Sonntag, 1. November 2020

Allerheiligen

In den letzten Tagen dachte ich oft: Ein Unglück kommt selten allein. Zu allen alltäglichen Unbilden kam hinzu, dass die Woodstock-Tasse verschwunden war. In meinem mütterlich-antrainierten Ritual verfiel ich selbstverständlich in eine Verhaften-Sie-die-üblichen-Verdächtigen-Haltung und fragte den Sohn, ob er sie in seine Räuberhöhle verschleppt habe. Er wies dies empört von sich und gab mir zu bedenken, ich solle „mich an die letzten Male erinnern und ihn nicht wieder zu unrecht akkusieren“ (seine Worte, nicht meine). Im Rahmen einer paradoxen Intervention rollte ich heranwachsendengleich mit den Augen und sagte nichts, schließlich wusste ich altersgemäß alles besser. Um die Tasse zwei Tage später im Bücherregal wiederzufinden, wo ich sie hingestellt hatte, nachdem ich mein abendliches Heißgetränk ausgetrunken hatte. Zu meiner Ehre gereicht vielleicht, dass ich ihm nach dem Fund eine Nachricht schickte und ihm darin recht gab. Trotz dieses Schnitzers war mein seelisches Gleichgewicht wiederhergestellt. Ich beschloss daraufhin, es mit dem von mir geschätzten David Byrne zu halten und in nächster Zeit vor allem „Reasons to be Cheerful“ aufzulisten.
Da wäre zum Beispiel der von meinem Vater angekündigte „Goldene November“, der im Gegensatz zum gesamten Vormonat bereits am ersten möglichen Tag Einzug hielt.
Da wäre außerdem das ganz anständige Gulasch, das ich gekocht habe. Zugegeben, es ist vielleicht nicht ganz so gut wie das meines Vaters, aber eben sehr leckeres Herbst-Soulfood.
Oder das gemeinsame Laubfegen mit zwei Nachbarn, das wir in der richtigen Anzahl und Zusammensetzung mit lauter Beschallung (damit die Nachbarschaft auch den Einsatz der Feierabendbrigade unbedingt bemerkt) gut gelaunt am ansonsten nutzlosen Feiertag zügig erledigten. 
Oder dass wir an ebendiesem Feiertag von den sonst üblichen Auswüchsen keltischen Brauchtums verschont blieben und keine Eier an den Fensterscheiben wiederfanden. 
Oder dass wir zur Feier des Tages, der getanen Arbeit und der letzten Möglichkeit noch einmal feudal Essen gingen.
Oder dass auf dem Rückweg der Vollmond so schön schien. Und wir die Hoffnung haben können, dass zum nächsten Vollmond schon wieder viel mehr erlaubt sein könnte.
Wen kümmern da weitere vier Wochen auf Sparflamme?



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