Montag, 30. Mai 2022

Mai-Nachlese

Zwar präsentierte sich die Heimat so schön, doch gab es den Entschluss, sie für einige Tage zu verlassen - und das für mich ungewohnt gar mit dem Auto.

En Route zeigte sich Frankreich mit dem richtigen Präsidenten, aber ansonsten als ein Schatten seines früheren Selbst. Auf wundersame Weise haben Hotellerie und Gastronomie die gleichen Probleme wie bei uns: Personalmangel und Zulieferschwierigkeiten. Daraus folgt ein sehr abgespecktes Angebot. Immerhin funktionierten Fahren und Beifahren sehr gut. Nur gelegentliche Quallenschwärme auf der Windschutzscheibe trübten gelegentlich die Sicht auf wechselnde Klimazonen. Wenn ich nur beifuhr, entdeckte ich eine neue Passion in mir: Benzinpreise scannen und das jeweilige Bulletin ungefragt durchgeben.
Auch ein Abstecher in die Pyrenäen hielt nicht ganz mit den Erwartungen stand. Landschaftlich schön, kulinarisch mit Luft nach oben präsentierte sich das angesteuerte Dorf neben dem Gebirgsbach zusätzlich wasserreich.

Beeindruckend, wie laut so ein Flüsschen wird. In meinen Ohren klingt er allerdings im wesentlichen hektisch, ohne die Ruhe eines Meeresrauschens auszustrahlen. Im gebirgigen Teil passierten wir die Grenze zwischen Frankreich und Spanien. Während mir im französischen Grenzort der Besitzer des kleinen Supermarktes, den aufzusuchen ich gezwungen war, nachdem mir Bäcker und Flic vorher unisono „Plüh de Peng!“ beschieden hatten, sein Leid klagte, dass nur noch Alte vor Ort seien und die Politik nichts für sie tue, strahlten die Orte hinter der Grenze mondänes Wintersportsmbiente und Geld aus. Doch auch dort war nicht alles Gold. Während auf der französischen Seite an jeder Milchkanne, besser: an jedem Schaf, ein Platz zu finden war, an dem Familien Kaffee kochen können, gestaltete sich die Suche nach einer Picknick-Gelegenheit (besser noch: Piquenique) in Spanien schwer. Miradores so weit das Auge blicken konnte, aber keine Bank oder Ähnliches. Meine erste Theorie, es mangele an Schattenplätzen, wurde widerlegt durch diverse schattige Haltebuchten, die jedoch nur Mülltonnen aufwiesen. Als wir die Hoffnung schon aufgeben wollten, präsentierte sich eine Premium-Möglichkeit: Blick, Bank, Schatten und Mülleimer. Mehr ging nicht.

Gut, eine Toilette wäre noch das i-Tüpfelchen gewesen, aber ein Besuch in der Macchia tat es auch.
Wie durch Zauberhand war der Himmel aufgerissen. Schon freute man sich nicht mehr über den Regenschutz und die Heizung des Autos sondern über seine Klimaanlage. Nach und nach wurde es wärmer, weniger bergig und durch die fehlenden Haarnadelkurven auch leichter zu fahren. Irgendwann offenbarte sich sogar das Meer. Ich quakte um einige Jahre verjüngt und nicht ganz im passenden Idiom: «Je vois la mer! ». Ebendieses hielt mich am Zielort trotz Arbeit bei Laune. Ein Achtstundentag ist vergessen, wenn man nur im Anschluss an ihn eine Stunde durchs laue Meerwasser laufen kann. Nicht zu sprechen von echten Badefreuden im Mai.

Umso schwerer fiel der Abschied. Doch er musste sein. Schließlich war die Anwesenheit in Hamburg gefordert. Es wurde mir nicht leichter gemacht, indem mein Gepäck nicht zeitgleich mit mir ankam. Selbst bei weitester Auslegung der Weltuhr sind vier Tage Verspätung garantiert nicht mehr in der gleichen Zeitzone. Besonders in den ersten zwei Tagen fehlte mir meine Sommerkleidung aus dem Koffer. Kam doch Hamburg selbst nach besagtem Vorprogramm überraschend warm und sommerlich rüber. Das Meer fehlte trotzdem.
Dennoch spricht für meine Fähigkeit zum Zweckoptimismus, mich darüber zu freuen können, dass in den zwei Wochen Abwesenheit alles bis auf die blöde Blutbuche grün geworden ist. 








Montag, 23. Mai 2022

Aufstehen

Heute früh war nichts mit dem üblichen, geruhsamen Aus-den-Federn-Kommen. Nach dem Weckerklingeln zum Aufwachen erst einmal eine halbe Stunde zu versuchen, den Blick auf das Telefon zu fokussieren und so - fiel aus. Denn kurz nachdem ich durch den Wecker aus meinen Träumen gerissen wurde (Plötzlich hatte ich eine Frisur wie Zonen-Gabi und war nicht glücklich. Warum sich darin blondierte Wolken befanden, obwohl ich selbst im Schlaf wusste, dass ich nichts Färbendes eingesetzt habe, erklärte sich mir nicht. Gut, man kann sagen, es ist besser, aus solchen Träumen herauszukommen, aber ob die Wirklichkeit wirklich besser ist?), flog durch das eine gekippte Oberlicht eine hornissengroße Biene oder Wespe oder eben eine echte Hornisse in mein Schlafzimmer. Natürlich befand sie sich in ihrem Anflug gleich auf der Höhe meines Hochbettes und fand sofort Gefallen an meiner floral anmutenden Bettwäsche. Dass es sich nicht um einen harmlosen, fetten Brummer handelte, erschloss sich mir trotz eingeschränkter Sehfähigkeit am Flug und dessen Klang. Noch morgendlich sediert sparte ich mir den Part „Mädchenhaftes Kreischen“ und ging gleich zum zügigen Verlassen der Bettwärme über. Immer darauf achtend, nicht auf das Tier zu treten oder zu fassen. Danach riss ich alle Fenster weit auf. In einem Altbau-Erkerzimmer mit drei großen Fenstern auf der Längsseite und einem entsprechenden auf der Querseite bot sich relativ viel Ausstiegsfläche. Während ich spärlich bekleidet und möglichst reglos in der kühlen Morgenluft stand, fand das Killervieh natürlich nicht den Weg dorthin - Ehrensache. Erst als ich anfing, mit den Fensterflügeln zu wedeln, hinter denen es sich verfangen hatte, schnurrte es irgendwann heraus. Wie das Biest es durch das kleine, gekippte Oberlicht schaffte, um dann auf großer Fläche zu versagen, wird ein ewiges Mysterium bleiben. Wahrscheinlich ist es wirklich so, wie der große Meister Fil gestern Abend sagte: „Schlauheit ist Dummheit plus Zeit“. Und viel Zeit bleibt Insekten einfach nicht.



Samstag, 21. Mai 2022

Miteinander

Eben half ich einer Nachbarin, der gegenüber ich wohl noch als jünger gelte, ihren schweren Müllsack in die Containerklappe zu befördern. Gute Kinderstube und so. Erschwerend kam hinzu, dass besagte Nachbarin insgesamt nicht übermäßig lebenspraktisch zu sein scheint, weswegen sie sich nicht allzu geschickt anstellte. Entschuldigend meinte sie also, sie wisse gar nicht so genau, was darin sei, dass der Sack so viel wiege. Beim eigenen Müll einer Alleinstehenden einigermaßen bemerkenswert, nicht zu wissen, worum es sich handelt. Ich versuchte es mit: „Die Schwiegermutter vielleicht?“, was ich relativ lustig fand (die eigenen Witze sind einfach immer die besten), die Nachbarin augenscheinlich nicht so. Wahrscheinlich nur deswegen, weil diese Erklärung völlig abwegig war. Die Schwiegermutter hätte sie schließlich in der Biotonne entsorgen müssen.

Nachtrag: Die Nachbarin hat es wohl doch nicht so mit der korrekten Mülltrennung: Als ich ihr gerade nochmal beim Einkaufen begegnete, feixte sie herum, wie gut es sei, dass sie die Schwiegermutter nun los sei.



Dienstag, 17. Mai 2022

Surprise, Surprise!

Wenig überraschend, dass mir die Wiedereingliederung in deutsche Arbeitszeiten schwerfiel. Sie wurde nicht leichter durch die anhaltende Taubheit, die der Landeanflug hervorgebracht hatte. So schön es auch ist, am Mittag vor Abflug noch im Meer zu baden, so wenig sinnvoll ist es, sich dabei reichlich Wasser in die Ohren laufen zu lassen. Für Sie getestet.
Wenig überraschend außerdem, dass mein Koffer gestern Abend als einziger nicht in Hamburg ankam, sondern vermutlich in der Heimat von Tintin - oder gar der von Kapitän Haddock - verblieb. Erfreulich hingegen, dass die Mitarbeiter der Gepäckverfolgung in Hamburg angetan waren von meinem routinierten Umgang mit ausbleibendem Gepäck. Sie konnten nicht wissen, dass mir das ungefähr bei jedem zweiten Flug passiert. Sie freuten sich dennoch über mich als ihre „Lieblingskundin des Tages“ - und wenn der Verlust für ihre Laune gut war, hatte er doch seine Berechtigung. Erst im Nachhinein wurde mir bewusst, dass ein Gutteil meiner aktuell brauchbaren Kleidung und Schuhe auf diese Weise nicht verfügbar ist und in jedem Fall für die zwei Messetage bleiben wird. Diese Sorge erschien dem Sohn übertrieben. Wenn ich Quentin Tarantino begegne, müsse ich ohnehin nur zusehen, meine Füße anständig zur Schau zu stellen. Man bekommt so viel zurück.
Wirklich überraschend war eigentlich nur, dass lediglich der regnerisch-dunkle Morgen und der weniger laue Abend klimatische Unterschiede zwischen Spanien und hier aufzeigten. Das kenne ich anders.



Montag, 16. Mai 2022

Dableiben!

Abschied zu nehmen, fällt schwer, wenn die Temperatur lediglich zwischen 25° und 27° schwankt und das schlechteste Wetter ein paar Wolken bedeutet. Zugegeben, das Meer könnte für meinen Geschmack mit etwas mehr Brandung aufwarten, aber an den gut 18° Wassertemperatur habe selbst ich nichts zu meckern. Morgen früh wieder anständig dienstlich in Hamburg unterwegs zu sein, wird nicht leichter, wenn man bis zum späten Mittag noch im Meer herumspaddelt. Unvorstellbar ist es außerdem. Auch, dass ab jetzt Abende auf dem Balkon für lange Zeit ausfallen sollen. Vom spektakulären Vollmond wollen wir gar nicht sprechen. Vielleicht sollte ich die Ansage des Kollegen befolgen, der mir zackig „Dableiben!“ riet, als ich ihm ein Video der nachmittäglichen Marina mit glitzernden Wasserreflexionen schickte. 
Die größte Hürde bei der Rückkehr ist am Ende, dass die hiesigen Supermärkte alle Schattierungen Weizenmehl und das volle Sortiment Sonnenblumen- und anderer Öle anbieten. Und das auch noch zu Vorkriegspreisen. Das allerdings bringt die Entscheidung zur Rückreise ernsthaft ins Wanken.




Samstag, 14. Mai 2022

Vamos a la playa

Gestern konnte meine Mutter mit dem guten Gefühl ins Bett gehen, dass sich ihr Kind im Laufe des Abends müde gespielt hatte. Nach getaner Arbeit verbrachte es den frühen Freitagabend, hier eher: den Nachmittag, damit, drei Kilometer Strandstrecke nicht nur an der Waterkant abzulaufen, sondern ungefähr knietief durchs Meerwasser zu waten. Was wegen des Wasserwiderstands, des unebenen Geläufs und der Meeresbewegungen nicht ohne Anstrengung war. Aber schön. Satz war dabei natürlich, das Kleid bis zum Hintern vollflächig mit Salzwasser zu durchfeuchten.

Eine kleine Verschnaufpause ergab sich nur durch die Bekanntschaft mit einer Schildkröte. Erfreulich, dass ich zumindest die spanische Bezeichnung kannte und meine Konversationsfähigkeiten ausreichten, um einheimische Passanten und Passantinnen zu fragen, ob sie glauben, dass sich la tortuga eher an Land oder im Wasser wohlfühle. Antwort erhielt ich keine, denn alle waren zu beschäftigt, Fotos und Videos von ihr anzufertigen. Überhaupt war die Begeisterung so groß, wie man sie hier am anderen Ende des Emotionsspektrums nur bei Quallen am Strand kennt. Sprachlich mag es ja einigermaßen hinhauen, zoologisch schätze ich mich als Null ein, weil ich nicht wusste, ob es eine kleine Wasser- oder Landschildkröte war. Dass ich nicht ganz so eine Zero bin, stellte ich nicht nur ob der fehlenden Antworten fest, sondern auch als mich während meiner Schildkrötenbeobachtung ein vorbeilaufender Junge fragte, ob sie mir gehöre. Leider reichten meine Spanischkenntnisse nicht aus, um zu erklären: „Na klar, Sportsfreund, jeden Freitag gehe ich bei jedwedem Wetter mit meiner Trude einige Kilometer am Strand spazieren, um ihr die Schönheit der Landschaft näher zu bringen. Siehst Du nicht die feine Nylonleine und das Ninja Turtle-Halsband?“

(Ich setzte sie übrigens zurück auf den wassernahen Strand und sah sie kurze Zeit später lustig grün-gelb-grün-gelb-grün-gelb durchs Wasser strudeln.)

Mittwoch, 11. Mai 2022

¡Hola y adios!

So gerne ich heute beim Abschied geschätzter Kollegen in Hamburg gewesen wäre, finde ich dennoch, dass mir kein beklagenswertes Schicksal zuteil wird, wenn ich nach der Arbeit kilometerweit durchs laue Wasser am Strand spazieren kann. Spätestens ab Kilometer eins haben sich sämtliche Arbeitsthemen aufgelöst und der Kopf ist besenrein. In etwas Alkohol lässt sich dieser leichte Zustand noch über den gesamten Abend konservieren. Wer braucht Hamburg, wenn er/sie Spanien haben kann?