Donnerstag, 14. Mai 2020

Auch das noch

In die saisonal atypisch gedrosselte Laune durch freudlosen Alltag passt die Nachricht, dass mein Schwiegervater heute Morgen gestorben ist. Ich erlaube mir zu trauern, auch wenn er korrekterweise unterdessen mein Ex-Schwiegervater war und sich das Verhältnis meiner Kinder zu ihrem Großvater väterlicherseits vielleicht noch weniger innig als zu ihrem Vater ausnahm. Eigentlich war sein Tod schon länger abzusehen, aber irgendwie klammerte ich mich lange an die Hoffnung, er könnte doch noch abgewendet werden. Was mich zusätzlich betrübt, ist sein einsames Sterben. Ich gelte bei meinen Kindern gerne als „Corona-Leugnerin“, solange mir niemand erklären kann, wieso ein sterbenskranker Mann im Krankenhaus nicht Besuch von seiner Lebensgefährtin bekommen darf. 
Am besten halte ich mich an Erinnerungen. Wie die an das legendäre Video, das sich aus Versehen auch auf der Kassette unseres Hochzeitsvideos befand, in dem er die betagte Mutter seiner Lebensgefährtin, obwohl Zeit ihres Lebens dort verortet, im leberwurstgrauen Übergangsmantel durchs Gestrüpp der Lüneburger Heide schickte, um ihr auf die Frage „Was soll ich denn sagen?“ (nachdem er sie vorher ermahnt hatte, sie solle „doch mal was sagen!“) zu antworten: „Na, einmal noch die Heide sehen!“. Wie er seinen Sohn anhielt, „das sofort sein zu lassen“, nachdem der eine Affäre gestand - was der Sohn selbstverständlich in den Wind schrieb. Wie wir allen Todesmut zusammennehmen mussten, um mit ihm als Fahrer ins Auto zu steigen. Wie er (farbenblind) unterwegs dann seine Freundin fragte: „Haben wir denn noch unser schönes Grün?“ Wie er der Tochter zur Einschulung einen kleinen Orchideentopf schenkte, den ich länger am Leben hielt als unsere Ehe. Wie er gestand, dass ihn seine Familie - egal welcher Teil davon - nach  kurzer Zeit nerve. Wie er, als mein Sohn große Schwierigkeiten hatte und bereitete, monierte, dass ich ihn nicht zum Erlernen eines Musikinstruments angehalten habe. Wie er sich lange Zeit um die Geschenke zu Weihnachten oder Geburtstag für meine Brut, seine Enkelkinder kümmerte  - und um die Pakete mit den Lebkuchen, die mit dem Auszug seines Sohnes keiner von uns mochte. Wie er seinem Sohn so ähnlich und doch so anders war.
Noch besser; ich halte mich daran, was die Tochter mir vorgestern Abend schenkte: ein Herz aus Eierkuchen.



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