Donnerstag, 31. Dezember 2020

Jahresrückblick 2020

Der letzte Tag des Jahres schreit jetzt unüberhörbar nach einer Management Summary. Es wäre langweilig, auch ihn vom allgegenwärtigen Thema beherrschen zu lassen. Daher versuche ich zumindest im Rückblick aus meiner Perspektive das böse C-Wort zu vermeiden. Die Zeit vorher kommt mir zwar schon wie in einem anderen Leben vor, aber formal gehört alles zum gerade noch aktuellen Jahr. Los geht’s!

Januar 
Um diesen bleiernen Monat durchzuhalten, hatte ich zum vorangegangenen Fest einen Januarkalender bekommen. Wer hätte gedacht, dass er eigentlich auf das gesamte Jahr hätte ausgeweitet werden müssen? Im Nachhinein war dieser Monat der ereignisreichste des ganzen Jahres 2020. Schließlich wird man nicht alle Tage geschieden. Ich zumindest nicht. Und schon gar nicht nach gut 21 Jahren, von denen zugegeben mindestens die letzten zehn nur noch auf dem Papier existierten. Davor war die Ehe nur einseitig aufgekündigt. Auch wenn es am Ende nicht mehr viel zu regeln gab, war ich froh über meine Anwältin, die ihren Job um einiges besser machte als die der Gegenseite und mir dadurch ein klein wenig Genugtuung verschaffte. Besonders durch die kleine List, die sie den anderen unverhofft auftischte und über die sie sich anschließend, nicht hundertprozentig professionell, freute. Dass ich am Abend noch ein Date hatte, steigerte die Stimmung noch. Auch wenn ich guten Mutes aus dem Tag ging, war danach doch Zeit für eine kleine Resturlaubs-Erholungsreise. Ein paar Tage Anti-Honeymoon in Spanien. Wer hätte gedacht, dass die viereinhalb Tage dort die einzige Auslandsreise des Jahres sein würden? Ich nicht, denn ich ließ einen Gutteil meiner Sandalen dort. Es war allerdings nicht mein letzter Flug 2020, denn direkt nach meiner Rückkehr „durfte“ ich noch auf eine letzte Geschäftsreise zum glamourösen Flughafen Köln/Bonn.

(Sie nennen es: Happily Divorced. Oder: Als ich noch Kleider trug)

Februar
Auch dieser Monat wird in der Rückschau zum Partymonat. Nicht nur, weil er einen Tag länger war als sonst. Hier in Hamburg lag die aufgekratzte Atmosphäre (überraschend) weniger am Fasching. Wir begingen eher Wahlparties und Geburtstagsfeiern - zum Teil sogar zusammen. Der Sohn durfte das erste Mal in seinem Leben wählen. Wenn das keine Party wert gewesen wäre. 
Die Tage wurden merklich länger, nach dem milden Winter lag sogar schon etwas wie Frühling in der Luft, und der zusätzliche Februartag erwies sich als leichter als erwartet zu verkraften. Den Geburtstag des nunmehr Ex-Gatten kurz vorher konnte ich erfolgreich ausklammern. Überhaupt war ich entschlossen, das kommende Frühjahr zu genießen, hätte es doch das erste seit elf Jahren sein können, dass er mir nicht in irgendeiner Form verhagelt. Teil dieser Feiern war beispielsweise eine schöne Lesung im erweiterten Wohnzimmer (Heimspiel um die Ecke) und die Einladung für folgende im Jahr.


März
Doch so sollte es nicht kommen. Der März war der Monat der Absagen: Geburtstagsfeiern, Lesungen, Meetings, der Arbeitsplatz mit Blick auf die Elbe (immerhin nur der stationäre, nicht der gesamte!), Budgets, die Wohnung der Tochter. Fast alle Pläne mussten verworfen werden. Auch wenn die Dankbarkeit für alles siegte, was wir im Gegensatz zu vielen anderen Menschen haben, tat ich mich anfangs schwer mit der Heimarbeit. Wegen der geringen Distanz (!) gelang mir die Trennung zwischen Job und Privatem nicht, was zur Folge hatte, dass ich von Mitte März an viel zu viel arbeitete. Nicht stimmungsfördernd kam hinzu, dass die Tochter am uncharmanten Rauswurf aus ihrem WG-Zimmer verständlicherweise schwer trug. Wie gut, dass sie zusammen mit einer Freundin die leerstehende Wohnung meiner Eltern nutzen konnte und so wieder in unser Haus zog. Meine zusätzlichen Highlights waren die Mittagspausen an der Tischtennisplatte und die Kaffeepausen auf dem Balkon. Dass die Märzsonne am besten bräunt, stellte sie dieses Jahr mehr als deutlich unter Beweis. 

(Unsere Tischtennis-Hymne)

April
Auch wenn in diesem Jahr vieles ungewöhnlich lief, der April brachte traditionell Ostern und meinen Geburtstag (wenngleich nicht zwingend in dieser Reihenfolge). Die saisonalen Einkäufe (wenngleich nur im Lebensmitteleinzelhandel möglich) ermöglichten mir außerdem, in den Besitz des Trosthuhns zu kommen. Weise war auch die Entscheidung, die Fritteuse wieder aktiv in Betrieb zu nehmen. Zugegeben, keine leichte Frühlingsküche, aber Soulfood in seiner hochkalorischen Bestform. Wenn ich ganz ehrlich bin, fand ich die gemeinsamen Feiern und die Nähe (!) mit den vollzähligen Kindern zu allen Gelegenheiten sehr schön und gemütlich. Nicht alles an diesem Jahr war schlecht. Zusätzlich erfreut wurde ich durch meine Strategie, Blumenzwiebeln erst Ende Januar in die Erde zu setzen. Diese „Planung“ führte dazu, dass ich als wahrscheinlich einziger Mensch in Deutschland, nach warmem Winter und Frühjahr keine verblühten Osterglocken zum Ende der Fastenzeit (was war das nochmal?) hatte. Bei mir auf dem Balkon blühten sie liturgisch passend in voller Pracht.


Mai
Erste Freiheiten sorgten dafür, dass wir den einen oder anderen vorsichtigen Schritt außerhalb Hamburgs unternehmen durften. Das gute Wetter trug das seinige dazu bei. Es kam zum einen oder anderen Wandertag oder Stelldichein in der Natur. Gedanklich konnte ich Ausflüge nach Aumühle feiern wie einen zweiwöchigen Urlaub in der Ferne. Sogar ein Besuch bei meinen Eltern zum Geburtstag meines Vaters war möglich. Dass ich am Ende des Monats Urlaub hatte, war zwar nicht auf meinen Wunsch entstanden, trug aber zur Stimmungslage bei. Außerdem erschien mein Lieblingsbuch des Jahres, das als einzigen Nachteil hatte, dass es zu schnell ausgelesen war. Wen kümmert da Kurzarbeit?


Juni
Der Urlaub zum Ende des Vormonats zog sich noch in die erste Woche des Juni. Mit dem Unterschied, dass er in den Tagen nach Pfingsten eine echte Urlaubsreise meinte. Ans Meer! Mit fünf Übernachtungen außerhalb! Unklar, ob so viel Aufregung zu verkraften sein würde. Wie gut, dass wir uns im schlimmsten Fall nur anderthalb Stunden von zuhause entfernt befanden. Des warmen Klimas und der seichten See auf Poel sei Dank konnten wir sogar schon Anfang Juni in der Ostsee baden. Der Erholungseffekt war nicht nur für die vorangegangenen Monate nötig. Er wurde auch dafür gebraucht, um uns mit der Enttäuschung über die entfallende Europameisterschaft zu bringen.


Juli
Die Kurzarbeit hielt an, das gute Wetter der Vormonate leider nicht. Immerhin gab es die Gelegenheit, die Kolleginnen und Kollegen der Abteilung an einem Nachmittag draußen mit Abstand und Blick auf die Elbe wiederzusehen. Unsere Tischtennis-Skills ließen uns bedauern, dass in diesem Sommer nun auch die olympischen Spiele ausfallen sollten. Immerhin hatten die Friseure wieder geöffnet, so dass ich mich eines Gutteils der Matte entledigen konnte, die eigentlich schon viel früher fällig gewesen wäre. Vielleicht würde es doch noch sommerlich heiß werden? Für diesen Fall wäre ich nicht nur vom Kopfputz her gerüstet - auch der neue Sonnenschirm hätte geholfen, wäre er nötig geworden.


August
Die Tochter hatte wieder eine Wohnung gefunden. Natürlich freute ich mich für sie. Doch etwas wehmütig war ich auch, unsere räumliche Nähe wieder aufgeben zu müssen. Zu allem Elend stand in diesem Monat die verschobene, jährliche Eigentümerversammlung an, schon in guten Jahren ein Lowlight unter den Pflichtterminen. Sie verbesserte sich gegenüber den Referenzjahren durch die Location (draußen), den Abstand zur Nachbarschaft (groß) und die Abwesenheit des Ex-Mannes, der nun auch formal nicht mehr notwendig war. Schließlich muss ich mich seit Januar als unverheiratete und alleinige Eigentümerin wieder vor Heiratsschwindlern in Acht nehmen.
Galt ich dem Sohn in der Vergangenheit als Leugnerin (weil ich aus unerklärlichen Gründen nicht jeden Einkauf mit Einweghandschuhen bestreiten wollte), wagte er zum Ende des Monats etwas, das ich mich aus verschiedenen Gründen nicht getraut hätte: er flog nach Spanien. Immerhin hatte ich deswegen nicht nur Sorge; ich hatte auch sturmfrei. Das konnte ich zumindest vor Ort in vollen Zügen genießen.


September
Nach dem Januar war dies sicherlich der aufregendste Monat des Jahres 2020. Nicht nur, dass er weitere Sturmfreiheit mit sich brachte. Ich bekam in kurzer Abfolge gleich zweimal (unterschiedlichen) Besuch aus Berlin. Mit Übernachtungen chez nous, verrückt! Dann auch noch das einzige Konzert dieses Jahres. Als ob das nicht Aufregung genug gewesen wäre, vergurkte ich auch noch die Lage der Spielstätte, weshalb wir gezwungen waren, im Schweinsgalopp einmal durch die Stadt zu fahren, um nicht gänzlich zu spät zu kommen. Dass es ungefähr der kälteste Abend des ganzen Jahres war, tat der Freude keinen Abbruch. Zum Glück trug ich entgegen meinen sonstigen Usancen zu dieser Jahreszeit immerhin geschlossene Schuhe. Krank werden war schließlich nicht drin, schließlich fuhren wir am nächsten Tag für einen weiteren Garteneinsatz zu meinen Eltern. Aufregung pur eben, einen ganzen Monat lang.


Oktober
Noch größere Freiheiten als im späten Frühjahr ermöglichten, dass ich seit über einem halben Jahr wieder einen Tag in der Agentur zubringen durfte. Natürlich nur mit vorheriger Anmeldung und Platzbuchung. Der Wahrheit die Ehre war ich an diesem Tag deutlich weniger produktiv als an denen daheim: die zwei Monitore überforderten mich, die Tastatur schlug anders an als die des Laptops und die wenigen, sporadisch vorbeilaufenden Menschen führten selbst auf Abstand zu Reizüberflutung. Wie gut, dass die Lockerungen Mitte Oktober schon wieder aufgehoben wurden und mir weitere Expeditionen in die alte Arbeitswelt versagten.
Wegen des großen Erfolgs im Spätsommer, Flug, Reise und Test unbeschadet überstanden zu haben, wünschte sich der Sohn zu seinem Geburtstag (rauschendes Fest, Ehrensache!) eine weitere Reise. Diesmal nach Istanbul. Als gute Mutter schob ich meine Sorgen beiseite und schenkte zumindest den Flug. Immerhin spendierte ich mir damit wieder einmal schöne Stunden in Sturmfreiheit. Weiteres Geschenk an mich: dass er auch hiervon attestiert unbeschadet zurückkehrte.

(So muss ein Arbeitsplatz aussehen!)

November
Ausgefallene Halloween-Plünderungen sorgten dafür, dass meine Fenster Anfang November ausnahmsweise nicht von festgetrockneter Eierpampe befreit werden mussten. Sage ich doch: nicht alles an 2020 war schlecht. Konnte der Vormonat 2020 nicht mit seinen üblichen Attributen aufwarten, war der November überraschend golden und trocken. Leider musste ich feststellen, dass das schöne Wetter zu diesem Zeitpunkt nichts mehr reißen konnte, da die Sonne selbst zur Mittagszeit nicht den Weg über andere Dächer auf meinen Balkon schaffte. Anfangs war mir so, als ob sie tiefer stehe als in anderen Jahren. Dann wurde mir bewusst, bisher habe ich zu dieser Zeit wenig Mittage vor Ort erlebt. Es wird wohl schon immer so gewesen sein. Darauf lautete die Antwort, einfach keine Mittagspausen mehr und stattdessen noch mehr arbeiten. Dieses Modell kann ich nicht empfehlen, es steigert die angegangene Stimmung überraschend wenig. Als Aufheller verordnete ich mir wieder einen Friseurbesuch, diesmal allerdings mit dem Wunsch nach etwas Typveränderndem. So war ich es, die zum ersten Mal in ihrem Leben die Friseurin anwies, deutlich mehr abzuschneiden. Es wurde noch nicht ganz der altersgemäße, flotte Kurzhaarschnitt, aber für meine Verhältnisse sind die Haare ordentlich gekappt. Als ich dann noch eine Idee für den Adventskranz hatte, konnte der vermeintlich triste November trotz zu viel Zeit in der Tretmühle etwas besser als befürchtet abgeschlossen werden.


Dezember
Jede Familie hat ihre Adventstraditionen, meine ist es, die zwei Wochen vor Weihnachten in Spanien zu verbringen. Nach zu viel Arbeit in den vorangegangenen Wochen und keinem Urlaubstag seit Anfang Juni wäre eine Reise sicherlich verdient gewesen, doch es sollte nicht sein. Ein paar vorweihnachtliche Urlaubstage zu Hause mussten genügen. Weihnachten war bis auf ein paar weitere Enttäuschungen gar nicht so anders als in anderen Jahren. Der Baum war sogar größer als in den Vorjahren. Wenn uns 2020 etwas beigebracht hat, ist es Erwartungsmanagement, denke ich. Dass Silvester mehr oder weniger ausfällt, macht mir überhaupt keinen Puls. Meine Veranstaltung ist es ohnehin nicht. Lautes Knallen, schwefliges Feuerwerk und Fröhlichkeit auf Knopfdruck (siehe auch: Fasching) sind nicht meins. Dass Jüngere wie meine Kinder um diese Party gebracht werden, scheint sie auch nicht mehr zu stören. Sind sie doch schon seit längerem der generellen Feier ihres jungen Lebens beraubt.


Langer Rede, kurzer Sinn: 2020 war sicherlich auch nicht mein Jahr der Träume. Aber es hat mich vielleicht besser als manch‘ anderes gelehrt, was wichtig ist und was es braucht, um sich Tag für Tag bei Laune zu halten oder Stimmungstiefs gar nicht erst aufkommen zu lassen. Und Blumenzwiebeln spät zu setzen. Deshalb fühle ich mich gerüstet für 2021, von dem mir der Glauben fehlt, es werde ganz bald alles besser.



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