Mittwoch, 30. September 2020

Die Gleichung geht nicht auf

Es war wahrscheinlich kein Zufall, dass meine Steuererklärung praktisch zeitgleich mit der Nachricht, wie wenig Steuern Trump gezahlt habe, fertig wurde. Es ist garantiert kein Zufall, dass ich nun weiß, 2019 auf ein zweistelliges Vielfaches der Steuern des amerikanischen Präsidenten gekommen zu sein. Ich bin nur noch nicht sicher, ob diese Erkenntnisse mehr über seine oder meine Blödheit aussagen.

Montag, 28. September 2020

Mehr als sie erlaubt

Ein Wochenende, das mit der üblichen, vorfristigen Leerung der Altglascontainer ausgeläutet wird, das im wesentlichen aus nasskaltem Wetter und der Steuererklärung bestand, darf meines Wissens nicht in die Wertung eingehen. Zumindest nicht im September. Im November handelte es sich selbst in meinen Augen um einen Zweifelsfall. Wenn sich bei besagter Steuererklärung herausstellt, das Jahr 2019 hatte in Hamburg 251 Arbeitstage und das vorherrschende Gefühl sagt, dies waren mindestens 220 zu viel, steigen weder Stimmung noch Motivation für den Rest dieses Jahres. Ich beantrage daher einen Reset auf Freitagabend. Wenn’s nach mir ginge, gleich auf einen Freitagabend im Frühjahr. Doch ich fürchte, dieser Antrag würde von höherer Stelle als unrealistisch abgeschmettert. 

(Immerhin)

Freitag, 25. September 2020

Wenn es dunkel und kalt wird...

... kommt der Katalog mit den Weihnachtskugeln ins Haus geschneit (sic!). So werdet Ihr mit mir garantiert kein Geschäft machen, ich trage noch Sandalen! Zu recht und undeutsch sogar ohne Strümpfe. 
Immerhin verfestigte sich in mir - ob der Aussicht auf einen Tag im September, an dem es nicht hell zu werden versprach - heute die Vorstellung, ich könnte wegen der Ambiance und des Wohlgefühls neben meinem Bildschirm Kerzen anzünden. Warum soll der Sohn der Einzige in diesem Haushalt sein, der kokeln darf? Am Arbeitsplatz kommt es mir fast noch sicherer vor als auf dem Hochbett. Wird aber vermutlich ein Fotofinish.

Donnerstag, 24. September 2020

Seit der Himmel

Es ist nicht einmal so, dass im Moment gar nichts passiert. Es gibt sie schließlich noch, die lauschigen Abende auf dem Balkon in bester Gesellschaft. Dennoch komme ich gedanklich immer wieder auf das letzte Wochenende zurück, auch wenn die Brandblasen nach und nach besser werden und der Muskelkater überwunden ist. Meine größte Leistung der Tage bei meinen Eltern war nicht die körperliche Arbeit in der Pflanzenbekämpfung. Sie bestand im Versuch, der Nachbarschaft vielleicht arbeitserleichterndes Werkzeug entlocken zu können. Dazu musste ich mich zu den Nachbarn begeben, die in schönster Mehrgenerationen-Harmonie zum Kaffeestündchen auf dem eingemauerten und gepflasterten Vorplatz des Hauses saßen (während die scheckheftgepflegte, 1A-vertikutierte Rasenfläche im Garten hinterm Haus wie üblich für bessere Zeiten geschont wird). Die Besetzung gilt es sich so vorzustellen: Tochter (um die 50 Jahre) und ihre Eltern sitzen auf Camping-Klappstühlen (so diese erkennbar ist mit ausgeblichener 70er Jahre-Bespannung) um einen ebensolchen Tisch, in dessen Resopaloberfläche das verblichene Wachstuch bereits serienmäßig eingebaut ist. Darauf Kaffeebecher unterschiedlicher Provenienz. Ausnahmsweise nicht dabei: Ehemann und Tochter der Tochter. Die Stühle der beiden anwesenden Frauen werden ob des Lebendgewichts hart an die Grenze der zulässigen Maximalbelastung gebracht. Vielleicht sogar darüber. Einzig der Vater kommt etwas dynamischer daher. Demzufolge wende ich mich mit meinem Ansinnen an ihn. Ob ich die Geräusche vorher richtig gedeutet habe und sie einen Hecksler haben, den sie uns ausleihen können. Die Tochter ignoriert mich geflissentlich, die Mutter blickt mich stumm und herablassend mit demonstrativ zusammengekniffenen Lippen (kluges Konzept, sollte sie vielleicht öfter tun) an. Wahrscheinlich weil mein kaputtgespieltes Aussehen die Friseurin in ihr nicht erfreut. Immerhin kann ich sagen, dass meines einigermaßen temporär ist. Einzig Papa durchbricht die schweigende Tristesse. Nein, das sei ein Vertikutierer gewesen. Freunde, ich mag zwar Stadtkind sein, aber ich kann die Geräusche eines mechanischen Vertikutiergeräts schon von einem motorisierten Hecksler unterscheiden! Wenn ihr mir keine Gerätschaften ausleihen oder ihr mich nicht unterstützen wollt, sagt es mir ruhig. Ich kann gut damit leben.
Selten habe ich mich mehr über das Glück gefreut, in die richtige Familie hineingeboren worden zu sein.

Beiläufige Notiz am Rande zur allgemeinen Auffrischung: Wer noch einmal sagt: „Hach, Herbst, einfach schönste Jahreszeit!“, bekommt ansatzlos eine gedrückt. Ich bin gerade in Stimmung.





Dienstag, 22. September 2020

Still wird das Echo sein

In meiner Reihe „Neue Erlebnisse“ habe ich gestern einen Posten vergessen: unsere Hin- und Rückfahrt zu meinen Eltern. Dass sich einige Menschen beim Autofahren in ihrer Denkleistung nicht wesentlich von, sagen wir, da der Gedanke saisonal gerade so naheliegt, Wespen unterscheiden, war keine neue Erfahrung. Schon eher die Erkenntnis, dass es unter Transportunternehmen auch solche mit philosophischer Ausrichtung gibt (Das wirft gleich die Frage auf, ob auch anthroposophische Umzugsfirmen existieren? Wenn ja, ihnen viel Spaß mit den nicht-rechtwinkligen Umzugskartons und ebensolchen LKW!). Auf einem Rastplatz sah ich im Vorbeifahren bzw. im Vorbeigefahrenwerden einen britischen Laster mit Anhänger, auf denen der Unternehmer oder die Unternehmerin in gelber Negativschrift auf weinrotem Grund den Slogan „Fear is temporary, regret is forever.“ angebracht hatte. Das ist sicherlich tiefsinnig (oder wie die Brut es ausdrückte: „safe deep“). Allein, ob es dem Geschäft zum Vorteil gereicht, vermag ich auch nach längerem Nachdenken nicht zu sagen.

Montag, 21. September 2020

Das alles kommt mit

Wieder einmal gab es für meine Alterskohorte in kürzester Zeit viele erste Male. Obwohl sie unterdessen doch ausgefallen sein sollen. Da wäre zum Beispiel die Erkenntnis, dass der Plan „Gartenarbeit light“ nicht umsetzbar ist. Einsatz im Garten kommt, so weiß ich jetzt, binär „anstrengend“ oder „gar nicht“ daher. Herbstliche Grautöne sind an der Stelle nicht vorgesehen. Obwohl wir einen Bambuswald gerodet haben, der einen fetten Panda-Clan auf längere Zeit glücklich gemacht hätte, habe ich nicht etwa Rückenschmerzen oder Muskelkater im Oberkörper. Nein, er beschränkt sich auf die Oberschenkel. Den kannte ich bisher nicht vom Bambus-Verhackstücken. Eine beachtliche Menge dem Garten entrissener Brombeer-Lianen und Brennessel-Büsche kam zwar nicht auf gleich viel Volumen wie der Bambus, war aber auch beeindruckend. Wenn auch nicht ganz so wie meine amtlichen, in Bestzeit nässenden Brandblasen, die ich zum ersten Mal im Leben (!) aus dem Kontakt mit piksenden Pflanzen entwickelte. Meine Arme sehen noch immer aus, als hätte ich sie kurzzeitig in der Fritteuse geparkt. Überhaupt reifte die Überzeugung, dass alles Schlechte im Garten auf einen Namen mit B hört. Neben der Erfahrung, dass Bambus noch in der Entsorgung aufmuckt, indem er einer mexikanischen Springmaus gleich wieder und wieder aus Mülltonnen hüpft, gibt es über ihn zumindest auch Positives zu berichten: werden nach getaner Arbeit am Abend seine hölzernen Rohre verbrannt, wird die Cowboy-Lagerfeuer-Romantik garantiert zerstört, weil sie unter bestimmten Voraussetzungen im Feuer knallen wie oberarmdicke China-Böller. Wahrscheinlich rührt die Bambus-Affinität der chinesischen Pandas genau daher. Mein Vater, ganz Naturwissenschaftler und Pyromane in Personalunion, hatte schnell heraus, welche Bedingungen die Stangen erfüllen müssen, um echte Kracher zu sein („mindestens zwei Kammern“). Entsprechend stapelten sich neben ihm bald viele Rohre, die wir in Ermangelung der oben genannten Eigenschaften blöderweise zu kurz gekappt hatten und die er für „ungeeignet“ befand. So immerhin kam doch, nur selten durchbrochen durch laute Knaller, vor dem Feuer der eine oder andere gefühlvolle Moment auf. Wäre da nicht der fernmündlich hinzugeschaltete Bruder gewesen, der anregte, solche Öko-Böller seien eine Marktlücke. Ab dem Moment habe ich Margen berechnet.

(Es gab auch pittoreske Momente.)

Freitag, 18. September 2020

Romantik, sagen sie

Für rosarot getünchte Gefühle waren wir zu spät. Dabei gab das Umfeld alles. Doch was tun, wenn der Sonnenuntergang sich schon mal ohne die eigene Präsenz erledigt hat? Immerhin war es nach der im Schweinsgalopp hingelegten Tour de Hambourg anfangs nicht allzu kalt. Da allerdings endet mein Zweckoptimismus, denn ich trage die Schuld, die schöne Romantik vereitelt zu haben. „Scheiß‘ doch auf die Seemannsromantik! Ein Tritt dem Trottel, der das erfunden hat.“ Doch ich greife vor. Mir als Quasi-Neuhamburgerin - immerhin keine dreißig Jahre hier und noch niemand vor mir in Ohlsdorf zu liegen - war nicht klar, dass es in der Hansestadt drei „Hamburg Cruise Center“ gibt. Das erste erreichten wir überpünktlich. Leider war es nicht das, in dem ein Konzert stattfinden sollte. Und leider auch das, das vom dritten maximal entfernt war. Immerhin auf der Habenseite: das zweite konnten wir auslassen, nachdem uns die Google-Recherche dazu ermutigte. Wieder einmal bewahrheitete sich die gute, alte Regel, dass in Hektik getroffene Entscheidungen nicht immer die besten sind. So hätten wir die Wahl der Verkehrsmittel von A nach B optimieren können. Doch erstens gilt es das durch die Krise gebeutelte Taxigewerbe zu subventionieren und zweitens liegt das Cruise Center Steinwerder für mein Empfinden derart in der Einöde, dass wir es ohne professionelle Hilfe vermutlich nicht (oder wenn, noch viel später) gefunden hätten. Die als „Box“ bezeichneten Sitzplätze erreichten wir also deutlich nach Konzertbeginn und auch nicht ohne die Rüge des Platzanweisers, uns nicht vorschriftsmäßig dorthin begeben zu haben. Was natürlich schwer problematisch ist, wenn alle anderen bereits sitzen und sich besagte Boxen ohnehin draußen befinden. Aber egal, denn Herr Regener sang und blies schon für uns. Und sofort war sie wieder da, die Erinnerung an das Konzert vor zwei Jahren in Lübeck, als die in der Nachbarschaft stehende Truckerlesbe (leider fällt mir keine politisch-korrekte Beschreibung ein) im Moment, als ebendieser Herr Regener zur Trompete griff, weithin hörbar skandierte: „Sven, blas‘ mir einen!“ Auch diese Reminiszenz kein Anlass, besonders gefühlsbetont zu werden. Hinzukam die nüchterne Analyse, dass bei näherer Betrachtung auch Musikstars - zumal mit allen Beinen fest in der Risikogruppe stehend - nicht ganz unbeschadet durch die letzten Monate gekommen sind, was Faltenwurf und BMI angeht. So vorteilhaft Video-Leinwände neben der Bühne für die Wahrnehmung weit voneinander entfernt sitzenden Publikums sind, so wenig sind sie es für die Akteure. Am Ende wird sogar in der Dunkelheit offenbar, dass der Frontmann nicht nur die gleiche Frisur hat, sondern auch die gleiche Tönung wie die Kanzlerin einsetzt. Schön und stimmungsvoll war es trotz Frisuren, die nichts für Musiker tun, und der verpassten Programmpunkte Sonnenuntergang/Konzertbeginn.
„Diesmal, mein Herz, diesmal fährst du mit.“
Dass der Rückweg unglaublich lange dauerte, die Bandmitglieder in ihrem schwarzen Berliner Mannschaftsbus schon winkend an uns vorbeifuhren, während wir auf den Shuttlebus warteten, konnte in vollem Umfang den Hamburger Verkehrsbetrieben angelastet werden. Was ich begierig tat. Schon allein, um von der Hinfahrt abzulenken. Doch selbst deren Aufregung war hilfreich (doch wieder Zweckoptimismus!), denn so konnte ich das solitäre Konzert 2020 ohne Herzprobleme überstehen.



Donnerstag, 17. September 2020

Stark

Endlich passiert wieder etwas! Heute Abend findet also mein erstes - und voraussichtlich letztes - Konzert dieses Jahres statt. Umsonst zwar nicht, aber dafür immerhin draußen. Ich bin mir noch unsicher, ob ich so viel Aufregung an einem Tag verkraften werde. Wenn sonst die Abwechslung in meinem Alltag darin besteht, dass ich einen neuen Gebrauchstee habe, der auf den Namen „Fritjof“ hört. Wenn die verwegene Erkenntnis des Tages heißt, dass Wespen vegetarische oder gar vegane Ersatzwurst nicht als Nahrung anerkennen. Sie optisch zwar von ihr angezogen werden, sie kopfschüttelnd nichts davon absägen und sich anschließend akribisch alle Füße reinigen, mit denen sie darauf herumgetrampelt sind. Auch gut, dann muss ich wenigstens nicht teilen. Wenn der wochentägliche Hauptaufreger bedeutet, beim Teekochen jeden Schultag wieder Privatschüler zu beobachten, die sich, ihre aktuellen iPhones gezückt und (für was auch immer) eingesetzt, im Schutze der Mandelbäumchen vor meinem Küchenfenster vor Lehrern oder Hausmeistern verstecken, um danach schnell über den Zaun zu klettern und sich anschließend unauffällig schlendernd auf dem meist leeren Schulhof zu bewegen. Ob ich ihnen zu verstehen geben sollte, dass ich sie sehe? Dass Cyber Mobbing verwerflich ist? Dass mein Schweigen kostet (Notiz an mich selbst: Bei den Forderungen nicht am falschen Ende sparen!)? In jedem Fall ärgere ich mich schon fast, dass ich mit meiner Mandelbaumhege - die ich im Gegensatz zur Zierkirsche daneben von ihren befallenen Ästen erlöst habe resp. erlösen konnte und somit am Leben erhielt - ein Biotop für schnöselige Blondknäblinge erschaffen habe. 
Spätestens heute Nacht werde ich wissen, ob ich einen solchen Abend überstehen kann. Sollten meine Fotobeweise auf den üblichen Netzwerken irgendwann abrupt abbrechen, war es vermutlich zu viel.

(Natur, ohne Eindringlinge)

Dienstag, 15. September 2020

Meinetwegen

Wenn es nach mir ginge, dürfte es bis Weihnachten so bleiben: eine Mittagspause bei 30° und Sonnenschein auf dem Balkon. Home Office sei Dank sogar ohne die Notwendigkeit, den Temperaturangaben Drei-Wetter-Taft hinzuzufügen. Mein aktueller Standort mag zwar - wie in der Werbung damals - Hamburg sein, aber es ist eben nicht der Flughafen sondern mein windgeschützter Balkon. Wenn ich noch eine kleine Anregung geben sollte: es könnte abends erst etwas später dunkel werden. Ich fürchte, allein daran wird deutlich, dass es eben nicht um mich geht.

Montag, 14. September 2020

Nicht fair

Natürlich nehme ich den ersten hausgemachten Schnupfen des Jahres mit. Kein Wunder, wenn selbst die High Potential-Klimazone meiner Wohnung, der Balkon - wie in den letzten Wochen - nur noch kalt und nass ist. Natürlich kommt die Erkältung pünktlich am Wochenende mit Einzug des schönen Wetters auf und vereitelt Ausflugspläne. Natürlich hat sie sich auch am Montag nicht so weit gegeben, dass ich mich wieder gesund fühlte. Aber eben auch nicht so krank, dass ich reinen Gewissens meinen Einsatz in Heimarbeit aussetzen könnte. Natürlich beginnt der Montagmorgen kurz nach sechs Uhr damit, dass die direkt neben meinem Ohr verorteten Altglascontainer geleert werden. Ich werde mich nicht dahingehend wiederholen, dass die serienmäßig festgesetzten Entsorgungszeiten montags früh deutlich außerhalb der statthaften Einwurfzeiten liegen. Damit rechnen sie bloß! Ich kann aber sagen, dass ich das allwöchentliche Spektakel dann besonders ungern vernehme, wenn die Nacht vorher schon nicht allzu erholsam war (siehe oben). Immerhin nehme ich ziemlich altruistisch und wohlwollend zur Kenntnis, dass die Entsorgenden anders als bei konventionellem Abfall sogar die zahlreichen, auf dem Boden um die Behälter gescharten Flaschen einzeln in ihr Müllauto werfen. Damit kann die Zeit bis 6:40 Uhr locker überbrückt werden. Natürlich geht der Montag prototypisch weiter, als der Chef den Wochenauftakts-Call mit den Worten eröffnet, jetzt noch zwei-drei warme Tage und dann sei es für dieses Jahr vorbei. Auch wenn er auf widersinnige Weise selbst zu dieser Erkenntnis gekommen sein mag, soll er sie aus Gründen der Moral doch bitte für sich behalten. Ich möchte das nicht.

Freitag, 11. September 2020

Umorientiert

In der aktuellen Unzufriedenheit, hervorgerufen durch anhaltende Heimarbeit, reduzierte Sozialkontakte und Herbststimmung, gewinnt eine neue berufliche Ausrichtung an Attraktivität. Pensionsmuddie macht sich bestimmt gut auf jeder Visitenkarte. Meine Ausbuchungsquote erfüllte derzeit einen Gutteil der Hoteliers mit Neid. Wäre da nicht das Manko, das häusliche Organisation nicht unbedingt mein zweiter (und dritter) Vorname sind. So warte ich schon einmal am falschen Abend auf meinen Logiergast. Passiert. Immerhin komme ich bei der Gelegenheit dazu, Küchenschränke zu entrümpeln. Eine Teesorte namens „Purple Rain“ kann trotz schönen Namens den Weg alles Irdischen gehen, wenn ihr Mindesthaltbarkeitsdatum im Jahr 2009 liegt. Obwohl mein Pensionsbetrieb (noch) nicht ganz rund läuft, bereitet er mir viel Freude. Selbst ohne Bezahlung. Die Stielaugen der Nachbarin sind Lohn genug, wenn schon wieder ein anderer gutaussehender Mann meine Wohnung verlässt.

Mittwoch, 9. September 2020

Blasphemisches?

Neulich war ich zu Besuch in einem Haushalt, in dem auch ein Plüschhund des Namens „Gott“ lebt. Auch wenn ER alles sieht, vermeide ich aus Personenschutzgründen, Details zu Größe, Rasse und Aussehen anzugeben. In jedem Fall erinnerte mich die Erwähnung des Herrn an eine Situation mit dem Sohn. In einem früheren Leben, als wir noch in einer anderen Wohnung im beschaulichen Dorf lebten. Es begab sich zu der Zeit, als beide Kinder den Windeln entwöhnt waren und kein verantwortungsvoller Elternteil sie noch länger in Gitterbetten (die Tochter) oder gar im Laufstall (der Sohn) hätte weiter schlafen lassen können. Sie bekamen ein Doppelstockbett, das wir nach einiger Zeit und vergleichsweise wenig Fluchen aufgebaut hatten. An die feierliche Präsentation der neuen Schlafgelegenheit schloss sich die Frage an, wer welchen Platz für sich beanspruche. Ich rechnete mit zähen Verhandlungsrunden um die Position oben. Stattdessen meinte der damals gut Dreijährige bestimmt: „Ich bin Gott, also schlafe ich unten!“ Eine bestechende Logik. Ich hätte es zu meiner Zeit wahrscheinlich etwas anders ausgedrückt, aber recht hatte er. Zumindest wenn „Gott“ ein Synonym für „Angsthase“ ist.

Montag, 7. September 2020

So weit ist es gekommen

Nun werde ich also wirklich alt. Nicht nur in Ansätzen, ein bisschen vornean, sondern richtig. Diese Erkenntnis reifte (!) in mir nicht etwa, weil ich in Ermangelung anderer Blumen zum ersten Mal in meinem Leben Astern in den Balkonkästen gepflanzt habe. Das hätte ich wohl eher als klitzekleines Indiz verbucht. Nein. Ich habe heute Nacht auch zum ersten Mal in meinem Leben wegen Ruhestörung die Polizei gerufen. Gegen 2 Uhr wachte ich (!) davon auf, dass mindestens eine Person in fremden Zungen oder drogeninduziert unverständlich im Park nebenan herumkrakeelte. Als nach längerer Zeit immer noch nicht an Ruhe zu denken war, verzweifelte ich langsam. Schließlich ist ein Montagmorgen schon ohne Schlafdefizit schlimm genug. So überlegte ich, aus dem Fenster zurück zu schreien. Doch ich traute mich nicht. In meinem Schlafzimmer lebe ich ohnehin ziemlich exponiert - und war zusätzlich auch noch allein zuhause. Nicht alles an Sturmfreiheit ist gut. Nach langer Lösungsfahndung hatte ich die für die Uhrzeit bahnbrechende Idee, das Problem outzusourcen und 110 anzurufen. Rechnete ich mich bisher eher der „Ach, Du Scheiße, die Polizei! Welche Nachbarn haben kein eigenes Leben, dass sie sie so früh bei dem bisschen Party kommen lassen?“-Generation zu, gehöre ich damit jetzt wohl zur anderen, graueren Seite. Vor allem, da ich mich wirklich freute, als die Kontaktbereichsbeamten entgegen der telefonischen Ankündigung vergleichsweise schnell anrückten und für Ruhe sorgten, indem sie den/die Delinquenten mitnahmen. Viel ausgeschlafener als die Idee, die Polizei zu rufen, fand ich am Ende allerdings meinen Dreh, den Wecker auf eine Stunde später zu stellen. Netto stimmte die Zeit dann wieder.

Freitag, 4. September 2020

Wellen

Die aktuelle Gefühlslage ist ein ewiges Auf und Ab. 
Im einen Moment bin ich gerührt über die Ankündigung des Sohnes, er komme gleich von seinem Spanienausflug nach Hause, der Corona-Test sei ganz schnell gegangen und habe vor allem gekitzelt. Im nächsten könnte ich ihn postwendend wieder aus dem Haus schicken, weil er sich aus seiner Quarantäne-Wohnung ausgeschlossen hat, wieder bei mir wohnt (Test negativ) und mich fortwährend mit der Frage terrorisiert, was es zu essen gebe. 
In der einen Sekunde sorge ich mich um ihn, weil er einen Sonnenbrand und Schnupfen hat, in der nächsten nervt mich, dass neben vielem anderen die Verpackungen des Erkältungsbads und der Bodylotion im Badezimmer herumfliegen. 
Kurz flackert der Gedanke „Undankbare Drecksbrut“ in mir auf, sofort frage ich mich, ob ich als liebende Mutter überhaupt so etwas denken darf. Wahrscheinlich nicht.
Auf der einen Seite kann ich das Kind nicht schnell genug loswerden, wenn es um meinen nach all‘ dem Durcheinander hart erkämpften sturmfreien Tag geht. Auf der anderen Seite finde ich mich sofort danach herzlos, ungnädig und den Nachwuchs ganz reizend („Viel Spaß, Mama, bei Was-Immer-Du-Vorhast!“).
Dem Sohn scheint es kaum anders zu gehen. Kaum, dass er hier durch die Tür war, gab er mir unaufgefordert das Geld für den Rückflug zurück. Muddie schon wieder gerührt. Nur wenig später fragt er mich, ob ich ihm Geld für ein S-Bahnticket geben könne. Muddies Einsatz hält sich in Grenzen, ihm bei diesem Problem zu helfen. Auch „Geteiltes Leid ist halbes Leid“ bringt mich an der Stelle nicht weiter. Eher im Gegenteil; ich denke sofort, dass er diese Flatterhaftigkeit wahrscheinlich von mir hat.
Dann finde ich es klimatisch angezeigt, einen Kuchen zu backen. Scheue im letzten Moment doch davor zurück, um nicht wieder um ein Haar auf eine murmelgroße Glaskugel zu beißen, die ich auf wundersame Weise im letzten verbacken habe - und mich noch immer frage, aus welcher Zutat sie dort hineinkam.
Mal denke ich, wie schrecklich herbstlich es schon ist, dann denke ich, das Ende des Sommers kann noch nicht angebrochen sein, schließlich habe ich gerade erst Meßmers Cold Tea für mich entdeckt.

Mittwoch, 2. September 2020

Verstanden

Es ist also wieder die Zeit des Jahres, in der es morgens schwer und schwerer fällt aufzustehen, weil sich die Welt außerhalb der Bettdecke kalt, dunkel und insgesamt unwirtlich präsentiert. In der ich mit offenen Schuhen zunehmend schief angesehen werde. In der der Balkon, egal wie gepflegt und gehegt, nicht mehr so richtig grün herüberkommt. In der ich mehr oder weniger bewusst in der Dauerschleife „Über Nacht“ von Element of Crime summe. „... und kaum, dass ich einmal nicht müde bin, ist der Sommer schon wieder vorbei...“ In der ich anfangen muss, mir Gedanken zu machen, an welcher Stelle alle Sommersachen überwintern sollen. Nicht dass ich von jeher eine besondere Freundin dieser Jahreszeit gewesen wäre. Ich glaube, das an der einen oder anderen Stelle bereits schon einmal vorsichtig angedeutet zu haben. In diesem Jahr trifft mich der nahende Herbstblues besonders schwer. Erstens weil meine diesjährige Zeitrechnung irgendwann im März steckengeblieben ist. Zweitens weil der normale Alltag auch in Top-Bedingungen derzeit ohnehin ein Kraftakt an Selbstmotivation ist; dazu braucht es garantiert kein schlechtes Wetter, Kälte und Dunkelheit. Einen positiven Aspekt der Situation mit Home Office und weiterhin reduzierten Sozialkontakten kann ich immerhin ausmachen: ich fühle mich seltener danach, anderen Menschen eine zu drücken, wenn sie mir dogmatisch wertvoll erklären, der Herbst sei die schönste Jahreszeit. Weil ich sie gar nicht erst treffe.



Dienstag, 1. September 2020

Passt alles

Vielleicht war ich einfach sprachlos und deswegen in der letzten Zeit stummer als sonst. Vielleicht war es einfach nur der Ärger. In jedem Fall passte alles zusammen. Grundbedingungen schaffte das Wetter, das vor der Zeit schon einmal Herbst spielen wollte. Als ob wir davon hier nicht mehr als genug hätten. Hinzukamen unerfreuliche Arbeitstage, die gekennzeichnet waren von Ignoranz, Ignoranz und Ignoranz. Dann folgte der ganze Quatsch in Berlin. Fast so sehr wie die eigentliche Veranstaltung ärgerte mich der mediale Umgang damit. Ja, das waren fast 40.000 Spinner und Spinnerinnen. Aber gebt ihnen doch mit den omnipräsenten Bildern nicht die Bühne, die sie mit ihren narzisstischen Störungen und ihrem anderen Wahnsinn so nötig brauchen! Es gibt schließlich - so hoffe ich - noch 81,6 Millionen vernünftigere Menschen in diesem Land. Empörend, berichtens- und anklagenswert finde ich nach wie vor, dass dieser Schwachsinn genehmigt, genau genommen: abgelehnt und dann wieder genehmigt wurde, während die Gedenkveranstaltungen anlässlich der Hanau-Morde unterbunden wurden. Das ist in meinen Augen das eigentliche Problem. Und es ist viel substantieller als die wirren Kundgebungen eines Promilles der Bevölkerung. Auch das Berufen auf Hoheiten der Bundesländer kommt mir in dem Zusammenhang furchtbar vorgeschoben vor. Großveranstaltungen, bundesweit bis zum Jahresende ausgesetzt - wie wäre es damit?
Wenn in dieser mentalen Gemengelage, sich am Sonntagmorgen um 8 Uhr der Sohn meldet, ob ich ihm einen Rückflug buchen könne, es gehe ihm nicht so gut, er wolle nach Hause zurück, er erkläre es mir da, ist die Stimmung im Untergeschoss des Kellers angekommen. Da kommt sie nicht heraus, wenn ich den anschließenden Vormittag damit verbringe, dem Drecksladen Ryanair ein Flugticket zu entlocken und das hiesige Umfeld zumindest gedanklich quarantänefein zu machen. Auch nicht, wenn ich anschließend der Tochter beim weiteren Um-/Auszug helfe und währenddessen auf kein Verständnis für meinen Ärger ob meiner spontan verlorenen Sturmfreiheit treffe („es geht jetzt mal nicht um Dich“ - ach ja, stimmt, das Schleppen und Hin- und Herfahren am Sonntag mache ich ja nur, weil ich so viel Spaß daran habe. „Dir dann noch viel Freude mit der 160x200 Matratze in der S-Bahn!“). 
Anhängerin einer Verschwörungstheorie gegen mich bin ich allerdings erst, seit die Getränkelieferung zweimal hintereinander misslingt, weil ich erstens nicht anzutreffen war (klar, Home Office!) und zweitens der Fahrer die Adresse nicht gefunden hat (klar, mit Navigationssystem, inmitten der zweitgrößten deutschen Stadt, die gerade im Zentrum bestimmt unglaublich schlecht kartografiert ist). Wenn das der Sommer war, freue ich mich richtig auf den Herbst.

(So soll ein Sonntagmorgen aussehen!)