Montag, 30. Oktober 2023

Vergessen oder Verdrängen?

Dass es hier ganztägig bleiern dunkelgrau sein kann, hatte ich in meiner langen Abwesenheit (Der Sohn: „Warst du jemals so lange weg?“) ausgeblendet. Es macht Rückkehr und Eingewöhnung nicht leichter. Zumal seit gestern die definitive Dunkelheit bereits am Nachmittag Einzug hält. Danke, Winterzeit! Die Umstellung, mit der ich mich allerdings am schwersten tue, ist die auf geschlossene Schuhe. Ein halbes Jahr waren meine Füße von ihren unmenschlichen Fesseln befreit, doch bei geringen, immerhin positiven Höchsttemperaturen müssen sie sich wieder dem Elend fügen. Nun reagieren sie - zu recht! - mit fetten Blasen. Mehrzahl nicht nur, weil es zwei sind. Eher, weil es mehrere an manchen Zehen sind. Aus Symmetriegründen habe ich mir zusätzlich noch welche an den Händen zugelegt. Zumindest dafür ist Laubfegen auf dem Hof gut. Doch ich will nicht undankbar sein. Gestern gab es immerhin sonnige Momente. Wen kümmert es da, dass die wenige Bräune, die nicht durch Blasen verdeckt wird, um diese Jahreszeit nur einem sehr eingeschränkten Personenkreis präsentiert werden kann? 



Freitag, 27. Oktober 2023

Tut nicht Not

Es wäre nicht nötig gewesen, mir den Rückweg in die hiesige Herbsttristesse zu erschweren. Eine Temperaturdifferenz von knapp zwanzig Grad hätte gereicht. Doch es sollte wohl klargestellt werden, dass ich nicht zum Spaß in protestantische Freudlosigkeit zurückkehre.
Gesetzt waren die Querelen wegen des abgelaufenen Personalausweises. Mein Schengen-Gepöbel sorgte zumindest dafür, dass die junge Schalterkraft sich lediglich bei ihrer Vorgesetzten erkundigte und mich danach schmallippig durchwinkte. Geschenkt auch das Gepiepe mit eingehender Leibesvisitation, weil die spanischen Sensoren beim Security Check im Gegensatz zu den deutschen noch immer auf Metall innerhalb des Körpers reagieren. Dass der letzte Kaffee vor Rückkehr nicht ganz so gut war, habe ich allein mir selbst zuzuschreiben. Ich musste ja unbedingt zu Tim Hortons, um meine Kinder neidisch zu machen. Dass sich der Abflug um eine halbe Stunde verspätete, lag nicht mehr in meiner Hand. Ein nachgefragter Fluggast meldete sich trotz vielfacher Aufrufe nicht. 
Zum Glück hatte ich einen Wunschplatz  gebucht, denn das Flugzeug stellte sich trotz später Ankunftszeit in Hamburg als knallvoll heraus. Leider war dort mir nicht lange Zeit beschieden: in der Reihe hinter mir war es nach Durcheinander dazu gekommen, dass Hund und Katze nebeneinander saßen. Ich wurde gebeten, mich umzusetzen. Statt sich zu bedanken, nörgelten meine neuen Nachbarn (sie Freizeitrevue, er Sudoku-Heft), Hund neben Katze, das sei unmöglich und so weiter. Eigentlich klar, dass ich den Platz neben der Katze ergatterte. Immerhin brachte mir das Personal klaglos eine Maske, damit ich nicht zu sehr auf das Tier reagieren musste. Die wiederum war auch deswegen sinnvoll, weil das kränkelnde Kind auf dem Gang gegenüber bereits vor dem Abheben sein Abendessen von sich gab. In den zweieinhalb Stunden Flug schaffte es übrigens sechsmal zu spucken. Da es in Valencia sehr windig war, kam es zum Anfang des Flugs zu einigen Turbulenzen. Wenn ich aufmerksam hätte gucken können, hätte ich tolle senkrechte Blicke aus beiden gegenüberliegenden Fenstern auf das mediterrane Lichtermeer haben können. Alle krallten ihre Finger in die Arme ihrer Nachbarn. Ich nahm davon Abstand. Das wäre nun wirklich unmöglich gewesen. Der Pilot gab sich alle Mühe, die verlorene Zeit aufzuholen. Und schaffte es fast. Wir landeten kurz nach 22:30 Uhr. Natürlich kamen wir in Hamburg nicht am Finger an. Wir durften noch Bus fahren. Ich sogar barfuß in offenen Schuhen (Schuhwechsel neben Katze: auch unmöglich). Meine Laune steigerte sich nicht merklich, als wir anschließend eine Stunde auf das Gepäck warten mussten. Immerhin etwas, als sich die Wartezeit als erfolgreich herausstellte.
Glücklicherweise bleiben mir als Erinnerung an sonnigere Zeiten nicht bloß die zahlreichen Mückenstiche - denn sie wären schnell verflogen - sondern auch das persönliche Übergewicht - das hält sich noch etwas.





Sonntag, 15. Oktober 2023

Jetzt echt: Fin de temporada

In einer Viertelstunde wird die Flagge eingeholt, dann ist die diesjährige Saison beendet. Ist egal, ob es noch 26° Wasser- wie Lufttemperatur sind: jetzt ist Schluss. Der Kalender will es so. Ab morgen müssen die hiesigen Pamela Andersons ihre roten Bojen gegen den Arbeitslosenausweis austauschen. Erinnert mich an einen meiner favorisierten OL-Cartoons (im Kreißsaal:„Ist mir egal, ob es ein Junge ist, das Kind heißt Renate!“). Mir ist es unterdessen auch fast gleichgültig, denn ich habe gerade mein Home Office in der Sonne um ein paar Tage ausgedehnt.
Auch, dass man mir hier keine Postkarten andienen möchte, nehme ich mit mediterranem Stoizismus - und baue sie kurzerhand selbst.





Freitag, 13. Oktober 2023

Fin de temporada

Heute also mein letzter Urlaubstag. Gierig wie ich bin, könnten, wenn es nach mir ginge, Sommer, Sonne und Nichtstun noch ein wenig anhalten. Doch als Vizeweltmeisterin des Zweckoptimismus‘ weiß ich: es ist auch gut so. Ansonsten müsste man mich nach Hause rollen oder ich hätte für die Rückfahrt gleich zwei Plätze buchen oder meine Garderobe auf mindestens zwei Größen mehr umrüsten müssen. Wenn‘s gut läuft, schafft Schmalhans ein paar Wochen nach meiner Rückkehr die Kehrtwende. Wenn nicht, bleibe ich zwei Öltanks.



Montag, 9. Oktober 2023

Auf der Habenseite

Das Gute ist, ich werde nun doch keinen Selbstbräuner brauchen. Die hiesige Abendsonne reicht, um mir etwas gesunderen Teint zu verschaffen. Dass die Bräune der Beine außer mir nur einem sehr exklusiven Kreis vorbehalten bleibt, steht auf einem anderen Blatt. 
Weniger gut, dass ich den Strand und das Wasser mit tausenden von glibberig-violetten Quallen teilen muss. Vorbei die guten, alten Zeiten, als man mit einem Ausruf „¡una medusa!“ den Strand leerfegen konnte. Die früher vorherrschende Angst vor Verbrennungen scheint der allgemeinen Erkenntnis gewichen zu sein, dass die meisten Exemplare zwar irgendwie eklig, aber nicht tödlich sind. So muss ich den Strand nicht nur mit wabbligen Medusen sondern auch mit vielen Einheimischen teilen - schließlich ist wieder einmal ein Feiertag. 
Das Schwierigste jedoch wird sein, dass ich morgen zum ersten Mal in seinem Leben nicht beim Sohn sein werde, wenn er Geburtstag hat. Zwar weiß ich, dass sie es sich laut seiner Freundin „nett und fett“ machen werden und ich seit bald 23 Jahren keinen aktiven Part mehr an der Geschichte habe, aber ganz verdrängen kann ich den Gedanken nicht. Am Ende werde ich mich vielleicht - altersgemäß? - dem Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spiel der drei Damen am Strand anschließen („Kennen Sie Schnipp-Schnapp? Das ist auch ein Spiel für drei Personen.“), um meinen Kummer zu vergessen. 25°, etwas wärmeres Wasser, wenngleich mit Qualleneinlage, und Sonnenschein dürften zusätzlich helfen.

(Damals)

(Heute)



Donnerstag, 5. Oktober 2023

Hiesige Gepflogenheiten

Unterdessen gut eine Woche hier reift die Erkenntnis, dass ich zwar gut erholt, aber kaum gebräunt aus diesem Urlaub zurückkehren werde (hitzebedingt hier statt „Eleven to three under the tree“ eher „Nicht vor 17 Uhr das Haus verlassen“). Außerdem habe ich mitbekommen, dass der Mittwochabend bzw. die Nacht auch hier den beliebtesten Ausgehzeitpunkt der Woche markieren. Die Nacht eben, in der sich die meisten Feiernden und Müllarbeiter treffen. Zusätzlich bin ich wieder und wieder verwundert, dass im Gegensatz zu Frankreich, das nun nicht so weit entfernt liegt, Höflichkeit als übertrieben eingeschätzt zu werden scheint. Es klingt sehr verallgemeinernd, doch irgendwie werde ich den Eindruck nicht los. Tür vor der Nase zuknallen, auf der Straße bis zum Bodycheck nicht ausweichen, Eltern nicht mit Kinderwagen oder älteren Menschen nicht mit Rollatoren helfen, gehört hier alles zum guten Ton. Und doch hat es mich überrascht, als ich gestern einer Frau - nicht älter als ich, am Ende wahrscheinlich zehn Jahre jünger - half, ihre zwischen uns an der Kasse auf den Boden kullernden Münzen aufzulesen, ihr eine ihrer Fünfcentmünzen in die Hand drückte und außer einem mürrischen Blick keinen Dank dafür erhielt. Ich wiederum dankte ihr mit einem deutlich vernehmbaren „Gern geschehen, dumme Kuh!“. Wenn sie es nicht verstanden hat, war es mir genauso recht, als wenn sie des Deutschen mächtig wäre. Da keine weitere Reaktion kam, nehme ich Ersteres an. Wieder einmal zu gut, dass meine Kinder nicht vor Ort sind. Das wäre ansonsten eine Vollkatastrophe geworden, sind sie doch schon höchst peinlich berührt, wenn ich mich im Schutze der eigenen Wohnung despektierlich zu grundlos greinenden Kindern oder kläffenden Hunden äußere - und checken lieber noch einmal, ob alle Fenster vollständig geschlossen sind.



Mittwoch, 4. Oktober 2023

Feiertage

Ausnahmsweise ist heute keiner der hiesigen siebzehn festivos im Oktober. Nicht einmal ein deutscher Feiertag. Deswegen haben wir uns in preußischer Härte zum bilingualen Anwalt aufgemacht, um ein paar organisatorische Dinge zu regeln. Dankenswerterweise hat er beim Termin etwas nachgegeben und uns eine Stunde mehr am Morgen verschafft. Es sieht - wieder einmal - so aus, als sei Deutschland in Sachen Bürokratie lange nicht führend. Viel eher hat Spanien einen Medaillenplatz in dieser Disziplin. Bei der Gelegenheit wurde offenbar, dass mein Personalausweis seit etwa anderthalb Monaten abgelaufen ist. Ich sehe mich auf der Rückreise wieder empört „Schengen!“ schreien, wenn sie mir am Flughafen bedeuten, dass sie nicht in der Lage seien, mich zu befördern, weil ich keinen gültigen Ausweis besitze und meine Krankenversicherungskarte inklusive Lichtbild nicht akzeptiert wird. Wie gut, dass meine Kinder diesmal nicht dabei sein werden. Dann müssen sie nicht wieder vor Scham im Boden versinken, weil ihre Mutter peinlich laut den Namen von irgendwelchen blöden Beneluxorten skandiert.
Bis es so weit ist, wird hier erstmal jedweder Feiertag - und sei es nur, weil es ein toller Sommertag mit dem ersten Mal Hauch einer Brandung ist - mit Sekt, Crémant oder Cava begangen, denke ich. Auch in dem Punkt bin ich ganz Europäerin.