Montag, 27. September 2021

Ich hatte die Wahl

Wenngleich ich auf die kurzfristige Anfrage nach meinem langfristigen Angebot ein wenig patzig reagierte, siegte schließlich - wieder einmal - die Preußin in mir und ich sagte keine Woche vor den Wahlen zu, beim Stimmenauszählen mitzuhelfen. Es war klar, dass genau dieser Sonntag wahrscheinlich der letzte sommerliche Tag des Jahres in Hamburg sein würde. Den ich jedoch für sechs-sieben Stunden in den Messehallen verbringen sollte. Es besteht die berechtigte Hoffnung, den verlorenen Tag ab Ende der Woche mehr als an einem an anderer Stelle nachzuholen. Eine weitere Kompensation bestand darin, beim Betreten der Messehallen ein rotes Bändsel mit grünem Schild „Hamburg-Mitte“ um den Hals gehängt zu bekommen. Leider durfte dieser nach getaner Arbeit nicht mitgenommen werden. 
Spätestens 14:30 Uhr ging es in den Messehallen aka Impfzentrum wieder geschäftig zu. Gefunden hatten sich die einzelnen Wahlbezirke wie am Flughafen: mit Schildern, auf denen „WB 23“ oder „WB 35“ stand, mit Hüpfen und Winken oder mit geschwenkten Regenschirmen, sogar einem Flamingo-Modell (leider nicht mein Bezirk). Es warteten wirklich viele Menschen auf ihren Einsatz. Manche hatten sich sogar ein wenig herausgeputzt. „Habt ihr euch auch über Parship kennengelernt?“ „Nein, bei der Auszählung der Wahlbriefe des Bezirks 113 98 07.“ „Wie romantisch!“
Vor 18 Uhr durften wir nicht auszählen, doch auch die Vorbereitungen füllten die drei Stunden vorher aus. Schließlich mussten Ämter bestimmt werden. Der Schriftführer, sein Beisitzer oder eben auch die Hygienebeauftragte. Letztere eine Position, die mir auf den Leib geschneidert ist, weswegen ich sie übernahm. Ich überlege eine Änderung meiner Mail-Signatur. Für die Klassengemeinschaft übernahm Antje gerne Sonderaufgaben. Es war auch nicht ganz trivial, die Toiletten aufzutun. Die Beschilderung und die Ordner, bekannt aus Impfzentrum und Supermarkt, schickten mich in die Irre. Auf die Weise kam ich an sehr vielen Wahlbezirkkabinen vorbei. 
Kurz vor 18 Uhr machte sich in der gut gefüllten Halle Silvesterstimmung breit. Lautstark wurden hinter vielen Stellwänden die Sekunden heruntergezählt, ehe wir mit dem entsprechenden Werkzeug anfangen durften, die blauen Wahlbriefe aufzuschlitzen. Anders als bei der Wahl vor Ort gab es hier Umschläge. Stunden vorher hatte ich noch dem Sohn assistieren müssen, den ellenlangen Zettel so zu falten, dass außen nur blanke Seiten zu sehen waren. Es musste gehen, aber er bekam es nicht hin. Das Origami war wirklich die größte Herausforderung an der Sache. Doch wieder einmal beruhigend, wenn auch nicht verwunderlich, dass das Kind mehr auf dem Kasten hat als Armin Laschet.
Mit dem Auszählen der Erst- und Zweitstimme hatten wir alle gut zu tun. Unser Wahlvorstand wies uns daraufhin, dass wir mit einer Bundestagswahl gut bedient seien, weil jeder gültige Stimmzettel nur maximal zwei Kreuze enthalte. Bei der Hamburgwahl seien es doch fünf. Es fiel wieder das wunderschöne Wort „Panaschieren“. 
Als ich am Ende gegen 20:30 Uhr nach Hause radelte - leider ohne Schild -, erfreute mich, dass die Luft selbst mit Fahrtwind und ohne Jacke noch lau war. Allerdings stellte ich auf halbem Weg fest, dass ich das Licht nicht eingeschaltet hatte. Es beginnt wohl wieder diese Zeit.

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