Montag, 31. Oktober 2022

Planung

Zuerst wusste ich nicht, was ich von etwas ungewohnten Urlaubszeitraum halten soll. Nicht mehr ganz hochsommerlich hat das Meer nur noch etwa 25°, in die ich mich nur zögerlich taste, weil das Meer ölig und fast spiegelglatt hin und her wippert. Eine Brandung, die ungefähr der des Wannsees entspricht und für mich etwa die gleiche Attraktivität ausübt. Von Herbststürmen und entsprechend bewegtem Wasser nichts zu spüren. Auch die Sonne verhält sich verhaltener als sonst. Richtig klar in azurblauem Himmel habe ich sie in der guten Woche hier noch nicht gesehen. Sie verschanzt sich häufig hinter dem gängigen Hochnebel, der anders als sonst im Laufe des Tages nicht verschwindet, sondern meist zu echten Wolken, manchmal sogar grauen, anwächst. Unumwunden gebe ich zu, dass ich in diesem Klima ziemlich braun geworden bin. Ohne mir dabei jemals auch nur den Hauch eines Sonnenbrandes eingehandelt zu haben - die Sorge der Brut, ich könnte mir in meiner merkwürdigen Sucht nach Sonne und Licht, diverse Hautschäden zugefügt haben, erweist sich bisher als unbegründet.
Richtig gut gewählt ist der Zeitraum, weil mit dem anstehenden Feiertag morgen und dem Brückentag heute trotz fin de temporada richtig Zinnober veranstaltet wird. Zumindest dort, wo man noch geöffnet hat. Ein halbstündiges Feuerwerk des Blaulichts heute Nacht vor dem Tanzclub gegenüber. Langwierige Straßenräumungen mit Abschleppdienst und Polizei in verschiedensten Ausführungen, diverse Kehrmaschinen, die die Ecken ausfegten und später feucht durchwischten, Absperren sowie Aufbau des Parcours und anschließend einem Rollschuh-Marathon direkt vor der Nase. Überraschend nur, dass der Nachbarsjunge nebenan ob des Spektakels aus Polizei- und Müllfahrzeugen so gar nicht in Ekstase geriet; meine Kinder hätte es damals in eine solche versetzt. Der eigentliche Lauf fand nach dreijähriger Zwangspause diesmal mit 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus vielen Ländern und noch mehr autonomen Regionen statt, wie ich der Lokalpresse entnehmen konnte. Von den Nachbarbalkonen erschollen immer wieder (für 42 Kilometer musste man schließlich sechsmal hier vorbei) die Allez!-Rufe, da die gelb-rot-gestreiften Trikots offensichtlich die beliebteste autonome Region der Hiesigen darstellen. Die Läufer der Spitzengruppe wirkten dabei wie verirrte Frozones aus „Die Unglaublichen“, die mit lustigem Surren über den Asphalt schwebten. Als dann auch die Kinder ihre eine Runde gelaufen waren, kam die schnelle Demontage der vielen gelben und roten Pylonen wie auch die Aufhebung des Parkverbots, um das beginnende Mittagsgeschäft der Gastronomie am Sonntag des langen Wochenendes (es war schließlich 14 Uhr) nicht zu gefährden. Dass die Absperrbänder der Polizei nicht entfernt wurden, halte ich für eine weitere Attraktion, die den zahlreichen, breitensportlich interessierten Touristen außerhalb der Saison angedient werden kann (das Meer ist ja unterdessen viel zu kalt, um sich darin zu betätigen): flächendeckende Möglichkeiten zum Street Limbo, das bei den vielen Trainingseinrichtungen hier mit Sicherheit bald olympische Disziplin wird. 
Nur eines habe ich nicht bedacht: Im Urlaub bekomme ich nicht richtig mit, dass dieses Wochenende ein nicht nur eine Stunde, sondern zusätzlich noch ein einen Tag  verlängertes ist. Dennoch gibt es nicht einen einzigen Grund zur Klage.



Mittwoch, 26. Oktober 2022

Fin de temporada

Die Saison mag beendet sein, doch hier wird alles gegeben. Anders als an Schleswig-Holsteins Küste beschränkt sich die Touristenzentrale nicht auf ein malerisches Möwendeputat am Strand. Die gibt es natürlich auch. Doch hier wird ebenso für gleichermaßen laue Wasser- und Lufttemperaturen gesorgt. Zugegeben, unterdessen sind die Planken zum Strand größtenteils demontiert. Aber immerhin wird noch jede zweite Strandbude betrieben und erfreut durch gastronomischen Service wie durch Elektrobeats oder lateinamerikanische Rhythmen. Der Himmel könnte sicherlich blauer sein, doch selbst die Einheimischen sind weit entfernt, eine weitere „ola de frio“ auszurufen (womit sie normalerweise schnell drohen). Einzig die Mücken bekommen sie nicht richtig in den Griff. Amigos, das hat selbst Brandenburg besser drauf! Gern geschehen übrigens für den Rainald Grebe Ohrwurm…
Was sie hier im Gegensatz zur deutschen Digitalisierungswüste richtig beherrschen sind niederschwellige und inklusive Social Media- Möglichkeiten. Selbst an Müllcontainern wird an 1A-Instagram-Grüße gedacht, die Jung und Alt mühelos anfertigen und an die armen Daheimgebliebenen schicken können. So geht echte Dienstleistung!



Samstag, 22. Oktober 2022

Gelohnt hat es sich eben doch

Alles unmenschlich frühe Aufstehen wird wettgemacht, wenn dafür ein erster Urlaubstag mit Wasser-Luft-Gleiche herausspringt. Zumal ich nicht mehr gerechnet habe, dieses Jahr die Galeere noch für längere Zeit verlassen zu können. Hier ist bei empfindlich kalten Temperaturen von über 25° für die Einheimischen natürlich die Saison gelaufen, man will sich ja nicht den Tod holen. Einzige Badende sind bleiche, ausländische Kinder, deren nordische Hottentotteneltern ihrer Aufsichtspflicht offenkundig nicht nachkommen. Es ist also alles wie immer - und doch alles anders. 
Zur Konstante gehört der dubelige Hauptstädter aus dem Haus, der wie üblich erfolglos versucht, dem Meer zwischen allen Strandbesuchern mit seiner selbst für meine Laienaugen schlecht platzierten Angel irgendwelche Fische zu entlocken. Den letzten Rest, den das Gewusel um sein Fischfanggerät nicht schafft, erledigt er durch hektisches Auf- und Ab-Rennen zwischen Waterkant und Klappstuhl, den er vollkommen nutzlos in den Sand gestellt hat, weil er ohnehin keine Ruhe zum Hinsetzen hat. Die gleiche rastlose Betriebsamkeit legt er sonst nur beim Be- und Entladen seines madrilenischen Autos an den Tag. Ich kann mich nicht entscheiden, welches Schauspiel sehenswerter ist. 
Zum üblichen Geschehen gehört auch, dass nach Kalender alles abgetakelt wird, mögen die Bedingungen noch so touristisch lohnend sein. Nach dem Tag der Spanischkeit (Feiertag, Ehrensache!) wird hier eben immer abgebaut, das war schon immer so. Genauso gehört zum Ritual, dass ich vom Strandspaziergang nicht nur mit sandigen, sondern auch mit klitschnassen Hosenbeinen zurückkehre. Nur gut, dass ich die Ungeschicklichkeit mit polarer Robustheit kompensiere und nicht tragisch an Eisbeinen verende. TeufelskerlInnen, diese NordeuropäerInnen.





Sonntag, 16. Oktober 2022

Mal wieder Herbst

In einer Woche, die ausschließlich aus Montagen (mit hartem G gesprochen!) zu bestehen schien - wobei der eigentliche noch der beste war, weil es da zumindest den Geburtstag des Sohnes zu feiern gab -, tut es wohl wenigstens ein Wochenende zu haben, das seinen Namen verdient. Der Herbst tarnt sich mit warmen Temperaturen. Wenn ich nur die Augen schließe, kann ich mir eine andere, schönere Jahreszeit vorstellen. Es ist dann eben nicht mittags, sondern morgens früh, weil die Sonne so niedrig steht. Das ist der weitere Nachteil dieser dreckigen Jahreszeit: minimales Licht durch die Kombination aus tiefstehender Sonne und noch vergleichsweise viel Laub an den Bäumen (zumindest an den Akazien vor meinen Nordseitenfenstern). Mit geschlossenen Augen sehe ich nicht das fallende Laub oder die gammelige Gelbfärbung der Pflanzen um mich herum. So fühlt sich alles gut an. Alles? Nicht ganz. Selbst blind höre ich noch, wie die Bucheckern und Eicheln bei jedem Windstoß - und von denen gibt es im Norden und vor allem im Herbst einige - lautstark auf Köpfe, Boden und vor allem Autodächer knallen. Damit könnte ich sogar leben, gingen die Kopfnüsse (!) wenigstens auf die hölzernen Exemplare der richtigen Kandidaten nieder. Stattdessen erwischt es im Zweifel die falschen Nachbarn.






Sonntag, 9. Oktober 2022

Der Lauf hält an

Überraschend eigentlich, wie lange ich gebraucht habe, um den Dreh zu finden, ein herkömmliches Wochenende gefühlt zu verlängern - und dass ich dafür ein erweitertes im Herbst brauchte, bekanntlich nicht meiner favorisierten Jahreszeit. Unbewusst habe ich den gleichen Trick wie beim letzten angewandt: einfach Erfreuliches und Entspannendes auf den Donnerstag und Freitag legen, dann können zumindest Teile dieser Tage gedanklich bereits der Freizeit angerechnet werden. Der Plan ging auch diesmal auf, Date am Donnerstag und Friseurbesuch am Freitag sei Dank. Dass er funktionierte, ist umso überraschender, als ich am Samstag ab 8 Uhr morgens auf Standby sein musste, da sich die Handwerker für restliche Arbeiten angekündigt hatten. Zu dieser Uhrzeit ist mein Biorhythmus normalerweise darauf getrimmt, vorsichtig ein Auge einen kleinen Spalt zu öffnen und ihn schnell wieder zu schließen. Nicht der unerheblichste Vorteil erwachsener Kinder. „Die Boys“ (der Sohn) erschienen auch nur mit einer Verspätung von vier akademischen Vierteln. Zeiten, von denen die Deutsche Bahn träumt, in denen mir dennoch der eine oder andere Seufzer ob des verpassten Schlafs über die Lippen ging. Um den Männern bei ihrer Arbeit nicht im Weg zu stehen, tat ich parallel ein gutes Werk und fegte draußen die am Boden liegenden Blätter rund ums Haus weg. Inmitten des braunen Blattwerks fand sich etwas Blaugrünes, das sich als Fünfeuroschein entpuppte. Das Geld liegt eben doch noch auf der Straße. „Der warme Regen“ (der Sohn, immer in Anführungszeichen, mich zitierend; letzthin meinte er, er sei in einem kalten Regen gekommen, was ich nicht sofort verstand und mich sorgte, er sei nass geworden, stattdessen nahm der Automat nur einen Bruchteil der Pfandflaschen an) kam am Vorvortag des Sohngeburtstages umso passender, als er der Meinung ist, Geburtstagskarten ohne Geldscheine seien eine Zumutung. Das wiederum tut mir weh, schließlich wähle ich Karte wie Worte immer mit viel Bedacht aus. Mit dem krumpeligen Minimalschein jedenfalls verliere ich nicht das Gesicht.
Derart beseelt konnte ich anschließend fast darüber hinwegsehen, dass dieses Jahr kein einziger Schnickschnackladen, Drogerie- oder Supermarkt auch nur irgendwelche orange Dekoration anbietet (es sei denn, es ist ein Fratzenkürbis). Wofür habe ich den Sohn so vergleichsweise kurz vor Halloween zur Welt gebracht, wenn nicht mal mehr funktioniert, Deko in der Allzeit-Lieblingsfarbe des Sohnes zu bekommen? Doch selbst dieser Kulturpessimismus kann mir die Wochenenderholung nicht nehmen.



Sonntag, 2. Oktober 2022

Ein Wochenende der Meisterklasse

Schon am Donnerstag war mir klar, dass das kommende ein Premiumwochenende würde. Nicht nur weil es einen Tag länger läuft als die handelsüblichen. Sondern auch, weil es bereits am Vizefreitag einen Vorgeschmack vermittelte, als ich - zum ersten Mal seit meiner C-Infektion wieder vor Ort in der Agentur - nach getaner Arbeit mit geschätzten Kollegen versackte. 
Die Freude am nahenden Wochenende wurde umso größer, als die Bauarbeiten in unserer Wohnung bereits am Donnerstagabend stillgelegt wurden und nicht in den Freitag hineinragten. Das bescherte mir am Morgen mehr Schlaf (umso wichtiger, als ich am Vorabend wie gesagt lange aus war) und befreite mich von einer ersten, vorläufigen Abnahme (Zustand vor Fensterbänken). Diese wurde stattdessen vom Sohn erledigt, der mir attestierte, „die Boys haben emsig malocht“, sowie ihnen, sie haben „dobre robota“ geleistet. Ich wusste doch, dass er nach mehreren Stunden Kontakt zu den polnischen Fachkräften ihre Sprache ausreichend beherrschen würde. 
Zur weiteren positiven Besonderheit des Wochenendes trug bei, dass ich zum ersten Mal seit ich-weiß-nicht-mehr-wie-lange diverse Verabredungen geplant hatte. Freitagabend ein vergleichsweise früher Feierabend, um die Kino-Vorstellung um 19:40 Uhr zu erreichen. Gut, für Auftakeln reichte die Zeit dann nicht mehr. Ich daher in diesem Räuberzivil im Deluxe-Kino, das man eben so trägt, wenn man am Vorabend versumpft ist und es bei der Heimarbeit definitiv mehr um Bequemlichkeit als um Außenwirkung geht. Lediglich die dicken Socken wurden durch Straßenschuhe ersetzt (entgegen meinem Gesetz bereits am 30.9. geschlossen). Der Film, Mittagsstunde, ist in jedem Fall eine Empfehlung, auch wenn wir ihn nicht im plattdeutschen Original mit deutschen Untertiteln sahen. Und wenn man davon absieht, dass die Tanzgruppe anders als im Roman nicht „Linientänzer“ heißt sondern langweilig unter „Line Dance“ läuft.

Am Sonnabend standen ausnahmsweise nicht nur die ausgedehnten Einkaufsrunden an. Geplant waren außerdem ein frühes Abendessen mit der Tochter und anschließend ein gemeinsamer Stadionbesuch. Mein erstes Flutlichtspiel. Und da heißt es immer, im fortgeschrittenen Alter gebe es keine ersten Male mehr. Atmosphärisch war es wie üblich Weltklasse am Millerntor. Ich erntete wieder einmal und wie zu erwarten war ein „Mama, das geht gar nicht!“, als ich meinte, ich sei bereits in der ersten Halbzeit kontaktstoned. Spielerisch ging das torlose Unentschieden völlig in Ordnung. Ich habe dort (und im anderen Stadion weiter nordwestlich!) schon Spiele gesehen, die die Bezeichnung „Not gegen Elend“ eher verdient hätten, aber berühmt war es nicht.

Heute Abend bekomme ich Besuch. Wenngleich die Wohnung bis dahin zumindest noch auf mitteleuropäischen Sauberkeitsstandard gebracht werden muss. Das ist zum einen eines der wenigen Mankos an diesem Wochenende, zum anderen eine echte Herkulesaufgabe, da die Dämmarbeiten in der Wohnung eine wirklich überall eine etwa einen Zentimeter dicke Baustaubschicht produziert haben. Immerhin habe ich auf die Weise auch morgen noch Programm.