Dienstag, 31. Dezember 2019

No Sleep Till Next Year

Zum letzten Tag des Jahres konnte ich doch noch ein wenig Frieden machen mit dem Hamburger Verkehrsverbund, an dem ich sonst selten ein gutes Haar lasse. Bescherte er mir doch am Silvesternachmittag noch folgende Begegnung:
In der U1 eine Mutter mit drei Söhnen im Alter zwischen fortgeschrittenem Grundschulkind und Kleinkind in der Karre. 
Der Älteste: „Es gibt keinen Gott!“
Die Mutter: „Ach, ich dachte, du wolltest dich taufen lassen?“
Der Älteste: „Äh, vielleicht doch nicht...“
Der Mittlere blökt in die Unterhaltung: „Gott wurde am Kreuz genagelt.“
Der Jüngste: „Da da da da.“
Der Mittlere, für den Fall, dass es noch nicht der ganze Waggon mitbekommen hat: „Gott wurde am Kreuz genagelt.“
Und dann war ich leider schon angekommen, so dass ich schnell aussteigen musste, ohne noch sagen zu können: „Ich hoffe doch nicht.“ Das Gute daran: ich konnte meine Gesichtsbeherrschung wahren - zumindest bis zum Bahnsteig. In diesem Sinne, nur das Beste fürs Neue Jahr!



Montag, 30. Dezember 2019

2019 - Menschen, Tiere, Emotionen

Da mir Dienstleistung in die DNA geschrieben ist und Print und Fernsehen ihre Entsprechungen schon seit dem November heraushauen, wird es wohl Ende Dezember höchste Zeit für meine eigene Jahresbilanz. Los geht’s, da müssen wir jetzt alle durch!

Januar 
Der erste Monat des Jahres beginnt für mich gleich mit Paukenschlägen, die nicht Feuerwerk heißen. Zum ersten informiert mich der Noch-Gatte in einer Mail darüber, dass er entgegen unseren vorangegangenen Besprechungen die Scheidung eingereicht habe. Wie gut, dass er im Post Scriptum bereits das Aktenzeichen mitliefern kann. Am Folgetag finde ich schon das Schreiben des Amtsgerichts im Postkasten, die zeigt, dass beide sich vier Wochen Zeit gelassen haben mit der Information an mich. Während ich dem Amtsgericht noch unterstelle, mit Umgangsregelungen über Weihnachten alle Hände voll zu tun gehabt zu haben, vermute ich beim Initiator des Ganzen, dass ich keine Chance mehr bekomme, meine Millionen (welche genau?) beiseite zu schaffen. Zum zweiten ist mein neuer (aufgewärmter?) Arbeitsvertrag in der Post, so dass ich mich beim alten Arbeitgeber mit einem „Unter den Bedingungen unterschreibe ich den Mist nicht“ für das schöne verspätete Nikolausgeschenk - sie nennen es „Kunstgriff“, ich nenne es Knebelvertrag - bedanken kann und dort etwa acht Arbeitstage später raus bin. So kann ich kurz nach dem Sohn für einige Tage das Land verlassen und anders als der Sohn in der Sonne ein bisschen Wunden lecken. Ein Modell, von dem ich überlege, es auch im kommenden Jahr fortzuführen.

Februar 
Obwohl dieser Monat normalerweise in meinem eigenen Gammelmonat-Ranking nur kurz hinter dem November und Januar steht, ist er dieses Jahr aufregend. Alt und neu, spannend und vertraut miteinander vereint. Arbeiten, ich habe es noch drauf! Und werde für mein Werk auch noch überraschend viel gelobt. Innerhalb dessen gibt es auch im zweiten Monat in Folge ein paar Tage Sturmfreiheit. Überraschend, dass ein Februar so gut gehen kann.

März 
Kein schlechter Monat, aber auch kein spektakulärer. Das wird daran deutlich, wenn ich sage, dass die Highlights des März‘ ein toller Wochenend-Workshop, zeitweilig schönes Wetter und ein Konzert mit zwei Schweizern waren.

April
Ein Zeitraum, über den sich auch in diesem Jahr vor allem Geburtstag, Ostern und Frühlingsgefühle sagen lässt. Positiv kam 2019 hinzu, dass eine fast sommerliche, schöne kleine Flucht nach Berlin eingebaut war und dass wir eine Reise nach Moldawien klargemacht haben.

Mai 
Wäre da nicht der Tod Wiglaf Drostes gewesen, wäre die diesjährige Variante als Bombenmonat durchgegangen. Neben den üblichen freien Tagen lieferte er ein Element of Crime-Konzert (draußen und ohne Gewitter!) und sechs Tage in Moldawien. Postsozialismus mit überraschend wenig Post. Ich kann gar nicht sagen, was ich am beeindruckendsten fand: Dass das Land so arm ist und doch so wenig weit von uns entfernt in Europa liegt? Dass es dort Menschen gibt, die am Straßenrand sitzen, Kirschen oder Blumen verkaufen und doch ein modernes Smartphone in der Hand haben? Dass die Netzabdeckung besser ist als in Deutschland? Dass die Menschen so freundlich sind, die wenigen Touristen nicht ausnehmen, behumsen oder gar beklauen? Dass es Kirschen, Wein, Nüsse, Tomaten, Auberginen, Torten im Überfluss zu geben scheint, aber keine Bäcker, die einfach nur Brot verkaufen? Dass es keine Reiseführer und fast keine Postkarten gibt und dass das Tourist Office ein eher verstecktes Dasein pflegt? Dass sich in vollgestopften Oberleitungsbussen immer noch eine Fahrkartenkontrolleurin (Automaten gibt es nicht) durchquetscht, die neben dem Kartenverkauf auch Plätze organisiert und managt? Dass die Hauptstadt Chișinău eine typisch östliche „Prachtstraße“ hat, in deren unmittelbarer Peripherie Hühner auf kraterigen Nebenstraßen herumlaufen, als ob sie sich in einem usbekischen Straßendorf befänden? Dass es deutsche Touristen gibt, die die Schönheiten aus der Hotellobby noch von einem Satz von umgerechnet etwa 6,50€ meinen herunterhandeln zu müssen? Dass Wein nicht nur in Unmengen produziert wird, sondern sich qualitativ auch mit deutschem, französischem oder spanischem mehr als messen kann? Dass das Land großflächig unterkellert zu sein scheint, um den Wein zu lagern und dort ein Straßensystem zu haben, das größer und besser organisiert ist als hier im beschaulichen Dorf? Dass der Taxifahrer zum Flughafen auf 70 km/h herunterbremst, um über die eingebaute Bodenwelle (30 km/h Höchstgeschwindigkeit) zu fliegen? Dass sich der östliche Teil des ohnehin kleinen Landes danach sehnt, endlich wieder Sowjetrepublik zu werden und das Ansinnen auch knallhart durchzieht, obwohl es darin von niemandem, nicht einmal Russland, anerkannt oder gar unterstützt wird? Dass man dort mit transnistrischen Rubeln bezahlt und koscheren Weinbrand erwerben kann? Dass das iPhone nach der rumpeligen Tagesreise im scheddrigen Minibus (inkl. mehrerer Paniksituationen) 29 erklommene Stockwerke gezählt hat? Dass ich als Schisserin gewagt habe, das Land trotz Warnungen aus dem Umfeld zu besuchen? Und am Ende von der Reisebegleitung noch gesagt bekomme, ohne mich hätte sie sich die Reise nicht getraut? Ich weiß es nicht.

Juni
Verglichen mit dem Vormonat schnitt der Juni etwas blasser ab. Zwar begann er mit einem überraschend schönen Bryan Ferry-Konzert im Berliner Tempodrom, auf dem er zu „Jealous Guy“ ganz anständig pfiff. Doch dann ging er von einer immer noch überraschend schlechten Eigentümerversammlung (einzig positiver Aspekt: dass sie vermutlich die letzte mit Gattenteilnahme war) über stinkende Windelentsorgung der Nachbarn auf der Gemeinschaftsfläche in einen schmerzlichen Kollegenabschied über. 

Juli
Der Start der e-Scooter-Hysterie machte den dritten J-Monat nicht besser als den zweiten. Der Juli bestand in meiner Erinnerung ohnehin hauptsächlich aus zu viel Arbeit, zu wenig sommerlichem Wetter und einem abgewendeten Scheidungstermin.

August 
Auch dieser Monat brachte viel Arbeit und unsägliche Nachbarschaftsversammlungen. Aber auch sturmfreie Tage in Hamburg und ein schönes Wochenende in Berlin. Daneben konnte ich noch mein einjähriges Ersatzteiljubiläum und den einundzwanzigjährigen Hochzeitstag begehen. Da letzeres kein echtes Highlight ist, wenn die Scheidung in nicht allzu ferner Zukunft ansteht, feiere ich eben lieber das Durchhaltevermögen meiner Anwältin und den daraus resultierenden Verhandlungserfolg über die Gegenseite.

September
Zu Beginn des letzten Sommermonats schienen sich alle in den Urlaub abzusetzen. Das kann zwar als einzige Zurückgebliebene ärgerlich sein, kann aber auch erfreuen, wenn schöne Stunden der Sturmfreiheit dabei herauskommen. Letzteres entspricht wahrscheinlich eher meiner Art zu denken. Ansonsten erinnere ich mich an viel Nässe nach Fahrradfahrten zur und von der Arbeit.

Oktober
Ich gönne mir vier freie Tage (zwei Arbeitstage), um erstens den Dezember mit dem üblichen Urlaub noch zu erleben und zweitens traditionell den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit zu entgehen. Die Sonne ist bitter nötig, auch wenn sie zu leichten Sonnenbränden führt. Es folgt der unspektakuläre 19. Geburtstag des Sohnes, der so unspektakulär ist, dass ihn die gesamte Schwiegerfamilie einschließlich des angehenden Ex-Gatten, auch liebevoll Kindsvater genannt, ignoriert. Um mich von diesem Tiefschlag zu erholen, wird wieder eine kleine Flucht nach Berlin eingebaut, die nicht nur wegen des Bombenwetters (Sandalen am 20. Oktober!) positiv in Erinnerung bleiben wird. Zum Ende des Monats wartet die wiederum traditionelle Eierschlacht mit anschließendem Fensterputzen auf mich. Halloween ist eben Premiumbrauchtum. Zusammenfassung: In diesem Monat gab es immerhin zwei Feiertage, die anständig auf einen Donnerstag fallen. Nicht alles wird im nächsten Jahr besser.

November
Noch mit den letzten Ei-Ausläufern des Quasi-Reformationstages beschäftigt kann ich wie jedes Jahr wenig finden, was mich für die Jahreszeit begeistert. Diesjährige Highlights: erfolgreich absolvierter Notartermin mit der Gewissheit, demnächst alleinige Eigentümerin einer Wohnung in unserem beschaulichen Dorf zu werden, Thanksgiving und 1A-Adventsvorbereitungen inkl. Pfauen-Adventskranz.

Dezember
Wie jedes Jahr bereite ich mir meinen Adventskalender selbst, indem ich auch dieses Mal zum Jahrestag des schlechtesten Tages 2018 in die Sonne entfliehe. Schwamm drüber, dass die ersten sechs Dezembertage aus so übertrieben viel Arbeit bestanden, dass mich die Putzkräfte mit der Ansage nach Hause schickten, ich sei jetzt wirklich und wieder einmal die einzig Verbleibende im ganzen Haus. Sonne, Lektüre und Wein lassen vieles vergessen. Wie jedes Jahr besteht die Schwierigkeit (Erst-Welt-Probleme) darin, sich anschließend in Bestzeit in Weihnachtsstimmung zu bringen. Doch auch das gelingt hervorragend mit entsprechendem Essen und ebensolchen Getränken.

Im Nachhinein bin ich überrascht, dass alles nicht einmal vor einem Jahr passiert ist. Speziell Jobwechsel und die Frankreich-Affinität des Sohnes scheinen eigentlich Äonen zurück zu liegen. Trotz Fehlstarts kein wirklich schlechtes Jahr, aber eines, das fürs nächste noch Einiges an Luft nach oben lässt. 2020 ist schließlich ein Fußballjahr und kann jetzt kommen. Meine Meinung.



Samstag, 28. Dezember 2019

Weihnachten: Vorher-Nachher

Traditionell werden der 23. und 24. Dezember mit viel Beschaffung verbunden. Den kalorischen Part durfte ich weitgehend abgeben, doch den Präsenteteil musste ich durch vorangegangenes Nichtstun in wärmeren Klimazonen hart durchziehen. Die Schwierigkeit besteht immer wieder darin, am 24. Dezember mit Einbruch der Dunkelheit von Geschäftigkeit auf Besinnlichkeit umzuschalten. In der Folge ist die Herausforderung eher, die Abwechslung zwischen herzhaften und süßen Speisen nicht zu vernachlässigen, um das vorgegebene Plansoll zu erreichen. Das alles hat auch dieses Jahr - dank langjähriger Planungserfahrung und hervorragender Umsetzung (keine Sorge, kein Eigenlob, nicht mein Verdienst!) - wunderbar funktioniert. Nur komisch, dass ich am dritten Feiertag plötzlich wieder arbeiten sollte. 



Dienstag, 24. Dezember 2019

Daumenkino

Obwohl ich es nun langsam kennen sollte, kommt mein Kopf nicht hinterher, wenn ich morgens bei 25° noch auf dem Balkon sitze und abends in einem Hamburger Hotspot Geburtstag feiere. Dazwischen lag zur Umgewöhnung schließlich noch eine Fahrt zum Flughafen Valencia, die Abgabe des Mietwagens („Ach, der Kratzer ist so klein, den sieht man ja fast gar nicht. Aber geben Sie das Formular ruhig her.“ Ich habe eine Vermutung, was damit geschehen wird.), Kauf eines Geburtstagsgeschenkes im Duty Free Shop, Wartezeit am Flughafen mit drei Gate-Wechseln, Schuhwechsel im Flugzeug, der schweizerische Bordservice („Chäsbrödli?“), ein Sprint am Flughafen Kloten, der Unglauben über Gepäck, das mitgekommen ist, noch größere Freude darüber, abgeholt zu werden, ein kurzer Pitstop zuhause und weiter ins Partytreiben. Noch schlechter als mein Kopf kommen nur meine Füße mit, sie weigern sich zu akzeptieren, dass nun lange Monate des Eingesperrtseins auf sie warten. Weshalb ich gegen 3 Uhr nachts der einzige Partygast bin, der barfuß dasteht. Wie sollte es auch anders sein, wenn der Nagellack „Let’s Party“ heißt? Trotz rötlichem Schummerlichts wird angemerkt, ich habe braune Füße. Das kann ich nicht richtig beurteilen, halte es nach zwei Wochen Strandspaziergang im Meerwasser aber auch nicht für vollkommen unglaubwürdig. Am Folgetag wiederholt sich das Phänomen, wenn auch in etwas besinnlicherer Runde. Es geht schließlich auf Weihnachten zu. Auch das nicht ganz nachvollziehbar.



Freitag, 20. Dezember 2019

Na, bitte!

Durch die moderne Technik bin ich nicht vollständig vom Leben zuhause angeschnitten. Was Jobdinge angeht schon, bin doch keine Anfängerin, aber im Privaten gibt es somit keine Informationssperre. Auf diese Weise kann ich heute schon verkünden, dass der edle moldawische Champagner sich bereitmachen kann, seine öde Wartezeit in unserem dunklen Kühlschrank in einem Monat und einem Tag zu beenden. Vermutlich schon gegen Nachmittag. Aber wer weiß schon, wie lange so ein Scheidungsverfahren braucht? Ist schließlich meine erste Scheidung.

Dienstag, 17. Dezember 2019

Richtigstellung

Behauptete ich gestern noch, hier passiere nichts, muss ich es nun revidieren. Was definitiv nicht passiert, ist ein Sonnenbrand, denn es ist grau draußen. Eine Idee heller als das vorweihnachtliche Steingrau, das den norddeutschen Himmel charakterisiert, aber in keinem Fall blau. Der Übergang zwischen Himmel und Meer ist auch nur für Eingeweihte zu erkennen. Um also diesem Einerlei zu entfliehen, beschlossen wir, die Vorräte etwas aufzustocken und machten uns auf den Weg zum ersten Supermarkt am Ort. Wir frohlockten darüber, wie angenehm leer es dort an einem frühen Montagnachmittag ist. Selbst ein Parkplatz in der Nähe des Ladenzugangs war möglich. Der Einkauf verlief wie erwartet reibungslos, doch kurz war die Freude über die vielen Descuentos und Regalos. 

So fanden wir den blöden Kia wieder. 
Weit und breit keine weiteren Autos, aber das beulige goldene hatte es trotzdem geschafft, das rote Ding mit dem schlechten Karma anzuditschen. Weil der Wagen so stand, vermuteten wir, der Fahrer sei in den Laden gegangen und lasse uns gerade ausrufen. Es zeigte sich, dass nichts dergleichen passiert war, als ich eine Sicherheitsmitarbeiterin ansprach und ihr ein Foto des Malheurs zeigte. Erst fragte sie mich jedoch noch, welches nun mein Wagen sei. Ich versuchte, so viel Empörung wie mir auf Spanisch möglich ist in die Antwort „Der rote!“ zu legen. Bin vermutlich nicht der Kia-Typ. Sie zuckte nicht. Erst als ich fragte, ob man die Polizei einschalten solle, sah sie mich mit wahngeweiteten Augen an und widersprach vehement. Zurück zum Auto passierte erst einmal länger nichts. Dann kam ein netter junger Mann von der Sicherheitsfirma, der mich übertrieben hysterisch fand, als ich nochmals die Polizei ins Spiel brachte. Erst als ich feststellte, es handele sich um einen Leihwagen, war ich wieder halbwegs rehabilitiert. Er murmelte „Mala suerte“ vor sich hin und schob den anderen Wagen weg. Der ließ sich verschieben, denn er hatte zum Glück keinen Gang eingelegt, aber zu unserem Pech eben auch keine Handbremse („freno de mano“). So war der Wagen, nachdem der Fahrer ihn abgestellt hatte, wegen des abschüssigen Parkplatzes lustig heruntergerollt und eben gegen den Kia gedotzt. Jetzt war es an mir, mit großen Augen zu gucken. Ach, wenn ich wüsste, wie häufig das hier vorkomme! Nach geraumer Wartezeit erschien auch der Fahrer des Wagens. Der, wie er nicht ausließ zu erwähnen, nicht der Besitzer des Wagens sei, sondern ihn auch geliehen hatte. Ich glaube, ich hätte ihm kein Fahrzeug außer vielleicht einem Rollstuhl mehr gegeben, auch wenn sein Führerschein, wie ich jetzt weiß, noch bis zum Jahr 2021, seinem achtzigsten Geburtstag, gültig ist. Sehr klar wirkte er nicht mehr. Noch später kam seine Frau dazu, erkundigte sich, was Miguel schon wieder angestellt habe (so viel zu meinem Eindruck von der Fahrtüchtigkeit) und verzog sich auf ihren angestammten Platz ein wenig abseits. Die Männer waren sich einig, so etwas passiere nun mal, und begannen ein Formular zu suchen, das ich am Ende in „meinem“ Handschuhfach fand. Der Unfallverursacher versuchte noch, mich davon zu überzeugen, man sehe am Kia doch gar nichts (Du vielleicht nicht!). Da sprang mir der Sicherheitsmann zur Seite: ja, es sei nur eine kleine Stelle, aber eben ein Leihwagen; mit den Firmen sei nicht zu spaßen und am Ende habe „la chica“ (Danke!) den Ärger. Der ältere Mann jaulte, sein Auto sei doch auch geliehen (Wer war nochmal Verursacher? Und guck‘ dir die Beulenkiste mal an, El Blindo!). Irgendwann zog ich mir nochmals den Unmut der beiden auf, als ich doch glatt das Formular noch durchlesen wollte, ehe ich es unterschrieb. Zum Ende wurde alles mit Handschlägen besiegelt. Zu seinem gab mir Miguel noch ein „Encantado“ mit, was ich nicht ernsthaft bestätigen kann. Auch seinen anschließenden Ausruf „¡hasta luego!“ teile ich nicht. Ein Treffen (!) reicht mir völlig. Denn auch die Hoffnung, er könne vielleicht wenigstens beim nächsten Mal um Entschuldigung bitten, habe ich verloren.

Montag, 16. Dezember 2019

Blau, in jeder Richtung

Hier will einfach nichts passieren. Die Ruhe, die selbst am Wochenende herrscht, könnte zu vorweihnachtlicher Besinnlichkeit führen, doch dafür passen meinem Kopf die klimatischen Randbedingungen nicht. Irgendwie entwickelt „Jauchzet, Frohlocket“ bei 20° plus und Sonnenschein eine andere Konnotation. Akustische Weihnachtsberieselung und die Schlacht um Schinken (hier im Ganzen angeboten) im Supermarkt erzielen noch den meisten Halleluja-Effekt. Die Sicht auf das eigene Sommerkleid und die Sandalen zerstört dann wieder einiges. Sehr nett, der Blick der asiatischen Verkäuferin vom Sushi-Stand auf meine quasi nackten Füße. In einem Spanisch, das mir nicht weniger schwach als mein eigenes vorkommt, fragt sie mich - weiterhin auf meine Füße starrend -, ob mir nicht kalt sei. Ich verneine und füge hinzu, ich komme aus Deutschland, Hamburg, um genau zu sein, da könne man von Glück sagen, im Sommer solche Konditionen anzutreffen. Nach dem Bezahlen nimmt sie meine Hand und sagt triumphierend: „Doch kalt!“ Ich lasse ihr den Erfolg. Schon allein, weil meine Spanischkenntnisse für „Fischkopp, kalte Flossen eben!“ nicht ausreichen.
Auf dem Weg zum Parkplatz kommen wir am Popcorn-Stand, einem saisonalen Sonderstand für Schmalzgebäck und den hier immer noch üblichen Schaukelpferd-Automaten vorbei. Auch hier macht sich der Fortschritt der Technik bemerkbar: die Schaukelgeräte sehen moderner aus, etwa so wie ein Pferd bei den Mumins aussähe, spielen elektronische Musik und sind changierend von innen beleuchtet. Darauf sitzt ein Kind, das den Contest „Spain‘s Next Top Lustlose“ mit uneinholbarem Abstand vor ihren Wettbewerberinnen für sich entschiede.
Dass beim Spa (el espa) nichts außer Ruhe passiert, ist vorprogrammiert. Größte Aufregung ist das Gesicht der Masseurin, als sie unserer ansichtig wird: es wechselt zwischen den Schattierungen „Blankes Entsetzen“ bis „Euch fasse ich mit der Kneifzange nicht an“. Irgendwann wird klar, sie kann nicht anders. Bitte beachten Sie: nach plastischem Eingriff entspricht der Gesichtsausdruck nicht immer dem Gefühlszustand. Zumindest hoffen wir das immer noch.







Freitag, 13. Dezember 2019

Fürs Halten reicht‘s

Der dritte Tag in Folge, an dem die Bräune nicht gesteigert werden konnte. Dafür konnte ich meine favorisierten Nordsee-Lieblingssätze aus dem eigenen Fundus und dem der Verwandtschaft bestens anbringen: „Dahinten wird’s heller!“, „Die Sonne ist nicht fern.“ und eben „Fürs Halten reicht‘s.“ (Dabei geht es übrigens um den Teint.)
On the bright side (no pun intended): endlich habe ich Frieden mit dem Kia gemacht. Und das, obwohl ich erst das telefonbuchdicke (die Älteren erinnern sich) Handbuch des blöden Autos durcharbeiten musste, um den Tankdeckel öffnen zu können. Anstoß zur Zufriedenheit gab der hier hier kursierende Mini in einem grünlichen Ocker, für dessen Farbbeschreibung ich mich nicht zwischen „Galle“ oder „Durchfall“ entscheiden kann. Ich hätte es beim Autoverleih wahrlich schlimmer treffen können. 
Für die Nordsee-Atmosphäre spricht der Wind, der im Moment eifrig pustet. Dennoch kämpfe ich mich eifrig durch die Fluten. Selbst mit meinem Kampfgewicht muss ich aufpassen, nicht von Windstößen ins Wasser geschickt zu werden. Die Einheimischen sind eher sparsam unterwegs. Schließlich haben wir nur 21°. Kein Wetter, bei dem man den Hund vor die Tür schickt. Daher tragen die Hunde natürlich ihre schmucken Mäntelchen. Meine Lieblingsszene: eine Böe und der arme, ummantelte Pinscher wird sofort auf den Arm genommen. Besser ist das, der Rückschnappmechanismus der Leine könnte bei Wind und Wetter defekt sein.



Mittwoch, 11. Dezember 2019

Villariba und Villabajo

Während heute in jedem Nordseebad in den Sommerferien als ganz guter Tag (Hochnebel, Sonne, Wolken, vereinzelt Regen, dann wieder Sonne) durchgegangen wäre, gibt es hier Grund zur Klage. Zugegeben, ich habe mich beim Strandspaziergang ganz gut durchpusten lassen und sogar ein paar Regentropfen abbekommen. Aber das war nicht genug, um nicht barfuß am Wasser zu laufen oder gar eine Regenjacke anzuziehen (die ich auch gar nicht dabeigehabt hätte).
Zum Sonnenuntergang klarte es pünktlich wieder auf. Ungefähr zu der Zeit traf ich die Nachbarn, die erst mit tellergroßen Augen auf meine Füße guckten (der Nagellack ist aber auch schön! „Let‘s Party“ heißt die Farbe.) und dann mit erschreckter Stimme fragten, ob ich etwa spazieren gehen wolle. Nein, ich bringe nur den Müll herunter. Habe ich schon erwähnt, dass „basura“ eins meiner spanischen Lieblingswörter ist? Auf meinem Rückweg von den diversen Containern hatten sie sich schon zwanzig Meter weiter in Richtung Auto vorgearbeitet. Um zu betonen, dass es heute kalt sei (ja, klar 18° - plus, wohlgemerkt!). Ich verneinte verhalten. Windig ja, kalt nein. Darauf erntete ich wieder einen ungläubigen Blick auf meine Füße. Aber die Heizung in der Wohnung habe ich doch  sicher angestellt? Nein. Die Reaktion war große Aufregung bei den älteren Herrschaften. Da ich nicht Schuld an ihren Herzrhythmusstörungen tragen wollte, schob ich ein versöhnliches „Noch nicht, aber vielleicht heute Nacht.“ hinterher. Wenn auch nicht mit allzu viel Überzeugung. Ich fürchte, sie halten mich jetzt für übertrieben geizig: keine anständigen Winterschuhe und bei arktischen 20° in der Wohnung die Heizung nicht aufgedreht.



Dienstag, 10. Dezember 2019

Ein weiteres Dorf

Es ist ein Privileg, in der Vorweihnachtszeit das momentan nicht ganz so beschauliche Dorf gegen ein anderes eintauschen zu können. Die Atmosphäre ist hier wie dort gleichermaßen familiär, nur das Wetter im Süden kann mehr überzeugen. Neugierige Nachbarn gibt es an beiden Stellen. Einzige Unterschiede: in der Ferne kommen mir die Mitbewohner des Hauses nur neugierig, aber nicht missgünstig vor, und meine Antworten lassen hier ein wenig Finesse vermissen. So kann ich den hiesigen Nachbarn nur wahrheitsgemäß erzählen, was der Grund für die frühe Abreise meiner Eltern war und nicht lustige Räuberpistolen zusammenspinnen. Als kleine Kompensation für meine sprachlichen Unzulänglichkeiten nehme ich ihnen zumindest ihren favorisierten Parkplatz. Ein bisschen Spaß muss sein, wenn ich schon nicht das Lieblingsauto am Start habe. 
Warum ich für dieses Dorf allerdings so viele Socken mitgenommen habe, wird ein ewiges Mysterium bleiben. Mir am allermeisten.



Montag, 9. Dezember 2019

2. Advent

Noch immer schrecke ich wegen irgendwelcher Jobgeschichten aus dem Schlaf hoch, obwohl ich einige Kilometer zwischen mich und die Hamburger Hafencity gebracht habe. Egal, denn noch ist Wochenende - und nicht einmal der erste Urlaubstag angebrochen. Einen echten Rückschlag hat es auf dem Weg hierher gegeben: das gemietete Auto ist nicht das übliche und schon gar nicht das gewünschte. Anstelle eines Fiat 500 muss ich mit einem beknackten Kia vorliebnehmen. Es hilft auch nicht, dass es ein Viertürer ist, wir mögen uns von Anfang an nicht. Schlimmer noch, ich ärgere mich über jeden vorbeifahrenden Quinientos. Auf der Habenseite: wir kommen ohne Schwierigkeiten und Umwege am Ziel an. Außerdem ist das blöde Auto weihnachtlich rot, so finde ich es trotz beklagenswertem Designmangel auf Parkplätzen halbwegs zweifelsfrei wieder.
An Adventswochenende erinnert hier ansonsten wenig außer der Dekoration in den Läden. Statt Kerzenschein knallt die Sonne ungefiltert von überraschend weit oben am Himmel herunter. Übermittelte Bilder von Adventskränzen, Kaffeetafeln und Dunkelheit lassen mich jauchzen und frohlocken. So schön anders ist es hier. „Last Christmas“ lässt sich auch auf dem Balkon bei über 20° hören - für Sie erfolgreich getestet.




Samstag, 7. Dezember 2019

Vorher-Nachher

Vor dem Urlaub ist die Zeit, in der es wohl dazugehört, nachts um 3 Uhr aus Träumen vom angehenden Ex-Mann hochzuschrecken (als ob die nicht schlimm genug wären), um sich an irgendwelche Dinge zu erinnern, die bei der Arbeit noch getan werden müssen.
Nach dem Urlaub ist die Zeit, in der ich mir nicht mehr vorstellen kann, dass die Sonne, wenn sie sich in dem engen Zeitfenster überhaupt zeigt, hier so tief steht, dass sie es nicht über einstöckige Häuser schafft.
Egal, höchste Zeit zu gehen.




Mittwoch, 4. Dezember 2019

Musik und Mutterherz

Wenn ich an diesem Wochenende nicht Fahrerin war, war ich DJane. Zumindest in der Zeit, in der wir unterwegs waren - was einen gar nicht so unerheblichen Anteil der beiden Tage ausmachte. Da galt es die Wünsche und Vorlieben von vier bis sechs Personen unter einen Hut zu bringen. Nicht ganz trivial, wenn sie von Country über Telenovela-Melodien bis hin zu Indie variieren. Das Gejaule des Sohnes zum obligatorischen „Delmenhorst“ in dessen Umgebung war selbstverständlich eingepreist. Doch insgesamt scheine ich es geschafft zu haben, wenn gegen Ende der Hinfahrt die Stimme der Tochter aus dem Fond kommt: „Wir (also ihr Bruder und sie) sind unendlich dankbar, dass du ABBA nicht magst. Sonst müssen alle das immer mithören, weil ALLE anderen Eltern das gut finden.“ Doch nicht alles falsch gemacht.

Dienstag, 3. Dezember 2019

Auch gut

Es hat auch Vorteile länger zu arbeiten. Im Sommer kann ich tolle Sonnenuntergänge genießen. Im Winter werden sie mir schon während der regulären Arbeitszeit geboten. In der dunklen Jahreszeit habe ich zu späterer Stunde die Möglichkeit, im öffentlichen Nahverkehr spannende Begegnungen zu erleben. So wie gestern. Die U4 fährt im Bahnhof Überseequartier noch nicht los, obwohl alle Türen geschlossen sind. Die Tür in meinem Wagen öffnet sich wieder. Ah, denke ich, gut dass noch jemand mitgekommen ist und nicht mindestens zehn Minuten auf die nächste Bahn warten muss. Es steigen zu meiner Überraschung zwei ältere Damen ein. Beide Typ „Schlichter, dunkelblauer Wollmantel und dezentes Make Up“. Sie sind sich, wenn auch damenhaft zurückhaltend, etwas uneins. Und das, obwohl die eine die andere in eine schöne Location eingeladen hatte. Die andere entschuldigt sich im gleichen Atemzug, keine Blumen mitgebracht zu haben („Wieso? Zu Dir nach Hause wäre ich doch auch nicht ohne gekommen!“). Doch zurück zu ihren Differenzen. Während die eine in den Zug einsteigen wollte, fand die andere das nicht. Diesen Zwist haben sie wohl bis zur allerletzten Sekunde ausgetragen. Selbst im Zug ist die andere noch relativ lautstark kritisch: „Billstedt! Da weiß ich doch, dass ich da nicht hin will!“
Am Jungfernstieg steigen beide aus. Meine Vermutung ist, dass sie dort richtig sind, um die S-Bahn nach Blankenese zu nehmen.



Montag, 2. Dezember 2019

Muss das so?

Welches Naturgesetz besagt eigentlich, dass Urlaub immer auf der letzten Rille angetreten werden muss? Ich glaube, es ist die Variation der Konstante, immer erst nach Antritt der Reise krank zu werden. Oder der derer, die besagt, dass alle die, die in den Sommer-,  Herbstferien und danach brav allerlei Urlaubsvertretungen übernommen haben, sich fortwährend Sprüche anhören müssen. Und dass die Replik, der viele Resturlaub komme nicht von ungefähr, ungehört verhallt. 
Egal, jetzt heißt es, trotz Arbeitsaufkommens noch ein wenig Besinnlichkeit zu spielen und sich für fünf Tage am Schlüpper zu reißen.