Sonntag, 25. September 2016

Ganz neue Erfahrung

Die Tochter bat mich, ob ich sie zum Bahnhof bringen könne (die Studienfahrt nach Amsterdam). Ich sagte natürlich zu. Dann erst fragte ich nach dem genauen Termin. Anfängerfehler, ich weiß - und das in ihrem zwölften Schuljahr! Ich fügte also hinzu, dass sie mit dem Anblick einer nicht bis in die Haarspitzen zurechtgemachten Mutter leben müsse. Stichwort Peinlichkeit. Sie wünschte sich meine Anwesenheit dennoch. Dass Sonntagmorgen um 7:20 Uhr (am Hauptbahnhof!) nicht zu den Spitzenzeiten meines Biorhythmus' gehört, hat sich unterdessen herumgesprochen. Dass das Aufstehen nicht leichter fällt, wenn es noch stockdunkel ist und man am "Vorabend" gegen 4:30 Uhr im Bett war, versteht sich von selbst. Und doch bewies ich die übliche Härte gegen mich selbst. Ein Hoch auf die zentrale Wohnlage.
Der Treffpunkt war leider etwas unklar. Ob es an der Ortsbeschreibung des Lehrers, an ihrer genetisch geprägten Orientierungslosigkeit oder gar an beidem lag, lässt sich nicht rekonstruieren. Tatsache bleibt, dass ich als Orientierungshilfe eine gute Wahl war (selbst um sieben Uhr morgens). Als wir schließlich den Pulk fanden, wurde mir töchterlicherseits beschieden, ich habe meine Schuldigkeit getan. Immerhin, von ihren Klassenkameraden erntete ich ein müdes (!) Lächeln, als ich den töchterlichen Habitus in "Okay, Tschüß und jetzt kannst du dich verpissen!" übersetzte. Zugegeben, meine Wortwahl ist am frühen Morgen noch nicht allzu elaboriert. Wie geheißen trollte ich mich. Es kam, wie es kommen musste: im Gehen begegnete ich natürlich der top-gestylten Repräsentationsmutti aus den Elbvororten. Im Gegensatz zu meiner Erscheinung saß jedes Haar. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass WIR es pünktlich geschafft hatten. Der Verkehr auf der Elbchaussee, man kennt das ja. Und bis man in dieser Drecksgegend einen Parkplatz gefunden hat!
Unbeirrt trottete ich durch die Morgensonne. Unglaublich, die Ruhe an einem Sonntag kurz nach sieben. Nur ganz gelegentlich ein Überbleibsel der letzten Nacht. Die meisten dieser Menschen mit Schwierigkeiten, geradeaus zu gucken; aber die allermeisten sehr ruhig. Der größte Lärm kam durch den Flugverkehr. Sonntag scheint Großkampftag zu sein. Selbst die Fluggeräusche waren wegen des großen Abstands zum Flughafen gedämpft (siehe auch: ein Hoch auf die zentrale Wohnlage). Ein weiteres Mal sprang ich über meinen Schatten: ich besorgte Brötchen für das Frühstück der Daheimgebliebenen. Normal, möchte man denken. Wer aber meine Betrugshistorie kennt, weiß wie viel Überwindung mich dieser Akt gekostet hat. Das vom Sohn bevorzugte portugiesische Café bietet dermaßen früh noch keine Backwaren an. Irgendwie verständlich. So mussten es die schnöden Bäckerbrötchen werden. Diese fristeten jedoch ein paar Stunden ein trauriges Dasein auf dem Küchentisch. Der Wahrheit die Ehre bin ich nochmal ins Bett gegangen. Vor 11 Uhr ist um diese Jahreszeit ohnehin keine Sonne auf dem Balkon. Dann war es aber wunderschön.

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