Mittwoch, 31. Oktober 2018

Happy Reformationstag!

Am rasend schnellen Verbrauch der Teepackungen merkt man, es muss wohl Herbst sein. So sehr das schöne Wetter heute erfreut, es ist mit Winterlicht und -luft verbunden. Selbst ein Alster-Spaziergang um die Mittagszeit bringt nur wenige Sonnenplätze mit sich. Das ewige Schönste-Stadt-Der-Welt-Geseihere geht mir zwar furchtbar auf den Wecker, doch entre moi muss ich eingestehen, schön ist Hamburg manchmal schon. Vielleicht bin ich einfach nur Superlativ-Allergikerin (die sind halt immer am blödesten). Besonders schön wird der Spaziergang dadurch, dass er mir hilft, mich vor den Steuererklärungen 2016 und 2017 zu drücken, die mehr als überfällig sind. Das Aufschieben lässt sich wunderbar im portugiesischen Café fortführen. Erst ein Kaffee. Dann ein Croissant mit Käse - plattgedrückt im Sandwichtoaster, bis der Käse leckerste Gummikonsistenz erreicht. Auf dem Weg zur Toilette entdecke ich unter den Gratispostkarten mein aktuelles Motto:

Dann will ich wohl mal die Steuer feiern.

Dienstag, 30. Oktober 2018

Scheckheftgepflegt

Kaum dreht man der Arbeit den Rücken zu, da ändert sich einiges. Umso wichtiger, nach zwei Monaten Abwesenheit mal wieder Präsenz zu zeigen. Unglaublich, die viele nette Resonanz auf mein Erscheinen! So häufig und eindringlich allerdings wie ich gestern von den Kollegen gehört habe, viel abgenommen zu haben, muss ich befürchten, vor dem Besuch des Ersatzteillagers eine Tonne gewesen zu sein (Ich bin zwei Öltanks?). Die Waage zeigt wenig Veränderung an. Einzig mögliche Erklärung: erfolgreich Fett in Muskeln umgewandelt. Darauf meine erste Kantinenmahlzeit nach Monaten! Fast so zahlreich wie die Äußerungen zum Gewicht - und das freut mich wirklich! - kam die Aussage, das Laufen sehe gut aus. Mein Favorit: „Ich kenne dich seit 1999; so habe ich dich noch nie gesehen.“ Heutzutage ist doch nicht alles schlechter als früher.

Montag, 29. Oktober 2018

Access All Areas

Auf der Suche nach anderen wichtigen Unterlagen stieß ich letzthin auf meinen Endoprothesenpass. Warum fühle ich mich in Angesicht dessen gleich wie einer der Greise auf der Bank aus „Asterix bei den Korsen“? Man weiß es nicht. In jedem Fall blieb ich nicht die Einzige, die den Pass entdeckte. Für den Sohn ist das Thema Ausweis gerade ein recht prominentes. Bewegt er sich doch im Spannungsfeld zwischen altersgemäßer Faulheit und dem Wunsch, sich endlich des (wenn auch noch bis Januar gültigen) Kinderausweises zu entledigen, von dem es im Vergleich mit dem Original schon vor über zwei Jahren in den USA hieß: „He changed a lot?“ Nicht verwunderlich, zeigt er doch einen süßen Dreizehnjährigen der Größenangabe 157 cm. 
So griff er meinen Ausweis begierig auf. Blätterte ihn ähnlich begeistert wie ein ostdeutscher Grenzer durch. Strahlte mich dann im Gegensatz zu diesem an und meinte: „Damit kommst du in alle Clubs der Stadt!“ Bestimmt. Und wahrscheinlich auch noch zu vergünstigten Konditionen. 



Samstag, 27. Oktober 2018

Auf der Suche nach Hindö

Mein Rehabilitandenprogramm des gestrigen Tages war einigermaßen vielseitig. Erst kamen die Besprechungen mit der Anwältin zum Thema Scheidung (erwähnte ich, dass Dir andere Partei Druck erzeugt?), dann die übliche Muckibude. Wieder zuhause versuchte ich, aus den Inhalten der Kältegeräte etwas Essbares zu erstellen. Dem Vernehmen der Tochter nach war es gelungen. Der Sohn äußerte sich - einzig aufgrund der optischen und olfaktorischen Reize - anders lautend. Weswegen ich ihm die Reste des Vortages aufbriet. Die gute Mutter. Danach folgte eine kurze Rekreationsphase (laut Reha genau so wichtig wie das Training). Um anschließend von Nachbarin Nummer eins im Auto zum nächstgelegenen Ikea mitgenommen zu werden. Lange Zeit sah es so aus, als schafften wir den Alltime-Ikea-Lowscore mit einem Bon von 0,79€ für einen weiteren Omsorg-Schuhlöffel (wer den bloß braucht?). Was nicht daran lag, dass wir nicht noch weitere Wünsche gehabt hätten. Nein. Der Grund war vielmehr, dass die bereits in unserer Genmasse verankerte Topologie der schwedischen Möbelhäuser in Altona nicht greift. Wir fanden die Objekte unserer Begierde schlichtweg nicht. Stattdessen erfreuten wir uns am mehrfachen Gebrauch der Einkaufswagenrolltreppen - magische Momente. Diese funktionieren leider nur bergan, herab mussten wir immer wieder den Fahrstuhl bemühen. Dieser bzw. seine freundliche Stimme hatte uns schon bei unserer ersten Fahrt zu einem 1a-synchron geäußerten „Schnauze!“ bewogen, mit dem wir auftreten könnten, bekämen wir es auch geprobt so unisono hin. Als kleiner Downer: der Mitfahrende guckte eher betreten und applaudierte nicht. Ignoranten gibt es überall. In unserer eigenen Unwissenheit sprachen wir am Ende Mitarbeiter Dennis an, der eigentlich den Feierabend herbeisehnte. Er half uns, erstens den Namen des gewünschten Regals zu ermitteln, zweitens zu erfahren, in welchem Gang/Fach wir es finden. Danach sackten wir außerdem noch ein paar Kissen ein und waren reif für die Kasse. Auf dem Weg zum Auto schnell jede noch ein Kilo vegane Köttbullar mitgenommen und ab nach Hause. Die Suche hatte uns leider länger aufgehalten als gedacht. Eigentlich war mein anschließender Tagesordnungspunkt nicht mehr zu halten. Denn wer sich wundert, warum ich hier in epischer Breite über Nichtigkeiten plaudere: ich wollte zum Meister. Doch die beherzte Nachbarin nahm mein Projekt (selbstlos, da sie selbst anderweitig verabredet war) unter ihre Fittiche. Ich solle schnell loslaufen, dann gehe das schon. Wie recht sie hatte. 20:05 Uhr war ich vor Ort und wurde auch noch in den Saal gelassen, in dem die Performance bereits angefangen hatte. Aus den dunklen Sitzreihen wurde ich erfreut begrüßt: Nachbarin Nummer zwei hatte vorher noch bei mir geklingelt, jedoch erfolglos, um mich zu fragen, ob ich Lust habe, mit ihr zu Fil zu gehen. Es stand wohl so in den Sternen.



Donnerstag, 25. Oktober 2018

Encore hier

Neulich schaltete der Sohn ganz klassisch den Fernseher an. Voreingestellt war ZDF neo. Ja, ich gestehe, dass ich manchmal altersgemäß fernsehe. Man gab die obligatorische Wiederholung von „Bares für Rares“. Was sonst? Einzig mögliche Alternative wäre schließlich die Wiederholung von Inspector Barnaby gewesen. Da verkündete der Sohn in 1a rheinischer Zunge (nichts anderes hatten wir von ihm erwartet): „Hochst Lischterr ist ein Achschlochhh.“ Ich verstand, es ging weniger um den Wahrheitsgehalt des Gesagten als mehr darum, den Klang der Worte auszuprobieren. Manche Dinge haben sich in den letzten 17 Jahren doch nicht so sehr verändert. Da können Kalender und Spiegel sagen, was sie wollen.



Dienstag, 23. Oktober 2018

Warum?

Es gibt Momente, in denen weiß ich noch mehr als sonst, warum sich der Aufwand mit der Brut gelohnt hat. Es war nicht unbedingt der heute früh, als der Sohn konstatierte, Fisherman‘s Friends „schmecken wie Lakritz mit Brühe“. Es war vielmehr der heute Mittag, als er mich eindringlich bat, ich solle auf meinem Weg zur Muckibude ganz vorsichtig sein wegen des Laubs, des Regens und des Sturms. Daraufhin drückte er mir bestimmt die Stützen in die Hand. Nicht dass ich auf abstruse Ideen komme... Trotz Rührung fragte ich mich, warum die Kinder ihre eigenen Ratschläge allerdings selbst so selten beherzigen. Von mir haben sie das nicht!

Montag, 22. Oktober 2018

Läuft

Wer in unserem Dorf in der Dunkelheit des frühen Herbstabends heute eine Frau mit starrem Blick auf den Boden gesehen hat, ja, das war ich. Es ist überraschend, wie unterschiedlich und uneben der kurze Weg zum Supermarkt sein kann. Auch eine momentane Gehbehinderung hat zur Folge, dass das Geläuf hohes Gewicht hat. Da empfiehlt sich der Blick nach unten. Vor allem ohne Gehilfen. Denn heute war ein weiteres erstes Mal: mit freien Händen zum Einkaufen. 

Samstag, 20. Oktober 2018

Zusammenhänge

Am Tag 1 nach der 1A-Bayern-Pressekonferenz unterhielten sich die Kinder beim Frühstück überraschend wenig darüber. Mit meinen Äußerungen erntete ich eher müdes Lächeln („Dass sich Hoeneß als verurteilter Fiskalstraftäter überhaupt traut zu sagen, die Börsennachrichten auf n-tv seien besser als die Sportberichterstattung.“) und empörtes Luftanhalten („Wenn sich Hoeneß und Co über Respektlosigkeit gegenüber Spielern aufregt, ist das wohl ein Fall von „Ficken für die Jungfräulichkeit““). Stattdessen proklamierte der Sohn, er habe nach seinem Herbstspaziergang, von dem er dankenswerterweise Brötchen mitbrachte, „seine Religion in Buddhismus geändert“. Er sei an einem blonden Kleinkind vorbeigekommen und habe gedacht: „Was für ein hässliches Baby!“ Kurz darauf sei ihm „als Strafe eine Nuss auf den Kopf gefallen“. Die Tochter echauffierte sich, er habe den Buddhismus nicht verstanden, wenn er glaube, dass die Zusammenhänge linear seien; das große Ganze zähle. Ich stieß mich - wie üblich - eher an der Vokabel „geändert“. Nach meinen sprachlichen Entgleisungen vorher wurde diese Kritik jedoch weitgehend ignoriert. Irgendwie beruhigend, dass meine politische Unkorrektheit sich nicht in einer negativen Karmabilanz niederschlägt.

Freitag, 19. Oktober 2018

Oben und unten

Eben noch im siebten Himmel und schon kam der tiefe Fall. Ist es doch (fast) das Maximalziel eines jeden Groupies vom Star sowohl ein Getränk als auch das Du angeboten zu bekommen. Und dann noch auf die Gästeliste der nächsten Veranstaltung gesetzt zu werden. Lief also richtig gut auf der Heimspiellesung des Lieblingsautors. Doch nach diesem denkwürdigen Abend kam eine ebenso denkwürdig schlechte Nacht. Ob es das eine oder andere Gläschen war, das die Erkältung beförderte, ob es die Mischung aus Aufregung, Aufgekratztsein und Alkohol war oder die Grippeimpfung den Kater katalysierte, wer weiß das schon. Wir waren gleichermaßen unpässlich. Ob sich Gerd am nächsten Morgen auch so krank fühlte?

Mittwoch, 17. Oktober 2018

Erstes Mal

Heute Abend ist ein Novum  geplant, ein weiteres erstes Mal in einer vermutlich noch länger fortzuführenden Reihe. Meine erste Lesung mit Ersatzteil. Im vielfältigen Damper Unterhaltungsprogramm war eine solche Veranstaltung nicht vorgesehen. Was wahrscheinlich gleichermaßen mit den Zielgruppenpräferenzen wie mit deren mangelndem Sitzfleisch zu tun hat. Doch wenn einer der lebenden Lieblingsschriftsteller in der dörflichen Nachbarschaft auftritt, muss Letzteres unbedingt im Selbstversuch auf die Probe gestellt werden. Ob es für zwei Stunden oder so reicht? Ob ich den kurzen Weg gar ohne die wenig vorteilhaften Gehhilfen antrete? Oder ob ich durch sie immerhin Mitleidsaufmerksamkeit errege? Fragen über Fragen. Ähnlich bedeutsam wie die Frage, warum in Barnhouses Apfel-Zimt-Müsli 2% eklige Rosinen enthalten sein müssen?

Dienstag, 16. Oktober 2018

Neue Wege

Mein Arbeitsweg ist momentan weniger spektakulär als sonst. Statt Elbe, Touristenfolklore und Elbphilharmonie bietet sich mir etwas, das man im besten Fall Working Class Charme nennen könnte. Ein Fußweg von Steindamm bis Berliner Tor. Vorbei an Bussen, S- und U-Bahn, die für meine Fortbewegung nichts tun, aber dafür laut und abgasreich sind. Auch das Panorama ist mit herbstlich noch sehr vorteilhaft beschrieben. Der Hinweg zum Reha-Zentrum geht recht flott. Der Rückweg einigermaßen schleppend. Nicht weiter überraschend nach zwei Stunden körperlicher Ertüchtigung an Geräten und im Bewegungsbad. Letzteres verdient den Namen ob seiner Größe nur bedingt. Goldene Zeiten, als ich noch das im anderen Dorf besuchen durfte. Wahrscheinlich fünfmal so groß, mit passender Wassertiefe und Blick auf die Ostsee. Im Nachhinein bin ich froh über eine stationäre Reha in der Sommerfrische. Was ich hier jedoch genieße: keiner Gruppe anzugehören, Smalltalk auslassen zu können und stumm mein Programm durchzuziehen. Mein Bedarf an Krankengeschichten, Beschwerden und platten Weltbildern ist für, sagen wir, die nächsten fünf Jahre mehr als ausreichend gedeckt.
Was ich jedoch anprangere: ohne Sonne geht alles schwerer von der Hand. Meinetwegen bedarf es keiner Wolken und schon gar keiner Regentropfen. Um diese Jahreszeit muss man schließlich nicht einmal an die Landwirtschaft denken. Glaube ich.

Sonntag, 14. Oktober 2018

Time to Say Goodbye

Im Gegensatz zu ihnen selbst glaube ich nicht an eine Spontanheilung der Nachbarn am Altpapiercontainer. Diverse Begegnungen der letzten Zeit halten mich von einem solchen Optimismus ab.

Doch hier ist nicht die Bild-Zeitung, so dass ich uns Details erspare.
Was allerdings heute in der BamS wohl groß aufgemacht sein wird (ich wüsste es, hätte ich bereits das Haus verlassen; aber das geht gegen die heiligen Sonntagsregeln), ist die 0:3-Niederlage gegen die Niederlande. Anders als von manchem gedacht bin ich eben nicht masochistisch veranlagt. Wusste ich doch schon vor dem Spiel, dass das Wort „Auch“ in der leidlich modernen Spieler-, Trainer- und Funktionärsphrase „Die anderen Mannschaften können auch Fußball spielen.“ bereits seit längerem zu streichen ist.
Im übrigen ist der Sohn der Meinung, Liverpool habe gestern Abend 2:0 gewonnen. Ein weiterer Oranje, der sich freut.

Freitag, 12. Oktober 2018

Nachwehen

Der Ernüchterung, dass das Leben in Volljährigkeit die gleichen Pflichten und real existierend wenig neue Rechte mit sich bringt, folgte die, dass die Familie väterlicherseits den 18. Geburtstag nicht für wichtig genug nimmt, um Grüße, Glückwünsche oder Geldscheine zu schicken. So hatte sich der Sohn das nicht vorgestellt.
Meine Ernüchterung besteht altersgemäß eher darin, dass vegane Sahne in der Schüssel bzw. der Spülmaschine eine Standfestigkeit hinlegt, von der man auf Teller oder Torte nur träumen kann. Immerhin kann ich mich mit dem Gedanken trösten, dass die Geburtstagstorte gut geschmeckt hat. Sie wurde noch in der Nacht vom Jubilar vollständig eliminiert. Und das auf eine vegane Jumbo-Pizza am Abend (keine Faulheit meinerseits sondern Wunsch des Geburtstagserwachsenen). Ich finde außerdem Trost darin, dass sich dieser Herbst gut aushalten lässt, wenn es kein Problem ist, seit Tagen in T-Shirt und Sandalen von A nach B zu gehen. Wenn da nicht die ständig fallenden Blätter und die frühe Dunkelheit wären.

Mittwoch, 10. Oktober 2018

Neues aus der Weltraumforschung

Ein Gerücht ist, dass sich die entsprechend beworbene, vegane Sahne schlagen lässt. Ihre Aufschlagqualität liegt ungefähr auf dem Niveau von Milch, zugegeben Vollmilch. Geschmacklich erinnert das Endprodukt, bösartige Menschen nennten es Suppe, übrigens mit einer Übereinstimmung von 100% an Nestlés Sinlac Babybrei.
Was vegane Sahne hingegen sehr gut kann, ist eine riesige Sauerei (Widerspruch, ich weiß!) zu hinterlassen. Wenn nämlich die beständig flüssige Sahne literweise aus der verzweifelt gegenarbeitenden Küchenmaschine ausläuft und sich auf etwa zwei Quadratmetern Küche ergießt. 
Es ist wie immer: erst wenn es nicht mehr so ist, weiß man das zu schätzen, was man einmal hatte. Die 16 konventionellen Geburtstage waren leichter zu bewerkstelligen als die zwei veganen. Wie gut, dass der Jubilar noch schläft (wahrscheinlich so wie ich vorgab zu schlafen, als um Mitternacht erst die Tochter lustige Geräusche von sich gab und dann sein Timer ihn an den Anlass erinnerte) und die verbalen Entgleisungen seiner Mutter anlässlich des morgendlichen Chaos‘ nicht mitbekam.



Dienstag, 9. Oktober 2018

Atheismus 3.0

Es kann keinen Gott geben. Sonst hätte er nicht in der Woche um den 18. Geburtstag des Sohnes schönstes Sommerwetter veranstaltet. Mit nicht mal einem Tropfen Regen. So viel kann der Jubilar schließlich verlangen. Immerhin werden ihm weltliche Freuden zugestanden. Sieht doch das Gesetz vor, dass er mit Volljährigkeit seinen Unterhalt selbst einfordern kann. Die Freude über den Geldsegen riss ihn am Vorabend des großen Ereignisses zu der strahlenden Äußerung hin, er werde damit „leben wie Gott in Albanien“. Immerhin für Bilder kann Er also herhalten.
Ich frage mich eher, wo Er die letzten 18 Jahre gelassen hat.

Montag, 8. Oktober 2018

Nacht oder Tag?

Derzeit passiert nicht viel in meinem Leben. Neben Binge-Watching, EoC-Hören, auf dem Balkon Sitzen und auf die Anschlussbehandlung Warten beschäftigt mich der Gedanke, was in aller Welt ich als Geburtstagstisch und -geschenk (übermorgen!) für den Sohn aus dem Hut zaubern kann. Seine Wünsche zu diesem Anlass sind wahlweise vage oder virtuell. Und meine Möglichkeiten noch immer eingeschränkt. Wen wundert es da, dass ich lieber von meinen nächtlichen Phantasien berichte? Heute Nacht träumte ich, wir versuchten das Auto meiner Eltern, einen dunkelblauen Ford Granada Kombi, in ihrer Garage zu beladen. Irgendwer kam mit Unmengen von Buletten an, die dort auch ihren Platz finden mussten. Wie praktisch, dass es eine Art riesiges Backblech gab, das man in die Ladefläche (umgeklappte Rücksitzbank) schieben konnte. Meine Mutter bot sich an, sich zwischen die Fleischklopse auf ebendieses Backblech zu legen. Gesagt, getan - und schon hatte sie die erste Bulette im Mund. Während mich kurzzeitig ihre Haare und Kleidung umtrieben, die in Bratfett vielleicht nicht optimal aufgehoben sind, störte sich mein Vater wie üblich daran, wie man Frikadellen kalt essen könne. Ich verwarf meine Kritik unerwähnt, da ich den entrückt begeisterten Gesichtsausdruck meiner Mutter sah. Buletten stechen Klaustrophobie. Ich wachte auf, noch ehe meine Mutter nach exzessivem Fleischabusus nach einem Schnaps verlangen konnte. Das wäre schließlich die sinnvolle Weiterführung meines Traums gewesen. Anders als bei Netflix-Serien bringen Cliffhanger in Träumen nichts.

Freitag, 5. Oktober 2018

Schon wieder!

Es ist wieder soweit. Heute ist das neue Album von Element of Crime herausgekommen - und es bleibt mir nichts anderes übrig, als die Kinder mit ebendieser Dauerbeschallung zu quälen. Die Tochter wird den akustischen Terror beherrscht durchstehen. Ihre Contenance wurde wahrscheinlich etwas aufgebaut, als sich ihre beste Freundin letzthin euphorisch über das literarische und neutral über das musikalische Oeuvre Sven Regeners äußerte. In jedem Fall hat sie erst einmal die Flucht ergriffen und übernachtet bei ihrem Freund.
Der Sohn wird sich weniger wacker halten. Ich weiß es, denn ich kenne ihn nun schon seit bald 18 Jahren. Er wird die Augen rollen, entnervt aufstöhnen, lautstark meckern und selbst Spott-EoC-Texte erfinden, indem er gleichermaßen sinnlos wie phantasievoll Wörter aneinander reihen wird. Auch das kenne ich schon. Letzteres hat immerhin Unterhaltungswert. Ungefähr wie seine Übersetzung eines Liedes „von 50 Pfennig“, die er uns gestern vortrug: „Verdammt, Heimi, du warst der Mann in der Hochschule, Heimi.“
Ein Trost bleibt auch ihm. Er hat die geliebte Pfeffermühle. Zu dieser pflegt er eine innige Beziehung. Er fragt jeden und jede, ob er oder sie nicht noch Pfeffer auf seinem oder ihrem Essen benötige. Knäckebrot mit Nougatcreme? Egal, ein Angebot, das man nicht ablehnen kann! Eigentlich ist die Mühle, die nicht wirklich eine ist (eher ein Kratzer, den man mit dem Daumen betätigt), gar nicht Teil unseres Haushaltes. Sie gehört in den meiner Eltern. Also riet ich dem Sohn vor ein paar Tagen, er möge die Mühle doch zurückbringen. Er antwortete: „Wieso? Warum sollen wir nicht auch etwas Spaß haben, wenn Oma und Opa nicht da sind?“
Er hat ja recht. Und wenn es ihm über diese schwere Phase hilft...




Mittwoch, 3. Oktober 2018

Nachlese

Ja, ich bin froh, wieder in unserem beschaulichen Dorf zu sein. Auch wenn es meinetwegen kein so herbstliches Setting sein muss. Die Tristesse beginnt spätestens dann, wenn der Blumenladen nur noch Alpenveilchen- und Heidekrautpflanzen anbietet, und ich mich dabei ertappe, aus Gründen fortwährend „Autumn Leaves“ zu summen. C’est une chanson qui nous ressemble. Moi, qui t’aimai, toi, qui m’aimais... la la la. 
Ich erfreue mich daran, wieder von Menschen umgeben zu sein, die gerade Sätze herausbekommen. Und ganz besonders daran, dass es sich um die eigenen Kinder handelt. Die Rückschau klingt hochnäsig und elitär, dabei ist sie nur realistisch. Es geht gar nicht darum, dass Bingoabende nicht die höchste Form der Unterhaltung seien. Ich zitiere auch nur, wenn ich sage, ein Tisch der Cafeteria hätte nicht mit „Kontaktgruppe Niere“ markiert sein sollen, sondern mit „Kontaktgruppe Psychatrie“. Ich hatte nicht damit gerechnet, während der Freizeit angeregte Diskussionen über Kierkegaard, Kant und die Kritik der reinen Vernunft zu führen. Aber eben auch nicht damit, dass mir dort so viel Kleingeist, Borniertheit und Ausländerfeindlichkeit begegnet. Anfangs habe ich noch auf sie eingeredet, Argumente gebracht. Durch die stetige Wiederkehr der gleichen krausen Ideen habe ich irgendwann erkannt, meine rhetorischen oder pädagogischen Fähigkeiten sind nicht ausreichend ausgebildet, um irgendetwas zu bewegen. Zugegeben, Bewegung fällt in der Reha schwer - und ganz besonders, wenn es mentale meint. Was mir wiederum bis heute nicht in den Kopf will, ist folgender Widerspruch: Ausländern immer und überall Schmarotzen vorzuwerfen, während man selbst mindestens drei Wochen in jedweder Hinsicht auf Kosten der Allgemeinheit lebt. Wenn ersteres zuträfe, müsste die ganze Bude doch voll mit Menschen mit Migrationshintergrund sein. Ist sie aber nicht. So überhaupt nicht. Ich behaupte, es sind mehr Sachsen als andere Ausländer in Damp. Wobei auch deren Anteil im einstelligen Bereich liegen dürfte.
Ein besonderes Highlight war zum Ende des Aufenthalts die Veranstaltung „Die Geschäftsführung lädt ein“. Nachdem ich meine anfängliche Enttäuschung überwunden hatte, dass dazu keine Schnittchen und Getränke gereicht wurden, entwickelte sich das Ganze recht aufschlussreich. Die Geschäftsführung war vertreten durch die Chefärztin für Psychosomatik und eine Dame aus der Qualitätssicherung. Erstere strich sich nervös durch die strähnigen langen Haare, Zweitere schrieb eifrig in ihrem Notizbuch mit, wenn Beschwerden geäußert wurden. Und sie wurden geäußert. Das Bett sei dem Schlaf nicht förderlich (stimmt, aber es muss auch Gründe geben, derentwegen man sich auf zuhause freut), warum es nur zwei Kopfkissen gebe, das Hin und Her-Laufen zwischen den Gebäuden anstrengend, das Klo im Bewegungsbad stinke (stimmt auch, dann hält man sich vielleicht fern?), ständig habe man andere Therapeuten und das Essen! Warum es zum Frühstück kein frisches, geschnittenes Obst gebe, dass es an Gesundem mangele, dass der Nachtisch zumeist ein gesüßtes Produkt aus dem Becher sei, dass das Mittagessen zu heiß aufgewärmt werde, dass es zu kalt serviert werde, dass das Essen zu den falschen Zeiten stattfinde und - jetzt kommt das Grauen! - dass es immer den gleichen Salat gebe. Shocking! Bei dem sich das Dressing auch noch unten befinde (dafür hat der Herrgott die Gabel erschaffen). Meine Nachbarin raunte mir zu: „Hier meckern sie und zuhause essen sie den Kitt von den Fenstern.“ Dem konnte ich ausnahmsweise zustimmen, auch wenn die Quellenlage der heimischen Essgewohnheiten nicht eindeutig ist. 
Wie gesagt, alles in allem bin ich sehr froh, diesem Quatsch entkommen zu sein und ihn durch einen anderen zu ersetzen. Und doch gibt es Dinge, die ich vermisse. Da ist zum einen der Panoramablick auf die See aus meinem Zimmerfenster, der sich zu jeder Tageszeit lohnte. Und da ist zum anderen die dufte Tagesstruktur, die sich genau unserem Biorhythmus anpasste.

Sie nennen es Abendessen, wenn die Kinder aufstehen.

Montag, 1. Oktober 2018

Jetzt geht’s los

Die Vorfreude steigt. Endlich die Rückkehr zu mehr Hirn. Obwohl bereits die Rückfahrt eine wohltuende Abwechslung zum Reha-Einerlei bietet. Anders als bei der Hinfahrt werde ich nicht exklusiv chauffiert, sondern befinde mich - neben dem Fahrer, einer norddeutschen Antwort auf Ion Tiriac - in Gesellschaft einer älteren Dame aus Henstedt-Ulzburg, die sich hauptsächlich durch lautlose Schmerzgrimassen hervortut, und einem Bauer (in echt, nicht wertend!) aus Lüchow-Dannenberg, der die Felder Schleswig-Holsteins kritisch beäugt. Er habe seine Reha früher beendet, da bis zum 15. die Wintergerste gedrillt sein müsse. Auf meine bange Frage, das (wenn ich auch nicht genau weiß, was es bedeutet) müsse er doch nicht selbst erledigen, antwortete er, er müsse nur den Drill einfüllen. Ach, so. Aber seinem Assistenten assistieren, das sei so ein junger Bengel. Die Kartoffeln seien zum Glück schon alle aus der Erde. Die Konversation erfordert erste zerebrale Aktivität seit langem und kann ausnahmsweise nicht im intellektuellen Blindflug absolviert werden. Das wirft allerdings die Frage auf, ob ich meinen Kindern noch folgen können werde. Zu meinem Glück werden sie ob meiner frühen Ankunftszeit noch etwas retardiert sein. Das gibt mir wahrscheinlich zwei Stunden zum Akklimatisieren. Thank God for His small mercies. Wo wir gerade dabei sind: zum Abschied hätte Er ja auch mal für einen anständigen Sonnenaufgang sorgen können!