Mittwoch, 14. Januar 2015

Aus dem Leben einer Mutter

Sie war also in die Tiefen von Hamburgs Osten bestellt worden. Ein Runder Tisch, bei dem es um die schulische Perspektive ihres Sohnes gehen sollte. Merkwürdig nur, dass ein Großteil der Beteiligten mit seiner Zukunft garantiert nichts zu tun haben würde. Egal. Als Mutter hat man gelernt, Pflichtveranstaltungen hinzunehmen, ohne ihren Sinn zu hinterfragen.
Sie hätte allerdings eine halbe Stunde später bei der Arbeit losfahren können, denn man ließ sie erst einmal warten. Nicht gerade stimmungsfördernd, wenn man vorher schon eine Stunde durch die Stadt gondeln musste. Die Lage im Lehrerzimmer der Klinikschule wurde auch nur bedingt besser, da die Wartegemeinschaft aus ihr und dem Vater ihrer Kinder bestand. Der bisherige Klassenlehrer ihres Sohnes hatte kurz vorher mit einer SMS abgesagt, da er sich einen Zahn ausgeschlagen habe. Vielleicht wäre das auch für sie eine Option gewesen? Im Ergebnis hieß es, ein Verbündeter weniger.
Der Zeitverzug kam dadurch zustande, dass das Vorgespräch ohne Eltern länger als geplant dauerte. Die Verzögerung hätte sie vorhersagen können, war doch die Klinikschulleiterin, Codename "Dörrkopf", der sie gerne ein Coaching in Zeitmanagement und Effizienz gegeben hätte, die treibende Kraft dieses Zusammentreffens. Sie kannten sich bisher nur telefonisch - und es war Liebe auf den ersten Blick resp. Ton gewesen. Besonders, nachdem ihr von Dörrkopf im Vormonat gesagt wurde, sie könne zu einer derartig heiklen Zeit doch nicht in Urlaub fahren, ihr Kind sei krank. Danke für den Hinweis, darauf wäre sie bei einem dreimonatigen Krankenhausaufenthalt selbst nicht gekommen. Das Telefonat kulminierte damals darin, dass sie Dörrkopf anschrie, sie sei am Ende und sie brauche mal eine Auszeit.
 
Endlich durften sie doch zum Meeting dazukommen. Allen Beteiligten außer den Eltern wurde von Dörrkopf für ihr Kommen gedankt. Eltern machen das ja auch nicht beruflich. Den Anderen hatte man auch Getränke angeboten. Die Vorstellung begann. Neben der Klinikschulleiterin, die in natura aussah wie ein überzüchteter Pudel, waren noch eine Dame vom ReBBZ (dessen sperrigen Namen REBUS man zum Glück durch diese schöne, griffige Abkürzung ersetzt hatte), die Beratungslehrerin und der Mittelstufenkoordinator seiner bisherigen Schule, sein Arzt und der Mitarbeiter einer Einrichtung namens Back to School, Typ übergewichtiger Hipster, anwesend. Es kam zu einer der seltenen Situationen, in der sie sich dem Vater ihrer Kinder verbunden fühlte, als er zur Entschlackung meinte, sie selbst müssten sich wohl nicht vorstellen. Doch das war nur ein kurzer Moment der Entspannung. Dörrkopf quakte sie an, warum ihr Sohn nicht mitgekommen sei. Weil nie davon die Rede war, dass er dabei sein sollte. Sie ärgerte sich noch mehr, als Dörrkopf in der Folge meinte, da habe man sich wohl missverstanden. Nein, das sei kein Missverständnis gewesen, denn sie habe explizit nur sie und ihren Ex eingeladen. Der musste raus. Wie es anfing, ging es auch weiter. Anschließend wurde ihr mehr oder weniger ausdrücklich nachgesagt, sie baue zu viel Druck bei ihrem Sohn auf, um ihr dann kurze Zeit später vorzuwerfen, ihre Entscheidung, den Sohn wegen der langen, verpassten Zeit ein Schuljahr wiederholen zu lassen, sei pädagogisch zwielichtig. Bis dahin hatte sie sich noch einreden können, Dörrkopf sei zwar keine Leuchte in Sachen Geradlinigkeit, Verständlichkeit und Effizienz, aber sicherlich eine Koriphäe in Schulbelangen. Diese Vorstellung musste sie nun auch revidieren, als sie feststellte, dass die vorherrschenden Schulthemen ihres Sohnes von der Klinikschulleitung nicht einmal erkannt, geschweige denn bearbeitet worden waren. Dass die Entscheidung für eine Wiederholung zweifelhaft war, hatte sie spätestens gemerkt, als der Mittelstufenkoordinator der Schule ihr unmissverständlich klargemacht hatte, dass in der unteren Klasse seiner Schule kein Platz für ihren Sohn sei. Ein versöhnliches "Es könnte schwierig werden" hätte ihrer Meinung nach besser zur christlichen Gesinnung der Schule gepasst als die kategorische Absage. Aber was verstand sie schon von christlichen Werten?

Wie sie erwartet hatte, kam der Runde Tisch zu keinem wirklichen Ergebnis, auch wenn man sich gegenseitig bekräftigte, wie gut und wichtig er gewesen sei. Einziger Ausgang war, dass ihr allein weiterhin die schulische und auch sonstige Entwicklung ihres Sohnes wie ein Hundehaufen an der Schuhsohle klebte und dass man es mit vereinten Kräften geschafft hatte, sie aus der Fassung zu bringen. Dass es mit Ausnahme des Arztes wenig bis gar keine Unterstüzung von den Anwesenden geben würde, da sie sich entweder nicht zuständig fühlten oder ihre Zuständigkeit abgeschoben hatten. Dazu hätte es keines zeitfressenden Ausflugs nach Rahlstedt bedurft.
Vorläufiger Höhepunkt war die Verabschiedung von der Klinikschulleiterin, die erfolglos versuchte, ihr zum moralischen Aufbau einen Postkartenspruch zu rezitieren - die Karte hatte sie schon im Lehrerzimmer gesehen, sie hatte ja Zeit genug gehabt, sich dort umzusehen. Richtig zusammengesetzt (was der Pudel leider nicht schaffte) hätte es heißen müssen, "Umwege erhöhen die Standortkenntnis". Sie war stolz auf sich, dass sie sich die Bemerkung: "Ja, das habe ich bemerkt." oder Ähnliches verkneifen konnte.
Das finale Highlight kam dann doch wieder vom Kindsvater, als er sie im Anschluss an den Termin verwundert fragte, warum sie das alles immer so sehr an sich heranlasse. Logisch, dass er nicht nachvollziehen konnte, dass sie sich für ihrer beider Kinder verantwortlich fühlt.  

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