Freitag, 18. September 2020

Romantik, sagen sie

Für rosarot getünchte Gefühle waren wir zu spät. Dabei gab das Umfeld alles. Doch was tun, wenn der Sonnenuntergang sich schon mal ohne die eigene Präsenz erledigt hat? Immerhin war es nach der im Schweinsgalopp hingelegten Tour de Hambourg anfangs nicht allzu kalt. Da allerdings endet mein Zweckoptimismus, denn ich trage die Schuld, die schöne Romantik vereitelt zu haben. „Scheiß‘ doch auf die Seemannsromantik! Ein Tritt dem Trottel, der das erfunden hat.“ Doch ich greife vor. Mir als Quasi-Neuhamburgerin - immerhin keine dreißig Jahre hier und noch niemand vor mir in Ohlsdorf zu liegen - war nicht klar, dass es in der Hansestadt drei „Hamburg Cruise Center“ gibt. Das erste erreichten wir überpünktlich. Leider war es nicht das, in dem ein Konzert stattfinden sollte. Und leider auch das, das vom dritten maximal entfernt war. Immerhin auf der Habenseite: das zweite konnten wir auslassen, nachdem uns die Google-Recherche dazu ermutigte. Wieder einmal bewahrheitete sich die gute, alte Regel, dass in Hektik getroffene Entscheidungen nicht immer die besten sind. So hätten wir die Wahl der Verkehrsmittel von A nach B optimieren können. Doch erstens gilt es das durch die Krise gebeutelte Taxigewerbe zu subventionieren und zweitens liegt das Cruise Center Steinwerder für mein Empfinden derart in der Einöde, dass wir es ohne professionelle Hilfe vermutlich nicht (oder wenn, noch viel später) gefunden hätten. Die als „Box“ bezeichneten Sitzplätze erreichten wir also deutlich nach Konzertbeginn und auch nicht ohne die Rüge des Platzanweisers, uns nicht vorschriftsmäßig dorthin begeben zu haben. Was natürlich schwer problematisch ist, wenn alle anderen bereits sitzen und sich besagte Boxen ohnehin draußen befinden. Aber egal, denn Herr Regener sang und blies schon für uns. Und sofort war sie wieder da, die Erinnerung an das Konzert vor zwei Jahren in Lübeck, als die in der Nachbarschaft stehende Truckerlesbe (leider fällt mir keine politisch-korrekte Beschreibung ein) im Moment, als ebendieser Herr Regener zur Trompete griff, weithin hörbar skandierte: „Sven, blas‘ mir einen!“ Auch diese Reminiszenz kein Anlass, besonders gefühlsbetont zu werden. Hinzukam die nüchterne Analyse, dass bei näherer Betrachtung auch Musikstars - zumal mit allen Beinen fest in der Risikogruppe stehend - nicht ganz unbeschadet durch die letzten Monate gekommen sind, was Faltenwurf und BMI angeht. So vorteilhaft Video-Leinwände neben der Bühne für die Wahrnehmung weit voneinander entfernt sitzenden Publikums sind, so wenig sind sie es für die Akteure. Am Ende wird sogar in der Dunkelheit offenbar, dass der Frontmann nicht nur die gleiche Frisur hat, sondern auch die gleiche Tönung wie die Kanzlerin einsetzt. Schön und stimmungsvoll war es trotz Frisuren, die nichts für Musiker tun, und der verpassten Programmpunkte Sonnenuntergang/Konzertbeginn.
„Diesmal, mein Herz, diesmal fährst du mit.“
Dass der Rückweg unglaublich lange dauerte, die Bandmitglieder in ihrem schwarzen Berliner Mannschaftsbus schon winkend an uns vorbeifuhren, während wir auf den Shuttlebus warteten, konnte in vollem Umfang den Hamburger Verkehrsbetrieben angelastet werden. Was ich begierig tat. Schon allein, um von der Hinfahrt abzulenken. Doch selbst deren Aufregung war hilfreich (doch wieder Zweckoptimismus!), denn so konnte ich das solitäre Konzert 2020 ohne Herzprobleme überstehen.



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