Samstag, 9. November 2019

Historisches

Im Herbst 1989 war ich gerade so weit, dass der Kummer über die nicht gleichermaßen erwiderte große Liebe langsam von todtraurig in unmutig umschlug. Der Soundtrack wandelte sich von Joy Division und Element of Crime eher in Prince um. Das Wintersemester war zwar gerade wieder losgegangen, doch im Rahmen des neuen Studentenlebens konnte ich mir schon vorstellen, ein verlängertes Wochenende außerhalb West-Berlins einzulegen. So begab es sich, dass ich den 9. November nicht in Berlin, sondern in Endingen am Kaiserstuhl verbrachte. Am besagten Donnerstag war der 50. Geburtstag der Mutter meiner damals besten Freundin und wurde ebendort gefeiert. In einer Familie, die man heutzutage wohl dysfunktional nennte. Mir kamen die Konstellationen damals im wesentlichen anstrengend vor. Noch vollkommen undigitalisiert sprach sich die Kunde der Ereignisse in der fernen Heimat nur sehr zeitverzögert, also nach der Feier, herum. Währenddessen beschäftigten sich die Gäste eher mit der Frage, warum der Mantel nicht passte: „Isch au dei Kittele nidde!“ Irgendwann in der Nacht, als die Gäste mit den richtigen Jacken gegangen waren, sahen wir die Bilder dann doch. Na, großartig, da war einmal was los an der Grenze und ich hing im noch verschlafeneren Kaiserstuhl! 
Wie gut, dass ich anschließend rechtzeitig zurück in Kreuzberg war, um mich an leeren Obstkonservenregalen bei Kaiser‘s, Reichelt, Meyer und überall sonst zu erfreuen. Und auf dem Weg von zuhause zur HdK nach Charlottenburg vom Fahrrad zu fallen, weil die sich stauenden Trabant-Schlangen am Landwehrkanal noch mehr schlechte Luft als sonst produzierten. Immer hatte mich genervt, wenn Westdeutsche gefragt hatten, ob ich mich in West-Berlin nicht eingesperrt fühle. Im Laufe des Novembers 1989 hätte ich die Frage das erste Mal in meinem Leben verstanden. Da stellte sie niemand mehr.

(Vielleicht nicht das schönste Bild von 1989, aber das mit der passenden Stimmung)

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