Freitag, 27. März 2020

Unser Dorf soll beschaulicher werden

Auch wenn meine Temperatur gestern auf 35,7° angestiegen ist, bleibt die Stimmung bei uns unverändert gut. Dies ist umso überraschender, als ich vorgestern wieder einmal für doof verkauft wurde. Normalerweise reagiere ich darauf aus Gründen einigermaßen gereizt, doch unter den gegebenen Umständen bleibe ich entspannt. Seit mindestens vier Jahren warte ich darauf, dass sich jemand um die ständig wiederkehrende Schimmelbildung in meinem Schlafzimmer kümmert. Fun Fact am Rande: bei der Wertermittlung der Wohnung wurde der Mangel, dass ich seit bald fünf Jahren das Schlafzimmer nicht oder nur mit gesundheitlichen Problemen nutzen kann, natürlich nicht berücksichtigt. Während ich nicht nachlasse, meinen Unmut darüber zu bekunden, antwortet die Eigentümergemeinschaft/Nachbarschaft mit ihrem Mantra „Wir beobachten das.“. Nun jedoch, da die Auftragslage für Handwerker und Architekten nicht mehr ganz so golden ist, ruft mich plötzlich und unerwartet die Auftragsarchitektin der Verwalterin an, sie müsse sich doch noch um mein Problem kümmern. Meine gute Kinderstube verbietet mir zu antworten, sie solle sich lieber um ihr eigenes sorgen; wenngleich mir sehr danach gewesen wäre. Es gibt Menschen, die schon beim ersten Telefonkontakt unsympathisch sind. Ich versuche, sie davon zu überzeugen, im Gebot der Kontaktminimierung sei jetzt vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt, auf ein paar Wochen komme es nun auch nicht mehr an und so weiter. Sie wischt meine Argumente mit der Begründung weg, sie trage Handschuhe. Na, dann. Sie komme an Folgetag (!) mit dem Glaser zwischen 10 und 11 Uhr. Treusorgende Mutter, die ich bin, informiere ich die Kinder, damit sie sich in der Zeit in ihren Zimmern verbarrikadieren können. Die Stararchitektin gewinnt auch live nicht mein Herz, als sie sich am Morgen dann mit ihrem Auto mitten auf die Zufahrt unseres Parkplatzes stellt. Und zwar so, dass die Nachbarin, deren Chef sie aus falsch verstandenem protestantischen Arbeitsethos zwingt, vor Ort zu erscheinen, mit ihrem Kleinwagen nicht vorbeikommt. Das Argument der Architektin ist ähnlich stichhaltig wie das mit den Handschuhen, diesmal aber larmoyanter vorgetragen: es sei in der ganzen Gegend keinen Parkplatz zu finden gewesen. Klar, im ausgestorbenen Viertel, direkt vor einem Parkplatz für acht Wagen, auf dem ein kleines Auto steht! Aus dem Küchenfenster sehe ich Diskussion mit der Nachbarin (hören kann ich sie auch, die Fenster schließen ja nur bedingt) und bin Team Nachbarin. Ihr Auftritt in der Wohnung besteht darin, den Glaser (keine Handschuhe!) mit „Abstand!“ anzufauchen und ihr - wie er feststellt - veraltetes Muster einer Innendämmung zu zeigen und mich darauf hinzuweisen, dass ich diese nicht mit normaler Dispersionsfarbe streichen dürfe. Den Schimmel beachtet oder bemerkt sie nicht weiter. Sie macht ein paar Fotos vom Fensterbereich, um jammernd anzumerken, sie habe ja keine Pläne des Hauses, daher müsse sie Bilder nehmen. Dann fragt sie den Glaser, ob er die Arbeiten vornehmen könne. Er antwortet, welch‘ Wunder!, das sei Sache eines Trockenbauers. Ob er einen kenne? Ja, kenne er, er wisse auch dessen Nummer, die er ihr dann gibt und die sie sich umständlich auf einem Block notiert. Danach unterhalten sich die beiden noch über ideale Feuchtigkeitsgrade für Wohnungen, Möbel und Holz. Abgang der unnötigen, potentiellen Viruskontakte. Um das Wohlbefinden meiner Brut nicht zu stören, desinfiziere ich anschließend Türklinken, Handläufe und alles Sonstige, was die beiden angefasst haben. Nach getaner Arbeit rufe ich, dass die Luft rein sei. Die Tochter merkt an, die Stimme der Frau habe durch die Wand „sehr unsympathisch geklungen“. Vielleicht in der Erziehung doch nicht alles falsch gemacht?
Der Sohn weiß zu berichten, dass ein Freund, den er „seit über drei Wochen nicht gesehen habe“, vor zwei Wochen positiv und jetzt negativ auf Corona getestet worden sei. Die Kinder feiern die Heilung, als ob er von einer Reise aus Lourdes zurückgekehrt wäre. Getestet wurde er übrigens, nicht weil er Symptome hatte, sondern weil er im Gesundheitswesen arbeitet. Die Brut findet mich stumpf, weil ich ihre Begeisterung nicht teile. Ich begründe es damit, dass der Verlauf für einen jungen Mann doch relativ normal sei. Ich finde sie eher übertrieben aufgescheucht in ihrer Vorstellung, ein positiver Test komme einem Todesurteil gleich. Mein Argument, aktuell sei zumindest in Deutschland die Mortalitätsrate von Corona geringer als die der Grippe, wird vehement bestritten. Sofort zücken sie ihre Telefone. Ich höre nichts mehr. Dem entnehme ich, das ich richtig lag. Vielleicht konnte ich ihnen so zumindest ein wenig Ruhe verschaffen. Dennoch will mir nicht in den Kopf, wie sie aktuell so hygienehysterisch sein können, wenn sie gleichzeitig die Zustände unserer Toiletten so gekonnt ignorieren können. 
Dennoch bin ich der Meinung, auch viel Positives an sie weitergegeben zu haben. So zum Beispiel den Zweckoptimismus. Gestern meinte die Tochter, dass alle/viele Eltern jetzt im Home Office seien, habe den Vorteil, dass ihre Kinder nun endlich einmal mitbekommen, wie die Arbeit ihrer Eltern aussehe, was sie so machen. Sie beispielsweise wisse jetzt mehr über die AGF/GfK. Na, bitte!



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