Sonntag, 3. August 2025

Novembre toute l’année

Von den Besten lernen. So heißt das aktuelle Motto. Letztes Wochenende lieferte die Inspiration. Bei unserem Alsterspaziergang, fka Portugiesenrunde, stach uns ein riesiges Feuerwehr- und Polizeiaufgebot ins Auge. Die Crime Scene war wenig großflächig, aber doch sichtbar abgesperrt. Einem schönen, alten Gebäude in der Nähe des Literaturhauses war die größte der schönen, alten Linden im Sichtfeld. Dieses Manko war vermutlich der Grund, weswegen dilettantisch einmal um den gesamten Stamm herum gesägt wurde. Mit der logischen Konsequenz, dass die Feuerwehr den Baum an einem Sonntagnachmittag fällen musste. Ich kam mir vor wie Idefix, weil ich es so traurig fand, einen gesunden Baum dieser Größe zerstört zu sehen. Meine Empfehlung an die Polizei: Den Haus-Chat zu hacken, um den Tathergang nach zu verfolgen und zumindest die Telefonnummer des bezahlten Hobby-Sägers eingeschränkter Fähigkeit zu ermitteln. Ich vermute, nachdem die Feuerwehr - und vor allem die Polizei - abgerückt war, knallten gegenüber die Champagnerkorken. Einige Magnumflaschen werden bei dieser Wertsteigerung der Immobilie drin gewesen sein. Unverstellter Alsterblick in bester Lage.
Ich gestehe, die Telefonnummer des Sägers hätte ich ganz gerne. Vielleicht könnte er sich gegen ein geringes Entgelt auch des unerträglichen Dackels - unterdessen ist er Dorfgespräch - auf der Hundewiese neben unserem Haus annehmen. Ich rechne mit einem exponentiellen Wertanstieg der eigenen Immobilie, wenn die dauerhafte akustische Belastung beendet ist. Leider fehlt mir dazu am Ende sowohl die kriminelle Energie als auch die Gewissenlosigkeit. Wir müssen wohl bis 2035 (eigene Prognose) warten, bis sich das Problem auf natürliche Weise gelöst hat. So lange muss ich meine Freude aus anderen Dingen beziehen.



Sonntag, 27. Juli 2025

Das macht mir kaum jemand nach

Nicht vielen Menschen ist es vergönnt, einer Trauung, zu der sie eingeladen sind, von der Terrasse aus beizuwohnen. Mir schon. 
Das kam so: Nach einer viel zu kurzen Nacht war ich morgens früh wieder einmal auf dem letzten Drücker unterwegs. Nicht förderlich war die App der Hamburger Verkehrsbetriebe, die lustige Angaben machte, die jedoch wenig mit real existierenden Bussen oder Bahnen zu tun hatte. In letzter Sekunde kam ich zum Standesamt. Etwas außer Atem fragte ich den Pförtner, wo ich hinmüsse. Unwirsch antwortete er mir: „Zweiter Stock.“ Darüber war ich zwar verwundert, doch mein letzter Besuch in diesem Amt lag bereits über 25 Jahre zurück. Ich hatte demnach keine belastbare Ortskenntnis. Immerhin bot sich mir dadurch die Gelegenheit, mit dem Paternoster zu fahren. Im zweiten Stock angekommen nahm sich eine nette Standesbeamtin meiner an. Sie rollte die Augen wegen des Pförtners („Der ist neu!“) und versprach freundlicherweise, mich zum rechten Ort zu bringen. Wir gingen die Treppe herunter ins Erdgeschoss zurück. Dort befand sich der gewünschte Trauraum, dessen bereits geschlossene Tür jedoch den Zugang verhinderte. Die Beamtin riet mir zu klopfen. Das traute ich mich nicht. Wickie-gleich hatte sie eine Idee. Sie schlug mir vor, ich solle ums Haus gehen und auf der Terrasse in den Raum schauen, von dort aus sehe man mich und lasse mich ein. Sie brachte mich dorthin. Indes hatte die Trauung bereits begonnen. Alle waren wahlweise vollständig gebannt oder ihr Blick tränenverschleiert oder beides. In jedem Fall entdeckte mich die gesamte Zeremonie lang niemand. Zum ersten Mal in meinem Leben sang ich das Hohelied der schlechten Isolierung. Dank ihr konnte ich auch draußen jedes Wort verstehen - und anders als bei allen anderen Gästen blieb meine Rührung unentdeckt.




Mittwoch, 23. Juli 2025

Zurück

Ein Tag zum Abschaffen. Wie üblich zum Schulferienanfang bleibt das hiesige Wetter anhaltend schlecht. Langsam schlägt das ewige Grau auf die Stimmung. Immerhin konnte das Melonencape Schlimmeres verhindern. Wenngleich trocken, bei der Arbeit ein Tag, an dem man sich wünschte, die Kaffeemaschine gäbe auch Schnaps her. Doch hier im Norden ist nicht alles schlecht. Anders als in Luxemburg kann man wenigstens abends einigermaßen ungestört an Getränke kommen. Dort nämlich wird es schwer, nach Konzerten an ein Glas Wein zu kommen. Sperrstunde um 23 Uhr. Die Zeit wäre unproblematisch, wenn das Auto aus der Garage loszueisen gewesen wäre. Deklariert wurde der gewählte Parkplatz als öffentlich. Weniger publik war, wie man die Schranke an der einzigen Ausfahrt zum Öffnen bewegen könnte. Zunächst musste ein Parkautomat aufgetan werden. Der versteckte sich. Irgendwann hieß es von Einheimischen, man müsse eine Gegensprechanlage betätigen, um eine Tür öffnen zu lassen, hinter der sich irgendwo ein Automat befinden solle. Nach Wartezeit meldete sich eine Stimme aus dem Off und entriegelte die Tür. Als ob das alles in der einsetzenden Dunkelheit nicht gespenstisch genug gewesen wäre, musste ich unbeleuchtete Gänge entlanglaufen, die mit „Leichenschauhaus“ und „Abschiedsraum“ beschildert waren. An irgendeinem Ende fand ich schließlich das Gerät und konnte sogar die Parkgebühr entrichten. Doch der bezahlte Parkschein war noch immer kein Garant für freie Ausfahrt. Der Schrankenöffner entpuppte sich als „Außer Betrieb“. Nur durch gutes Zureden und wahlloses Knopfdrücken entließ er vereinzelt Autos in die Freiheit. Irgendwann gelang es auch uns. Nur noch schnell etwa zehn Kilometer Autofahrt durch bergige Serpentinen. Zur Belohnung endlich Wein, serviert von einer Dame, deren Service-Orientierung zwischen DDR und Tankstelle nach Mitternacht oszillierte. Spröde kann man auch außerhalb Norddeutschlands richtig gut.





Dienstag, 22. Juli 2025

Anderswo

Seit vielen Jahren lebe ich nun in Norddeutschland und seit vielen Monaten bin ich dort nicht herausgekommen. Da braucht es bei Standortverlagerungen eine gewisse Zeit des Akklimatisierens. Weniger wegen des Klimas, als mehr wegen der Sprache. Am Sonnabend war ich auf dem Markt in NRW (hier ist diesmal ausnahmsweise nicht Nettoreichweite gemeint) weiterhin leicht verwundert, als die Blumenhändlerin von irgendwelchen Pflanzen meinte, „die brauchen rischtisch wat unter die Füße“. Was sie wohl damit sagen wollte? Ich vermute, viel Erde unter sich. Die Menschen reden anders und Ortsnamen klingen unterdessen seltsam. Die Verwunderung wird nicht weniger, je weiter es in den Westen geht. Schon bevor wir die Grenze passierten, fühlten wir uns sprachlich nicht mehr ganz zu Hause. In Luxemburg jedenfalls reden die Einheimischen wirklich drollig. Um mein landessprachliches Unvermögen nicht allzu deutlich werden zu lassen, spreche ich lieber gleich französisch. Neben unterhaltsamen Idiom sind (fast) alle dort sehr freundlich. Die Landschaft ist wunderschön, die Gebäude nicht selten auf ansprechende Weise alt. Auch erschien mir unnötig, in Belgien ein Hinweisschild mit „De laatste fritture“ vor der Grenze aufzustellen. Kulinarisch wirkte das noch kleinere Nachbarland in keiner Weise schlechter. Das Wetter war in Luxemburg gar um Längen besser als im strömenden Regen Belgiens. Alles passte also im Großherzogtum. 
Und dennoch passte es in meinem Kopf nicht zwingend zusammen, im Amphitheater eines luxemburgischen Schlosses den Klängen eines eindeutig norddeutsch sozialisierten Sven Regener zu lauschen. Dieses Element of Crime-Konzert war - wie die gesamte Exkursion - außergewöhnlich schön, aber auch ein wenig verwirrend. Es ging mir offensichtlich nicht allein so. In beiden Ortsansagen konnte sich Herr Regener nicht ganz rechtzeitig korrigieren, als ihm zweimal „hier im Großherzogtum Lauenburg“ herausrutschte, das er nur mit großer Willensanstrengung zu „Luxemburg“ umwandeln konnte.













Sonntag, 13. Juli 2025

Genau mein Humor

Manchmal fühle ich mich auch nach vielen, vielen Jahren noch fremd in der Wahlheimat. Oftmals liegt es an der hiesigen Pfeffersack-Mentalität. Gelegentlich ist es einfach nur Unverständnis. Kann mir irgendjemand einen guten Grund verraten, warum man ganz Straßenverläufe zupflastert und zubaut, um anschließend mit Mühen (und vermutlich ungewissem Ausgang) überdimensionale Holzkisten aufzustellen und darin mit Kränen Bäume einzutopfen? Und dann auch noch schief. Ja, ja, ich weiß unterdessen um das hiesige Mantra: beten scheef hett Gott leev.





Montag, 30. Juni 2025

Mal was anderes

Bis zum Samstagabend war das Wochenende eine Aneinanderreihung schief gelaufener Kleinigkeiten. Dabei sollte es das erste Wochenende seit längerem sein, das ich vollständig selbstbestimmt verbringen konnte. So der Plan. Erst fing es genau in dem Moment an zu regnen, als ich die Wäsche auf dem Balkon aufgehängt hatte. Dann wurde der Sportkurs, zu dem ich mich angemeldet hatte, kurzfristig abgesagt. Um mich zu trösten, wollte ich mir einen Kaffee gönnen. Die Maschine jedoch verweigerte die Kooperation, angeblich weil sie entkalkt werden wollte. Selbstredend hatte ich keinen Entkalker im Haus. Den musste ich zunächst besorgen; irgendwann fand ich ihn sogar in unserer rumpeligen Budni-Filiale. Das Programm lief natürlich nicht durch, weil es dafür den Milchschäumer benötigt, dieser lässt sich aber nicht mehr anschließen. Sie nennen es Zirkelbezug. Ich ließ also die Entkalkerbrühe einfach so durch den Kaffeebereiter laufen. Das bewirkte zwar nicht, dass das blinkende Licht ausging, aber zumindest spuckt das Gerät, wenngleich unter wütendem orangefarbenen Protest, wieder Kaffee aus. Soweit hergestellt, war ich abends bereit, einen kleinen Kurzurlaub ins bevorzugte französische Restaurant anzutreten und vor allem sehr zu genießen. Ab da lief alles wie am Schnürchen. Selbst zum Sport bin ich mit einem Tag Verspätung gekommen. Dieser Kurs hat zwar nicht unbedingt den besten Trainer, mit dem der Laden aufwarten kann, aber es ist der, der vermutlich den höchsten Unterhaltungswert hat. Zu Beginn fragte der allzeit posende Kursleiter (oder der kursleitende Poser?) eine Teilnehmerin, wie sie heiße. Ihre Antwort war „Britta“. Also wurden wir angehalten, uns an Britta zu orientieren. Nach oftmaligem Gebrauch ihres Namens meinte der Trainer irgendwann, wir sollen uns Sybille ansehen, sie mache die Übung genau richtig. Beim Versuch, einen Blick auf die vorbildliche Sportlerin zu erhaschen, gluckerte ich bald unter. Ich konnte sie nicht finden. Dann folgte mein Blick endlich seinem Finger und ich stellte fest, er zeigte auf mich. Dadurch erhöhte sich meine Untergangstendenz weiter, diesmal weil ich so lachen musste. Ebenso wie er vorher herumgebrittat hatte, sybillte er mich anschließend fortwährend („Du machst das schon länger, Sybille? Das merkt man.“; „Sybille, nächstes Mal nimmst du dir die richtigen Hanteln!“ usw. usf.). Als mich eine andere Kursteilnehmerin fragte, ob ich wirklich Sybille heiße, war ich kurzzeitig versucht, ja zu sagen. In dem Fall hätte ich mir allerdings den Zugang erschlichen. So abgebrüht bin ich nicht.

(Dieses Bild stammt von einem anderen Kurs.)

Montag, 23. Juni 2025

Soll vs. Ist

Es lief anders als geplant. Heute früh beispielsweise stellte ich mich darauf ein, zumindest bis kurz nach sieben schlafen zu können. Dies vereitelte selbstverständlich die Glascontainerleerung gegen 6:30 Uhr. Eigentlich könnte ich diese Ruhestörung unterdessen in meine Tagesplanung einbeziehen und sonntags früher ins Bett gehen. Doch damit rechnen sie bloß. Sonntag hätte sich das Gewitter meinetwegen noch eine halbe Stunde Zeit lassen können. Dann wäre ich wahrscheinlich mit dem Grillen fertig gewesen und hätte nicht Zelturlaub nachstellen müssen: alles mindestens klamm, wenn nicht gar triefnass. Der Grill stand vollständig unter dem Sonnen-/Regenschirm, während die Wassermassen über meinen Rücken bodenwärts flossen. Auch der Sonnabend lief nicht zu hundert Prozent nach meiner Vorstellung. Am Vortag hatte mir eine Kollegin vom Bienenstich ihrer Tochter erzählt. Ich gab voll die Auskennerin. Wenn sie keinen Stachel mehr im Finger gehabt habe, könne es nur ein Wespenstich gewesen sein. Anschließend dachte ich erfreut, schon seit Ewigkeiten von Insektenstichen aus der Kategorie über Mücken verschont geblieben zu sein. Ein Gedanke, der sich praktisch sofort rächen sollte und den ich fast herbeibeschworen hatte, indem ich die blütenfrische Wäsche zum Trockenbacken auf dem Balkon aufhängte. Der gute Geruch lockte mindestens eine Biene an, in die ich - barfuß, Ehrensache! - trat. Der Sohn staunte nicht schlecht, wie schnell seine jaulende Mutter ihren Mittelfuß vom Stachel befreite. Dank der beherzten Aktion konnte ich sogar am Abend wieder ausgehen. Und die Abendstimmung der kürzesten Nacht einfangen. Wenn auch nicht festhalten. Die Fotos sind ähnlich gelungen wie die letzten Sommer in Dresden. Man merkt doch sofort, dass beide Städte an der Elbe liegen.