Dienstag, 13. September 2022

Erwischt

Allen außer mir war klar, dass es passieren würde. Schließlich hatte es schon fast alle außer mir ereilt. Doch ich hielt mich für übertrieben immun. Warum auch immer, da mein Zustand eher mit abgerockt als mit unbeschreiblich fit zu beschreiben gewesen wäre. Statt also die letzten Spätsommerstunden des Jahres zu genießen, liege ich seit dem Wochenende fast ausschließlich im Bett. Statt in dunklen Räumen Partys zu feiern, wünschte ich mir, mein Schlafzimmer mit Gardinen oder Ähnlichem abdunkeln zu können. Statt notorisch auf offene Schuhe angesprochen zu werden, trage ich lieber gar keine Schuhe - wenn‘s hoch kommt dicke Socken unter zwei Decken - und angesprochen werde ich auch nicht. Denn ja, pünktlich zum Freitagabend kam das böse C zu mir. Da gab es sich zwar noch nicht nachweislich zu erkennen, aber irgendwie ließ Husten ohne Halsschmerzen keinen anderen Schluss zu. Als sich am Samstag dann noch Fieber, Kopfschmerzen und so weiter hinzugesellten, gab es keine Frage mehr. Dennoch blieb es bei einem Strich. Erst als ich mich in der Nacht schlaflos und dennoch wüst vor mich her träumend zu einem weiteren Test überwand, zeigte sich ein pastellfarbener, feiner zweiter Strich. Obwohl ich ungefähr eine Million Kontakte mit Online-Kampagnen des Bundesgesundheitsministeriums zum Thema hatte, fragte ich mich doch, was wohl jetzt zu tun sei. Ich fragte die Expertin, meine Tochter, natürlich nur virtuell, denn isoliert hatte ich mich mehr oder minder, seitdem ich am Freitagabend den Jobrechner heruntergefahren hatte. Selbstverständlich versorgte mich die Tochter sofort mit Links für kostenlose PCR-Tests. Einer davon ganz in der Nähe. Den Weg dorthin schaffte ich gestern sogar. Schon zuvor hatte sich der Sohn oft erkundigt, wie es mir jetzt gehe und ob ich etwas brauche. Er war nicht der Einzige. Jetzt habe ich also offiziell die Pest, oder war es die Cholera? Dank vier Impfungen geht es unterdessen jeden Tag ein bisschen besser.
Zweckoptimistisch betrachtet hat das Ganze zusätzlich  gute Seiten: 
Ich fühle mich sehr geliebt. So viel Unterstützung, Geschenke und Wünsche von so vielen Seiten. 
Außerdem konnte ich die über 1.000 Seiten-Schwarte des neuen Cormoran Strike-Buchs in Bestzeit auslesen, ohne blöde Unterbrechung durch Menschen oder gar Arbeit. Es mag nicht mehr politisch korrekt sein, ihn zu lesen, aber er ist großartig. Das sage ich nicht nur, weil ich Fieber habe.






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