Sonntag, 5. September 2021

Vinceremos

Technisch gesehen war es nur ein normales Wochenende, doch es fühlte sich an wie ein Urlaubstag. Immerhin passierte ich zwei Ländergrenzen. Davon träumt der Ostblock. Fürs letzte und dieses Jahr muss es an Exotik genügen, dass es solche von Bundesländern waren. Der September mühte sich außerdem redlich, die Kerben des Augusts auszuwetzen, und diente uns Sommerwetter an. So wurde aus dem Wandertag ein schrittweise eher armer Strandtag. Die Temperaturen spiegelten jedoch den kalendarischen Status wider, so dass wir die aquatischen Einsätze beim Strandspaziergang mit Füßen im Wasser beließen, später ziemlich bekleidet auf den Tüchern im Sand lagen und mir noch später durch eine Hand auf meinen Knien „eiskalte Beine“ attestiert wurden. Egal wie platt: der Weg war das Ziel. Zumal wir auf dem Weg 1A-Sozialstudien anstellen konnten. Erst standen wir nach der Ankunft auf einem Parkplatz in der Nähe der Ospa, an deren Namen wir uns sehr wegen der Hamburger Entsprechung der Sparkasse Haspa erfreuten, und suchten, gestählt durch jahrzehntelangen Umgang mit Hamburger Pfeffersäcken, vergeblich einen Parkautomat. Ein Seebad ohne Parkgebühren, wo gibt es denn sowas? In Mecklenburg. Der Weg an den Strand war nicht weit. Kurz vor dem Ziel beschlossen wir, an einem Kiosk im kurzen Waldstück Kurkarten zu besorgen. Bedient wurden wir durch eine nicht ganz westeuropäischen Sauberkeitsstandards genügenden Durchreiche, die ein wenig wie ein Kasperletheater wirkte, von einem rüstigen Mittsechziger mit Leninbart. Im Hintergrund hörte man noch eine weitere Männerstimme, die in ähnlicher Alterskohorte zu verorten war. Kurkarten gebe es aktuell keine, da müsse man noch eine halbe Stunde warten, der Kollege sei gerade erst losgefahren, um neue zu besorgen. Es gebe aber die Möglichkeit, führte Lenin überraschend freundlich und verkaufsorientiert an, sich durch die Anschaffung anderer Waren bei ihm mit ausreichend Kleingeld für einen Kurtaxenautomat an der Treppe zum Strand auszurüsten. Wenn diese auch nicht so ein hübsches Foto auf der Rückseite wie seine haben, die man als schöne Erinnerung aufheben könne. Diverse Schilder und Aufkleber zur Unterstützung Kubas neben der Luke ließen vermuten, dass ein Kaffee keine allzu große Belastung für Leib und Leben darstellen dürfte. Die Wartezeit aufs Heißgetränk nutzte der Reisebegleiter geschickt, um kurz die angeschlossenen Sanitäranlagen zu besuchen. Leider verpasste er dadurch die Konversation hinter den Kulissen des Theaters zwischen Lenin und seinem gesichtslosen Mitstreiter. Letzterer meinte, der Rollenwechsel sei gut gewesen. Er mit seinem Alkoholgehalt und seiner Fahne könne derzeit wirklich keine Kunden bedienen. Daraufhin meinte Freund Lenin, er setze mal neuen Kaffee auf. Ich versüßte mir gerade noch mein Getränk („Achtung der Deckel geht ab, in der Zuckerdose ist ein goldener Löffel!“), als auch schon „Hansi“ mit den neuen Kurkarten zurückkehrte. Bereitwillig verkündete dieser, ein ergrauter Mann mit kubanischer Khaki-Kappe mit rotem Stern und in farblich wie stilistisch angepasstem Kleidungsstil, er sei an der Pflaumenkuchen-Front nicht so erfolgreich gewesen wie bei der Kurticket-Beschaffung. Es hatte nur für Hefeschnecken gereicht, die er und der nicht bedienende Kollege sodann in trauter Eintracht auf einer Holzbank vor dem Kiosk sich zu vernichten anschickten. Der bisher Unentdeckte, auch standesgemäß in olivgrünem Che Guevara-T-Shirt gewandet, sah mit seinem vollen weißen Haar und entsprechendem Vollbart aus wie der jüngere, leider etwas fehlsichtige (dicke schwarze Brille) Cousin von Fidel und Raoul. Wir fühlten, ohne Kurtaxe „no pasaran“ in Rerik. 




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