Freitag, 30. Juli 2021

Sort of Flamingo Friday

Irgendwie war klar, dass bundesweit der Server down sein würde, wenn ich versuchte, mir einen digitalen Impfnachweis (das Wort alleine!) zu besorgen. Das kam ungefähr so unerwartet wie die Systemabstürze bei der Arbeit, die bei mir fast ausschließlich mit der Meldung „Unexpected Exception“ einhergehen. Das Überraschungsmoment hält sich in engen Grenzen. Doch ich will hier nicht die Defätismusbeauftragte geben. 
Wie letztes Wochenende versuche ich heute die Strategie, Entspannung und Alltagsflucht über einen Standortwechsel zu erzielen. Mal sehen, ob der Plan aufgehen kann. So verbringe ich den späteren Teil des Flamingo Fridays in einem farblich wenig passenden - und auch ansonsten scheddrigen - quietschgrünen Zug auf dem Weg in die Hauptstadt. Das Gute an dieser Art der Reise ist, dass es mich nicht ständig an dieses Früher gemahnt, von dem alle sprechen. An einer solchen Zugfahrt hängen keine Erinnerungen. Und billig ist sie außerdem.
An meinem Ziel wird es wohl auch nichts mit dem digitalen Impfding, aber wen kümmert‘s? Nach bald zwei Jahren Abstinenz sind Berlin und Bahnfahrt wirklich Abenteuer genug.





Mittwoch, 28. Juli 2021

Echtes Leben

Vor lauter Real Life weiß ich gar nicht mehr wie ich meinen Alltag klar bekomme. Nicht nur, dass ich am Wochenende im Garten mehr oder weniger körperlich gearbeitet und mehrere Menschen außerhalb meines Haushalts getroffen habe. Gestern war ich auch noch live in der Agentur. So richtig mit Menschen, zumindest mit maskierten Menschen. Natürlich in viel geringerer Zahl als zu anderen Zeiten, aber doch deutlich mehr als an meinem Heimarbeitsplatz vorbeikommen. Von dieser Reizüberflutung muss ich mich nun erstmal erholen. War schließlich wie Weihnachten und Geburtstag zusammen, nachdem ich vor Ort eingelagerte Geschenke für beide Anlässe von dort mitnehmen konnte.

Freitag, 23. Juli 2021

Erstes Mal

Dieses Wochenende steht der Plan, endlich zu meinen Eltern zu fahren. Seit ziemlich exakt einem halben Jahr wieder einmal. Mal sehen, was dort im Garten brachial gerodet werden muss. Ausgleichssport, nie war er so wichtig wie heute. Um dem Sohn die Sturmfreiheit zusätzlich zu versüßen (und weil es den Pflanzen im Zweifel besser bekommt), beschloss ich, im Vorfeld alle Blumen in meiner Nähe großzügig zu gießen. Dabei flutete ich alle. Auf dem Balkon nicht weiter tragisch, bei denen, die vor meiner Wohnungstür auf Steinboden stehen, schon eher. Als ich kurze Zeit nach dem Gießen aus anderen Gründen dort vorbei lief, warfen mich die Pfützen auf dem glatten Geläuf prompt auf den Hosenboden. Zu allem Überfluss landete ich achtern im selbst ausgebrachten und durch Erde gefilterten Wasser. Ich werde dabei nicht allzu vorteilhaft ausgesehen haben. Doch das war egal, denn mein erster echter Sturz seit Einbau der Ersatzteile hatte außer der Peinlichkeit und einer nassen Hose keine Konsequenzen. Eine gute Bilanz. Der Ausfahrt steht also nichts im Wege. Umso besser, muss ich doch am heutigen Flamingo Friday unbedingt ein Pfund Kaffee mitbringen. Die Reise geht zwar nicht in den Osten, aber ansonsten ist es wie bei DDR-Besuchen detailgetreu Robusta-Plörre. Wat mutt, dat mutt - wie der Hanseat zu sagen pflegt.



Dienstag, 20. Juli 2021

Hinterher

Das Wochenende mit Ausflug an die See wirkt noch nach. Zum Glück nicht in verbrannter Haut. Sie sah gestern schon wieder sommerlich gefärbt aus, nun muss sie lediglich mit ihrer vorzeitigen Alterung klarkommen. Vielmehr bin ich gedanklich in Teilen noch andernorts verhaftet. 
Vor gar nicht allzu langer Zeit wurde mir bewusst, dass diese Drahtzäune mit Steinfüllung nicht nur als Schallschutzmauern an Autobahnen stehen, sondern - zumeist etwas niedriger - auch in zahlreichen Vorgärten. Als ich diese Erkenntnis überrascht zur Sprache brachte, klärte mich ein mir nicht unbekannter Mann auf, dass diese Art des Claim-Absteckens stellenweise recht verbreitet sei. Ja, er brachte mir gar den Namen für diese Scheußlichkeiten bei. Sie heißen Gabionenzäune. Endlich lernte ich mal wieder ein neues Wort. Das will sich in meinem mitgealterten Hirn jedoch nicht so richtig festsetzen. Als Service an dieser Stelle: die Eselsbrücke „Gladiolen“ ist nur bedingt tauglich. Doch am Sonntag sah ich nun die Steigerung, sozusagen den Gabionenzaun 2.0 - ja, den gibt es! Ein Stahldrahtgitter, in das Plastikfolien mit aufgedruckten Steinen geflochten wurden. Ich stellte mir vor, wie die Hausbesitzer an kalten, dunklen Winterabenden traut Folie durch Draht weben und zum krönenden Abschluss oben rechts stolz eine 5 auf die Folie kleben (die Hausnummer befand sich wirklich darauf). Wenn das nicht deutsche Gemütlichkeit ist, dann weiß ich auch nicht.



Montag, 19. Juli 2021

Sommerfrische

Gestern stand wieder ein Wandertag an. Da gefühlt das gesamte Umfeld im Urlaub weilt, ein Gutteil sogar im Ausland, und die Sonne vergleichsweise verlässlich schien, interpretierten wir das Motto ein klein wenig um. Der Wanderpart wurde etwas herunter geregelt, dafür stieg der Entspannungsanteil. Herauskam ein Tag am Meer. Die Schritte im Sand zählen aber auch mindestens doppelt. Das à la bonheur vorbereitete Proviant des Reiseleiters schmeckte auch am Strand hervorragend. Sandstürme waren selten und streiften nicht die Bestzeit, in der alles vernichtet wurde. Rückstandsfrei kann ich leider nicht sagen, da ich es schaffte, die wenige Bekleidung nahezu vollflächig mit Essensresten zu bekleistern. Das gehört zu meinen Kernkompetenzen. Außerdem war der faule Tag an der See geradezu ein Muss, da Wassermelone Teil der kulinarischen Versorgung war. Diese lässt sich geachtelt nach mitteleuropäischen Hygienestandards nur im Freien und nur mit Mindestbekleidung verspeisen. Und auch dann wird es klebrig. Wie gut, dass Wasser in der Nähe war. Ähnliches galt für das Eis, das wir von einem vorbeiziehenden Ed Sheeran-Lookalike erwerben konnten. Apropos: vor uns lag im Sand eine 1A Angela Merkel-Nachmachung - wie meine Kinder früher gesagt hätten. 
Für Sie getestet: Senf- und Melonenschmadder haben im Hinblick auf Sonnenschutz wenig zu bieten. Irgendeinen Nachteil musste die Entscheidung gegen den Wald und für die Ostsee am Ende haben. Der allergrößte bestand jedoch darin, wegen des nahenden Wochenendendes am Nachmittag wieder abreisen zu müssen.





Mittwoch, 14. Juli 2021

Angepasste Bedingungen

Nach dem Spiel ist definitiv nach dem Spiel. So heißt es jetzt, die mit landestypischen Spezialitäten angefutterten EM-Pfunde loszuwerden, die bei den Corona-Kilos auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Das Projekt ist selbst ohne die Aussicht, jemals wieder eine Bikinifigur zu erreichen, ein sehr sinnvolles. Sogar ohne die Perspektive, dass in nächster Zeit an der Dating-Front etwas gehen könnte. Da ich ein Ausbund an Zielstrebigkeit und Selbstdisziplin bin, kann ich bestimmt sagen: Nichts leichter als auf hochkalorische Speisen und Getränke zu verzichten! Um die Nudelreste und Ferrero-Schokoladen-Überbleibsel muss sich der Sohn kümmern. Soll er doch endlich auch einmal Aufgaben im Haushalt übernehmen. Wenn ich es mir recht überlege, fange ich, glaube ich, morgen an.

Montag, 12. Juli 2021

Tag 22

Es war nicht nur im Hinblick auf den Fußball das furiose Finale. Auch mein Impfstatus ging in die letzte Runde. Zusammen mit der Tochter machte ich mich nachmittags auf den Weg zu den Messehallen, um uns den Piks abzuholen. Ein schöner gemeinsamer Sonntagsausflug bei nahezu keinem Regen. Unterwegs suchten wir nach einer Möglichkeit, im Anschluss an die Impfung bargeldlos Bier zu besorgen, denn die Tochter erzählte mir, sie „hoste bei sich ein Finalevent“ und sie habe von mir die Idee übernommen, das Angebot an die Nationalität der Akteure anzupassen. Dass ich nochmal für Zwanzigjährige Trendsetterin sein würde! Ich empfahl eine Tankstelle.
Auch Impfen ist zu zweit schöner. Mehr gibt es dazu eigentlich nicht zu sagen. Die Tochter empfahl sich danach zum Getränkestützpunkt - wie man in Brandenburg sagte -, während ich mich schnell nach Hause aufmachte. Der Plan sah vor, dass la Mamma eine anständige Lasagne zaubert. Zum Unmut des Sohnes jedoch ohne selbst hergestellte Pasta. Ich sei zu convenience-orientiert. Sie ist mir dennoch gut gelungen. Es geht doch nichts über leichte Sommerküche!
Die Überraschung zum Finale: ich war zu früh am verabredeten Ort.
Während sich meine Kinder also bei der Tochter mit Bier und Ähnlichem vergnügten, um nach der Copa América europäischen Fußball zu verfolgen, war unser EM-Studio noch besser und internationaler besucht als sonst. Selbst mittelamerikanische Beteiligung konnten wir verbuchen. Die Stimmung bei uns war ausnahmslos pro-italienisch. Daher waren hier keine Fouls untereinander zu erwarten. Unseretwegen hätte es nicht die Verlängerung und das Elfmeterschießen gebraucht, zumal nicht an einem späten Sonntagabend, aber wenn es dazu diente, meine Mutter mit dieser EM zu versöhnen, nahmen wir diese Unbilden selbstverständlich in Kauf. Das Durchhalten lohnte sich, denn der Ausgang war für uns alle versöhnlich. Selbst die Tochter musste hinterher nicht fernmündlich getröstet werden, denn sie habe „sich mental darauf vorbereitet“. Einzige Belastung bleibt, wie wir die nächsten anderthalb Jahre herum bekommen, ehe die Gammelspiele in Vorderasien beginnen.



Sonntag, 11. Juli 2021

Spielfrei IX

Die fußballfreien Tage habe ich gebraucht. Zu allererst meine Haut. Sie war nur mäßig erfreut über die Katzenbeteiligung an unserem lauschigen EM-Studio. Langsam sehe ich nicht mehr ganz so nach Streuselkuchen aus. Auch der Juckreiz reduziert sich auf ein übliches Sommerniveau mit einigen Mückenstichen. Mindestens genauso wichtig war die Freizeit für die Herstellung der - a Dio piacendo - Europameistertrikots. Nur in jeweils zwei Tag- und Nachtschichten konnte ich sie vollenden. Zugegeben, einige Zeit davon müssen wir meiner Unfähigkeit und der daraus resultierenden Wiederholung anrechnen (wie viel macht das in österreichischen Schilling?). Aber jetzt können sich die beiden wieder sehen lassen. Der Sohn allerdings hegt seine Zweifel: „Mama, du weißt doch, dass das kein gutes Omen ist.“ Ich finde, das ist etwas ganz anderes. Während „Die Mannschaft“ so unfähig war, dass selbst die Trikots es nicht herausreißen konnten, haben die Azzuri doch ganz andere Skills. Und ohne ausnahmsweise die Defätistismusbeauftragte geben zu wollen: als Vizemeistertrikots sind sie auch ganz gelungen.



Spielfrei VIII

Wenngleich ich die Tagesstruktur durch 18 Uhr-Spiele vermisse, haben die EM-freien Tage zumindest den Vorteil, dass ich mich neben dem eigentlichen Job um mein zweitliebstes Hobby kümmern kann, der Fahrpreisnacherhebung. Allein das Wort setzt Endorphine frei. Nach erfolglosen Live-Versuchen vorgestern probierte ich es gestern online. Damit rechnen sie auch bloß. Aufgrund meines Einsatzes bin ich auf die erste mir bekannte digitale Hotline gestoßen, die Öffnungszeiten von 10-18 Uhr hat. Da mich nach zehn Uhr anderthalb Stunden Wartezeit um sechs Plätze nach vorne katapultiert haben, entschied ich mich am Ende für eine gute alte Mail. Ich rechne damit, dass ich kurz vor meinem Ableben eine Reaktion der Bahn bekomme. 







Freitag, 9. Juli 2021

Spielfrei VII

Nicht nur, dass wir noch ewig auf das blöde Finale warten müssen. (Warum überhaupt an einem Sonntag am späten Abend? Wenn es ohnehin kein Spiel um Platz 3 gibt, hätte es doch gut am Sonnabend stattfinden können. Aber das wäre für die UEFA vermutlich zu zuschauerorientiert gedacht. Damit rechnen sie bloß.) Nein, dieser spielfreie Tag wurde noch weiter abgewirtschaftet. In meiner Mittagspause wollte ich einen weiteren Versuch starten, mich vom in der letzten Woche erhobenen Bußgeld der Verkehrsbetriebe zu befreien oder den Betrag zumindest herunterzuhandeln. Ich mag unterdessen so verhandlungssicher sein, dass ich mir sogar ersteres zutraue. Doch soweit kam es gar nicht erst. Nachdem ich letztes Wochenende am Hauptbahnhof abgeschmettert wurde, weil ich dort an der falschen Stelle sei, versuchte ich mein Glück an besagter anderer Stelle. Erstes Ärgernis: es gibt dort weit und breit keine Fahrradstellplätze. Zweites: Man sei dort - wen wundert‘s? - nicht zuständig. Und verwies mich stattdessen auf den Hauptbahnhof. Mein Leben im Zirkelbezug. Als ich darob etwas unmutig wurde, empfahl mir die Servicekraft eine andere Stelle unweit der anderen beiden. Bevor ich vollständig unverrichteter Dinge den Rückzug antrat, merkte ich noch an, dass Fahrradparkplätze in der Nähe sinnvoll seien. Darauf wurde mir freundlich, aber bestimmt beschieden, „das sei unerwünscht“. Bei so viel Kundendienst klärte ich nicht mehr, ob es sich beim Unerwünschten um meine Anmerkung oder um die Fahrradmöglichkeiten handelte. Konnte mir aber dennoch ein „Sehr umweltfreundlich gedacht.“ nicht verkneifen. Letzte Worte als Magengeschwürprophylaxe. Nächster Versuch. Am Gebäude kein Hinweisschild für die so genannte Servicestelle. Der unfreundliche Pförtner muffelte etwas vom sechsten Stock, Treppenaufgang dahinten. Frisch ans Workout (sechs Altbaustockwerke = 7,5 im Neubau)! Etwas außer Atem durchsuchte ich die kafkaesk menschenleeren Räume, bis sich endlich eine junge Frau bequemte, mich anzusehen. Ich hatte mein Anliegen nicht einmal vorgetragen, da sagte sie mit einem Blick auf meinen Bon - wen wundert‘s? -, dafür habe sie keine Berechtigung. Ich müsse mein Anliegen schriftlich einreichen. Als Zeichen ihres großen Entgegenkommens kringelte sie mir die Adressen (postalisch und digital!) auf meinem Ticket ein. Ich weiß nicht, ob ich mit so viel Dienstleistungsmentalität umgehen kann. Als Zeichen meiner Hochachtung schlug ich erst einmal die Tür zu und ließ ein gepflegtes „Blöde Pissnelke!“ verlauten. Dankbarkeit für bald anderthalb Jahre Treue und Subvention ohne Nutzung sieht für mich anders aus. Neben Mail oder Brief heißt mein nächstes Projekt nun in jedem Fall: Wie schnell kann ich mein HVV-Abo kündigen? Ich hoffe, an diese Information komme ich leichter als die, an welcher Stelle ich Beschwerde einlegen kann. Gerade in dieser Zeit ist es wichtig, sich jugendlichen Idealismus zu erhalten.

(Darauf wenigstens postre y cafecito.)

Donnerstag, 8. Juli 2021

Tag 21

Das Pilotprojekt „Paradoxe Intervention“ ist gescheitert. Den englischen Spielern zuzuhalten, um somit ihre Niederlage zu provozieren, hat nicht funktioniert. Im Gegenteil, sie haben sich einen Sieg erschlichen. Erst mit dem ungerechtfertigten Elfmeter (kein Tor aus dem Spiel heraus geschafft) und anschließend mit der daddelnden Ergebnisverwaltung. Jetzt heißt das Finale doch Italien gegen England. In meiner zweckoptimistischen Haltung konnte ich immerhin zwei positive Aspekte dieser Wendung finden: Erstens wird das Spiel zumindest deswegen spannend, weil holzende Engländer auf nahtodsimulierende Italiener treffen. Zweitens ist mir nun der Ausgang des Spiels vollkommen gleichgültig. Echte Sympathien hege ich für keine Mannschaft. Als ich diese Theorien im Laufe der gestrigen Partie vortrug, erntete ich bei letzterem deutliche Widerworte. Die englische Mannschaft müsse verlieren. Aus Prinzip. Dieses Naturgesetz war mir bisher nicht bekannt. Aber als angepasste Zweitgeborene füge ich mich natürlich dem Gebot der Gruppe. Für Opposition fehlt mir der Antrieb. Außerdem war dafür unser EM-Studio trotz falscher Ausgänge und UEFA-Schwachsinn zu schön. Mal sehen, was mir als neuer Fan der italienischen Mannschaft zu deren Erbauung noch einfällt. Ich habe schließlich drei spielfreie Tage lang Zeit.



Mittwoch, 7. Juli 2021

Tag 20

Gleichgültig, ob der Anpfiff um 18 Uhr oder um 21 Uhr erfolgt, die Tradition will es, dass ich auch zum späteren Termin in letzter Sekunde vor Ort bin. Genau genommen kurz danach. Wieder einmal habe ich den Heimarbeitsplatz nicht rechtzeitig verlassen. Wer braucht schon die langweiligen italienischen und spanischen Nationalhymnen? Als Einzige in unserem lauschigen EM-Studio war ich für Spanien. Weniger aus Leidenschaft als vielmehr, weil mir die Lobhudelei für die italienische Mannschaft auf die Nerven ging. Bis zum Ende der regulären Spielzeit sah mein Favorit nicht schlecht aus. Ich hatte offensichtlich nicht umsonst für kalorisch-moralische Unterstützung gesorgt. In der Verlängerung musste ich mich anders als meine Mitseher zum Glück nicht langweilen. Ich war durch mein Telefon abgelenkt. Nicht etwa, weil ich eine Politikkarriere anstrebe und mein Candy Crush-Level auf das notwendige Niveau bringen wollte. Ich wollte Impftermine für die Tochter und mich klarmachen, nachdem mich der Hinweis erreichte, es seien nun doch neue Termine freigeschaltet. Das Schicksal Spaniens musste dadurch in den Hintergrund treten. Meine Prognose war ohnehin, dass sie verloren seien, wenn sie das Elfmeterschießen nicht vermeiden können. Dazu lag ich mit meinen Geschäften in den letzten Zügen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass der erste Italiener verschießt. Mit dem ersten Spanier auch nicht unbedingt, doch Moratas Unfähigkeit hatte ich im Vorfeld prognostiziert. Meine Vorhersage traf ein. Mein Unglück hielt sich in Grenzen. Was ist schon eine Niederlage auf englischem Rasen gegen zwei astreine Impftermine am Sonntag? Ausreichend früh, um selbst mit Wartezeiten nicht zu spät zum Finale zu kommen. Schau‘n mer mal.



Dienstag, 6. Juli 2021

Spielfrei VI

Im Grunde sah gestern wie die Wiederholung des Vortages aus. Nichts gemacht. Es war einfach nur ein Montag und daher folgerichtig garniert mit elf Stunden vor der Maschine. Ich bin so gespannt, was der heutige Tag bringt! Am Abend auf jeden Fall einen anderen Bildschirm.

Montag, 5. Juli 2021

Spielfrei V

Bei den Mitspielern sah es vermutlich ähnlich aus. Ich habe in jedem Fall das getan, was alle verantwortungsbewussten Spieler tun: nichts. Es galt schließlich, sich von den Strapazen der beiden Vortage zu erholen. Den Spielvorbereitungen und dem Spielaufbau, dem Anfeuern und Jubeln, dem Anschreien und Wundenlecken. Da war es schon fast zu viel, den Zeugwart spielen zu müssen und zwei Waschmaschinen anzuwerfen.

Sonntag, 4. Juli 2021

Tag 19

An uns lag es nicht. Wir waren zweimal perfekt vorbereitet. Wohl haben wir nicht unerheblichen Anteil am dänischen Gewinn. Schon allein, weil ich hart gegen mich selbst war und alle Zutaten für dänische Hotdogs besorgte. Vereinen sie doch ähnlich wie Christstollen in kompakter Form alles, was ich nicht mag: Gurken (mit Dill!), Ketchup, Röstzwiebeln, süßen Senf und fast noch schlimmer, süße Brötchen zum salzigen Würstchen. Um uns nicht alle akut an Pølser-Vergiftung sterben zu lassen - damit wäre auch niemandem gedient -, wich ich auf die vegetarische und Geflügel-Variante des guten Wiener Würstchens aus. Ich glaube, ich bin der einzige Mensch unter der Sonne, der ohne Bedauern ohne Hotdog nach getaner Arbeit auf dem Ikea-Parkplatz landet. Doch wat mutt, dat mutt. Ich aß zumindest ein Brötchen mit besagter Senf -Würstchen-Kombination dazwischen und hoffte, es möge als ausreichende Anfeuerung ankommen. Die Rechnung ging auf.

Die gleiche Härte legte ich an den Tag, als ich in der Vorbereitung viele Läden abklapperte, um an die passende Zutat für Spielrunde zwei zu kommen. Um die Abneigung der EM-Studio-Gastgeberin rotem Wein gegenüber wissend musste ich einige Anläufe unternehmen, an einen farblich genehmen Krimsekt zu kommen. Dem Sohn war nicht genehm, dass für ihn Platz in unserer Kühlung beanspruchte. Wieso das Zeug überhaupt so heiße. Weil es wirklich aus der Ukraine komme, antwortete ich. Das sei jetzt aber ein politisches Statement, meinte er daraufhin. Nein, eine Tatsache, kam von mir, die ich auch mal das letzte Wort haben wollte. Zusätzlich wurde in der Darreichung nichts dem Zufall überlassen: aus der Wohnung meiner Eltern klaubte ich die Gläser zusammen, die am meisten ostigen Charme versprühten. Dem Wunsch meiner Mutter, sie in bester Sitte nach Getränke-Konsum beherzt hinter uns zu werfen, konnten wir aus Gründen leider nicht entsprechen. Pünktlich zum Anstoß stießen auch wir an. Hier unter uns kann ich es sagen: der Sekt schmeckte weniger schlecht als befürchtet. Vielleicht war das der Grund, warum es dieses Mal nicht hinhaute. Am Ende bin ich eher aus finanziellen Aspekten froh, der Ukraine keine weitere Unterstützung mehr angedeihen lassen zu müssen. 

Wie am Vorabend haben wir wieder den designierten Europameister gesehen. Mit Verve hieß es abermals in den Kommentaren aus Funk und Fernsehen, am späteren Abend habe man den Finalsieger gesehen. Aus purer Bockigkeit bin ich jetzt für ein Endspiel zwischen Spanien und Dänemark. Ein weiteres Mal perro caliente schaffe ich schon noch.

Samstag, 3. Juli 2021

Tag 18

Jetzt ist es raus: ich verklage die UEFA. Nicht wegen ihres Diversitätsdebakels, nicht wegen der Ansteckungsanimation. Sondern weil ich - wie der Ex-Chef es so charmant formulierte - vertonne. Wie sollen wir auch nicht adipös werden, wenn erst Toblerone gegen Tapas spielt? Ich vor Anspannung zentnerweise Solidaritätsschokolade esse? Zur Neutralisierung zwischen den Spielen eine Schlachterplatte Sushi folgt? Anschließend Butterwaffeln gegen Prosecco? Ich sehe die Schuldfrage ganz eindeutig geklärt. An uns liegt es nicht! 
Was jedoch in unsere Zuständigkeit fällt: den Ton des Fernsehers abzudrehen und durch Radiokommentatoren zu ersetzen. Und das ist auch gut so! Erstens mussten wir auf diese Weise nicht Bela Rethys Karteikartengeschwafel ertragen. Zweitens hat das Bild einige Sekunden Verzug gegenüber der Radiomoderation. So wussten wir schon vorher, ob es zum Tor oder zur verpassten Chance kommt. So gewonnen wir Jahre unseres Lebens. Schade nur, dass wir den Kniff erst zum zweiten Spiel anwendeten. Beim vorangegangenen Elfmeterschießen hätte er so viel mehr gekonnt.



Freitag, 2. Juli 2021

Spielfrei IV

Als ob der erste Arbeitstag nach dem Urlaub nicht genug gewesen wäre. Auch ging mein Kommentar zur Urlaubsrückkehr „Das Konzept des bezahlten Frondienstes überzeugt mich nicht.“ im Videocall ins Leere. Ich erntete Unverständnis und peinliche Stille. Doch das reichte noch nicht. Als ich mich auf den Weg ins südöstliche Outback machte, kümmerte ich mich aus Entwöhnung nicht um eine Ergänzungskarte. Was soll ich sagen? Zum ersten Mal seit Monaten Bahn gefahren - wie mein Bruder sagte, jede Einzelfahrt koste mit Heimarbeit und Monatskarte mindestens 20€ - und gleich in eine Kontrolle gekommen. Da habe ich in bald anderthalb Jahren Home Office den miesen Hamburger Verkehrsbetrieben die Treue gehalten und laufe trotzdem mit einem Bon von 60€ aus dem Waggon. Jetzt kann mich nur noch meine Eloquenz retten. Ich weiß jedenfalls, wo ich mich auf den 19. Spieltag vorbereiten werde: im Servicecenter des Hamburger Verkehrsverbundes, um meine rote Karte weg zu verhandeln. Typisches Wochenendprogramm eben.

Donnerstag, 1. Juli 2021

Spielfrei III

Der Zufall wollte es, dass mein letzter Urlaubstag auf einen weiteren fußballfreien Tag fiel, dessen zusätzlicher Nachteil in einer Unwetterwarnung bestand. Immer wenn ich dachte, jetzt könnte ich etwas unternehmen, fiel mir das drohende Gewitter ein. Es kam nicht. Stattdessen am Nachmittag das, was in der guten alten Zeit Sommerregen genannt worden wäre. Ich beschloss, die Wohnung zu putzen. Erstens weil es mehr als nötig war, zweitens weil es mir nach so viel Nichtstun sicherlich die nötige Bettschwere brächte, um wieder in den Arbeits-Tagesrhythmus zu kommen. Bestimmt vernünftige Überlegungen; auf der anderen Seite war ich mit dem Programm nur mäßig zufrieden. Deswegen quakte ich den Sohn ob seiner geringen Beteiligung an meinem Projekt an, der wiederum meinte, ich solle mit meiner passiv-aggressiven Art aufhören und sich mit diesen Worten in sein Zimmer verzog. Ich putzte bis kurz nach acht Uhr, hatte aber im Gegensatz zu einem normalen Arbeitstag das gute Gefühl, richtig was geschafft zu haben. Arme und Beine waren schwer, allein die Müdigkeit wollte sich nicht einstellen. Nach Mitternacht, also quasi schon am ersten Arbeitstag, beschloss ich mehr aus Vernunftgründen, dass Zeit fürs Bett sei. Um dann dort mehrere Stunden nicht schlafen zu können. Der Wecker mag mich zwar heute ausnahmsweise mit den richtigen Worten (1st of Tha Month) aus dem kurzen Schlaf geholt haben, doch um das zu goutieren, war ich zu müde. Wenn das diese Arbeitswelt ist, brauche ich sie nicht zwingend.