Donnerstag, 30. September 2021

Schengen, Schengen, Schengen!

Es gibt Dinge, die ich nicht vermisst habe. Bahnfahren zum Beispiel. Doch um zu Momenten zu gelangen, die ich vermisst habe, muss ich mich erst durch solche arbeiten. Ich spreche hier nicht vom bezahlten Frondienst. Der bindet aktuell noch mehr Zeit als ohnehin und bietet einiges an Aggressionspotential. Am Dienstag gar so viel, dass dabei in einer Art Mittagspause einiges an Handwerksarbeiten zum Seelenfrieden abfiel. Nur so viel: der Balkon ist komplett mit der Drahtbürste abgeschmirgelt, abgesaugt und über die gesamte Fläche geölt. 

Doch das fällt vielleicht unter Grundrauschen. Was mich wieder einmal erbost: Warum haben wir einen EU-weiten QR-Code in Sachen Corona, wenn Spanien für die Einreise in ihr Land ein zusätzliches Formular fordert? Eines, in das ich (bzw. alle) das Impfzertifikat der EU umständlich als Datei einbauen muss (müssen). Das zu erlangen natürlich maximal nutzerunfreundlich ist. Es erinnert mich an meine Reisen damals, vor langer, langer Zeit, als ich zur Ausreise nach Deutschland in Spanien x-fach meinen Personalausweis oder Reisepass vorzeigen sollte. Und mein Argument „Schengen“ sang- und klanglos in den Mühlen spanischer Bürokratie unterzugehen drohte. Mir sogar avisiert wurde, man werde mich ohne Vorweisen der entsprechenden Dokumente nicht außer Landes befördern. Nicht einmal in übertriebener Bürokratie sind wir Weltmarktführer! Das können andere deutlich besser.

Montag, 27. September 2021

Ich hatte die Wahl

Wenngleich ich auf die kurzfristige Anfrage nach meinem langfristigen Angebot ein wenig patzig reagierte, siegte schließlich - wieder einmal - die Preußin in mir und ich sagte keine Woche vor den Wahlen zu, beim Stimmenauszählen mitzuhelfen. Es war klar, dass genau dieser Sonntag wahrscheinlich der letzte sommerliche Tag des Jahres in Hamburg sein würde. Den ich jedoch für sechs-sieben Stunden in den Messehallen verbringen sollte. Es besteht die berechtigte Hoffnung, den verlorenen Tag ab Ende der Woche mehr als an einem an anderer Stelle nachzuholen. Eine weitere Kompensation bestand darin, beim Betreten der Messehallen ein rotes Bändsel mit grünem Schild „Hamburg-Mitte“ um den Hals gehängt zu bekommen. Leider durfte dieser nach getaner Arbeit nicht mitgenommen werden. 
Spätestens 14:30 Uhr ging es in den Messehallen aka Impfzentrum wieder geschäftig zu. Gefunden hatten sich die einzelnen Wahlbezirke wie am Flughafen: mit Schildern, auf denen „WB 23“ oder „WB 35“ stand, mit Hüpfen und Winken oder mit geschwenkten Regenschirmen, sogar einem Flamingo-Modell (leider nicht mein Bezirk). Es warteten wirklich viele Menschen auf ihren Einsatz. Manche hatten sich sogar ein wenig herausgeputzt. „Habt ihr euch auch über Parship kennengelernt?“ „Nein, bei der Auszählung der Wahlbriefe des Bezirks 113 98 07.“ „Wie romantisch!“
Vor 18 Uhr durften wir nicht auszählen, doch auch die Vorbereitungen füllten die drei Stunden vorher aus. Schließlich mussten Ämter bestimmt werden. Der Schriftführer, sein Beisitzer oder eben auch die Hygienebeauftragte. Letztere eine Position, die mir auf den Leib geschneidert ist, weswegen ich sie übernahm. Ich überlege eine Änderung meiner Mail-Signatur. Für die Klassengemeinschaft übernahm Antje gerne Sonderaufgaben. Es war auch nicht ganz trivial, die Toiletten aufzutun. Die Beschilderung und die Ordner, bekannt aus Impfzentrum und Supermarkt, schickten mich in die Irre. Auf die Weise kam ich an sehr vielen Wahlbezirkkabinen vorbei. 
Kurz vor 18 Uhr machte sich in der gut gefüllten Halle Silvesterstimmung breit. Lautstark wurden hinter vielen Stellwänden die Sekunden heruntergezählt, ehe wir mit dem entsprechenden Werkzeug anfangen durften, die blauen Wahlbriefe aufzuschlitzen. Anders als bei der Wahl vor Ort gab es hier Umschläge. Stunden vorher hatte ich noch dem Sohn assistieren müssen, den ellenlangen Zettel so zu falten, dass außen nur blanke Seiten zu sehen waren. Es musste gehen, aber er bekam es nicht hin. Das Origami war wirklich die größte Herausforderung an der Sache. Doch wieder einmal beruhigend, wenn auch nicht verwunderlich, dass das Kind mehr auf dem Kasten hat als Armin Laschet.
Mit dem Auszählen der Erst- und Zweitstimme hatten wir alle gut zu tun. Unser Wahlvorstand wies uns daraufhin, dass wir mit einer Bundestagswahl gut bedient seien, weil jeder gültige Stimmzettel nur maximal zwei Kreuze enthalte. Bei der Hamburgwahl seien es doch fünf. Es fiel wieder das wunderschöne Wort „Panaschieren“. 
Als ich am Ende gegen 20:30 Uhr nach Hause radelte - leider ohne Schild -, erfreute mich, dass die Luft selbst mit Fahrtwind und ohne Jacke noch lau war. Allerdings stellte ich auf halbem Weg fest, dass ich das Licht nicht eingeschaltet hatte. Es beginnt wohl wieder diese Zeit.

Mittwoch, 22. September 2021

So schön ist die Heimat

Neben den üblichen Stunden Arbeit hatte der gestrige Tag einiges zu bieten. Gegen Mittag maikäferte der Sohn um meinen Arbeitsplatz - im wesentlichen um mich - herum und erzählte mir nicht ganz gradlinige Geschichten vom Geburtstagsgeschenk für seine Freundin. Nicht, dass ich ihn nicht ernst nähme, aber ich habe ihm nicht allzu große Aufmerksamkeit geschenkt, da ich wie gesagt eher Head of war als Head of Family. Irgendwann dämmerte mir auch als unaufmerksame Zuhörerin, es ging darum, besagtes Geschenk aus der Einöde in Schleswig-Holstein abzuholen. Wenn er seine Freundin bitte, ihn dorthin zu fahren, sei es keine Überraschung mehr, und sie liebe doch Überraschungen so sehr. Ob ich ihn nicht fahren könne. Er habe nachgesehen, das Auto der Nachbarin stehe auf dem Parkplatz. Ich klärte die Verfügbarkeit des Wagens ab. Meine Frage nach dem Wann und Wo ergab, dass die Aktion in der geplanten Form nicht jobkompatibel gewesen wäre. Als erfahrene Verhandlerin bot ich Alternativen an. Nach der Arbeit beispielsweise. Gesagt, getan. Die Tochter stellte sich als zusätzliche Begleiterin für den Ausflug zur Verfügung. Ehe wir das Haus verließen, schenkte mir der derzeitige Logiergast einen Blumenstrauß. Damit ich nicht nur auf den Bildschirm, sondern auch mal auf etwas Schönes gucke. Wie lieb! Vor Fahrtantritt erkundigte sich der Sohn, ob ich ausreichend geschlafen habe. Ich fragte mich schon, ob ich so abgerockt aussehe, als er mir erklärte, Müdigkeit habe den gleichen Effekt wie Trunkenheit auf die Fahrtüchtigkeit. Habe er gelesen. Trotz anhaltender Regengüsse machte sich Urlaubsstimmung breit. Der Sohn ließ zur Tour meine Party-Playlist aufspielen. Diese wurde lediglich durch Uschis Kommentare „Nach 950 Metern halbrechts auf Segeberger Chaussee abbiegen.“ unterbrochen. Zum Glück unterhielt uns unser männlicher Begleiter mit der wiederholten Äußerung, Deutschland sei ein fruchtbares Land. „Guckt mal, wie saftig grün die Wiesen sind!“ Wir verrichteten alle geplanten Besorgungen in bester Stimmung und schlechtem Wetter. Anschließend bedankte sich der Sohn vielmals, dass ich ihm Fahrt und Überraschung ermöglicht habe. Umso mehr, nachdem er feststellte, dass ich selbst nach unserer Rückkehr noch etwas arbeiten musste. Als ob der Dank des Kindes nicht genug wäre, hatte der Gast während unserer gut zweistündigen Abwesenheit Wohnzimmer und Küche gesaugt und letztere sogar noch geputzt. Wir sollten öfter Ausflüge zur Naherholung einplanen.



Montag, 20. September 2021

Unverhofft

Überraschend, dass das Wochenende vor der Wahl mit so vielen Überraschungen aufwarten konnte.
Es ging bereits am Freitag los. Ich bekam einen Anruf von offizieller Stelle, ich habe doch meine Bereitschaft zur Wahlhilfe bekundet, ob mein Angebot noch stehe? Da seid Ihr Schnarchnasen nicht gerade früh dran, mein Interesse hatte ich Anfang des Jahres angemeldet, als ich noch hoffte, darüber an eine (ach, was sag‘ ich: zwei!) Impfung zu kommen. Ich begann meine Antwort zwar etwas schnippisch mit, das falle ihnen neun Tage vor der Wahl richtig früh ein, fuhr aber mit einer Einwilligung fort, als ich hörte, dass es zwei Schichten gebe. Ein klassischer Fall von „Nimm 2“.
Das Wochenendwunder ging weiter, denn nun hat mein Balkon einen Boden, der nicht nur schön ist, sondern bei dem man nicht mehr Gefahr läuft, durch morsches Holz oder Löcher in ebendiesem durchzubrechen. Die Arbeiten hierfür begannen am Freitag und setzten sich Samstag bis mittags fort. Die Reaktionen der Nachbarn lagen zwischen „Ah, das ist Holz, na, da muss ja der Reichtum ausgebrochen sein!“ (Woraus bestand der Belag denn vorher, El Blindo?) und „Ich habe auch noch ein Brett. Ob er das auch zurechtsägen könnte?“. Doch in ihren Reaktionen waren die direkten Nachbarn noch fast liebenswert gegen die Herrschaften der Hundewiese nebenan. Die dort häufig, aber leider nicht immer anzutreffende Dänische Dogge, ein schwarzes Kalb namens Aron mit einer gefühlten Stockhöhe von 1,80 m, und Rocky, den ich als Bulldogge verorte, stromerten - nicht angeleint und herrenlos, Ehrensache! - ob der Aktivität auf unseren Parkplatz. Selbst die Handwerker bekamen ein wenig Angst. Ich möchte mir die Reaktionen von Kindern gar nicht vorstellen. Irgendwann bequemten sich die Hundebesitzer, mal nach ihren besten Freunden zu sehen. Ich mahnte an, sie und ihre Biester befinden sich auf Privatgelände, und rechnete mit einer Entschuldigung. Doch nichts da. Arons Herrchen (in dem Fall passend, um die Größenverhältnisse aufzuzeigen), der mich ohnehin oft und gerne durch sein lautes „Aaaronnn!“-Geblöke von der Arbeit abhält, kanzelte mich ab: „Ja, und die dahinterstehende Attitüde ist uns auch wohlbekannt!“ Leider nicht bekannt genug, um sich auch an die Spielregeln zu halten. Egal, ich habe wieder einen schönen Balkon!
Ein wenig überraschend war zusätzlich, dass der Sohn nun auch Spinat isst. Ich hatte abends in großen Mengen Farfalle (mag er sonst auch nicht) mit Spinatsoße gekocht und damit gerechnet, noch tagelang selbst daran zu essen. Dann kam der Befund, er habe sich unterdessen an Spinat gewöhnt und finde ihn gar nicht so schlecht. Gar nicht so lange danach war der Topf leer. 
Verwunderlich auch, dass in dieses aktionsreiche Wochenende gestern noch ein Wandertag passte. Wenig verwunderlich hingegen, dass er wieder sehr schön war. Wir wurden zwar selbst in Norddeutschland wegen unseres Outfits kritisch beäugt (die kurze Hose der Reisebegleitung und meine offenen Schuhe), doch nie hätten wir öffentlich zugegeben, dass beides bei grauen 13° nicht hundertprozentig opportun war. Gegen Ende der zwölf Kilometer störte der sommerliche Dress ohnehin nicht mehr. Die vorbeilaufenden Gespräche waren oftmals sehr unterhaltsam und ließen mich manchmal über einen unauffälligen Richtungswechsel nachdenken. „Er möchte Melissa genannt werden.“
Wenig verblüffend, dass ich anschließend noch etwas arbeiten musste. Ohne diese Routine wäre ich gut ausgekommen. Ein Wochenende kann nie genug Überraschungen haben. 



Dienstag, 14. September 2021

Bücherherbst

Vom Wetter oder von den Sonnenauf- und untergangszeiten lasse ich mir nicht vorschreiben, in welcher Jahreszeit wir uns gerade befinden. Damit rechnen sie bloß! Konsequent halte ich an offenen Schuhen fest, obwohl andere eher auf Stiefel setzen und obwohl zerstörte Fußnägel sicherlich nicht zu meinen größten optischen Reizen gehören. An der Anzahl spannender Neuerscheinungen auf dem Büchermarkt lässt sich jedoch nicht länger leugnen, dass die dunkle Jahreszeit vor der Tür steht. Mein Zu-Lesen-Stapel erhöht sich mit vielen neuen Büchern, von denen ich mich nicht entscheiden kann, welches zuerst drankommt. Normalerweise verringert sich der Turm darüber, dass ich beschließe, dieses oder jenes spricht mich noch am ehesten an. Jetzt liegen dort eine Vielzahl Kracherbücher. Heute bekam ich ein weiteres Exemplar zugestellt. Eigentlich wollte ich schon meckern, weil die Verpackung eingerissen war und es dadurch auf den hinteren Seiten ein paar Eselsohren hatte. Dann krümelte ich es beim Durchblättern mit Schokokeksen voll und verlor damit etwaigen Anspruch. Das müssen diese Sorgfalt und dieses Materialgefühl sein, das meiner Brut so offensichtlich abgeht. Ich kann gar nicht erwarten, die Krümel in Till Raethers „Hausbruch“ wiederzufinden. Vorher (oder nachher?) ist aber noch „Glitterschnitter“ fällig. Oder dass ich „Ich weiß noch, wie King Kong starb“ auslese. Oder. Oder. Ich bin trotz meiner Freude etwas zerrissen. Irgendwie auch politisch nicht korrekt, dass es vornehmlich männliche Autoren sind. Aber egal, lieber überhaupt lesen. Ich glaube, der Verweis auf Damp 2000 hat meine Entscheidung besiegelt: ich ziehe Till Raether vor. Schließlich hatte ich aus Gründen mal einen Adventskranz gleichen Namens. Womit wir wieder bei der Jahreszeit wären.



Montag, 13. September 2021

Wochenendnachlese

Aktuell fühle ich mich so, wie die Haltestelle nahelegt, an der ich letzthin vorbeikam: „Fiskalische Straße//Energieberg“. Administration und Steuern liegen ganz dicht (an einer Busstation!) neben dem Wunsch nach mehr Schwung und Energie, die einem der Besuch an ebendiesem Berg mit Sicherheit verschafft. Die Hamburger Antwort auf Yin und Yang. 

Freitag, 10. September 2021

Noch etwas

Vor nicht allzu langer Zeit habe ich - vor allem mir - bewiesen, dass Smalltalk und mehrere Menschen auf einmal nach wie vor möglich sind. Gestern wartete eine neue Herausforderung auf mich: Kann ich noch spontan sein? Gegen Mittag bekam ich die Einladung zu einer kleinen Geburtstagsfeier deutlich außerhalb unseres beschaulichen Dorfes. Ein mäßig erfüllender Arbeitstag (immerhin mit einer erfüllten Pause) bewog mich endgültig dazu, früher als sonst Feierabend zu machen und an der Party teilzunehmen. So stieg ich am frühen Abend in den Bus vor der Tür und fuhr entspannt eine Dreiviertelstunde bis fast vors passende Gartentor. Verrückt! Außerdem bewies ich, selbst Spontaneität habe ich noch drauf. Neben der Live-Begegnung erfreute die Vorstellung, den Sommer - also gestern - auf diese Weise maximal ausgenutzt zu haben. Denn heute scheint er endgültig beendet. Es blitzt taghell und donnert so laut, dass ich fast die Prognose der Gallier teilen möchte, der Himmel falle uns auf den Kopf. Vielleicht sollte ich gleich wieder in einen Bus steigen, um dort möglichst lange den Faradayschen Käfig zu nutzen? 



Mittwoch, 8. September 2021

Haushaltsdebatte

Nun ärgere ich mich doch. Unverrückbar habe ich an meinem Entschluss festgehalten, meine zwei Urlaubstage nicht durch Wohnungsputz abzuwerten. Schließlich waren sie mein Sommerurlaub. Es scheint in der Familie zu liegen, denn die Tochter sagte vor kurzem, ihr Jahresurlaub habe aus vier Tagen Göttingen bestanden. Ich blieb also standhaft und putzte nicht. So weit geht die Genetik nicht: die Tochter plagen meine Sorgen nicht, sie findet meinen Wohnraum gepflegt. Nun, da ich mich seit Anfang der Woche wieder in Heimarbeit verdinge, fällt mir jedoch oft störend auf, wie unordentlich und dreckig es um mich herum ist. Allein nach neun bis zwölf Stunden Frondienst fehlt mir die Energie, mich anderen Dingen als Nahrungsaufnahme und Füße Hochlegen zu widmen. So laufe ich nun wie eine schrullige Alte durch mein staubiges Reich und diskutiere mit mir selbst: „Alles richtig gemacht… hättest du mal… wie entspannt es doch war… wie dreckig es doch ist…“ Und wenn sie nicht an mangelnder Hygiene gestorben ist, dann lebt sie noch heute zwischen Restmüll und Wischmob.

Sonntag, 5. September 2021

Vinceremos

Technisch gesehen war es nur ein normales Wochenende, doch es fühlte sich an wie ein Urlaubstag. Immerhin passierte ich zwei Ländergrenzen. Davon träumt der Ostblock. Fürs letzte und dieses Jahr muss es an Exotik genügen, dass es solche von Bundesländern waren. Der September mühte sich außerdem redlich, die Kerben des Augusts auszuwetzen, und diente uns Sommerwetter an. So wurde aus dem Wandertag ein schrittweise eher armer Strandtag. Die Temperaturen spiegelten jedoch den kalendarischen Status wider, so dass wir die aquatischen Einsätze beim Strandspaziergang mit Füßen im Wasser beließen, später ziemlich bekleidet auf den Tüchern im Sand lagen und mir noch später durch eine Hand auf meinen Knien „eiskalte Beine“ attestiert wurden. Egal wie platt: der Weg war das Ziel. Zumal wir auf dem Weg 1A-Sozialstudien anstellen konnten. Erst standen wir nach der Ankunft auf einem Parkplatz in der Nähe der Ospa, an deren Namen wir uns sehr wegen der Hamburger Entsprechung der Sparkasse Haspa erfreuten, und suchten, gestählt durch jahrzehntelangen Umgang mit Hamburger Pfeffersäcken, vergeblich einen Parkautomat. Ein Seebad ohne Parkgebühren, wo gibt es denn sowas? In Mecklenburg. Der Weg an den Strand war nicht weit. Kurz vor dem Ziel beschlossen wir, an einem Kiosk im kurzen Waldstück Kurkarten zu besorgen. Bedient wurden wir durch eine nicht ganz westeuropäischen Sauberkeitsstandards genügenden Durchreiche, die ein wenig wie ein Kasperletheater wirkte, von einem rüstigen Mittsechziger mit Leninbart. Im Hintergrund hörte man noch eine weitere Männerstimme, die in ähnlicher Alterskohorte zu verorten war. Kurkarten gebe es aktuell keine, da müsse man noch eine halbe Stunde warten, der Kollege sei gerade erst losgefahren, um neue zu besorgen. Es gebe aber die Möglichkeit, führte Lenin überraschend freundlich und verkaufsorientiert an, sich durch die Anschaffung anderer Waren bei ihm mit ausreichend Kleingeld für einen Kurtaxenautomat an der Treppe zum Strand auszurüsten. Wenn diese auch nicht so ein hübsches Foto auf der Rückseite wie seine haben, die man als schöne Erinnerung aufheben könne. Diverse Schilder und Aufkleber zur Unterstützung Kubas neben der Luke ließen vermuten, dass ein Kaffee keine allzu große Belastung für Leib und Leben darstellen dürfte. Die Wartezeit aufs Heißgetränk nutzte der Reisebegleiter geschickt, um kurz die angeschlossenen Sanitäranlagen zu besuchen. Leider verpasste er dadurch die Konversation hinter den Kulissen des Theaters zwischen Lenin und seinem gesichtslosen Mitstreiter. Letzterer meinte, der Rollenwechsel sei gut gewesen. Er mit seinem Alkoholgehalt und seiner Fahne könne derzeit wirklich keine Kunden bedienen. Daraufhin meinte Freund Lenin, er setze mal neuen Kaffee auf. Ich versüßte mir gerade noch mein Getränk („Achtung der Deckel geht ab, in der Zuckerdose ist ein goldener Löffel!“), als auch schon „Hansi“ mit den neuen Kurkarten zurückkehrte. Bereitwillig verkündete dieser, ein ergrauter Mann mit kubanischer Khaki-Kappe mit rotem Stern und in farblich wie stilistisch angepasstem Kleidungsstil, er sei an der Pflaumenkuchen-Front nicht so erfolgreich gewesen wie bei der Kurticket-Beschaffung. Es hatte nur für Hefeschnecken gereicht, die er und der nicht bedienende Kollege sodann in trauter Eintracht auf einer Holzbank vor dem Kiosk sich zu vernichten anschickten. Der bisher Unentdeckte, auch standesgemäß in olivgrünem Che Guevara-T-Shirt gewandet, sah mit seinem vollen weißen Haar und entsprechendem Vollbart aus wie der jüngere, leider etwas fehlsichtige (dicke schwarze Brille) Cousin von Fidel und Raoul. Wir fühlten, ohne Kurtaxe „no pasaran“ in Rerik. 




Mittwoch, 1. September 2021

Friday Night Fever

Zwar habe ich heute wieder einmal zwölf Stunden vor der Maschine gesessen, doch es war für den guten Zweck. Denn morgen und übermorgen schicke ich mich an, den Urlaubstageberg abzubauen und mir ein verlängertes Wochenende zu gönnen. Als ich vom abendlichen Einkauf nach Hause hechtete, um meinen Besuch in Empfang zu nehmen, der schon vor der Tür wartete, tat ich dies mit einem breiten Grinsen. Nicht weil ich ihn warten ließ; das war mir schon ein wenig  unangenehm. Sondern weil es eine gute Vorstellung war, sich für ein paar Tage einfach treiben lassen zu können. Fertig war der laue Sommerabend mit dem schönen Freitagsgefühl. Und das an einem Mittwoch im September.