Mittwoch, 26. Februar 2020

Keine Wahl

Selten habe ich mich meinen Kindern gegenüber so autoritär geriert wie am letzten Sonntag. Es gab nur die Alternative, wann sie sich in der Nähe unseres Wahllokals einfinden würden. Dabei hätte ich gar keinen Druck ausüben müssen. Sie waren sich ihrer Pflicht auch ohne meine Intervention bewusst. Während ich relativ offensiv mit meinen Wahlpräferenzen umging, legte der Sohn den Finger über seine Lippen, als er vor Ort auftauchte und von seiner Großmutter gefragt wurde, was er zu wählen gedenke. Als Bernie Sanders-Verfechter, die sie beide sind, habe ich den Eindruck, der Ausgang der Hamburgwahl habe sie nicht grundsätzlich enttäuscht. Wenn auch die Ernüchterung über den Einzug der AfD (irgendwie finde ich es beruhigend, dass mir die Worterkennung beim Eintippen von „Af“ immer „After“ vorschlägt) sie gleichermaßen wie uns Ältere traf. Wahltag wie -abend waren dennoch spannend. Tagsüber erfreute mich der Ziehungsbeauftragte unseres Wahllokals. Ein etwa zwei Meter großer Hüne mit Bart, vielen Tätowierungen und Fünfmarkstück-Ohrtunneln, der in Shorts und Hoodie („Rock am Beckenrand“) an seinem Tisch der 6d saß und mit stoischer Ruhe das sonntägliche Treiben beobachtete. Am Abend auf der Wahlparty verschluckte ich mich bald vor Lachen, als ein anderer Gast eine grau-kurzhaarige weitere Besucherin, die auf der Suche nach neuen Hochrechnungen ständig auf ihr Handy eindengelte, mit dem Worten bedachte, sie sei „der Ulrich Deppendorf des Abends“. Mindestens genauso schön, wie er sich über meine Freude darob freute. Denn Ulrich Deppendorf verstand nicht.

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