9. September 2020

Blasphemisches?

Neulich war ich zu Besuch in einem Haushalt, in dem auch ein Plüschhund des Namens „Gott“ lebt. Auch wenn ER alles sieht, vermeide ich aus Personenschutzgründen, Details zu Größe, Rasse und Aussehen anzugeben. In jedem Fall erinnerte mich die Erwähnung des Herrn an eine Situation mit dem Sohn. In einem früheren Leben, als wir noch in einer anderen Wohnung im beschaulichen Dorf lebten. Es begab sich zu der Zeit, als beide Kinder den Windeln entwöhnt waren und kein verantwortungsvoller Elternteil sie noch länger in Gitterbetten (die Tochter) oder gar im Laufstall (der Sohn) hätte weiter schlafen lassen können. Sie bekamen ein Doppelstockbett, das wir nach einiger Zeit und vergleichsweise wenig Fluchen aufgebaut hatten. An die feierliche Präsentation der neuen Schlafgelegenheit schloss sich die Frage an, wer welchen Platz für sich beanspruche. Ich rechnete mit zähen Verhandlungsrunden um die Position oben. Stattdessen meinte der damals gut Dreijährige bestimmt: „Ich bin Gott, also schlafe ich unten!“ Eine bestechende Logik. Ich hätte es zu meiner Zeit wahrscheinlich etwas anders ausgedrückt, aber recht hatte er. Zumindest wenn „Gott“ ein Synonym für „Angsthase“ ist.

Montag, 7. September 2020

So weit ist es gekommen

Nun werde ich also wirklich alt. Nicht nur in Ansätzen, ein bisschen vornean, sondern richtig. Diese Erkenntnis reifte (!) in mir nicht etwa, weil ich in Ermangelung anderer Blumen zum ersten Mal in meinem Leben Astern in den Balkonkästen gepflanzt habe. Das hätte ich wohl eher als klitzekleines Indiz verbucht. Nein. Ich habe heute Nacht auch zum ersten Mal in meinem Leben wegen Ruhestörung die Polizei gerufen. Gegen 2 Uhr wachte ich (!) davon auf, dass mindestens eine Person in fremden Zungen oder drogeninduziert unverständlich im Park nebenan herumkrakeelte. Als nach längerer Zeit immer noch nicht an Ruhe zu denken war, verzweifelte ich langsam. Schließlich ist ein Montagmorgen schon ohne Schlafdefizit schlimm genug. So überlegte ich, aus dem Fenster zurück zu schreien. Doch ich traute mich nicht. In meinem Schlafzimmer lebe ich ohnehin ziemlich exponiert - und war zusätzlich auch noch allein zuhause. Nicht alles an Sturmfreiheit ist gut. Nach langer Lösungsfahndung hatte ich die für die Uhrzeit bahnbrechende Idee, das Problem outzusourcen und 110 anzurufen. Rechnete ich mich bisher eher der „Ach, Du Scheiße, die Polizei! Welche Nachbarn haben kein eigenes Leben, dass sie sie so früh bei dem bisschen Party kommen lassen?“-Generation zu, gehöre ich damit jetzt wohl zur anderen, graueren Seite. Vor allem, da ich mich wirklich freute, als die Kontaktbereichsbeamten entgegen der telefonischen Ankündigung vergleichsweise schnell anrückten und für Ruhe sorgten, indem sie den/die Delinquenten mitnahmen. Viel ausgeschlafener als die Idee, die Polizei zu rufen, fand ich am Ende allerdings meinen Dreh, den Wecker auf eine Stunde später zu stellen. Netto stimmte die Zeit dann wieder.

Freitag, 4. September 2020

Wellen

Die aktuelle Gefühlslage ist ein ewiges Auf und Ab. 
Im einen Moment bin ich gerührt über die Ankündigung des Sohnes, er komme gleich von seinem Spanienausflug nach Hause, der Corona-Test sei ganz schnell gegangen und habe vor allem gekitzelt. Im nächsten könnte ich ihn postwendend wieder aus dem Haus schicken, weil er sich aus seiner Quarantäne-Wohnung ausgeschlossen hat, wieder bei mir wohnt (Test negativ) und mich fortwährend mit der Frage terrorisiert, was es zu essen gebe. 
In der einen Sekunde sorge ich mich um ihn, weil er einen Sonnenbrand und Schnupfen hat, in der nächsten nervt mich, dass neben vielem anderen die Verpackungen des Erkältungsbads und der Bodylotion im Badezimmer herumfliegen. 
Kurz flackert der Gedanke „Undankbare Drecksbrut“ in mir auf, sofort frage ich mich, ob ich als liebende Mutter überhaupt so etwas denken darf. Wahrscheinlich nicht.
Auf der einen Seite kann ich das Kind nicht schnell genug loswerden, wenn es um meinen nach all‘ dem Durcheinander hart erkämpften sturmfreien Tag geht. Auf der anderen Seite finde ich mich sofort danach herzlos, ungnädig und den Nachwuchs ganz reizend („Viel Spaß, Mama, bei Was-Immer-Du-Vorhast!“).
Dem Sohn scheint es kaum anders zu gehen. Kaum, dass er hier durch die Tür war, gab er mir unaufgefordert das Geld für den Rückflug zurück. Muddie schon wieder gerührt. Nur wenig später fragt er mich, ob ich ihm Geld für ein S-Bahnticket geben könne. Muddies Einsatz hält sich in Grenzen, ihm bei diesem Problem zu helfen. Auch „Geteiltes Leid ist halbes Leid“ bringt mich an der Stelle nicht weiter. Eher im Gegenteil; ich denke sofort, dass er diese Flatterhaftigkeit wahrscheinlich von mir hat.
Dann finde ich es klimatisch angezeigt, einen Kuchen zu backen. Scheue im letzten Moment doch davor zurück, um nicht wieder um ein Haar auf eine murmelgroße Glaskugel zu beißen, die ich auf wundersame Weise im letzten verbacken habe - und mich noch immer frage, aus welcher Zutat sie dort hineinkam.
Mal denke ich, wie schrecklich herbstlich es schon ist, dann denke ich, das Ende des Sommers kann noch nicht angebrochen sein, schließlich habe ich gerade erst Meßmers Cold Tea für mich entdeckt.

Mittwoch, 2. September 2020

Verstanden

Es ist also wieder die Zeit des Jahres, in der es morgens schwer und schwerer fällt aufzustehen, weil sich die Welt außerhalb der Bettdecke kalt, dunkel und insgesamt unwirtlich präsentiert. In der ich mit offenen Schuhen zunehmend schief angesehen werde. In der der Balkon, egal wie gepflegt und gehegt, nicht mehr so richtig grün herüberkommt. In der ich mehr oder weniger bewusst in der Dauerschleife „Über Nacht“ von Element of Crime summe. „... und kaum, dass ich einmal nicht müde bin, ist der Sommer schon wieder vorbei...“ In der ich anfangen muss, mir Gedanken zu machen, an welcher Stelle alle Sommersachen überwintern sollen. Nicht dass ich von jeher eine besondere Freundin dieser Jahreszeit gewesen wäre. Ich glaube, das an der einen oder anderen Stelle bereits schon einmal vorsichtig angedeutet zu haben. In diesem Jahr trifft mich der nahende Herbstblues besonders schwer. Erstens weil meine diesjährige Zeitrechnung irgendwann im März steckengeblieben ist. Zweitens weil der normale Alltag auch in Top-Bedingungen derzeit ohnehin ein Kraftakt an Selbstmotivation ist; dazu braucht es garantiert kein schlechtes Wetter, Kälte und Dunkelheit. Einen positiven Aspekt der Situation mit Home Office und weiterhin reduzierten Sozialkontakten kann ich immerhin ausmachen: ich fühle mich seltener danach, anderen Menschen eine zu drücken, wenn sie mir dogmatisch wertvoll erklären, der Herbst sei die schönste Jahreszeit. Weil ich sie gar nicht erst treffe.