Sonntag, 24. September 2023

Endlich

Entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten stand der Sohn am Küchenfenster und drückte sich dort die Nase platt. Nicht nur bildlich sondern wirklich: ich versuchte mich hinterher daran, die Spuren von der Scheibe zu wischen. Normalerweise kann er nicht weit genug von den Fenstern entfernt sein. Man könnte ihn von außen sehen. Es ist nur meiner hartherzigen Art zu verdanken, dass ich seinem fortwährend vorgetragenen Ansinnen nach Vorhängen oder Jalousien in der Küche (und im Wohnzimmer) aus Prinzip nicht nachkomme. Verwraste Gardinen sind schließlich kein Argument. Und doch, diesmal stand er ungeachtet dessen im Spotlight. Zusätzlich überraschend, dass es ihm nicht darum ging, die Hunde auf dem gegenüberliegenden Auslaufplatz zu beobachten. Stattdessen schien er eine andere Mission zu haben. Irgendwann hörte ich seinen Ausruf: „Der ist von DHL, das respektiere ich nicht!“ Zugegeben, die gelben Jacken mit roten Applikationen tun nichts für die Kollegen, aber derartige Modegesichtspunkte sind dem Sohn bei anderen eigentlich fremd. Es hatte zwar im weitesten Sinne mit Mode zu tun, aber es stellte sich heraus, dass er auf Hermes wartete. Deren Mitarbeiter sollten ihm vor seinem Italienurlaub zwei Hosen liefern („Bis 15 Uhr gebe ich ihnen noch, danach habe ich keine Hoffnung mehr.“). Zur Überbrückung hörte der Sohn nicht etwa „Urlaub in Italien“ sondern Anleitungen in Landessprache, wie man am besten süditalienische Köstlichkeiten zubereite. Irgendwann nach 16 Uhr ging er nicht ganz so beschwingt wie sonst zu seiner Freundin. Zum Glück blieb ich wie sonst noch etwas länger im Home Office. Kurz vor 19 Uhr kam die ersehnte Fracht. Als partiell weniger hartherzige Mutter schickte ich ihm eine Nachricht mit Fotobeweis. Auf die ich wie sonst keine Antwort bekam. Nun ist er angemessen bekleidet in Italien, während ich Urlaub in Frankreich machen darf. Er mag Lieder und Hosen haben, wir haben Le Touquet.


 

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