Freitag, 25. Dezember 2020

Weihnachten 2020

Es begab sich zu der Zeit, als das Gebot eines saisonalen Geflügels über uns erging. Also machten wir uns einen Tag vor Heiligabend auf, welches im niedersächsischen Umland zu besorgen. In einer Nebelsuppe, die selbst bei meiner Mutter nicht mehr als ihr oft konstatierter „Hochnebel“ durchging. Es war auch ohne Sicht schön, mal wieder aus der Stadt herauszukommen. Vor allem, da ich als Beifahrerin auf den Ortseingangsschildern aufmerksam die niederdeutschen Ortsnamen verfolgen konnte. Vermittelt fast etwas wie Urlaubsgefühl: ist doch egal, ob der Zweitname auf katalanisch oder auf plattdeutsch geschrieben steht. Exotik kommt schließlich auch bei „Öbelgünne“ auf, was komplett anders klingt als das ach so hochdeutsche „Övelgönne“. Unsere Destination erwies sich als bestens organisiert. Ein Pavillon mit zwei Eingängen wies uns den Weg zur Enten- oder Gänsegruppe. 

Erste Zweifel kamen auf, als eine Dame vor uns schwer beladen mit zwei durchsichtigen Plastiktüten, die ob der Größe des Geflügels bald auf dem Boden schleiften, das Zelt auf der Entenseite verließ. Mutierte Vögel, die in den Nähe des Atomkraftwerks aufgezogen wurden? Zum Glück zeigte sich unsere Gans nicht größer als die artverwandten Vorgängervögel. Zusätzlich erfreut wurde ich durch den Hinweis des verkaufenden Landwirts, ich könne mich bei Interesse „in die Hähnchen-Gruppe (WhatsApp) eintragen“. Obwohl die Liste vielleicht nicht ganz den Regeln der DSGVO entsprach, setzte ich mich natürlich gerne darauf. Nun bin ich sehr gespannt auf erste Nachricht aus meiner neuen Lieblingsgruppe. 
Zuhause angekommen zog ich in einem lichten Moment den recht ausladend vor der Wohnungstür liegenden Tannenbaum ins Wohnzimmer und stellte ihn dort unter Mühe in eine Ecke. Als ich anschließend Besuch bekam, stand dieser irgendwann nach dem Genuss einiger Gläser Glühwein kommentarlos auf, schnappte sich - im Gegensatz zu mir mühelos - den Baum und fragte mich, wo er stehen solle und später, ob er nicht schief stehe. „Ach, was! Das ist Natur!“ Sein Zupacken sparte mindestens eine Stunde, die ich gedanklich dafür veranschlagt hatte und die in der Vorweihnachtszeit mehr als doppelt zählt. 
Für den Vormittag des Heiligen Abends standen noch die letzten Einkäufe an. Auch sie brachten unerwartete Zeitersparnis mit sich, denn weder vor dem dörflichen Edeka, noch an der Kasse mussten wir anstehen. Die Honoratioren des Dorfes brachten ihre Zeit wahrscheinlich in den Schlangen des Wochenmarktes zu. Die wenigen Menschen kamen mir gelegen, denn ich musste mich mit roten Augen in die Öffentlichkeit wagen. Bin ich doch die einzige Person unter der (aktuell leider sehr tief stehenden) Sonne, die es schafft, sich bei dem Versuch, die Öffnung ihres Flakons zu reparieren, eine nicht unerhebliche Menge Parfüms in die Augen zu sprühen. So groß war der Zeitgewinn am Ende nicht - und der Verschluss kein Stück besser.
Mir blieb dennoch genügend Muße für den Konzeptbaum. Die erste, minimalistische Idee verwarf ich vergleichsweise schnell, da sie mir als übertriebene Lustlosigkeit hätte ausgelegt werden können.

(Als ob der kleidsame Fuß des Sohnes nicht ausreichend Deko wäre!)
Ich warf meine Weihnachts-Playlist an, die am Vortag bereits den Besuch „impressioniert“ hatte, und machte mich ernsthaft an die Arbeit. Leider unterliege ich dabei einigen Zwängen. Gaspare, Melchiorre und Baldassarre müssen in der richtigen Reihenfolge und himmlisch oben angebracht werden, Kugeln von oben nach unten größer werden, die einzelnen Themenbereiche ihren eigenen Platz und Glanz haben, Fliegenpilze müssen - Natur eben! - nach unten. Hinzu kam der Hinweis des Sohnes, eine Spitze fehle. Opferte ich eben meine Mütze. Im Schmückprozess, als noch die Leiter daneben stand, tauchte die Tochter auf und intonierte lediglich ein kurzes „Oh.“. Ich nehme an, es lag an Größe und Volumen des Baumes. Als ich das dritte Mal „Jauchzet, frohlocket...“ anstimmte (kein Wunder, dass ich diese Aufgabe alleine übernehmen sollte), sah ich mein Werk an, und es war gut.

(Wen kümmert da Unordnung?)
Die eingeschränkten Einkaufsmöglichkeiten limitierten nicht die allgemeine Freude über die Geschenke. Die Kinder freuten sich fast am meisten über ihre eigenen USB-Feuerzeuge (à 6,95€ von dm). Der Sohn gestand seinen Großeltern, seine Schwester und er haben sich im Advent über mein Exemplar „fast gestritten“. Ich striche „fast“. Wie viel macht das in österreichischen Schilling? 

Der Sohn war ebenso begeistert über sein fettes Küchenmesser - unter Mühen konnte ich ihn davon abhalten, es an „Pannenbaum“ (die Tochter damals) oder Kerzen einzusetzen. Das Bauernopfer einer gevierteilten Mandarine gab ich gerne - Fest der Liebe eben. Auch sein Reiskocher kam gut an. So gut sogar, dass er nach opulentem Weihnachtsmahl noch 700 Gramm (im trockenen Zustand) Reis darin kochte und diesen zu einem Gutteil inhalierte. Sein Codename lautet nicht umsonst unter anderem „Elise, der Ameisenbär“. 
Gut auch, dass er dadurch am ersten Weihnachtstag noch ein paar Reisreste hatte. Oma hatte die Kartoffelmenge zur Gans nicht ganz an den Kohlenhydratbedarf ihres jüngsten Enkels angepasst. Beim Geflügel handelte es sich um außerordentlich gutes Material, das von meiner Mutter in Perfektion zubereitet wurde. Das Wetter lud vorher zum Glück zum Spaziergang ein, der ausnahmsweise auch ohne Besuch eines portugiesischen Cafés zu schaffen war. Meine Vermutung ist, dass sich der Kalorienverbrauch der ansonsten exklusiv betriebenen Sportart Kniffeln in Grenzen hält. 
Die Tradition schreibt losgelöst vom Ausmaß der Bewegung und von der Anzahl der vorherigen Mahlzeiten vor, dass es am zweiten Feiertag selbstgebackenen Baumkuchen gibt. 

Dafür war allerdings unsere Medaillenhoffnung der Disziplin Kalorienvernichtung nicht mehr vor Ort. Der Sohn hatte sich schon vor dem Frühstück zu den Eltern seiner Freundin (und ihr) ins südliche Niedersachsen abgesetzt. Ich hoffe, sie wissen, dass sie mit der Einladung ein Weihnachtswunder der anderen Art erwartet. Fast so groß wie das, das dem knapp fünfjährigen Nachbarssohn begegnete: er war im Nachhinein angetan, überhaupt Weihnachtsgeschenke erhalten zu haben, seien dem senioren Weihnachtsmann als Mitglied der Risikogruppe doch eigentlich Besuche in anderen Haushalten verboten.





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