Donnerstag, 18. Februar 2021
Contenance!
Die anhaltende Isolation sorgt dafür, dass ich mehr und mehr verrohe. Da es keinen großen Geist stört - Karlsson vom Dach schon gar nicht - fluche ich bei der Arbeit lautstark über jeden kleinen Fehler. Es gelingt mir selten, mich daran zu erinnern, dass der Sohn in der Nähe sein könnte. Unterdessen fällt es mir immer schwerer, in Videokonferenzen nicht mit den Augen zu rollen und asiatische Gesichtsbeherrschung zu wahren. Vielleicht ist die Vorstellung der Normalität doch nicht so erstrebenswert, wenn alle erzwungen Soziophoben wieder auf einander losgelassen werden? Im Moment hoffe ich noch, dass ich aktuell hauptsächlich die falschen Leute treffe. Denn in den wenigen Live-Begegnungen, die das derzeitige Leben so mit sich bringt, zeige ich mich gelegentlich unfähig, die mitteleuropäischen Höflichkeitsstandards aufrecht zu erhalten. Gestern beispielsweise standen zwei Nachbarn vor der Tür. An der Außenwand meiner Wohnung zu unserer Halle sei ein Wasserschaden. Ob dieser auch innen zu beobachten sei. Ja, natürlich, fauchte ich einen von ihnen an. Genau den, der mir bei der letzten großen Schneeschmelze, als das Gleiche passierte, suggerieren wollte, dass der Schaden vermutlich durch meine Waschmaschine entstanden sei. Der, der damals das hiesige Haus-Mantra vortrug, das zu allen Mängeln in der Peripherie der Eigentümer/innen (also nicht-genossenschaftlich) wiedergegeben wird: „Wir beobachten das.“ Vollends ungehalten wurde ich, als er fragte, ob er heute mit dem Handwerker durch meine Wohnung über meinen Balkon aufs Hallendach gehen dürfe. Nicht dass da Blumentöpfe im Weg seien. Wieder fuhr ich ihn an, natürlich seien an der Reling meines Balkons Blumenkästen, aber sie seien doch wohl hoffentlich in der Lage, diese gegebenenfalls wegzunehmen, ohne sie dabei zu zerstören. Wie soll ich so mein Tourette im Zaum halten? Zumal die Erwähnung der Blumenkästen mich an den Zentner Blumenzwiebeln gemahnte, die ich dieses Jahr somit noch später versenken kann als im letzten. Darob musste ich mich über mich selbst ärgern. Auch wenn Osterglocken zu Pfingsten bestimmt ganz nett aussehen. Ich beherrschte mich also einigermaßen und stimmte, nur leise grummelnd, ihrem angekündigten Wohnungstransit zu. Der eigentliche Erfolg über die eigene Schrulligkeit ist jedoch, dass ich ihn nicht sofort mit meiner Flinte erschoss und seinem Leichnam ein beherztes „Schätze, die Stadt ist zu klein für uns zwei!“ hinterher rief.
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