Sonntag, 28. Juli 2024

Sommerurlaub

Wahrscheinlich zeigt sich fast jede Stadt im Sommer von ihrer besten Seite. Doch Dresden fand ich besonders schön. In diesem Glauben befinde ich mich wohl nicht alleine, denn die ganze Stadt war voll mit Touristen. In der Innenstadt kam ich mir vor, als liefe ich hier ständig um die Elbphilharmonie herum, hielte mich nur im Schanzenviertel oder auf der Reeperbahn (oder für Berliner und Berlinerinnen: am Hackeschen Markt) auf. Dort hörte ich übrigens von einem jungen Mann, er habe „noch nie so etwas ekelhaft Dreckiges wie die Reeperbahn erlebt“. Selbst in Hamburg fiele mir einiges als Gegenbeweis ein; schreiben wir es seiner geringen Lebenserfahrung zu. Abseits vom Alltag stört es nicht weiter, sich in Touristenmengen einzugliedern. Es sei denn, es handelt sich um Menschen, mit denen man nichts gemein haben möchte. Ein Vorteil an Touristen in Dresden ist, dass sie so gut wie nie sächsisch sprechen. Stattdessen schienen mir viele spanischer Herkunft zu sein. Einmal blieb ich bei einer Führung an der Frauenkirche stehen und war fasziniert, wie langsam, akzentuiert und deutlich der spanische Reiseleiter sprach. Ich konnte ihn ohne Probleme verstehen, sogar sinnentnehmend. Verwundert war ich nur, dass die damals herrschenden Augusts nicht „Agosto“ sondern Augusto primero, segundo und so weiter genannt werden. Schön an einer Reise im Sommer sind außerdem die vielen zusätzlichen Möglichkeiten und das große Angebot. Man kann Stadt und Landschaft wunderbar mit dem geliehenen Fahrrad erkunden, in Cafés, Restaurants und überall draußen sitzen (wenn es nicht gerade regnet), düstere Filme im Freilichtkino gucken oder die Mittagshitze in Stasi-Gefängnis-Museen überbrücken. Anschließend ist die Freude über Sommer, Sonne, Stadt, Landschaft und Sich-Treiben-Zu-Lassen umso größer. Getrübt wird sie allerdings durch die nässende, wundgescheuerte Stelle, die mir der Sattel des Leihrads nach zwei Tagen begeisterten Radelns bescherte. Ein Souvenir aus Sachsen. Zum Glück nicht die einzige Erinnerung.














Mittwoch, 24. Juli 2024

Dräsdn

Zu meiner Schande muss ich gestehen, in Deutschlands Osten nicht allzu bewandert zu sein. Hängt vermutlich mit einer West-Berliner Sozialisation zusammen, diese Scheu vor allem, was östlich und vor allem südöstlich liegt. Nun soll zumindest eine dieser Scharten ausgewetzt werden. Ich habe mich auf den Weg nach Dresden gemacht. Mit der Bahn. Ich muss sagen, sie hat mich nicht enttäuscht. Die lakonische Nachricht der Bahn, mein Anschlusszug sei nicht möglich, erhielt ich bereits zwei Tage zuvor. Diese Aufregung war verjährt. Keine Enttäuschung, weil die Verspätung zu vernachlässigen war (pro Zug etwa zehn Minuten) und das WLAN nicht funktionierte. Auch nicht im tschechischen Zug, das wiederum war überraschend. So konnte ich mich voll und ganz den vorbeiziehenden Landschaften widmen. Südlich von Berlin eher unspektakulär. Brandenburg eben. Immerhin fuhr ich durch Orte, die ich bisher nur als Berliner Straßennamen kannte: Zossen, Baruth und so. Ab Sachsen dann weniger flach mit Weinbergen. Im international besetzten Zug - die meisten fuhren bis Prag weiter - fiel ich als Tendenznorddeutsche unangenehm auf, als ich laut lachen musste, weil wir kurz vor meinem Ziel durch „Dresden-Pieschen“ fuhren. In meiner amüsierten Einsamkeit schrieb ich eine Nachricht an die Tochter. Sie zumindest fand es auch lustig und antwortete: „Die nächste Station ist dann Dresden-Schieten.“ Das wiederum rief in mir einen weiteren, unhanseatischen Lacher hervor. 
Dresden ist wirklich eine Reise wert. Zu bemängeln ist lediglich, dass das Konzept „Mülleimerfreie Stadt“ nicht nachvollziehbar ist. Dass ich ob des internationalen Publikums bisher noch wenig sächsisch gehört habe, ist vermutlich kein Nachteil.



Sonntag, 21. Juli 2024

An einem Sonntag im Juli

Im ersten Moment erschrak ich über mein Spiegelbild. An Falten und derlei Ungemach hat man sich nach vier Jahren Teams-Calls allmählich gewöhnt. Doch Ganzkörper im Badeanzug ist ein anderer Schnack. Während Hummeln in ihrer Pummeligkeit süß aussehen, wirke ich mit der Bojen-Körpermitte im Badedress nur wurstig. Eigentlich bin ich stocksauer, dass vier Tage Zurückhaltung nicht vier Wochen mit reichlich Essen, Trinken und Knabberkram aufgewogen haben. Um zusätzlich entgegenzuwirken, war ich heute nach jahrelanger Abstinenz wieder beim Sport in der fast noch dörflichen Schwimmhalle. Das gute Gefühl hinterher macht fast den Badeanzug-Schock wett. Wenn ich jetzt noch daran denke, eine Bürste mitzunehmen, wird erstens die Stimmung noch besser. Zweitens muss ich nicht mit einer Frisur wie Tina Turner durch unser beschauliches Dorf zurückschleichen.

(Hummelsuchbild)

Montag, 15. Juli 2024

Spieltag 22

Als klassische Turniermannschaft stimmten zum Finale unsere Laufwege. Zum ersten Mal seit längerem konnten unsere Präferenzen auf den Platz gebracht werden. Es gab unterschiedliche Gründe, warum die Einzelnen für Spanien waren (besseres Essen, besseres Wetter, größere Attraktivität, ansehnlicheres Spiel usw. usf.), aber über die Tatsache als solche herrschte mit einer Ausnahme Einigkeit. Auch deswegen war die Stimmung so gut, dass die Mitgucker mein „Allez les bleus!“ klaglos ertrugen. Ich fand, es hatte noch immer seine Berechtigung. War schließlich das Schiedsrichterteam französischer Provenienz und außerdem mit hellblauen Jerseys bekleidet. Soviel Unterstützung muss am Quatorze Juillet schon sein.
So wohlgemut uns das Endergebnis stimmte, so betrüblich ist das Ende des Turniers. Was sollen wir nun an Abenden machen? Vielleicht hat das Wetter ein Einsehen und ermöglicht ganz verrückt Balkonaufenthalte zu späterer Stunde?



Donnerstag, 11. Juli 2024

Spieltag 21

Die niederländische Mannschaft wird für immer Platz in meinem Herzen haben, weil sie im Viertelfinale für Ruhe gesorgt hat. Dem Sohn geht es eher so, weil dort mehr Liverpool-Spieler zu finden sind als in der englischen Mannschaft. 
So waren wir beide ein wenig betrübt, als Oranje gestern ausschied. Er vor allem, weil sein Freund Cody anders als sonst nicht getroffen hat (dass sein Freund Virgil schlechter performt hat als normalerweise, durfte nicht gesagt werden, er ist sakrosankt). Ich vor allem, weil ich zur Unterstützung umsonst tonnenweise Erdnuss-Flips in mich hinein gestopft habe. So hat jeder sein Päckchen zu tragen. Meins ist allerdings gewichtiger. Weil der Sohn auch etwas vom (groß)mütterlichen Zweckoptimismus geerbt zu haben scheint, ist seine Prognose nun, dass England Europameister werde, „weil die das Glück auf ihrer Seite haben“.

Mittwoch, 10. Juli 2024

Spieltag 20

Dafür habe ich nicht meine Textkenntnisse der Marseillaise aufgefrischt! Zumal die Wiederbelebung am Freitag unnötig war, da im Stadion der Text auf der Leinwand erscheint. Ich hatte geplant, sie am 235. Jahrestag des Sturms auf die Bastille nochmals in unserer Arena zu singen. Doch stattdessen wird es ein instrumentaler Song. An uns lag es nicht. Der Nachbar trug trotz hoher Temperaturen sein blaues Hahntrikot über seiner eigentlichen Kleidung. Alle dreißig Sekunden skandierte ich, vermutlich zum Leidwesen der Anwesenden: « Allez les bleus! » Ich sang und feuerte nicht nur an, sondern brachte auch während des Spiels die Leiter ins obere Stockwerk, um aus dem Schrank über dem Kleiderschrank einen weiteren Glücksbringer zu holen. Der Einsatz hat sich bekanntlich nicht gelohnt, obwohl es mit dem ersten eigenen, aus dem Spiel erzielten Tor der EM so gut anfing. Ich habe nicht den Eindruck, die Spieler werden sich freuen, ihren Nationalfeiertag zu Hause begehen zu dürfen.



Sonntag, 7. Juli 2024

Spieltag 19 (Schbieldag 19)

Der Wechsel von der Marseillaise zu „Hop Schwyz“ glückte nicht. Leider müssen wir uns von der schweizerischen Mannschaft verabschieden. Umso schwerer fällt uns der Abschied von Ricardo „The Rod“ Rodriguez, dem „ Man of the Match“ (die Tochter). Lange Gesichter und Unverständnis. England und ein gewonnenes Elfmeterschießen? Und das, obwohl der Chraftwürfel noch rechtzeitig eingewechselt wurde? Unglaublich, aber wahr.
Der nahezu instantane Transfer von „Hop Schwyz“ zu „Hup Holland hup“ war erstens naheliegender und zweitens erfolgreicher. Die sportlich wie politisch zwielichtige Türkei hat es nicht ins Halbfinale geschafft. Wie schön, wieder Ruhe in unserem beschaulichen Dorf genießen zu können. Ungestört ausschlafen und das am Donnerstagabend erstandene Buch erst heute Vormittag mit Wonne auslesen. Ein Fest!



Samstag, 6. Juli 2024

Spieltag 18

Das letzte Deutschlandspiel habe ich verpasst. Erst wegen Arbeit, dann wegen eines anderen Termins. Anders als zur WM 2018, als ich auch das letzte Spiel der deutschen Elf nicht sehen konnte, hieß es diesmal, es sei ein schönes Spiel gewesen. Genauso wie sechs Jahre zuvor war die Konkurrenzveranstaltung aufregend. Auf dem Weg ins Volksparkstadion, inmitten unzähliger portugiesischer Anhänger, erfuhr ich vom 0:1-Rückstand. Im grün-roten Tross kümmerte es niemanden. Viel aufregender war, dass kurze Zeit später der Bus mit der portugiesischen Mannschaft nebst riesiger, blinkender Eskorte unter uns vorbeifuhr, als wir uns gerade auf der Brücke befanden. Einen Moment lang hatte ich Sorge, sie könnte zusammenbrechen, weil alle Fans sich in Windeseile auf die rechte Seite der Brücke warfen, um durch undurchsichtige Scheiben Spieler erkennen zu können. Außer millionenfachem Geknipse passierte nichts. Im Stadion bot sich ein ähnliches Bild wie auf dem Weg dorthin: Heimspiel für die Portugiesen. Marseillaise singend stand ich ziemlich alleine da. Die Mannschaft mit „dem zweitschönsten Auswärtstrikot der EM“ (die Tochter) anfeuernd auch. Machte zum Glück nichts, denn die Grün-Roten verhielten sich rücksichtsvoll gegenüber über den Blau-Weiß-Roten. Lediglich CR7 wurde aus den eigenen Reihen vehement ausgebuht. Bei ihm hörte offensichtlich die Toleranz auf. Beeindruckend, wie viel Stimmung im sonst hanseatisch-unterkühlten HSV-Stadion aufkommen kann, wenn nur die richtigen Mannschaften dort spielen. Beeindruckend auch die gesamte Kulisse. Unverändert war jedoch das schlechte Netz, dessentwegen es schwierig bis unmöglich war, sich über den Stand des früheren Spiels auf dem Laufenden zu halten. Mit Chance erreichten mich Nachrichten anderer. Wie zum Beispiel die Bestätigung der Tochter, die französische Sieben spiele besser als die portugiesische. Kaum festgestellt, wechselte der grauhaarige Giftzwerg Griezmann aus. Kurze Zeit später bekam ich die Nachricht der Kinder, es sei an der Zeit, endlich Konaté einzuwechseln. Ein Wunsch, der selbstverständlich unerhört blieb. 
Vor dem Tor war keine der beiden Mannschaften richtig zwingend. Spannend und aufregend war es trotzdem die gesamte Zeit. Die Auswechselung von Mbappé verpasste ich, weil ich es für sinnvoll hielt, vor dem Elfmeterschießen den Liter Cola wegzutragen, den ich vorher in mich geschüttet hatte. Eine sehr vernünftige Entscheidung. Schließlich bekamen wir das Maximum zu bieten. Auch wenn ich den Bleus kein Weiterkommen bescheide, solange sie es nicht schaffen, endlich mal ein eigenes Tor aus dem Spiel heraus zu erzielen. Die Mannschaft, die fünf von fünf Elfmetern verwandelt, und das vor dem portugiesischen Fanblock begleitet von anhaltenden Pfiffen, hat zurecht gewonnen. Die portugiesischen Fans waren genauso zurecht geknickt, aber verhielten sich, anders als die sonstigen Gastgeber bei einschneidenden Niederlagen, fair und zurückhaltend. Oder « On entend plus chanter les portugais! » wie später in der S-Bahn nicht mehr vollständig nüchterne Franzosen grölten. Mein Beitrag zur Gastfreundschaft: Sie in ihrem Idiom darauf hinzuweisen, dass diese Bahn nicht in Altona halte und sie besser Holstenstraße aussteigen. Sie davon zu überzeugen, war schwer genug (während des kurzen Dialogs fiel dem einen ungefähr fünfmal sein Telefon auf den glücklicherweise recht sauberen Wagonboden). Umsteigen am Hauptbahnhof hätte sie wegen der beträchtlichen Anzahl Holsten vorneweg überfordert. Marchons, marchons!









Mittwoch, 3. Juli 2024

Spieltag 17

Der Tag fing so gut an. Doch es schien, als hätte er sich anfangs zu sehr verausgabt. Dass ich erst zur zweiten Hälfte des ersten Spiels einsteigen konnte - geschenkt! Schließlich lagen die Niederländer nach dem Tor eines Liverpool-Spielers vorne, und Wiederholungen sind auch ganz schön. Dass ich auf diese auch für die zweite Halbzeit zurückgreifen musste, weil ich doch zwischen Arbeit und Fußball pendelte, ging auch noch klar. Am Ende eine souveräne Führung und von dem, was ich sehen konnte, ein schönes Spiel. Die Enttäuschungen kamen erst nach 21 Uhr. Die größte war - neben dem Ergebnis - die über die türkischen Fans. Wie unsportlich, in wirklich jedem Moment zu pfeifen und zu buhen, in dem die Österreicher den Ball hatten. Von Bechern, die österreichischen Spielern an den Kopf geworfen wurden, will ich gar nicht sprechen. Von rechtsradikalen Grüßen im Stadion erst recht nicht. Weniger enttäuschend, weil zu erwarten, waren die hiesigen Reaktionen auf das Spiel. Dass die Meister der Hupen wieder alles geben würden, war nach dem Ausgang vorprogrammiert. Mit Feuerwerkskörpern rechnete ich nicht unbedingt. „Ihre Nachtruhe verzögert sich auf unbestimmte Zeit.“ Auch wenn das nächste Spiel am Sonnabend sein wird: Die Niederländer haben einen klaren Auftrag. Nicht umsonst meinte der Nachbar gestern gegen 23 Uhr, er werde unsere Arena komplett orange streichen - selbst den Boden.

Dienstag, 2. Juli 2024

Spieltag 16

Auch gestern ging der Plan nicht auf. Weder der zum pünktlichen Antritt, noch der gegen das Ausscheiden der Underdogs. Letztere können sich allerdings nicht beschweren. Hätten sie doch vor dem Achtelfinale Elfmeterschießen üben sollen. So viel Pflichtbewusstsein wäre nur gerecht gewesen, wenn man einmal ans Publikum gedacht hätte. An einem Montag bis kurz vor Mitternacht aufzubleiben, macht die Arbeitswoche nicht leichter. Noch fahrlässiger war es im ersten Spiel. Wenn die französische Mannschaft den Weg frei macht und trotz Heimstatus in den auswärtigen Trikots spielt, können die Belgier die Steilvorlage doch nicht liegen lassen und in den ärmlichen roten Dresses auflaufen. Sie haben sich ohnehin nicht durch Spielwitz hervorgetan. Aber ohne Tintin waren sie von Anfang an verloren. Ich konnte von Glück sagen, nur für die letzten fünf Minuten des Spiels in der heimischen Arena gewesen zu sein. Anschließend hatte ich genug zu kämpfen mit den hängenden Köpfen unserer beiden Protagonisten. Nach dem späten Ende eines enttäuschend langatmigen Fußballabends meine ich, die Franzosen stehen nahezu sicher im Halbfinale - selbst wenn sie für einen Torschuss zwingend einen Belgier brauchten.



Montag, 1. Juli 2024

Spieltag 15

Gestern lief es nicht nach Plan. Zumindest nicht nach unserem. Dass die erste Runde der Wahl in Frankreich in etwa so ausgehen würde, stand zu befürchten. Für den Ausgang der Stichwahl wäre vermutlich nicht förderlich, wenn Belgien heute Abend die französische Mannschaft schlägt. Doch zurück zu gestern - egal, wie hart wir gegen uns selbst sein müssen. Als Gastgeber wird Deutschland wohl noch erwarten können, dass England, egal gegen wen, ins Elfmeterschießen kommt und daran scheitert! Das einzig Positive, das ich dem ersten Spielergebnis abgewinnen kann: Die Schweiz hat mit diesem Gurkengegner (der zudem später und länger im Achtelfinale stand) eine gute Chance, ins Halbfinale einzuziehen. Hop Schwyz!
Beim zweiten wird es schwerer, den Zweckoptimismus zu aktivieren. Die Enttäuschung über die absehbare Niederlage der Georgier griff am späteren Abend in unserer Drachenbezwinger-Arena merklich um sich. Reihenweise zog man sich in der zweiten Halbzeit ob des Spielstands zum Schlafen zurück. Nur der harte Kern hielt auch das harte 4:1 aus. Vielleicht wird die spanische Mannschaft im Viertelfinale überheblich spielen, weil ihnen bisher alles mühelos geglückt ist? Man wird ja wohl träumen dürfen.