Samstag, 28. Juli 2018

So geht‘s natürlich auch

Eigentlich hatten wir an die Ostsee fahren wollen. Die Vorstellung war allerdings einigermaßen naiv, bei diesem Wetter, während der Sommerferien und am Wochenende noch eine Unterkunft zu finden, die dichter als Wandsbek-Markt an der See liegt. Nicht lange hadern: cherchez l‘ersatz! 
Eigentlich hatte dann der Alternativplan vorgesehen, den Blutmond von unserem Dach aus zu beobachten. Schöne Idee, machen wir auch nicht. Der Zugang zum Dach blieb uns verwehrt. Besorgte Nachbarn hatten aus Furcht vor gefährlichen oder sich selbst gefährdenden (wer kennt da den Unterschied so genau?) Jugendlichen die Tür mit einem Schloss unbekannter Provenienz versperrt. Der Plan eines lauschigen Abends auf dem Dach mit einem mit Sorgfalt ausgewählten Getränk in der Hand war damit vereitelt. So musste im stickigen und vollgerümpelten Treppenhaus schnell eine weitere Alternative gefunden werden. Dann eben der eigene - zumindest Stand heute noch eigene - Balkon. Dort wäre es auch mit dem Getränk kommoder. Blöd nur, dass alles Auf-Stühle-Steigen und Handy-Kompass-Schwenken nicht dafür sorgen konnte, den Mond zu sehen. Kurz vor der totalen Abdeckung - ein freundlicher Mensch hatte uns mit dem genauen Zeitplan des Phänomens für unser beschauliches Dorf bedacht -, zogen wir also, so schnell es eben ging, in Richtung Südosten. Im vollen Bewusstsein, das Getränk den über den Balkon marodierenden Eichhörnchen zu opfern. Unser neues Mekka hieß Berliner Tor, das ging auch ohne Kompass. Die Menschenmenge wies uns ohnehin den richtigen Weg. Stern über Bethlehem... trallalala. Hätte man nur den Mond wirklich gesehen, wäre eigentlich alles gut geworden. Doch es wurde tatsächlich besser. Die Ansammlung aus astronomischem Unwissen (mich eingeschlossen, die Begleitung ausgeschlossen) und Google-zitierenden Smartphone-Aficionados erwies sich als deutlich unterhaltsamer als Nackenstarre und Augenanstrengung zusammen. Ungezählte Male hörten wir: „Wo is‘n der Mond?“, „Ich seh‘ nichts!“, „Was is‘n hier los?“, „Und wo ist jetzt der Mars/die ISS?“, „Irgendwas passiert da oben.“, „Wo geht der Bus nach Bergedorf?“. Einmal auch: „Sach’ mal, wo is’ Mars? Aber Mond is’ normal, oder?“ Bis zu einem gewissen Grad spiegelten die Mehrfachnennungen auch meine Gedanken wider. Schöner noch fand ich die Erklärungsversuche, die selbst mir als astronomisch vielseitig Desinteressierter nicht hundertprozentig wissenschaftlich vorkamen: „Warum der rot ist? Das rote Licht bleibt übrig am Abend.“, „Das ist Mondfinsternis. Sonnenfinsternis ist nur, wenn die Erde unter den Mond kommt. Das ist aber relativ selten.“, „Jetzt ist der Mond vor der Sonne.“. Die Bemühungen der Begleitung, Jupiter als Übeltäter für das gruselige Naturschauspiel zu etablieren, fielen wahrscheinlich nicht auf allzu fruchtbaren Boden, weil in den Medien vorher immer vom Mars die Rede war. Bei Auskennern sorgte die These für amüsierte Verbrüderung. Mein Bemühen, den Mond wenigstens auf dem Kameradisplay des Beobachternachbarns zu fotografieren, scheiterte an meiner Ungeschicklichkeit. Um uns herum wurde das Hadern mit dem Großstadtleben lauter: „In Dorf wäre das jetzt gut.“, „In der Wüste müsste man jetzt sein.“
Mein schönstes Mondfinsterniserlebnis war jedoch der Dackel, der dem Spektakel beiwohnte, eher beiwohnen musste, der brav an der Grenze zum Fahrradweg saß (oder stand, wer weiß das bei kurzen Dackelbeinen schon so genau) und während der ganzen Zeit konsequent in die andere Richtung als alle anderen guckte. Wahrscheinlich sind Dackel einfach die schlaueren Menschen.

(Schöner ging‘s nicht. Immerhin musste ich anders als andere nicht „Dieser blöde Blitz!“ fluchen.)



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