Donnerstag, 5. November 2020

So ist es

Als positiv lässt sich immerhin vermerken, dass ich einige Tage sturmfrei hatte. Gut, noch besser wäre gewesen, hätte ich es vorher gewusst. Oder, dass das iPhone unterdessen aufgegeben hat, mich daran zu erinnern, in der Vorwoche, im Vormonat oder im Vorjahreszeitraum habe ich mich mehr als jetzt bewegt. Mehr als 3.000 Schritte sind nicht drin, Freundchen, wenn ein Tag im wesentlichen erschreckend viel Arbeit im Home Office zu bieten hat! Diese Lektion scheint es endlich gelernt zu haben. 
Im Zuge des erwähnten Arbeitsaufkommens bereitet es nur mäßig gute Laune, wenn wie gestern während eines Kundentermins, genau genommen während eines meiner Sprechparts darin, an meiner Tür sturmgeklingelt wird. Um den weiteren Fortschritt des Meetings nicht durch meine Bimmeldisco zu gefährden, erbarme ich mich und öffne. Ich sehe den abwandernden DPD-Mann und beschließe, dass mich seine Fracht unter diesen Umständen nicht kümmert. Dann entdecke ich jedoch, dass er etwas in der Haustür eingekeilt hat, um diese geöffnet zu halten. Unser Dorf mag zwar prinzipiell beschaulich sein, aber ganz ungefährlich ist so etwas hier nicht. Mit Verve schließe ich also die Tür, um schnell wieder an meinen Arbeitsplatz (meinem Kampfplatz für den Frieden) zurückzukehren. Dabei fällt der Scanner herunter, den der Paketbote als Keil eingesetzt hatte. In dem Moment sehe ich, wie er - in einer Hand ein Handy, in der anderen einen Auspuff - auf mich zugeschossen kommt. Ich solle sein Telefonat annehmen. Ich quake ihn an, ich sei in einem Meeting und sein Geschäft kümmere mich nicht, denn meins sei mir wichtiger. Kurzzeitig packt mich das schlechte Gewissen, mich mit diesem Verhalten nicht wesentlich von Rassisten zu unterscheiden, aber meine Anspannung ist größer; außerdem bin zumindest ich sicher, dass Hautfarbe oder Akzent meines Gegenübers keine Rolle spielen. Er insistiert, es sei mein Nachbar, ich solle mit ihm sprechen. Ich lasse mich breitschlagen, wenngleich enerviert, und melde mich mit meinem Namen. Stille. Dann ein Blöken aus dem Handy. Ob wir jetzt eine Konversation führen? Ich explodiere und weiß nun endgültig, dass meine Unfreundlichkeit nicht fremdenfeindlich motiviert ist. Wer da überhaupt sei, will ich wissen, und führe nochmals und noch ungehaltener aus, dass ich aus Gründen keine Zeit habe, die Christel von der Post zu spielen. Die Stimme am anderen Ende sagt: „Stefan.“ Ich überlege kurz. Der (erweiterte) Nachbar gleichen Namens hat einen leichten Sprachfehler. Er ist es also nicht. Irgendwann komme ich darauf, dass es der Freund eines anderen Nachbarn ist, den ich in diesem Sommer bei ihnen traf und da schon reichlich unsympathisch und von sich selbst eingenommen fand. Das kümmerte ihn wiederum wenig. Er wies mich in bester Gutsherrenmanier an, ich solle den Auspuff für besagten Nachbarn annehmen und vor dessen Wohnungstür legen. Da er anschließend sofort auflegte, konnte ich Einwände wie Rückenschmerzen und Gewicht des Dings nicht mehr loswerden. Ich quengelte mein „Gern geschehen!“ folglich ins Leere. Um meinem Unmut etwas Luft zu verschaffen, warf ich das schwere Teil krachend an die verabredete Stelle. So machte der Auspuff seinem Namen wenigstens alle Ehre. Im Meeting wunderten sich Kundin und die anderen Teilnehmerinnen, warum ich blasierte Kuh nicht auf ihre Fragen antworte. Was nehme ich nicht alles für meine lieben Nachbarn und deren Peripherie in Kauf?

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