Dienstag, 31. Dezember 2024

Alle Jahre wieder

Endlich habe ich eine Erklärung. Das üppige Essen über die Weihnachtszeit sorgt für das nötige Phlegma, um nahezu kein schlechtes Gewissen mehr zu haben, was alles noch hätte getan oder erledigt werden müssen. Ich zum Beispiel habe weder eine einzige Weihnachtskarte verschickt noch auf die virtuellen und postalischen Wünsche reagiert, die ich trotz meiner Saumseligkeit bekommen habe. Beim Sport war ich auch bestenfalls sporadisch. Normalerweise nagte so etwas sehr an mir. Jetzt blitzt nur selten ein solcher Gedanke auf, um spätestens zur nächsten Mahlzeit verschüttet zu werden. Währenddessen fallen mir außerdem Argumente wie die vielen unverrückbaren Termine der Saison oder „Wie denn, mit bis zu elf zu versorgenden Personen an jedem Weihnachtstag?“ oder „Ich bin schließlich an jedem Arbeitstag zwischen dem 23. Dezember und dem 6. Januar in der Agentur.“ ein. 
In gleicher Konsequenz sorgen Pickel und Plautze - induziert durch fettes Festmahl - für eine höhere Wahrscheinlichkeit, gute Vorsätze fürs neue Jahr umzusetzen. Demnächst könnte mir der Weg zur Alsterschwimmhalle wieder in den Sinn kommen, und Karten kurz nach Jahreswechsel haben auch etwas.



Montag, 16. Dezember 2024

Ist so

Die Welt ist schlecht. Sagte schon Fil am Donnerstag. Das liege daran, dass sie von Gott geschaffen sei, und der so aussehe, wie Kinder ihn sich vorstellen: ein alter weißer Mann. Ich bin gewillt, ihm recht zu geben. Nicht nur, dass wir seit über zwei Wochen nicht mehr die Sonne gesehen haben (dadurch wirkt die Weihnachtsbeleuchtung draußen wie drinnen immerhin schon tagsüber) und ich seit fast genauso langer Zeit Nasenbluten und Rückenschmerzen habe. Zusätzlich ist meine hoch geschätzte Vileda-Wischmopp-Zentrifuge im Eimer (sic!). Als ob das nicht genug wäre, geht der Tesafilm noch vor dem Geschenke-Einpacken zur Neige, weil ich so viel für Amaryllisstengel verwenden muss. Dann ist mir heute Morgen nach dem Duschen die Unterwäsche vor dem Anziehen in die gerade benutzte, ergo nasse, Duschwanne gefallen. Wer mich besser kennt, weiß, ich ziehe das Farbkonzept der Oberbekleidung auch bei der Unterbekleidung durch - sonst habe ich kein Selbstvertrauen. Allerdings ist mein Kontingent an Farblich-Passendem begrenzt. So musste es nasse Wäsche sein. Im Winter bestimmt gut gegen Rückenschmerzen. Doch was wirklich am schwersten wiegt: Der Wichtel hat einen Tennisarm vom ewigen Winken.



Dienstag, 10. Dezember 2024

Schwierig

Wie jedes Jahr finde ich den Winter schwer zu ertragen. Und jedes Jahr wird er ein größerer Angang, scheint mir. Morgens irgendeinen Grund zu finden, in Dunkelheit und Kälte aufzustehen. Sich bei fast der gleichen Finsternis aus dem Haus zu trauen, um dann garantiert kalten Wind und mindestens Regen, wenn nicht gar Schneeregen, ins Gesicht zu bekommen. Anschließend in der U-Bahn, die bestenfalls wie nasser Hund riecht, auf viele schniefende Menschen zu treffen. Um den lichten Teil des Tages und ein paar Stunden darüber hinaus mit Arbeit zu verbringen. Danach den Rückweg anzutreten. Um zu Hause auf (selbst geschaffene) Unordnung und weitere Mahnmale zu treffen, für deren Beseitigung die Kraft fehlt. Im Dezember kommen viele Verpflichtungen und Treffen hinzu, die unbedingt noch vor Weihnachten stattfinden müssen. So viel zu Lichterglanz und Besinnlichkeit.
Als Motivation ist „Ich habe ein Dach über dem Kopf. Muss nicht im zugigen U-Bahnhof auf kaltem Boden übernachten.“ und „Ich muss mir nicht ganz so viele Sorgen über die Zukunft machen.“ zwar sinnvoll, aber auf Dauer eben nur mäßig geeignet. Vielleicht halte ich mich lieber daran, dass es keine zwei Wochen mehr dauert, bis die Tage wieder länger werden?

(Manchmal ist sogar das Licht an.)

Dienstag, 3. Dezember 2024

Endlich

Während ich in letzter Zeit häufig stumm war, weil außer Arbeit nichts passierte, war ich es jetzt, weil ich zunächst einmal viele Schritte und ebenso viele Eindrücke verarbeiten musste. Allem voran ein verlängertes Wochenende in Berlin. Das konnte durchgezogen werden, obwohl uns die Bahn Wackersteine in den Weg legte. Schon Anfang der Woche gab es noch größere Schwierigkeiten als sonst, die Strecke Hamburg-Berlin (oder Berlin-Hamburg) zurückzulegen. Noch am Donnerstag schien es unmöglich. Ein gewisses Umdenken lässt sich in unseren Köpfen bemerken, denn erst sehr spät und nach längerem Hin und Her kam die Idee, stattdessen mit dem Auto zu fahren. Ewig nicht mehr gemacht. Enttäuschend lediglich, dass nicht wie früher nach Gudow der Himmel aufriss. Obwohl das Wetter anfänglich nicht mit uns war, überzeugte Berlin auch in grau. Einzig der kurze Ausflug ins Theater im Osten wurde mit der S-Bahn bestritten, ansonsten streiften wir zu Fuß durch den Westen. Besonders schön: Den Adventskalender persönlich an den Sohn übergeben zu können. Er erfreute sich zusätzlich daran, an einem U-Bahnhof ausgestiegen zu sein, den es namensgleich in Hamburg und Berlin gebe. Die kleinen Freuden der Gen Z.
Zum Ende der Berlinreise ging es zurück zu den Wurzeln, eine Runde um den Schlachtensee. Zum Glück war das mit den Wurzeln nicht wörtlich gemeint, denn zu meiner Freude stellte ich fest, die Wege sind unterdessen deutlich besser geebnet als zu meiner Kindheit, als ich müde oft über die überirdischen Exemplare stolperte. Die Gespräche der anderen oszillierten zwischen „Wirtschaft ist moralisch verwerflich.“ „Voll, Dicka, voll!“ und „Is‘ dit n‘ Wettaschen?“. Bei besagtem Wetter ging’s zurück - und es hielt sich sogar bis zur Hansestadt. Die Rückkehr fiel allein deswegen nicht so schwer, weil ich am nächsten Tag den Adventskalender an die Tochter überbringen wollte. Erster Dezember inklusive erstem Advent auf der Veddel. Die Tochter warnte mich, ich solle mich „warm anziehen, es sei eisig draußen“. Verkehrte Welt kann auch ganz schön sein.











Freitag, 22. November 2024

Es geht los

Meine Erfahrungen der letzten Jahre hätten mich schwören lassen, es gebe Menschen, die Adventskalender herstellen und solche, die welche bekommen. Die Schnittmenge sei gleich null. Doch heute wurde ich eines Besseren belehrt, denn ich bekam ein wahres Premium-Modell geschenkt. Und so bin ich in lieblosen Zeiten gerade voll der Liebe.



Mittwoch, 20. November 2024

Jetzt aber ernsthaft

Manchmal überrasche ich mich selbst. Als ich gestern Abend nach Hause kam und noch nicht müde genug fürs Bett war, habe ich den zweiten Adventskalender fertig gestellt. Nach getaner Arbeit war ich zwar stolz auf mich, aber weiterhin entfernt vom Einschlafen. Dann eben im Bett lesen. Deutlich nach Mitternacht legte ich pflichtschuldig das Buch weg. Anschließend hätte ich einmal durch die gesamte Wohnung saugen (nicht möglich, ohne die Nachbarn zu stören) und feucht wischen (nicht möglich, weil mein guter Freund, der Zentrifugalwischmob kaputt ist) können. Für die Steuererklärung fehlte mir die Konzentration. Ähnlich verlief der Rest der Nacht. Die gute Nachricht: Jetzt ist wieder alles normal, ich bin müde.



Dienstag, 19. November 2024

Plötzlich Winter

Bisher schob ich jedes Jahr am 30. November/1. Dezember eine Nachtschicht, um den Adventskalender für die Brut fristgerecht fertig zu stellen. Selbst als nur noch 24 Beutelchen für ein Kind aufzuhängen waren, blieb es bei diesem Ritual. Kaum dass alle ausgezogen sind, klappt es bereits Mitte November. Gestern Abend der erste für den Export nach Berlin, demnächst dann auch der zweite, den lediglich eine Überführung auf die Veddel erwartet. Während ich einerseits stolz auf mein Zeitmanagement bin, frage ich mich andererseits, warum ich diese Saison so früh dran bin. Eventuell habe ich mehr Zeit, weil ich weniger mit Wegräumen und Essenbeschaffung verbringe? Vielleicht bin ich nach vielen Jahren Erfahrung unterdessen besser organisiert? Oder liegt es daran, dass ich mich nicht um die Installation kümmern muss (bloßes In-Beutel-Stecken und In-Die-Gewünschte-Reihenfolge-Bringen ist weniger aufwändig)? Es wird vermutlich ein ewiges Mysterium bleiben. In der gewonnenen Zeit kann ich mehr arbeiten und mir parallel überlegen, welche Weihnachtsdekoration ich dem erstmals kahlen Treppengeländer angedeihen lasse. Und erziele am Ende netto keinen Gewinn.



Dienstag, 12. November 2024

Dunkel

Die Jahreszeit kann nichts. Keine neue Erkenntnis - und von mir aus Gründen schon mehrfach, geradezu regelmäßig, vorgebracht. Und doch schafft sie ein paar Highlights. Ich meine nicht Kürbisse oder Gemütlichkeit. Beim Laubfegen konnte ich beispielsweise den Parkplatz der Nachbarn aussparen, die mich nicht grüßen (beziehungsweise meinen Gruß nicht erwidern). Kindisches Verhalten meinerseits, ich weiß, aber verschaffte mir dennoch eine wärmende Genugtuung. Zumindest bis zu dem Moment, als der Nachbar sein Auto wieder auf den Platz stellte und mein Kunstwerk nicht mehr zu sehen war. Ohne fallende Blätter jedenfalls wäre das Spielchen nicht möglich gewesen. Dann wären mir allerdings auch der leichte Nieselregen und die zwischen dem Laub platzierten Kackhaufen und benutzten Kondome erspart geblieben.
Mit dem Online Banking geht es mir ähnlich wie mit dem Herbst. Vollkommen klar, dass es/er sich nicht umgehen lässt, ich will es/ihn trotzdem nicht. Beide lassen mich spüren, dass sie mit mir mindestens genauso wenig anfangen können wie ich mit ihnen. Jeder meiner Versuche mit dem Online Banking endet in einer weiteren Episode aus „Mein Leben im Zirkelbezug“. Um mich registrieren zu können, brauche ich eine TAN, um eine TAN zu erhalten, muss ich meine Telefonnummer in der Registrierung hinterlegen. Und immer so weiter. Ich frage mich wirklich, wie andere Menschen diese Hürden nehmen. Wenn irgendwann die letzte echte Filiale der letzten Bank schließt, werde ich wohl oder übel dazu übergehen müssen, meine Golddukaten im Sparstrumpf unter der Matratze zu deponieren. Bis dahin werden hoffentlich noch einige Herbste vergehen.




Donnerstag, 31. Oktober 2024

No Risk, No Fun

Umständehalber musste ich mich auf den Weg in den Süden machen. Das gestrandete Auto sollte nun nach knapp sechs Wochen schon fertig repariert sein. Obwohl es sich irgendwo in der Einöde Frankreichs befindet, führte mich der Weg zunächst einmal nach Valencia, denn dort befand sich der Leihwagen, der die einzige Möglichkeit war, uns vor einigen Wochen aus dem französischen Nirgendwo zu holen. Der jedoch irgendwann auch wieder ins Department 46 zurück musste, wenn der Bon vierstellig bleiben sollte.
Der ungeplante Ausflug war klimatisch zwar nicht die erhoffte Offenbarung, brachte aber zumindest eine Mittagspause in den tobenden Fluten mit sich. Hätte man außerhalb der Saison Interesse an Baywatch, wäre mit Sicherheit die rote Fahne gehisst worden. So konnte ich ungestört in die meterhohen Wellen. Am Tag danach (und davor) war es bei uns ausschließlich herbstlich. Das Mittelmeer erinnerte an die Nordsee, und war dafür überraschend lange zu sehen. Begleitet wurde der blanke Hans standesgemäß von anständig Wind und Regen. Doch zum Glück blieb unser Ort von Schlimmerem verschont. Wir wunderten uns eher über die ständigen spanischen Warnmeldungen auf unseren Telefonen. Erst am Folgetag, als wir unseren Weg in Richtung Frankreich antreten wollten, wurde uns das ganze Grauen bewusst. An einer Stelle senkrecht weggebrochener Boden, der fünf Meter in die Tiefe führt, an der anderen trockener Boden. Auf der einen Seite geflutete Felder, auf der anderen die übliche Herbsttrockenheit. Gesperrte Straßen, voll mit Schlamm, Palmenresten und Schilf, zusammengebrochene Telefonnetze, vom Internet ganz zu schweigen. Alles erinnerte an Element of Crimes „Am ersten Sonntag nach dem Weltuntergang“. Für den Teil, der normalerweise maximal eine Stunde braucht, waren wir vier Stunden unterwegs. Und am Ende doch dankbar, dass unser einziges Problem darin bestand, zu spät fürs Abendessen in Frankreich anzukommen.
Unwirklich, dass nach all dem Regen heute in Frankreich die Sonne schien. Noch unwirklicher, dass das Auto repariert war. Laut dem freundlichen Mechaniker war das Getriebe wirklich platt, aber jetzt wieder bestens hergestellt. Freundliche Konversation, Übergabe, Bezahlung und Abfahrt waren am Ende in weniger als einer Viertelstunde erledigt. Etwas weniger schnell ging anschließend jedoch die Abgabe des Mietwagens vonstatten. Das freundliche Personal verstand sich eher auf Autos als auf Tarifberechnung. Die unglaublich hohen Beträge mussten erst am Computer, dann am Smartphone und finalement am Taschenrechner überprüft werden. Um zuletzt im Plenum diskutiert zu werden. Während man in Villeneuve noch debattierte, hatte Neustadt - ganz sales boches - den horrenden Betrag bereits abgezählt. Mit Zeitverzug ging es weiter, zumal bestens gelaunt wegen des unverhofften Autotauschs und des vertrauten Gefährts. Nichts geht doch darüber, am Ende eines erfolgreichen Tages in sein großes Bett zu fallen.



Montag, 21. Oktober 2024

Community Payback

Es scheint ungerecht. Diejenigen, die ständig missionieren, der Herbst sei die schönste Jahreszeit, das goldene Laub und so, sind nie diejenigen, die die ach so bunten Blätter wegfegen. Meiner Individualempirie zufolge sind es stattdessen immer die, die berechtigte Vorbehalte gegen die aktuelle Saison haben. Dass ich jetzt an der Hand eine Blase vom Fegen habe, verbessert die Situation nicht. Und das, obwohl ich gestern von Anfang an Handschuhe zur Prävention trug. Wahrscheinlich war es nicht allzu klug, sich direkt nach dem Besuch der Alsterschwimmhalle an den Besen zu begeben, als die Haut noch ein wenig aufgeweicht war. Doch was will man machen, wenn es dabei nicht stockfinster sein soll? Ein weiterer Grund, dem Herbst nicht gewogen zu sein: die frühe Dunkelheit. Nachts sind alle Blätter grau. Und der Rückschritt „Umstellen auf Winterzeit“ folgt erst. 
Natürlich gab es in letzter Zeit auch überraschend schöne Erlebnisse. Den Antrittsbesuch in der neuen Wohnung der Tochter, einem Hotspot für Trainspotter (das war für mich allerdings nicht das Highlight), oder den ersten Probelauf mit dem neu erworbenen Staubsauger. Leistung und Licht machen den Wohnungsputz zu einem Reinigungserlebnis. Leider offenbart die Beleuchtung nun erst recht die untragbaren Hygienezustände in meiner Wohnung. Doch das Beste: Die vergleichsweise hohen Temperaturen bescherten mir noch ein paar Zusatztage in offenen Schuhen. An den Füßen immerhin keine Blasen.



Montag, 14. Oktober 2024

Ach, Herbst

Richtig zu Hause angekommen ist man erst, wenn man wieder bei den Glascontainerleerungen in Dunkelheit zugegen war (natürlich vor 7 Uhr). Egal, wie viel Arbeit und Geburtstagstisch-Improvisation voranging. Vergleichsweise spontan wurde mir mitgeteilt, an seinem Ehrentag werde der Sohn sich ebendiese in Hamburg geben. Es war schön, ein volles Haus zu haben. Weniger schön hingegen ist es, sich an die hiesigen Verhältnisse zu gewöhnen. Im Sommer in Deutschland abzureisen und im Herbst anzukommen, macht die Rückkehr nicht leichter. Allein meine Füße nach gut sechsmonatiger Pause an geschlossene Schuhe zu gewöhnen, könnte als Vollzeit-Job durchgehen. Gut durchdacht war immerhin, sich zum Einstieg in Herbst und Arbeit keine volle Woche zu geben. Nach einer halben Woche Kälte, Dunkelheit, angezählter Bäume und Aufenthalt in geschlossenen Räumen ohne Meer war ein Wochenende dringend erforderlich; wenngleich dieses ebenfalls in unzureichenden klimatischen Bedingungen verbracht werden musste. Und doch gab es auch hier positive Highlights. Mein einzig zitierfähiges von diesem Wochenende war der Satz: „Seit dem Osterpreisskat 1981 hatte ich keinen Korn mehr.“ Als ich ihn in meiner Begeisterung der Tochter zutrug, schrieb sie zurück: „Er hat einige Jahrzehnte gute Kornmischgetränke verpasst. Das muss dringend nachgeholt werden!“ Vermutlich liegt in solchen Programmpunkten der Charme dieser Jahreszeit.



Sonntag, 6. Oktober 2024

Wirtschaft

Im Traum war mir, als käme der Radau aus der Pilz-&Pils-Gaststätte, die mein Cousin und seine Frau irgendwo im Wald betrieben. Im Aufwachen freute ich mich sehr über das gastronomische Konzept bzw. den Namen, musste aber feststellen, in Wirklichkeit kam der Krach vom sonnabendlichen Vorfinale der hiesigen Strandsaison. Aus dem Club gegenüber, besser gesagt dem, was sich vor dessen Tür abspielte. Hauptverantwortliche schien Paola zu sein. Immer wieder kurios, dass die zumeist sonoren und etwas rostigen Frauenstimmen unter Alkoholkonsum nicht nur deutlich lauter, sondern auch merklich hochfrequenter werden. Außerdem klingen Dialoge zwischen zwei bis vier Personen nach einer mindestens zweistelligen Gruppe und immer nach intensiven Streitgesprächen. Um bei bestätigten Vorurteilen zu bleiben: Was den Männern an kieksigen Stimmen fehlt, machen sie mit Motorengeräuschen wett, unbedingt flankiert durch quietschende Reifen und, wenn es keine Motorräder sind, auch durch Türenknallen. In Sachen Schlaf war die heutige Nacht sicherlich keine Erfolgsgeschichte - und doch bin ich betrübt, das spanische Saisonfinale in der herbstlichen Stille der voraussichtlich nebligen Hansestadt verbringen zu müssen.



Donnerstag, 3. Oktober 2024

Festivo

Heute ist einer der wenigen Tage, an denen in Deutschland ein Feiertag begangen werden darf und hier nicht. Vermutlich aus Ärger darüber rächt man sich hier mit einer roten Flagge. Obwohl traumhafte Bedingungen sind: Das Mittelmeer spielt Atlantik, ein vermeintlich kalter Nordwind sorgt für gleiche Wasser- und Lufttemperaturen (24°), Meer und Himmel versuchen sich gegenseitig mit dem schöneren Blau zu überbieten. Aus freiwilliger Selbstkontrolle habe ich mir 7/8-lange Hosen angezogen. Sonst wäre ich zu traurig, nicht im verlockenden Wasser baden zu dürfen. Es geht doch nichts über feuchte Wadenwickel am Tag der deutschen Einheit. Reine Grippefurcht im Herbst.







Dienstag, 1. Oktober 2024

Traumhaft

Heute Nacht träumte ich, mich in Deutschland zu befinden. Nicht vollständig abwegig, aber im Moment nicht zutreffend. Unterschwellig hörte ich das Meeresrauschen, verarbeitete es gedanklich allerdings zu anhaltendem ergiebigen Regen. Möglicherweise zu Unrecht meckere ich unterbewusst am heimischen Frühherbstwetter herum. 

Ich hatte den Auftrag für eine gesichtslose Person aus meinem Umfeld ein veganes Hortensien-Steak zu besorgen. Dies versuchte ich an allen Ecken und Enden einer Shopping Mall in irgendeinem Obergeschoss. Ich ließ keinen Laden aus, selbst nicht die Bank, die sich im Umbau befand und nur mit Pappkartons an den Wänden verkleidet war. Endlich wurde ich in einem Reformhaus oder einem ähnlich protestantisch-freudlosen Geschäft fündig. Die Kassiererin sang ein Hohelied auf dieses Hortensien-Steak im Besonderen. Es sei das beste seiner Art. Ich fand, es sah eher aus wie ein Leberkäse. Doch als Nicht-Veganerin steht mir in dem Punkt kein Urteil zu. Ich brachte es in die Wohnung der mir bekannten, aber gesichtslosen Person. In deren Esszimmer befanden sich alle möglichen Aufsteller, die offensichtlich seit der Bankrenovierung entbehrlich waren (Kreditangebote, Immobilienschätzung etc.; von der blau-gelben Farbgebung her tippe ich auf die Postbank). Die erfreute Empfängerin machte die vegane Delikatesse warm, aß sie mit Genuss und unter lautem Lob auf. Um anschließend mit der gleichen Hingabe einen großen Teller spanischen Schinkens zu leeren. Ich bin mir nicht ganz sicher, welche Deutung dieser Traum erfahren könnte. Aber ich bin mir ganz sicher, dass ich mit Hortensien-Steaks dem nächsten veganen Trend auf der Spur bin.

Samstag, 28. September 2024

Schlechter Charakter?

Wegen interkulturell ungebührlichen Verhaltens in jüngster Vergangenheit habe ich mit Abzügen der Karmapunkte zu rechnen.
Nicht nur, dass ich gestern kurz vor der freitäglichen Mittagspause die Dreistigkeit besaß, die französische Werkstatt anzurufen, ob sie den seit fast einer Woche nutzlos herumstehenden Wagen unterdessen zumindest schon einmal angesehen haben (Man versprach: « Cet après-midi. On vous tient au courant, madame! »). Nein, ich wiederholte meinen Anruf auch noch kurz vor 18 Uhr, bevor die Garage fürs Wochenende schloss. Offenkundig hatte man nicht vor, mich im preußischen Sinne auf dem Laufenden zu halten. Knapp eine Woche und diverse entnervte Reaktionen später also immerhin eine fachmännische Diagnose. Die sich praktisch nicht von meiner laienhaften unterschied. Undankbar wie ich bin, hielt sich meine Begeisterung über die Bestzeit in Grenzen. Ich räche mich, indem ich mich im asiatischen Mietwagen mit französischen Kennzeichen benehme wie eine offene Hose. Fällt aufs Departement 46 zurück.
Bei meinem anschließenden Strandspaziergang gestern Abend erboste ich dann Teile der Einheimischen. Ein Paar in den besten Jahren hatte seine beiden Plastikliegen einigermaßen unpassierbar quer zum Strand in die Wasserkante gestellt. Wären es fußlahme Menschen oder Kinder beim Kleckerburgenbauen gewesen, wäre ich die Letzte, die nicht brav einen Umweg angetreten wäre. So ging ich auf Hin- und Rückweg dicht hinter ihren Rückenlehnen her und bemühte mich nicht, spritzärmer als sonst durchs wadentiefe Wasser zu laufen. Ich gestehe, ihr Aufschrecken bereitete mir Freude. Auf dem Rückweg erwischte ich leider nur sie - er wiederum holte gerade irgendetwas aus ihren anderswo in den Weg geworfenen Taschen. Ohne das regulative Einlenken ihres Gatten war Señora in ihrem Unmut ungebremst und rief mir lautstark, vermutlich unflätige Worte hinterher, deren Sinn sich mir zum Glück nicht erschloss. 
Da kleine Sünden bekanntlich postwendend bestraft werden, hat man heute - am ersten Tag hier, an dem die Brandung attraktiver als am Wannsee ist - blauestem Himmel zum Trotz die rote Flagge gehisst. Baden verboten. Das habe ich jetzt davon.



Mittwoch, 25. September 2024

Alles wird gut

Es braucht schon einiges, wenn ich als bekennend Francophile in Freude ausbreche, weil wir die französische Grenze hinter uns gelassen haben. Und doch war es so. 
Dank der Intervention unserer Hotelbesitzerin durften wir einen Wagen mieten (nur etwa einen Kilometer entfernt vom Hotel). Der sogar ohne Probleme die Grenze passieren darf, so lange er weiterhin in der EU bleibt. Wieder stimme ich meine persönliche Glücksmelodie „Schengen, Schengen, Schengen“ an. Schwamm drüber, dass das Auto selbst nach Abzug der Versicherungserstattung ein Vermögen kosten wird. Die Erleichterung, nicht mehr im nassen Department Lot festhängen zu müssen, ist schon den einen oder anderen Euro wert. Endlich kam mein Premium-Europa-Führerschein im Pocketformat zu seinem ersten offiziellen Einsatz. Nachdem er ausreichend Würdigung erfahren hatte, brausten wir schnell zur Garage im Wald, um dort noch vor der Mittagspause mit verschlossenen Toren das restliche Gepäck aus dem liegen gebliebenen und von der Werkstatt bisher links liegen gelassenen Wagen in das Mietmodell zu transferieren. Besonders erfreulich: Die Hortensie mit Destination Spanien hatte genauso wenig aufgegeben wie wir - obwohl ihr Schicksal im Wald sicherlich trostloser war als unseres im 80 Kilometer entfernten Ort. In den wir anschließend wieder fuhren, um dort die Hotelrechnung zu begleichen und uns in Richtung Spanien aufzumachen. Wo wir sogar angekommen sind, wenngleich noch nicht ganz am gewünschten Ort. En route, das ist die Hauptsache. Wen kümmert da die klitzekleine Stinkbombe, dass die Hecktür des Leihwagens nicht schließt? Ein Gruß aus der Küche muss immer dabei sein.

Bon dia!

Dienstag, 24. September 2024

Irgendwo im Nirgendwo

Seit Sonnabend hängen wir nun fest. In einem kleinen Ort im Südwesten Frankreichs, der für die Durchreise schön sein kann, ansonsten an allen Ecken „province“ ausstrahlt. Für die Stimmung nicht eben zuträglich: Zu Hause sommerlicher Sonnenschein, hier ergiebiger Regen. Auch kein Trost, dass die Schlechwetterfront - wie üblich von Westen kommend - nun auch Deutschland erreicht hat. In unserem Hotel mischt sich die allgegenwärtige, herbstliche Herznote „Nasser Hund“ außerdem mit der Basisnote, die die zwei zusätzlich internierten Hotelhündinnen ausstrahlen. Abgesehen von ästhetischen Aspekten beide eher der Typ Hund, dem bei uns der Maulkorb auferlegt würde. Anders als ihre kanine Vorliebe vermuten lässt, ist Madame la Hotelière unglaublich nett und hilfsbereit. Sie versucht, uns an allen Ecken und Enden aus der Dauerschleife zu befreien zu helfen. Einen One-Way-Leihwagen gibt es hier nicht, ein Mietwagen wird uns ohnehin verwehrt mit dem Argument, zusätzlich zu gültigem Ausweis und Führerschein müsse man einen mindestens drei Monate gültigen Adressnachweis erbringen. Was das auch für ein Dokument sein mag. Die Versicherung bietet vollmundig eine 1. Klasse-Bahnfahrt für die gesamte Heimreise an (ursprünglich wollte ich nicht in den deutschen Herbst), vernachlässigt dabei aber den gesamten Inhalt des Autos, von dem ein Gutteil irgendwo im Wald im Fond des liegengebliebenen Autos gleichermaßen zurückgeblieben ist. Der soll nicht bei den sieben Zwergen überwintern. Überhaupt das Auto: Mit einer Diagnose ist frühestens an Tag 5 nach dem Abschleppen zu rechnen, eine Reparatur soll mindestens drei Wochen benötigen. Sämtliche Versuche, den Prozess zu beschleunigen, scheitern kläglich. Weniger daran, dass mein Französisch in automotiven Themen wirklich schwächlich ist, sondern mehr wegen der vollen Terminkalender allenthalben. Nie wieder möchte ich Klagen über den Fachkräftemangel als exklusiv deutsches Problem hören!
Noch bewahre ich mir meinen Zweitgeborenen-Zweckoptimismus. Doch wie lange noch? Es bleibt die Frage, ob und wenn ja, wann und wie wir hier wegkommen. Währenddessen zählen lustig die Urlaubstage herunter. Vielleicht sollten wir einen Hauskauf vor Ort erwägen? Dann klappt‘s auch mit dem Mietwagen. Irgendwann zumindest.



Samstag, 21. September 2024

Abenteuerurlaub

Gestern dachte ich, meine immer noch nicht ganz vollständige Urlaubsübergabe sei das aufregendste an diesen Ferien. Heute wurde ich eines Besseren belehrt. Während des Fahrens wunderte ich mich, dass mir das Auto immer wieder vorschlug, in den sechsten Gang zu schalten, obwohl ich mich darin befand. Außerdem stieg es immer mal wieder ohne Grund auf hohe Drehzahlen. Irgendwann spackte es vollkommen herum, weswegen ich warnblinkend eine Not-Haltebucht anfuhr. In weiser Voraussicht, wie sich herausstellte, denn beim anschließenden Startversuch ließ sich der Wagen zwar anlassen, aber nicht bewegen. Ein weiterer Glücksfall: Ausland-Notrufnummer und Mitgliedsnummer fanden sich schnell. Die kuriose Buchstabenfolge französischer Ortsnamen der bajuwarischen Stimme am anderen Ende klar zu machen, gestaltete sich schon schwieriger. Den süddeutschen Herrn auch dazu zu bewegen, einen Abschleppdienst in die unaussprechliche Einöde zu schicken, wurde noch heikler. Über eine Hotline in Italien funktionierte die Order dann. Keine halbe Stunde später kamen Laster und Fahrer, sogar nach Frankreich und nicht nach Italien. Als weiteres erstes Mal kann ich nun sagen, auf der Rückbank eines Abschlepplasters mitgefahren zu sein. Von meiner hohen Position aus konnte ich nichts weiter als den Asphalt erkennen. Vielleicht besser so. Irgendwann landeten wir bei einer Garage mitten im Wald. Einzige Menschen neben uns und vielen Bäumen waren der Garagenchef, der mit einem Traktor die Rasenfläche zwischen Eingangstor und Büro mähte, und eine rumänische Großfamilie, die ebendiesen Chef versuchte davon zu überzeugen, er möge doch statt eines 16er Reifens einen 17er als Ersatz nehmen. Seine Bemühungen ihnen zu erläutern, dieser passe nicht, wurden mit dem konzentriert vorgetragenen Argument weggewischt, größer sei immer besser und könne mehr. Irgendwann gaben die Automechaniker auf und meinten aktivistisch, sie müssten den Laden schließen, um dem Drängen aus dem Balkanraum aus dem Weg zu gehen. So standen wir mit Koffern, Jacken und anderem Kleinkram alleine gelassen vor den Toren der Werkstatt im Nirgendwo und hofften, uns werde dort irgendwann ein vorbestelltes Taxi abholen. In der Wartezeit fanden sich Pilze (O-Ton der Tochter:
„Pilze sind natürlich immer ne tolle Sache. Ich befürchte nur, dass ihr gerade wahrscheinlich wenig damit anfangen könnt“). Früher als befürchtet traf das Taxi ein, das uns zum etwa 80 Kilometer entfernten Etappenziel brachte. Versteht sich von selbst, dass vor Montag nichts passieren wird. Außer, dass nach dem Auto auch noch eins unserer Mobiltelefone (mit den Hotline-Nummern, versteht sich!) aufgegeben hat. Doch das Repertoire zweckoptimistischer Argumente ist zum Glück noch nicht versiegt („Wir müssen keinen Parkplatz vorm Hotel suchen.“, „Wir können beide trinken.“, „Wir haben die péage-Gebühren gespart.“, „Wie viel besser man die Landschaft ansehen kann, wenn man nicht auf die Straße achten muss.“ usw. usf.). Weitere Gründe werden gerne entgegengenommen.
Schwein gab es am Morgen beim Bäcker. Danach nicht mehr ganz so.



Sonntag, 15. September 2024

Regionale Bräuche

Der Sohn als Neu-Berliner (nicht zu verwechseln mit frisch gebackenem Pfannkuchen!) empörte sich letzthin, „in Berlin fallen ständig Bahnen aus, das habe er in Hamburg noch nie erlebt“. Mich als Alt-Berlinerin (nur mäßig vergleichbar mit altbackenem Pfannkuchen) traf diese Kritik, die ich im Übrigen nicht teile. Im Grunde scheinen mir die Unterschiede nicht so sehr im ÖPNV als vielmehr in der Kommunikation zu liegen. Während in Berlin offensiv mit Ausfällen oder Taktverringerungen (statt alle vier Minuten kommt die Linie 9 nur noch alle fünf Minuten etc.) umgegangen wird, werden sie in Hamburg unter den Tisch gekehrt. Die Anzeige, wann die nächste Bahn, der nächste Bus zu erwarten sei, erhöht sich einfach oder stagniert mal gerne zehn Minuten. Vielleicht nennen sie auch das hanseatisches Understatement. Egal. Prompt meint das gutgläubige Hamburger Kind, Ausfälle gebe es in der Hansestadt nie. Während sich die hektische Berliner Mutter an gleicher Stelle aufgerüscht denkt: „Hätten sie es mir gleich gesagt, hätte ich mir eine schnellere Alternative suchen können.“ 
Gestern habe ich in der Hamburger Innenstadt übrigens 35 Minuten auf den Bus gewartet, weil erst der vierte angekündigte kam. Die drei vorangegangenen verschwanden zwei bis fünf Minuten nach Plan von der Anzeige bzw. wurden in der App als „nicht mehr erreichbar“ (Ja, wie denn auch?) geführt. Nimm das, mein Sohn!
Dass der Fahrer des einzig erschienenen Busses kein Deutsch sprach, ich im vorderen Teil des Fahrzeugs die ehrenamtliche Verkehrsauskunft gab, und nicht allzu sicher in seinen Fahrkünsten war (hanseatisches Understatement: er rollte an der Haltestelle am Michel bergabwärts, als Fahrgäste ausstiegen, weil er wohl die Bremse vernachlässigte), steht auf einem anderen Blatt. Fachkräftemangel allenthalben.



Sonntag, 8. September 2024

Buchlese

Im Grunde sind Buchneuerscheinungen der einzig statthafte Grund, sich auf September/Oktober zu freuen (Don’t call it Herbst - or worse: Bücherherbst!). Zum ersten, mir möglichen Zeitpunkt außerhalb der System- oder gar Online-Buchhandlungen besorgte ich mir Freitag in der Mittagspause das neu erschienene Opus Magnum des „großen Frank Schulz“ (G. Henschel). Im vor Büchern berstenden kleinen Verkaufsraum fand ich das Buch nicht. Dies war umso erstaunlicher, als das Magnum in Opus mit etwa 750 Seiten durchaus wörtlich zu nehmen ist. Um die wartenden Kollegen nicht über Gebühr von der Arbeit abzuhalten (Sorgfaltspflicht als Chefin?), wandte ich mich an die sympathische grauhaarige Buchhändlerin. Sie tippte „schul“ und „goli“ in die Tasten und teilte mir freudestrahlend mit, sie habe das Buch vorrätig. Schob ein Regal zur Seite und fand es dahinter, irgendwo unten, alphabetisch sortiert eben. Da das Buch einen nicht unerheblichen Teil ihres Eigengewichts maß, konstatierte sie, ich habe mir ja einiges vorgenommen. Ich antwortete noch freudestrahlender, es sei nur gut so, jede Seite lohne sich bestimmt - und auch die lange Wartezeit seit dem letzten Buch. Sie guckte mich fragend an und gestand, noch nichts von Frank Schulz gelesen zu haben. So kam ich - hufescharrender Kollegen zum Trotz - zum ersten Mal in meinem Leben dazu, einer Buchhändlerin Leseratschläge zu geben: „Zum Einstieg empfehle ich seinen Erzählungsband „Anmut und Feigheit“ von 2018 im gleichen Verlag erschienen.“ Gleiches passierte Sekunden später (die Wartenden!) nochmals an der Kasse. Die etwas gewichtigere Kollegin dort, die man sich wegen ihrer Art und des Outfits eher im FC St. Pauli-Fanshop vorstellen könnte: „Boah, Sie haben sich ja einen Wälzer vorgenommen! Lohnt sich der?“ „Unbedingt!“
Nach der Arbeit fuhr ich am Abend zu meiner Einladung ins Outback. Die App sagte mir, ich komme mit nur minimalen Gehwegen in nur 40 Minuten direkt mit dem Bus dorthin. Mit Sitzplatz konnte ich das neue Buch nicht länger im Rucksack lassen. Während des Lesens setzte sich eine Mitfahrerin neben mich. Sie bekam mein Lachen und Schmunzeln mit, weswegen sie versuchte auf den Buchrücken, wie man im HVV-Dreierbus in Richtung Schenefeld eben sagt, zu luschern. Trotz fesselnder Lektüre hielt ich ihr das Buch hin. Sie habe meine Belustigung mitbekommen (ach, was?), Buch und Autor müsse sie sich merken. „Unbedingt!“
In meinem Umfeld habe ich damit allen im Vorfeld in den Ohren gelegen: Gestern dann die Lesung von Frank Schulz himself, fast noch in unserem beschaulichen Dorf. Nicht nur ist das Buch großartig, er las es auch wunderbar, kam im Gespräch sympathisch und charmant herüber. Nahezu einzige Kritikpunkte aus meiner Groupie-Sicht: Wieder einmal die junge Ehefrau und dass in den wenigen Stunden Netto-Lesezeit knapp ein Viertel des Buches bereits ausgelesen sind. 




Donnerstag, 5. September 2024

Time flies

Vor lauter einmaligen Erlebnissen komme ich nicht dazu, über sie zu berichten. Wieder einmal die Theorie widerlegt, im fortgerückten Alter geschehen keine ersten Male mehr. 
Premiere war beispielsweise, in meiner Geburtsstadt für ein klassisches Touri-Foto zu posieren (wenngleich nicht meine Idee!). Zu schön war das Schloss Charlottenburg in der Abendsonne. Und überhaupt, das bessere Wetter, die langen und breiten Sichtachsen, die mich immer wieder für Berlin einnehmen. 
Ein anderes erstes Mal dort, war die Wohnung des Sohnes zu besuchen. Dass ich ihn auf Sehenswürdigkeiten in seiner neuen Hood hinweisen konnte, gab mir ein befriedigendes Gefühl. Dass er in sehr eingeschränkten Möglichkeiten für mich kochte, rührte mich sehr. Er war mit seinem Werk zwar nicht zufrieden, ich in jedem Fall. Den gemeinsamen Nachmittag mit viel Neuem und Altbekannten haben wir beide sehr genossen.
Das Konzert, das all dem vorangegangen war, kann nur als Wiederholungstat bezeichnet werden. Es war wie jedes Mal das beste seiner Reihe.
Hart dann nur der Aufschlag in der Hansestadt. Wie erwartet kühler und mit mehr Arbeit versehen. Doch auch hier gibt es im Spätsommer - Don‘t call it Herbst! - manchmal Gelegenheiten, sich den Alltag zu versüßen. 









Freitag, 30. August 2024

Das Nest ist gar nicht leer

Alleinsein kann nicht aufkommen, wenn die Wohnung fast ausschließlich im eigentlichen Wortsinn genutzt wird - also kaum zum Arbeiten - und ausreichend Besuch vor Ort ist. Punkt 1 erklärt sich durch neue Büroräume, die mehr zu bieten haben und vor allem besser gelegen sind. Punkt 2 durch Personen, die hier im beschaulichen Dorf vorbeikommen. Zugegeben, die zeitweilige Anwesenheit des Sohnes habe ich im Office arbeitend nur an Essenpackungen im Müll (immerhin!), Latschen vor dem Daybed im Wohnzimmer, Wäsche im Korb (immerhin!) und Reisresten in einem Topf bemerkt. Die der Tochter schon mehr, weil sie in Teilen parallel zu meiner häuslichen Präsenz stattfand. Durch den Auszug ihrer Mitbewohnerin hat sie aktuell kein WLAN, da der Router mit nach Berlin gezogen ist. Zum Monatsende kann das mütterliche Netz zur Rettung werden, wenn die Studentin bis Ende August ein Portfolio abgeben muss. So arbeiteten gestern Mutter und Tochter zeitgleich in der vermeintlich verwaisten Wohnung. Ich an meinem üblichen Zeug und sie „frankensteine“ ihre Arbeit, so der O-Ton. Währenddessen kamen Lieferanten vorbei, die Geschenkbestellungen für uns oder Pakete für die Nachbarn mitbrachten. Zusätzliche Belegung erfährt unser Zuhause durch den Besuch des Bruders/Onkels, der diese Woche die Ehre hat, an einem Kongress in Hamburg teilnehmen zu dürfen. Schön, dass den Geschwistern Zeit für zumindest einen Abend auf dem Balkon blieb - und sich die Hansestadt für alle auswärtigen Teilnehmer und Teilnehmerinnen von der sonnigsten und lauesten Seite zeigte.



Donnerstag, 22. August 2024

Empty Nest

In letzter Zeit komme ich mit dem leeren Nest immer besser zurecht. Trübe Momente bekämpfe ich einigermaßen erfolgreich mit Wassersport. Bei den überschüssigen Pfunden will diese Strategie nicht genauso gut verfangen. Ich beginne Freiheiten und Selbstbestimmung zu genießen - und werde wahrscheinlich wunderlich. Noch mehr genieße ich allerdings die Gelegenheiten, wenn sich die Brut wieder einmal hier einfindet. Mit dem Sohn gemeinsam kochen, mit der Tochter philosophieren („Mama, August ist wie Sonntag; irgendwie schön, aber auch wehmütig.“). Alles wird intensiver, wenn es nicht mehr Teil des Alltags ist. Dreck und Unordnung hingegen nehmen deutlich ab, wenn sie nur noch aus eigener Hand kommen. Selbst mein Zweckoptimismus stößt jedoch an seine Grenzen, wenn ich mich allein Zuhaus grusele, weil ein Junkie direkt vor meiner Tür die Blumenkästen durchwühlt. Vielleicht entsteht die Aktion „Das letzte Kind hat Fell“ nur aus einem Schutzbedürfnis?



Montag, 19. August 2024

La rentrée

Offenbar haben mich die letzten drei Wochen doch stärker mitgenommen als gedacht. Ich träumte heute Nacht, vor allen etwas vortragen zu müssen und mich an nichts, wirklich gar nichts (wahrscheinlich nicht einmal meinen Namen) erinnern zu können. Aufbauend war daran lediglich der Trost der Kollegen anschließend. Dieses Szenario ist umso überraschender, als ich eigentlich dachte, die Urlaubsvertretungszeit mit ausreichend sportlicher Aktivität gut ausgeglichen zu haben. Endlich bin ich wieder ins Wassersportgeschäft eingestiegen. Warum eigentlich nicht schon früher? Eine gewisse Zeit ist die fast dörfliche Schwimmhalle schließlich schon wiedereröffnet. Muss wohl diese Trägheit sein, von der manchmal die Rede ist. Unterdessen bin ich von den Kursen nicht mehr so erschöpft (Trainingseffekt?), dass ich wieder Sozialstudien aufnehmen kann, vor allem die der Trainerinnen und Trainer. Das Spektrum geht von weltfremd-verstrahlt („Weißt du was ich entdeckt habe? Wenn ich zwischendurch Weintrauben esse, komme ich gut über den Tag.“) über slawische Antreiberin („Chabe ich gesagt, ihr sollt aufchören?“), zum Muskelmann, der sich am Beckenrand fast mit überambitioniertem Vater prügelt („Ihr geht mir sowas von auf den Sack!“) bis hin zum Poser, für den der Kurs nur nebensächlich ist und der bedauert, vor Ort keine Spiegel vorzufinden. Letzterer belustigte mich zusätzlich, als er zu Beginn eine (von drei) Kursteilnehmerinnen fragte, wie sie heiße („Marion.“) und sie anschließend die gesamte Dreiviertelstunde konsequent mit Sybille anredete. Worauf die blasierte Kuh bis zum Ende einfach nicht reagieren wollte. Kein Wunder, dass ich die Kursteilnehmer weniger studiere als die Kursleiter.



Mittwoch, 7. August 2024

Verbindung abgebrochen

Gestern Morgen kämpfte ich wieder einmal mit der Technik. Und verlor wie erwartet. Unsere IT beschied, zur Lösung dieses Fehlers müsse ich bei ihnen vor Ort sein. Im Normalfall kein Problem, da Home Office und Agentur nicht allzu weit auseinander liegen. Aktuell etwas schwieriger, da wir uns an Tag zwei des Umzugs und damit innerhalb der verordneten drei Wochen Heimarbeit befinden. Daher musste ich zunächst fragen, ob es zum alten oder neuen Standort gehen müsse. Zum neuen, hieß es. Darauf musste ich in Erfahrung bringen, wo genau ich erwartet werde und wie ich dort hineinkomme. So kam ich zu einem vormittäglichen Spaziergang durch die Hamburger Altstadt. Es gibt schlimmere Schicksale, zumal bei Sonnenschein und 25 Grad. Dank technischer Hilfsmittel, die zum Glück besser funktionieren als mein Laptop, fand ich den unbekannten Weg auf Anhieb. Der Fehler war auch schnell behoben - dauerhaft, hoffe ich. Nun saß sich zwischen den netten IT-Kollegen, Kabeln und Umzugskartons, die mit „Bohne 2“ beschriftet waren, dem Arbeitstitel unseres Zweitgeborenen, als wir ihn nur vom Ultraschall kannten, und fühlte mich in deren Gesellschaft ganz wohl. Hatte aber das Problem, dringend etwas herausschicken zu müssen, für das der, wenn auch kurze, Nachhauseweg zu zeitraubend gewesen wäre. Also fragte ich vorsichtig, ob ich diesen Job eventuell von dort aus erledigen dürfe, ich verhalte mich auch ganz ruhig - versprochen. Ich durfte und konnte - vor allem den Zeitplan halten. Anschließend kamen weitere Kollegen hinzu, deren Arbeitsplatz ich vermutlich besetzte. Dennoch erkundigte sich der eine von ihnen, ob ich jetzt in der IT anfangen wolle. Offensichtlich ist der Fachkräftemangel noch größer als befürchtet. Ob sie wirklich den Bock zu Gärtner machen wollen, war meine Antwort. So praktisch und schön das Home Office sein mag, Herumalbern mit Kolleginnen und Kollegen fehlt. 



Montag, 5. August 2024

Bittersweet

Im Grunde hat der Sohn recht. Der englische Akzent von Sven Regener ist schwer zu ertragen. Und doch freue ich mich jedesmal, wenn Element of Crime „Don’t You Smile“ live spielt. Es erinnert mich an damals. An die West-Berliner Vorwendezeit. Wir beide lagen in der Kreuzberger Wohnung eines Freundes auf dem Fußboden und hörten „Try To Be Mensch“. Auf dem Boden weniger deswegen, weil die Wohnung außer einer 1A-Stereoanlage (Physikstudent eben) spartanisch möbliert war, sondern mehr weil es in Bodennähe wärmer war. Morgens früh aus dem Haus und abends spät aus dem Institut zurück schaffte der Freund es nicht, den Ofen anzuheizen, dass er zu brauchbaren Zeiten warm geworden wäre. Vom Kohlestaub und Dreck wollen wir gar nicht sprechen. Der Nachbar unter ihm hatte offensichtlich mehr Tagesfreizeit, seine Wohnung durfte gemütlich warm gewesen sein, wenn man die Abstrahleffekte der aufsteigenden Luft vom Stockwerk darüber extrapolierte. In meiner Erinnerung war es immer winterlich und es lief immer Element of Crime. Passte auch gut zur allgemeinen und besonderen zartherben Stimmung jener Zeit. Jetzt zieht der Sohn nach Berlin - und für mich ist es noch immer das richtige Lied. Für ihn natürlich nicht, er hat dafür andere ohne deutschen Akzent.



Sonntag, 28. Juli 2024

Sommerurlaub

Wahrscheinlich zeigt sich fast jede Stadt im Sommer von ihrer besten Seite. Doch Dresden fand ich besonders schön. In diesem Glauben befinde ich mich wohl nicht alleine, denn die ganze Stadt war voll mit Touristen. In der Innenstadt kam ich mir vor, als liefe ich hier ständig um die Elbphilharmonie herum, hielte mich nur im Schanzenviertel oder auf der Reeperbahn (oder für Berliner und Berlinerinnen: am Hackeschen Markt) auf. Dort hörte ich übrigens von einem jungen Mann, er habe „noch nie so etwas ekelhaft Dreckiges wie die Reeperbahn erlebt“. Selbst in Hamburg fiele mir einiges als Gegenbeweis ein; schreiben wir es seiner geringen Lebenserfahrung zu. Abseits vom Alltag stört es nicht weiter, sich in Touristenmengen einzugliedern. Es sei denn, es handelt sich um Menschen, mit denen man nichts gemein haben möchte. Ein Vorteil an Touristen in Dresden ist, dass sie so gut wie nie sächsisch sprechen. Stattdessen schienen mir viele spanischer Herkunft zu sein. Einmal blieb ich bei einer Führung an der Frauenkirche stehen und war fasziniert, wie langsam, akzentuiert und deutlich der spanische Reiseleiter sprach. Ich konnte ihn ohne Probleme verstehen, sogar sinnentnehmend. Verwundert war ich nur, dass die damals herrschenden Augusts nicht „Agosto“ sondern Augusto primero, segundo und so weiter genannt werden. Schön an einer Reise im Sommer sind außerdem die vielen zusätzlichen Möglichkeiten und das große Angebot. Man kann Stadt und Landschaft wunderbar mit dem geliehenen Fahrrad erkunden, in Cafés, Restaurants und überall draußen sitzen (wenn es nicht gerade regnet), düstere Filme im Freilichtkino gucken oder die Mittagshitze in Stasi-Gefängnis-Museen überbrücken. Anschließend ist die Freude über Sommer, Sonne, Stadt, Landschaft und Sich-Treiben-Zu-Lassen umso größer. Getrübt wird sie allerdings durch die nässende, wundgescheuerte Stelle, die mir der Sattel des Leihrads nach zwei Tagen begeisterten Radelns bescherte. Ein Souvenir aus Sachsen. Zum Glück nicht die einzige Erinnerung.














Mittwoch, 24. Juli 2024

Dräsdn

Zu meiner Schande muss ich gestehen, in Deutschlands Osten nicht allzu bewandert zu sein. Hängt vermutlich mit einer West-Berliner Sozialisation zusammen, diese Scheu vor allem, was östlich und vor allem südöstlich liegt. Nun soll zumindest eine dieser Scharten ausgewetzt werden. Ich habe mich auf den Weg nach Dresden gemacht. Mit der Bahn. Ich muss sagen, sie hat mich nicht enttäuscht. Die lakonische Nachricht der Bahn, mein Anschlusszug sei nicht möglich, erhielt ich bereits zwei Tage zuvor. Diese Aufregung war verjährt. Keine Enttäuschung, weil die Verspätung zu vernachlässigen war (pro Zug etwa zehn Minuten) und das WLAN nicht funktionierte. Auch nicht im tschechischen Zug, das wiederum war überraschend. So konnte ich mich voll und ganz den vorbeiziehenden Landschaften widmen. Südlich von Berlin eher unspektakulär. Brandenburg eben. Immerhin fuhr ich durch Orte, die ich bisher nur als Berliner Straßennamen kannte: Zossen, Baruth und so. Ab Sachsen dann weniger flach mit Weinbergen. Im international besetzten Zug - die meisten fuhren bis Prag weiter - fiel ich als Tendenznorddeutsche unangenehm auf, als ich laut lachen musste, weil wir kurz vor meinem Ziel durch „Dresden-Pieschen“ fuhren. In meiner amüsierten Einsamkeit schrieb ich eine Nachricht an die Tochter. Sie zumindest fand es auch lustig und antwortete: „Die nächste Station ist dann Dresden-Schieten.“ Das wiederum rief in mir einen weiteren, unhanseatischen Lacher hervor. 
Dresden ist wirklich eine Reise wert. Zu bemängeln ist lediglich, dass das Konzept „Mülleimerfreie Stadt“ nicht nachvollziehbar ist. Dass ich ob des internationalen Publikums bisher noch wenig sächsisch gehört habe, ist vermutlich kein Nachteil.



Sonntag, 21. Juli 2024

An einem Sonntag im Juli

Im ersten Moment erschrak ich über mein Spiegelbild. An Falten und derlei Ungemach hat man sich nach vier Jahren Teams-Calls allmählich gewöhnt. Doch Ganzkörper im Badeanzug ist ein anderer Schnack. Während Hummeln in ihrer Pummeligkeit süß aussehen, wirke ich mit der Bojen-Körpermitte im Badedress nur wurstig. Eigentlich bin ich stocksauer, dass vier Tage Zurückhaltung nicht vier Wochen mit reichlich Essen, Trinken und Knabberkram aufgewogen haben. Um zusätzlich entgegenzuwirken, war ich heute nach jahrelanger Abstinenz wieder beim Sport in der fast noch dörflichen Schwimmhalle. Das gute Gefühl hinterher macht fast den Badeanzug-Schock wett. Wenn ich jetzt noch daran denke, eine Bürste mitzunehmen, wird erstens die Stimmung noch besser. Zweitens muss ich nicht mit einer Frisur wie Tina Turner durch unser beschauliches Dorf zurückschleichen.

(Hummelsuchbild)

Montag, 15. Juli 2024

Spieltag 22

Als klassische Turniermannschaft stimmten zum Finale unsere Laufwege. Zum ersten Mal seit längerem konnten unsere Präferenzen auf den Platz gebracht werden. Es gab unterschiedliche Gründe, warum die Einzelnen für Spanien waren (besseres Essen, besseres Wetter, größere Attraktivität, ansehnlicheres Spiel usw. usf.), aber über die Tatsache als solche herrschte mit einer Ausnahme Einigkeit. Auch deswegen war die Stimmung so gut, dass die Mitgucker mein „Allez les bleus!“ klaglos ertrugen. Ich fand, es hatte noch immer seine Berechtigung. War schließlich das Schiedsrichterteam französischer Provenienz und außerdem mit hellblauen Jerseys bekleidet. Soviel Unterstützung muss am Quatorze Juillet schon sein.
So wohlgemut uns das Endergebnis stimmte, so betrüblich ist das Ende des Turniers. Was sollen wir nun an Abenden machen? Vielleicht hat das Wetter ein Einsehen und ermöglicht ganz verrückt Balkonaufenthalte zu späterer Stunde?



Donnerstag, 11. Juli 2024

Spieltag 21

Die niederländische Mannschaft wird für immer Platz in meinem Herzen haben, weil sie im Viertelfinale für Ruhe gesorgt hat. Dem Sohn geht es eher so, weil dort mehr Liverpool-Spieler zu finden sind als in der englischen Mannschaft. 
So waren wir beide ein wenig betrübt, als Oranje gestern ausschied. Er vor allem, weil sein Freund Cody anders als sonst nicht getroffen hat (dass sein Freund Virgil schlechter performt hat als normalerweise, durfte nicht gesagt werden, er ist sakrosankt). Ich vor allem, weil ich zur Unterstützung umsonst tonnenweise Erdnuss-Flips in mich hinein gestopft habe. So hat jeder sein Päckchen zu tragen. Meins ist allerdings gewichtiger. Weil der Sohn auch etwas vom (groß)mütterlichen Zweckoptimismus geerbt zu haben scheint, ist seine Prognose nun, dass England Europameister werde, „weil die das Glück auf ihrer Seite haben“.

Mittwoch, 10. Juli 2024

Spieltag 20

Dafür habe ich nicht meine Textkenntnisse der Marseillaise aufgefrischt! Zumal die Wiederbelebung am Freitag unnötig war, da im Stadion der Text auf der Leinwand erscheint. Ich hatte geplant, sie am 235. Jahrestag des Sturms auf die Bastille nochmals in unserer Arena zu singen. Doch stattdessen wird es ein instrumentaler Song. An uns lag es nicht. Der Nachbar trug trotz hoher Temperaturen sein blaues Hahntrikot über seiner eigentlichen Kleidung. Alle dreißig Sekunden skandierte ich, vermutlich zum Leidwesen der Anwesenden: « Allez les bleus! » Ich sang und feuerte nicht nur an, sondern brachte auch während des Spiels die Leiter ins obere Stockwerk, um aus dem Schrank über dem Kleiderschrank einen weiteren Glücksbringer zu holen. Der Einsatz hat sich bekanntlich nicht gelohnt, obwohl es mit dem ersten eigenen, aus dem Spiel erzielten Tor der EM so gut anfing. Ich habe nicht den Eindruck, die Spieler werden sich freuen, ihren Nationalfeiertag zu Hause begehen zu dürfen.



Sonntag, 7. Juli 2024

Spieltag 19 (Schbieldag 19)

Der Wechsel von der Marseillaise zu „Hop Schwyz“ glückte nicht. Leider müssen wir uns von der schweizerischen Mannschaft verabschieden. Umso schwerer fällt uns der Abschied von Ricardo „The Rod“ Rodriguez, dem „ Man of the Match“ (die Tochter). Lange Gesichter und Unverständnis. England und ein gewonnenes Elfmeterschießen? Und das, obwohl der Chraftwürfel noch rechtzeitig eingewechselt wurde? Unglaublich, aber wahr.
Der nahezu instantane Transfer von „Hop Schwyz“ zu „Hup Holland hup“ war erstens naheliegender und zweitens erfolgreicher. Die sportlich wie politisch zwielichtige Türkei hat es nicht ins Halbfinale geschafft. Wie schön, wieder Ruhe in unserem beschaulichen Dorf genießen zu können. Ungestört ausschlafen und das am Donnerstagabend erstandene Buch erst heute Vormittag mit Wonne auslesen. Ein Fest!



Samstag, 6. Juli 2024

Spieltag 18

Das letzte Deutschlandspiel habe ich verpasst. Erst wegen Arbeit, dann wegen eines anderen Termins. Anders als zur WM 2018, als ich auch das letzte Spiel der deutschen Elf nicht sehen konnte, hieß es diesmal, es sei ein schönes Spiel gewesen. Genauso wie sechs Jahre zuvor war die Konkurrenzveranstaltung aufregend. Auf dem Weg ins Volksparkstadion, inmitten unzähliger portugiesischer Anhänger, erfuhr ich vom 0:1-Rückstand. Im grün-roten Tross kümmerte es niemanden. Viel aufregender war, dass kurze Zeit später der Bus mit der portugiesischen Mannschaft nebst riesiger, blinkender Eskorte unter uns vorbeifuhr, als wir uns gerade auf der Brücke befanden. Einen Moment lang hatte ich Sorge, sie könnte zusammenbrechen, weil alle Fans sich in Windeseile auf die rechte Seite der Brücke warfen, um durch undurchsichtige Scheiben Spieler erkennen zu können. Außer millionenfachem Geknipse passierte nichts. Im Stadion bot sich ein ähnliches Bild wie auf dem Weg dorthin: Heimspiel für die Portugiesen. Marseillaise singend stand ich ziemlich alleine da. Die Mannschaft mit „dem zweitschönsten Auswärtstrikot der EM“ (die Tochter) anfeuernd auch. Machte zum Glück nichts, denn die Grün-Roten verhielten sich rücksichtsvoll gegenüber über den Blau-Weiß-Roten. Lediglich CR7 wurde aus den eigenen Reihen vehement ausgebuht. Bei ihm hörte offensichtlich die Toleranz auf. Beeindruckend, wie viel Stimmung im sonst hanseatisch-unterkühlten HSV-Stadion aufkommen kann, wenn nur die richtigen Mannschaften dort spielen. Beeindruckend auch die gesamte Kulisse. Unverändert war jedoch das schlechte Netz, dessentwegen es schwierig bis unmöglich war, sich über den Stand des früheren Spiels auf dem Laufenden zu halten. Mit Chance erreichten mich Nachrichten anderer. Wie zum Beispiel die Bestätigung der Tochter, die französische Sieben spiele besser als die portugiesische. Kaum festgestellt, wechselte der grauhaarige Giftzwerg Griezmann aus. Kurze Zeit später bekam ich die Nachricht der Kinder, es sei an der Zeit, endlich Konaté einzuwechseln. Ein Wunsch, der selbstverständlich unerhört blieb. 
Vor dem Tor war keine der beiden Mannschaften richtig zwingend. Spannend und aufregend war es trotzdem die gesamte Zeit. Die Auswechselung von Mbappé verpasste ich, weil ich es für sinnvoll hielt, vor dem Elfmeterschießen den Liter Cola wegzutragen, den ich vorher in mich geschüttet hatte. Eine sehr vernünftige Entscheidung. Schließlich bekamen wir das Maximum zu bieten. Auch wenn ich den Bleus kein Weiterkommen bescheide, solange sie es nicht schaffen, endlich mal ein eigenes Tor aus dem Spiel heraus zu erzielen. Die Mannschaft, die fünf von fünf Elfmetern verwandelt, und das vor dem portugiesischen Fanblock begleitet von anhaltenden Pfiffen, hat zurecht gewonnen. Die portugiesischen Fans waren genauso zurecht geknickt, aber verhielten sich, anders als die sonstigen Gastgeber bei einschneidenden Niederlagen, fair und zurückhaltend. Oder « On entend plus chanter les portugais! » wie später in der S-Bahn nicht mehr vollständig nüchterne Franzosen grölten. Mein Beitrag zur Gastfreundschaft: Sie in ihrem Idiom darauf hinzuweisen, dass diese Bahn nicht in Altona halte und sie besser Holstenstraße aussteigen. Sie davon zu überzeugen, war schwer genug (während des kurzen Dialogs fiel dem einen ungefähr fünfmal sein Telefon auf den glücklicherweise recht sauberen Wagonboden). Umsteigen am Hauptbahnhof hätte sie wegen der beträchtlichen Anzahl Holsten vorneweg überfordert. Marchons, marchons!