Sonntag, 27. Juli 2025

Das macht mir kaum jemand nach

Nicht vielen Menschen ist es vergönnt, einer Trauung, zu der sie eingeladen sind, von der Terrasse aus beizuwohnen. Mir schon. 
Das kam so: Nach einer viel zu kurzen Nacht war ich morgens früh wieder einmal auf dem letzten Drücker unterwegs. Nicht förderlich war die App der Hamburger Verkehrsbetriebe, die lustige Angaben machte, die jedoch wenig mit real existierenden Bussen oder Bahnen zu tun hatte. In letzter Sekunde kam ich zum Standesamt. Etwas außer Atem fragte ich den Pförtner, wo ich hinmüsse. Unwirsch antwortete er mir: „Zweiter Stock.“ Darüber war ich zwar verwundert, doch mein letzter Besuch in diesem Amt lag bereits über 25 Jahre zurück. Ich hatte demnach keine belastbare Ortskenntnis. Immerhin bot sich mir dadurch die Gelegenheit, mit dem Paternoster zu fahren. Im zweiten Stock angekommen nahm sich eine nette Standesbeamtin meiner an. Sie rollte die Augen wegen des Pförtners („Der ist neu!“) und versprach freundlicherweise, mich zum rechten Ort zu bringen. Wir gingen die Treppe herunter ins Erdgeschoss zurück. Dort befand sich der gewünschte Trauraum, dessen bereits geschlossene Tür jedoch den Zugang verhinderte. Die Beamtin riet mir zu klopfen. Das traute ich mich nicht. Wickie-gleich hatte sie eine Idee. Sie schlug mir vor, ich solle ums Haus gehen und auf der Terrasse in den Raum schauen, von dort aus sehe man mich und lasse mich ein. Sie brachte mich dorthin. Indes hatte die Trauung bereits begonnen. Alle waren wahlweise vollständig gebannt oder ihr Blick tränenverschleiert oder beides. In jedem Fall entdeckte mich die gesamte Zeremonie lang niemand. Zum ersten Mal in meinem Leben sang ich das Hohelied der schlechten Isolierung. Dank ihr konnte ich auch draußen jedes Wort verstehen - und anders als bei allen anderen Gästen blieb meine Rührung unentdeckt.




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