Dienstag, 30. Mai 2023

This is Home

Spätestens wenn die Glascontainer im Morgengrauen geleert werden, weiß ich vor dem Weckerklingeln im natürlichen Habitat angekommen zu sein. Dass ich wieder in meinem Bett lag, konnte ich allerdings schon Pfingstsonntag feststellen, als die Stadtreinigung zu ähnlicher Zeit wie heute alle herumliegenden Flaschen aufklaubte und gesammelt in besagten Container neben meinem Schlafzimmer expedierte. War doch unser Dorf an zwei Tagen wegen des Straßenfestes nicht ganz so beschaulich wie sonst gewesen. Allein das wäre ein guter Grund gewesen, in die alte Heimat zu entfliehen, aber es gab noch bessere. Erst ein Konzert, dann noch weiter und weiter auf der Straße der Erinnerungen. Ich fühlte mich zu Hause. Umso mehr, als mein neues - leider noch immer unveröffentlichtes - Lieblingslied nun „This is Home“ heißt. Home is where the Funkturm is. 






Umso überraschender, dass ich mich nur kurze Zeit später auch wieder am Alltagsstandort heimisch wähnte. Irgendwie konnte ich - auch ohne zu lügen - mitsingen „in Hamburch, da bin ich zu Haus“ und irgendwie fühlte es sich an, als ob ich mir etwas erschliche.

So bin ich mit gespaltener Seele, wenn auch hoffentlich nicht mit gespaltener Zunge, unterwegs. Alles Luxusüberlegungen, denn jetzt hat mich der Alltag mit Arbeit, Wohnungsputz und Balkonkraftwerk wieder. Aber das ist eine andere Geschichte.

Montag, 22. Mai 2023

Sonne

Unlängst bin ich unter die Kraftwerksbetreiber gegangen. Zugegeben lediglich ein Balkonkraftwerk, aber auch das klingt nach der Verwirklichung eines Traums. Die Installation hingegen war es nicht. Höchstens in der Hinsicht, dass ihre Beschreibung („kinderleicht“, „gelingt jeder/jedem mühelos“) weit von der Realität entfernt war. Genau genommen ist sie auch noch nicht abgeschlossen. Unterdessen hängt die Anlage zwar bombenfest am Balkongeländer (ich will nie wieder über Ikea-Aufbauanleitungen fluchen, sie sind der Goldstandard verglichen mit SelfPV; allein der Name ist irreführend, denn ich habe in der Spitze zwei Nachbarn plus Telefonseelsorge des Bruders als Dauerhotline gebraucht), scheint auch an den Stromkreis angeschlossen. Doch die App, die mir Produktion und Verbrauch anzeigen soll, bekomme ich nicht zum Laufen. Wie soll es auch gehen, wenn ich schon Magenta TV nicht mehr gestartet bekomme? Wahrscheinlich ist es sogar gut, den Sohn aktuell nicht um mich zu haben. Er hätte sich wieder über meinen Unmut bei technischen Problemen lustig gemacht, was in mir nur noch mehr Wut erzeugt hätte, so dass ich ihn irgendwann angeblafft und er am Ende wegen übermäßiger Reaktion meinerseits geschmollt hätte. So trennen uns liebevoll etwa 10.000 Kilometer. Zum zusätzlichen Ärgern brauche ich ihn auch gar nicht. Es reichte, dass ein Nachbarssohn mit nur einem Kumpel bei wiederum einer anderen Nachbarin die Anlage innerhalb von 20 Minuten an deren Balkon anbrachte. Und ohne unser lautstarkes Fluchen. Ich tröste mich damit, dass die Jungs das professionell machen. Für eine TV-Planung bräuchten sie sicherlich ewig und wären schließlich - trotz jungen Alters - um einige Haare ärmer.





Mittwoch, 17. Mai 2023

So‘ne und solche

Eine junge, aber sehr lieb gewonnene Tradition ist, mittwochs mehrmals täglich den Kaffeestand der Nachbarn auf dem Parkplatz unseres Hauses zu besuchen. Nicht nur, weil der Kaffee hervorragend schmeckt. Auch weil man dort viele nette Menschen aus unserem beschaulichen Dorf trifft, die man schon länger nicht mehr gesehen hat. Selbst in unserem vergleichsweise familiären Umfeld passiert so etwas häufiger als gedacht.
Eine weniger schöne Tradition ist die Leerung der Altglascontainer neben unseren Schlafzimmern jeden zweiten Montag vor sieben Uhr morgens.
Leider begibt es sich so, dass ich bei letzterem zwangsläufig jedes Mal dabei bin, bei ersterem heute arbeitsbedingt verhindert bin. Das Leben ist nicht gerecht. Zum Trost kommt heute Abend allerdings die Tochter für unser Girls-Sleepover (damit ich nicht so einsam sei ohne ihren Bruder). Vielleicht ist das Leben sogar mehr als nur gerecht.



Dienstag, 16. Mai 2023

Alles neu macht der Mai

Es muss der Frühling sein. Mein Kopf scheint jeden Abend nach der Arbeit mit dem Herunterfahren des Rechners ebenfalls abzuschalten. Ich schaffe es nicht, mein herkömmliches Abo-Ticket in ein Deutschlandticket auf meinem Telefon umzuwandeln. Es hilft allerdings auch nicht, dass sich der Anbieter auf alle meine Anfragen tot stellt. Ich bekomme es nicht hin, die Einzelteile meines gar nicht mehr so neu erworbenen „Balkonkraftwerks“ zu einem ebensolchen zu montieren. Genau genommen scheitere ich schon an der Registrierung desselben - von der Anmeldung wollen wir gar nicht sprechen. Hieß es nicht bei allem, Deutschlandticket wie private PV-Anlage, es sei kinderleicht? Selbst eine versprochene Mail an die Hausgemeinschaft überfordert mich, obwohl ihr Inhalt nicht aus einer Management Summary über Nobelpreiserkenntnisse besteht. Ich glaube, wenn ich mich aufraffen könnte, wäre dieser Zustand der richtige, um sich die Steuererklärung vorzunehmen und sich mal wieder anständig darüber zu ärgern. Doch ein Blick aus dem Fenster torpediert diese Idee. „Papierkram“ ist eindeutig für trüb-dunkle Herbst- oder Winterabende vorbehalten. Da gibt es den Missmut serienmäßig. Außerdem will ich nichts riskieren. Manchmal lebt es sich im Frühling auch ganz gut mit besenreinem Kopf.



Mittwoch, 10. Mai 2023

Verpasste Chancen

Unterdessen fange ich an, den Empty-Nest-Status schätzen zu lernen. Manchmal noch beschleicht mich neben mütterlicher Sorge das Gefühl, zur Sturmfreiheit fehle mir irgendwie die übliche Jugendlichkeit. Doch das sind Blitzlichter und mit ihnen lässt sich leben. Es gibt allerdings auch echte Rückschläge. Wie zum Beispiel den, dass ich vor lauter Tatendrang und Aktivität das nächste Highlight unseres beschaulichen Dorfes verpassen werde. Wer träumt nicht davon, endlich ein Herzmodell oder - noch besser! - ein Darmmodell begehen zu können? Wer möchte nicht angeleitet werden, selbst Operateur oder Operateurin zu werden, um das Erlernte gleich umzusetzen („Sie haben sicherlich nichts dagegen, wenn ich Ihnen 45° Ihres Knies entferne?“)? Wer interessierte sich nicht brennend für Expertengespräche (die haben einfach so viel mehr drauf als Expertinnen)? Wem ist nicht auch nichts lieber, als den Keimen auf der Spur zu sein? Für mich leider bleibt das alles ein Wunschtraum, denn ich muss erst arbeiten und anschließend in die Hauptstadt, um einem älteren Herrn draußen beim Singen zuzusehen. 



Freitag, 5. Mai 2023

Die Welt ist eine Erbse

Nach Kurztrip in beziehungsweise Roadtrip durch den Süden hadere ich weiterhin mit den hiesigen Temperaturen. Auch Bilder und Videos des Sohnes aus tropischen Gefilden helfen nicht, einstellige Plusgrade zu ertragen. Unser Dorf soll wärmer werden! Selbst der Pitstop in Nordrhein-Westfalen konnte mehr, ließ er doch weiter offene Schuhe zu. Aus Gründen musste ich jedoch zurück nach Hamburg. Ich probierte mich mal wieder an der Deutschen Bahn. Diesmal wurde die eingebaute Verspätung durch eine zweite Klasse mit erstklassigem Sitzarrangement wettgemacht. Die prognostizierte „Geringe Auslastung“ stimmte sogar. Ich fand einen freien Einzelsessel, wenn auch mit belegtem Gegenüber. Wir packten unsere Laptops aus, arbeiteten und haderten nur ein klein wenig mit dem WLAN (genau genommen ich sogar mehr als der junge Mann). Irgendwann klingelte sein Telefon. Nicht ganz die feine englische Art, aber eben neugierig, guckte ich auf sein Display und erkannte den Anrufer als einen Kollegen. Da er dort mit seiner Jobkennung geführt wurde, gab es nur eine Erklärung: auch mein Gegenüber muss einer sein. So war es auch. Wenn auch erst seit einem Monat. Altersgemäß hatte ich gedacht, so sehen junge Männer eben häufig aus, als er mir irgendwie bekannt vorkam. Dabei hatte ich ihn kurz auf dem Bildschirm gesehen, als er morgens allen vorgestellt wurde. Immerhin konnte ich diese Scharte auswetzen, denn ich erinnerte mich ungestützt an seinen Nachnamen. Der Rest der Fahrt war kurzweilig. Als zusätzlichen Bonus - und um mich dem Sohn näher zu fühlen - spendierte ich mir in Hamburg angekommen ein vietnamesisches Essen. Das wärmt auch.