Mittwoch, 28. April 2021

Dienstag ist der neue Montag

Die Beschaulichkeit unseres kleinen Dorfes bekam in den letzten Stunden Kratzer. Wenn ein amtierender Nachbar von einem zum Glück ehemaligen hier im Haus mehr als nur Kratzer verpasst bekommt, fühlt es sich eher wie Leben im Brennpunkt an. Nebenbei war das Home Office nur bedingt nutzbar, weil die Technik nicht mitspielte. Immerhin hatten die IT-Jungs vergleichsweise schnell eine nahezu funktionierende Lösung. Dann fiel allerdings noch mein Wasserkocher aus. Die Kaffeemaschine hatte schon in den Tagen davor aufgegeben. Langsam nahm ich es persönlich. Zumal ihr Ableben saisonal nicht passt: gehen Haushaltsgeräte doch traditionell im Vorfeld höherer Feiertage von uns. So will es die göttliche Ordnung. Kurzzeitig überlegte ich, ob ich die IT-Spezialisten auch auf meine Küchengeräte ansetzen sollte - so groß war meine Not ob des Koffein-Mangels -, verwarf die Idee letztlich. Ich wollte die Jungs nicht zu lange mit meinen Belangen belagern. 
Heute wird bestimmt alles besser. Die neuen Maschinen sind bestellt. Man muss ja auch an die Wirtschaft denken.



Montag, 26. April 2021

Jetzt mal ernsthaft

Nahezu klaglos habe ich hingenommen, dass seit einigen Jahren „erinnern“ fast ausschließlich transitiv verwendet wird und dass alles „Sinn macht“. Zwar bin ich noch davon entfernt, diese Wendungen in meinen aktiven Wortschatz aufzunehmen, aber immerhin rüge ich mein nahes Umfeld nicht mehr, wenn sie sie in dieser Form nutzen. Nebenbei bemerkt: Der stete Tropfen höhlte den Stein so oder so, denn meine Brut erinnert sich meistens und findet Dinge eher sinnvoll. 
Meine Nachsicht endet jedoch allmählich. Seit vermehrt von „Sinnhaftigkeit“ (von Maßnahmen o.ä.) gesprochen wird. Wo bitte ist Euer vielgenutzter und gemachter Sinn geblieben? Was ist nun gegen den guten, alten Sinn einzuwenden? Worin liegt der Vorteil der zehn zusätzlichen Buchstaben? Die Attraktivität des Wortes will sich mir nicht erschießen. Vermutlich liegt es an mir. 
Was ich immerhin vermag: den Sohn ans Putzen zu bekommen. Spielerisch sozusagen. Das scheint auch bei jungen Erwachsenen zu funktionieren. Am Wochenende ging ich zu „Zweimal-Hin-Doch-Nicht-Alles-Drin“. Dort besorgte ich unter anderem einen Akku-Handsauger. Seitdem ist der Sohn oft und gerne in allen möglichen Ecken zu sehen, die er ghostbustergleich von ihrem Dreck befreit. Sollte sich der Effekt abnutzen, werde ich alle meine Energie in die Entwicklung eines leicht abgeänderten Pokémon Go-Spieles stecken, das eifrig Punkte fürs Wohnungputzen verteilt. Ein wenig hält die Begeisterung hoffentlich noch an. Gestern jedenfalls war das neue Spielzeug mit das erste, was er seiner Freundin bei ihrem Besuch präsentierte. Mit dem Hinweis: „Merkst du das? Der von Real saugt viel besser als euer Lidl-Modell!“ Zum Glück bemerkte sie es auch und teilte seine Meinung. Anders als letzthin, als er ihr gestand, Armin Laschet „sehe ein bisschen süß aus, mit seinen Backen und der Knoblauchnase“. Dieses verschämte Geständnis fand bei ihr weniger Zustimmung. Ich hielt es nicht für sinnvoll, es ihr dadurch näher zu bringen, dass er Ähnliches bereits über Gregor Gysi und Sigmar Gabriel gesagt habe. Es ist so wichtig, die Grenzen der Mutterrolle zu kennen.

(Auch am Wochenende: nicht etwa Masuren, sondern Hamburg)

Donnerstag, 22. April 2021

Aufblühen

Das Glück darüber, nicht mit Kinderbetreuung, Lehrerinnentätigkeit, Haushaltsführung und eigener 40-Stunden-Woche jonglieren zu müssen, will sich nicht mehr recht einstellen. Wahrscheinlich, weil es sich nicht über ein Jahr konservieren lässt. Vielleicht auch, weil sich der Ersatz „50-Stunden-Woche, Haushalt, Einsamkeit“ nicht deutlich mehr zur Ausgelassenheit eignet. Immerhin habe ich die Arbeitsbekleidung für die Situation gefunden: einen Hoodie mit der Aufschrift „Ödnis - Will sie denn nie verwelken?“. Ein weiteres, fast ebenbürtiges Highlight: der Hibiskus in meinem Home Office hat eine (in Worten: eine) Blüte. Wenn das kein Hoffnungsschimmer ist, dann weiß ich auch nicht.



Samstag, 17. April 2021

Immerhin

Nachdem in den letzten Tagen Gehwegplatten in mein Mosaik der Enttäuschungen gelegt wurden, bleiben mir vor allem zwei Dinge zur Erbauung: das Wetter, das nun endlich einmal das Attribut Frühling verdient, und wie üblich Worte. Zum einen natürlich die geschriebenen, zum anderen die gesprochenen, die ich trotz allem aufschnappen darf. Allein heute waren ein paar schicke dabei. 
Auf dem Balkon sitzend dröhnte eben beispielsweise die bio-schwäbische Nachbarin aus der Alterskohorte der Impfpriorisierten zu einer anderen Nachbarin über den Hof. Deren fragen nach ihrem Wohlergehen retournierte sie erst mehrmals mit: „Waaas? Ich verstehe dich nicht!“. Wohlerzogen wie ich bin, quakte ich nicht dazwischen, dass es „Wie bitte?“ heiße und was man in ihrer Generation noch an Umgangsformen gelernt habe. Zum Abschluss der nicht ganz reibungslosen Kommunikation widmete sie sich wieder ihrem Weinglas und befand, sie „gucke die englische Beerdigung“. Farewell mit Glimmer ist wohl auch das Mindeste, was der verschiedene 99-Jährige von ihr erwarten kann.
Am anderen Ende des Spektrums kamen mir beim Einkauf in unserem beschaulichen Dorf drei junge Frauen - aus der Altersklasse meiner Kinder, vermute ich - entgegen. Die eine rief den anderen beiden so laut zu, dass es selbst meine oben erwähnte Nachbarin noch vor dem Fernseher gehört hat: „Bruder, ich guck‘ keine fucking Tagesschau!“ Daraufhin die andere kleinlaut: „Ich schon.“ Alles in allem geht doch nichts über eine gute Kinderstube.

(Warnung für alle, die sich in die Natur wagen.)

Freitag, 16. April 2021

Geschlossene Gesellschaft

Weit entfernt davon, Existentialistin zu sein und fortwährend schwarze Rollkragenpullover zu tragen (die ich seit meiner Kindheit in egal welcher Farbe ablehne, weil sie mich beklemmen, am schlimmsten sind die aus Wolle), denke ich doch seit geraumer Zeit immer häufiger an Sartres Theaterstück „Huis Clos“. Allem voran wegen „L’enfer c’est les autres“. Auch wenn die Worte ursprünglich bestimmt anders intendiert waren. Wir scheinen uns mehr und mehr zu einer Gesellschaft zu entwickeln, in der andere Menschen als ein, wenn nicht gar, das Problem angesehen werden, in der wir flächendeckend soziophob werden, die Kinder nur als Virenschleudern ansieht, Menschen mit teuer erkauftem Raucherhusten am liebsten in die Verbannung schickte und in der körperliche Nähe im wesentlichen als Bedrohung wahrgenommen wird.
Und selbst wenn ich unterdessen zu antriebslos bin, um meine Müdigkeit als störend zu empfinden, halte ich es mit dem Schlusssatz „Continuons!“. Vielleicht mache ich ab morgen sogar wieder mit weniger Düsterem weiter. Ist doch schließlich Frühling. Allein, Frühling ohne Nähe... ach, lassen wir das!

(So schön ist es immerhin in unserem beschaulichen Dorf kurz vorm Toresschluss beim Gang zum Altpapier-Container.)

Mittwoch, 14. April 2021

Eine Idee

Wahrscheinlich liegt es nur daran, dass die eigentliche Arbeit zu viel Zeit einnimmt, auf der einen Seite zu eintönig ist und auf der anderen zu sehr durchgeschüttelt wird. Jedenfalls denke ich darüber nach, welche alternativen Berufszweige gäbe. Ohne allzu selbstüberschätzend sein zu wollen, als Orthopädin wäre ich nicht schlecht, scheint mir. Meine Prognosesicherheit wirkt ähnlich brauchbar wie in der Mediaplanung. Vor meinem gestrigen Besuch beim Orthopäden prognostizierte ich, er werde auf die Heimarbeitsunbeweglichkeit hinweisen, mir manuelle Therapie und einen Schwung Ibus verschreiben. Was soll ich sagen? Genau damit lief ich kurze Zeit später wieder aus der Praxis. Da ich jedoch nicht weiß, woher ich die Umschulungsmaßnahmen „Unleserliche Handschrift“ und „Unverständliche Anatomie-Bezeichnungen Murmeln, für die die MTA nachfragen muss, um sie aufschreiben zu können“ erhalten kann, steht noch eine kleine Hürde zwischen mir und meinem neuen Berufswunsch. Das Ziel scheint nah.

Freitag, 9. April 2021

Nachlese

Oft neige ich zu Wiederholungen, wenn ich eine mehr oder weniger passende Redewendung aufgeschnappt habe. Sie kennen mich vielleicht aus: „Damit rechnen sie bloß.“, „Lösen wir später.“, „Mal was Verrücktes tun.“ oder „Wir beobachten das.“ 
Für Urlaubstage und Saison überraschend fand ich letzthin eine weitere Spezies (diesmal immerhin selbst kreiert), die ich seitdem in die Welt trage. Es war beim Weinhändler unseres beschaulichen Dorfes, der wegen seiner unstrittigen Systemrelevanz zum Glück geöffnet hat. Wenn auch aus Gründen nicht allzu früh am Morgen. Wir fanden uns am Vormittag dort ein. Da ich dort nur ein paar Kleinigkeiten besorgt hatte, beschloss ich, bar zu bezahlen („Mal was Verrücktes tun.“). Dabei klaubte ich meine Münzen so zusammen, dass das Wechselgeld in Hartgeld möglichst gering ausfallen konnte. Der Weinhändler sah mich - und vor allem die drei Münzen in seiner Hand - fragend an. Er wisse nicht, was er damit solle. Sich Mühe sparen zum Beispiel? Er murmelte grummelnd etwas wie „fürs Rechnen sei es zu früh“.  Daraufhin meine Replik: „Für mich ist es auch früh!“. Diese habe ich fortan vielfach in meinen aktiven Wortschatz aufgenommen. Passt mir häufig.
Kleiner Pro-Tipp als weitere Service-Leistung meinerseits: Auch hier macht der Ton die Musik. Damit sich die Wirkung voll entfaltet, muss der Satz unbedingt in larmoyant-vorwurfsvollem Tonfall vorgebracht werden, der leicht ins Mädchenpensionatsdirektorinnenhafte changiert.

Was war das Blaue da nochmal?





Dienstag, 6. April 2021

Ostern 2021

Es gab den Erlass, es müsse Ostern Spargel geben. Daher entfiel an den verkaufsoffenen Tagen viel Zeit darauf, welchen zu organisieren. Es grenzte schon fast an Beschaffungskriminalität. Unser beschauliches Dorf wartete mit keinem auf. So fuhren wir am Ende zweigleisig: einen Schwung vom Markt in Wandsbek und einen vom Großneumarkt. Auch gut.
Ansonsten wurde der Osterbeagle wieder ausgehfein gemacht, allerlei saisonale Dekoration aus den Schränken gezaubert, sowie Süßkram gebacken und verziert. 

(Den Kollegen unten links auf dem Bild nannte die Tochter übrigens „Selbstgebackenen Psycho-Lindt-Hasen“.) 
Dass ich am Ostermontag Geburtstag hatte, war ein schöner Abschluss der Feiertage. Ohne Schneegestöber wäre er aus meiner Sicht allerdings noch besser geworden. Aber das wäre wohl zu viel verlangt.

Samstag, 3. April 2021

Karfreitag

Für ein Jahr, das aus einer lockeren Aneinanderreihung ebensolcher Mottotage bestand, war der Karfreitag überraschend freudvoll. Erst ein opulentes Frühstück, dann ein Wandertag mit 1A Proviant, strammem Marsch, guter Unterhaltung und überraschend schönem Wetter. An- und abschließend eine selbst kreierte Poseidon-Platte mit frischem Fisch aus Lutetia. Dazu - liturgisch nicht ganz passend - das eine oder andere Glas Weißwein. Darauf lässt sich aufbauen. Wenn ich einiges ausblende, könnten die Aussichten auf die kommende Zeit schlechter sein.



Donnerstag, 1. April 2021

Gründonnerstag

Der Wunsch, Glück durch Rückzug ins Private zu erlangen, lässt sich nur bedingt erfüllen, wenn das außergeschäftliche Leben aus Auseinandersetzung mit der vermeintlichen Architektin, Kontobilanzen, Sondertilgung und Laufzeiten besteht. Kurz währt die Freude, die angebliche Fachkraft zur „Überwachung der Bauausführung“ (nicht, dass sie das hier jemals unter Beweis gestellt hätte) oberflächlich freundlich mit ihren eigenen Mitteln geschlagen zu haben. Dauerhaft ist doch auch dieses Thema ärgerlich und nicht geneigt, den allgemeinen Unmut abzubauen. Bleibt als Erbauung fast nur, mich am Gründonnerstag um das Grün in der eigenen Peripherie zu kümmern: florale Farbkonzepte auf dem Balkon durchzuziehen, strategisch Osterzweige in der Nachbarschaft abzusägen und großzügig Schnittblumen in der Wohnung zu verteilen. Letzteres kommentiert der Sohn, kurz von der PS4 aufschauend, mit botanischen Phantasienamen („Ah, Glyselien!“ o.ä.), im wesentlichen um Interesse vorzutäuschen. Gilt es doch die Mutter bei Laune zu halten, schließlich hat sie zum Ende der Osterfeierlichkeiten und ihres ausufernden Urlaubs Geburtstag.

Alles sprießt im Frühling - und diese Farbenpracht! Zuhause ist es doch am schönsten.