Sonntag, 6. Mai 2018

Tief im Osten

Um ein Lebenszeichen zu geben und weil ansonsten in meinem kleinen Radius nicht viel passiert, war ich schon versucht, die Röntgenaufnahme meines Beckens auf Instagram zu posten. War mir dann aber doch zu intim. Stattdessen kapriziere ich mich lieber auf unbedeutende Erlebnisse. 
Im Vorbeigehen entdeckte ich letzthin in unserem beschaulichen Dorf abends eine geöffnete Praxis für Physiotherapie. Ich vereinbarte einen Termin, der ganz spontan gestern (Sonnabend!) schon stattfinden konnte. Der Sohn wäre ob meiner Praxiswahl ganz begeistert: schienen doch alle Beteiligten russische Muttersprachler zu sein. Auf der Visitenkarte findet man gar eine Telefonnummer für die deutschsprachige Terminvereinbarung und eine für die russische. Der Anstand gebot vermutlich, die deutsche als erstere aufzuführen. Der Sohn wäre deswegen angetan, weil er gerade vollkommen verhaftet ist in den zahlreichen Videos der „Ost Boys“ (schönes Wetter, egal! Draußen ist der WLAN-Empfang nicht so gut.). Zwei originär russischsprachige YouTuber aus Marzahn, die sogar den Weg ins Feuilleton der aktuellen Ausgabe der Zeit gefunden haben. Besonders Wadik, der etwas pummelige der beiden Jungs, gefällt ihm gut („Der ist ein bisschen süß.“); vor allem wenn er in seinem Akzent von „Pomidoren aus seiner Datscha“ erzählt. Bei seinem nächsten Berlinbesuch will der Sohn unbedingt einen huldigenden Abstecher nach Marzahn unternehmen.
So war ich gestern versucht, die Belegschaft nach Erdäpfeln und Lauben zu befragen. Traute mich dann aber nicht. Genauso wenig wie ich in Erfahrung brachte, ob das Bild am Empfang, das anspruchsvoll-geometrisch aufgebaute Turner aus der vorletzten Jahrhundertwende zeigt, ebenso wie sie selbst russischen Ursprungs ist. Ich vermute es. Immerhin wagte ich, die behandelnde Physiotherapeutin, die zu meiner Enttäuschung nicht Svetlana, Ludmilla, Olga oder Oxana hieß, zu fragen, ob alle in der Praxis russisch sprechen. Sie verneinte für sich, meinte aber, es sei ihr auch schon aufgefallen, dass russisch die Umgangssprache der Teeküche (Samowar?) sei. Wäre ja auch überraschend, wenn nicht. Ihr slawischer Name passe nur zufällig rein, sie sei Polin und könne „nicht ein Wort russisch“. Auch egal, denn ihre Behandlung war so oder so gut. Und führte dazu, dass ich heute Nacht seit langem einmal ein paar Stunden am Stück schlafen konnte. 

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