Sonntag, 15. September 2024

Regionale Bräuche

Der Sohn als Neu-Berliner (nicht zu verwechseln mit frisch gebackenem Pfannkuchen!) empörte sich letzthin, „in Berlin fallen ständig Bahnen aus, das habe er in Hamburg noch nie erlebt“. Mich als Alt-Berlinerin (nur mäßig vergleichbar mit altbackenem Pfannkuchen) traf diese Kritik, die ich im Übrigen nicht teile. Im Grunde scheinen mir die Unterschiede nicht so sehr im ÖPNV als vielmehr in der Kommunikation zu liegen. Während in Berlin offensiv mit Ausfällen oder Taktverringerungen (statt alle vier Minuten kommt die Linie 9 nur noch alle fünf Minuten etc.) umgegangen wird, werden sie in Hamburg unter den Tisch gekehrt. Die Anzeige, wann die nächste Bahn, der nächste Bus zu erwarten sei, erhöht sich einfach oder stagniert mal gerne zehn Minuten. Vielleicht nennen sie auch das hanseatisches Understatement. Egal. Prompt meint das gutgläubige Hamburger Kind, Ausfälle gebe es in der Hansestadt nie. Während sich die hektische Berliner Mutter an gleicher Stelle aufgerüscht denkt: „Hätten sie es mir gleich gesagt, hätte ich mir eine schnellere Alternative suchen können.“ 
Gestern habe ich in der Hamburger Innenstadt übrigens 35 Minuten auf den Bus gewartet, weil erst der vierte angekündigte kam. Die drei vorangegangenen verschwanden zwei bis fünf Minuten nach Plan von der Anzeige bzw. wurden in der App als „nicht mehr erreichbar“ (Ja, wie denn auch?) geführt. Nimm das, mein Sohn!
Dass der Fahrer des einzig erschienenen Busses kein Deutsch sprach, ich im vorderen Teil des Fahrzeugs die ehrenamtliche Verkehrsauskunft gab, und nicht allzu sicher in seinen Fahrkünsten war (hanseatisches Understatement: er rollte an der Haltestelle am Michel bergabwärts, als Fahrgäste ausstiegen, weil er wohl die Bremse vernachlässigte), steht auf einem anderen Blatt. Fachkräftemangel allenthalben.



Sonntag, 8. September 2024

Buchlese

Im Grunde sind Buchneuerscheinungen der einzig statthafte Grund, sich auf September/Oktober zu freuen (Don’t call it Herbst - or worse: Bücherherbst!). Zum ersten, mir möglichen Zeitpunkt außerhalb der System- oder gar Online-Buchhandlungen besorgte ich mir Freitag in der Mittagspause das neu erschienene Opus Magnum des „großen Frank Schulz“ (G. Henschel). Im vor Büchern berstenden kleinen Verkaufsraum fand ich das Buch nicht. Dies war umso erstaunlicher, als das Magnum in Opus mit etwa 750 Seiten durchaus wörtlich zu nehmen ist. Um die wartenden Kollegen nicht über Gebühr von der Arbeit abzuhalten (Sorgfaltspflicht als Chefin?), wandte ich mich an die sympathische grauhaarige Buchhändlerin. Sie tippte „schul“ und „goli“ in die Tasten und teilte mir freudestrahlend mit, sie habe das Buch vorrätig. Schob ein Regal zur Seite und fand es dahinter, irgendwo unten, alphabetisch sortiert eben. Da das Buch einen nicht unerheblichen Teil ihres Eigengewichts maß, konstatierte sie, ich habe mir ja einiges vorgenommen. Ich antwortete noch freudestrahlender, es sei nur gut so, jede Seite lohne sich bestimmt - und auch die lange Wartezeit seit dem letzten Buch. Sie guckte mich fragend an und gestand, noch nichts von Frank Schulz gelesen zu haben. So kam ich - hufescharrender Kollegen zum Trotz - zum ersten Mal in meinem Leben dazu, einer Buchhändlerin Leseratschläge zu geben: „Zum Einstieg empfehle ich seinen Erzählungsband „Anmut und Feigheit“ von 2018 im gleichen Verlag erschienen.“ Gleiches passierte Sekunden später (die Wartenden!) nochmals an der Kasse. Die etwas gewichtigere Kollegin dort, die man sich wegen ihrer Art und des Outfits eher im FC St. Pauli-Fanshop vorstellen könnte: „Boah, Sie haben sich ja einen Wälzer vorgenommen! Lohnt sich der?“ „Unbedingt!“
Nach der Arbeit fuhr ich am Abend zu meiner Einladung ins Outback. Die App sagte mir, ich komme mit nur minimalen Gehwegen in nur 40 Minuten direkt mit dem Bus dorthin. Mit Sitzplatz konnte ich das neue Buch nicht länger im Rucksack lassen. Während des Lesens setzte sich eine Mitfahrerin neben mich. Sie bekam mein Lachen und Schmunzeln mit, weswegen sie versuchte auf den Buchrücken, wie man im HVV-Dreierbus in Richtung Schenefeld eben sagt, zu luschern. Trotz fesselnder Lektüre hielt ich ihr das Buch hin. Sie habe meine Belustigung mitbekommen (ach, was?), Buch und Autor müsse sie sich merken. „Unbedingt!“
In meinem Umfeld habe ich damit allen im Vorfeld in den Ohren gelegen: Gestern dann die Lesung von Frank Schulz himself, fast noch in unserem beschaulichen Dorf. Nicht nur ist das Buch großartig, er las es auch wunderbar, kam im Gespräch sympathisch und charmant herüber. Nahezu einzige Kritikpunkte aus meiner Groupie-Sicht: Wieder einmal die junge Ehefrau und dass in den wenigen Stunden Netto-Lesezeit knapp ein Viertel des Buches bereits ausgelesen sind. 




Donnerstag, 5. September 2024

Time flies

Vor lauter einmaligen Erlebnissen komme ich nicht dazu, über sie zu berichten. Wieder einmal die Theorie widerlegt, im fortgerückten Alter geschehen keine ersten Male mehr. 
Premiere war beispielsweise, in meiner Geburtsstadt für ein klassisches Touri-Foto zu posieren (wenngleich nicht meine Idee!). Zu schön war das Schloss Charlottenburg in der Abendsonne. Und überhaupt, das bessere Wetter, die langen und breiten Sichtachsen, die mich immer wieder für Berlin einnehmen. 
Ein anderes erstes Mal dort, war die Wohnung des Sohnes zu besuchen. Dass ich ihn auf Sehenswürdigkeiten in seiner neuen Hood hinweisen konnte, gab mir ein befriedigendes Gefühl. Dass er in sehr eingeschränkten Möglichkeiten für mich kochte, rührte mich sehr. Er war mit seinem Werk zwar nicht zufrieden, ich in jedem Fall. Den gemeinsamen Nachmittag mit viel Neuem und Altbekannten haben wir beide sehr genossen.
Das Konzert, das all dem vorangegangen war, kann nur als Wiederholungstat bezeichnet werden. Es war wie jedes Mal das beste seiner Reihe.
Hart dann nur der Aufschlag in der Hansestadt. Wie erwartet kühler und mit mehr Arbeit versehen. Doch auch hier gibt es im Spätsommer - Don‘t call it Herbst! - manchmal Gelegenheiten, sich den Alltag zu versüßen.