Donnerstag, 31. Dezember 2020

Jahresrückblick 2020

Der letzte Tag des Jahres schreit jetzt unüberhörbar nach einer Management Summary. Es wäre langweilig, auch ihn vom allgegenwärtigen Thema beherrschen zu lassen. Daher versuche ich zumindest im Rückblick aus meiner Perspektive das böse C-Wort zu vermeiden. Die Zeit vorher kommt mir zwar schon wie in einem anderen Leben vor, aber formal gehört alles zum gerade noch aktuellen Jahr. Los geht’s!

Januar 
Um diesen bleiernen Monat durchzuhalten, hatte ich zum vorangegangenen Fest einen Januarkalender bekommen. Wer hätte gedacht, dass er eigentlich auf das gesamte Jahr hätte ausgeweitet werden müssen? Im Nachhinein war dieser Monat der ereignisreichste des ganzen Jahres 2020. Schließlich wird man nicht alle Tage geschieden. Ich zumindest nicht. Und schon gar nicht nach gut 21 Jahren, von denen zugegeben mindestens die letzten zehn nur noch auf dem Papier existierten. Davor war die Ehe nur einseitig aufgekündigt. Auch wenn es am Ende nicht mehr viel zu regeln gab, war ich froh über meine Anwältin, die ihren Job um einiges besser machte als die der Gegenseite und mir dadurch ein klein wenig Genugtuung verschaffte. Besonders durch die kleine List, die sie den anderen unverhofft auftischte und über die sie sich anschließend, nicht hundertprozentig professionell, freute. Dass ich am Abend noch ein Date hatte, steigerte die Stimmung noch. Auch wenn ich guten Mutes aus dem Tag ging, war danach doch Zeit für eine kleine Resturlaubs-Erholungsreise. Ein paar Tage Anti-Honeymoon in Spanien. Wer hätte gedacht, dass die viereinhalb Tage dort die einzige Auslandsreise des Jahres sein würden? Ich nicht, denn ich ließ einen Gutteil meiner Sandalen dort. Es war allerdings nicht mein letzter Flug 2020, denn direkt nach meiner Rückkehr „durfte“ ich noch auf eine letzte Geschäftsreise zum glamourösen Flughafen Köln/Bonn.

(Sie nennen es: Happily Divorced. Oder: Als ich noch Kleider trug)

Februar
Auch dieser Monat wird in der Rückschau zum Partymonat. Nicht nur, weil er einen Tag länger war als sonst. Hier in Hamburg lag die aufgekratzte Atmosphäre (überraschend) weniger am Fasching. Wir begingen eher Wahlparties und Geburtstagsfeiern - zum Teil sogar zusammen. Der Sohn durfte das erste Mal in seinem Leben wählen. Wenn das keine Party wert gewesen wäre. 
Die Tage wurden merklich länger, nach dem milden Winter lag sogar schon etwas wie Frühling in der Luft, und der zusätzliche Februartag erwies sich als leichter als erwartet zu verkraften. Den Geburtstag des nunmehr Ex-Gatten kurz vorher konnte ich erfolgreich ausklammern. Überhaupt war ich entschlossen, das kommende Frühjahr zu genießen, hätte es doch das erste seit elf Jahren sein können, dass er mir nicht in irgendeiner Form verhagelt. Teil dieser Feiern war beispielsweise eine schöne Lesung im erweiterten Wohnzimmer (Heimspiel um die Ecke) und die Einladung für folgende im Jahr.


März
Doch so sollte es nicht kommen. Der März war der Monat der Absagen: Geburtstagsfeiern, Lesungen, Meetings, der Arbeitsplatz mit Blick auf die Elbe (immerhin nur der stationäre, nicht der gesamte!), Budgets, die Wohnung der Tochter. Fast alle Pläne mussten verworfen werden. Auch wenn die Dankbarkeit für alles siegte, was wir im Gegensatz zu vielen anderen Menschen haben, tat ich mich anfangs schwer mit der Heimarbeit. Wegen der geringen Distanz (!) gelang mir die Trennung zwischen Job und Privatem nicht, was zur Folge hatte, dass ich von Mitte März an viel zu viel arbeitete. Nicht stimmungsfördernd kam hinzu, dass die Tochter am uncharmanten Rauswurf aus ihrem WG-Zimmer verständlicherweise schwer trug. Wie gut, dass sie zusammen mit einer Freundin die leerstehende Wohnung meiner Eltern nutzen konnte und so wieder in unser Haus zog. Meine zusätzlichen Highlights waren die Mittagspausen an der Tischtennisplatte und die Kaffeepausen auf dem Balkon. Dass die Märzsonne am besten bräunt, stellte sie dieses Jahr mehr als deutlich unter Beweis. 

(Unsere Tischtennis-Hymne)

April
Auch wenn in diesem Jahr vieles ungewöhnlich lief, der April brachte traditionell Ostern und meinen Geburtstag (wenngleich nicht zwingend in dieser Reihenfolge). Die saisonalen Einkäufe (wenngleich nur im Lebensmitteleinzelhandel möglich) ermöglichten mir außerdem, in den Besitz des Trosthuhns zu kommen. Weise war auch die Entscheidung, die Fritteuse wieder aktiv in Betrieb zu nehmen. Zugegeben, keine leichte Frühlingsküche, aber Soulfood in seiner hochkalorischen Bestform. Wenn ich ganz ehrlich bin, fand ich die gemeinsamen Feiern und die Nähe (!) mit den vollzähligen Kindern zu allen Gelegenheiten sehr schön und gemütlich. Nicht alles an diesem Jahr war schlecht. Zusätzlich erfreut wurde ich durch meine Strategie, Blumenzwiebeln erst Ende Januar in die Erde zu setzen. Diese „Planung“ führte dazu, dass ich als wahrscheinlich einziger Mensch in Deutschland, nach warmem Winter und Frühjahr keine verblühten Osterglocken zum Ende der Fastenzeit (was war das nochmal?) hatte. Bei mir auf dem Balkon blühten sie liturgisch passend in voller Pracht.


Mai
Erste Freiheiten sorgten dafür, dass wir den einen oder anderen vorsichtigen Schritt außerhalb Hamburgs unternehmen durften. Das gute Wetter trug das seinige dazu bei. Es kam zum einen oder anderen Wandertag oder Stelldichein in der Natur. Gedanklich konnte ich Ausflüge nach Aumühle feiern wie einen zweiwöchigen Urlaub in der Ferne. Sogar ein Besuch bei meinen Eltern zum Geburtstag meines Vaters war möglich. Dass ich am Ende des Monats Urlaub hatte, war zwar nicht auf meinen Wunsch entstanden, trug aber zur Stimmungslage bei. Außerdem erschien mein Lieblingsbuch des Jahres, das als einzigen Nachteil hatte, dass es zu schnell ausgelesen war. Wen kümmert da Kurzarbeit?


Juni
Der Urlaub zum Ende des Vormonats zog sich noch in die erste Woche des Juni. Mit dem Unterschied, dass er in den Tagen nach Pfingsten eine echte Urlaubsreise meinte. Ans Meer! Mit fünf Übernachtungen außerhalb! Unklar, ob so viel Aufregung zu verkraften sein würde. Wie gut, dass wir uns im schlimmsten Fall nur anderthalb Stunden von zuhause entfernt befanden. Des warmen Klimas und der seichten See auf Poel sei Dank konnten wir sogar schon Anfang Juni in der Ostsee baden. Der Erholungseffekt war nicht nur für die vorangegangenen Monate nötig. Er wurde auch dafür gebraucht, um uns mit der Enttäuschung über die entfallende Europameisterschaft zu bringen.


Juli
Die Kurzarbeit hielt an, das gute Wetter der Vormonate leider nicht. Immerhin gab es die Gelegenheit, die Kolleginnen und Kollegen der Abteilung an einem Nachmittag draußen mit Abstand und Blick auf die Elbe wiederzusehen. Unsere Tischtennis-Skills ließen uns bedauern, dass in diesem Sommer nun auch die olympischen Spiele ausfallen sollten. Immerhin hatten die Friseure wieder geöffnet, so dass ich mich eines Gutteils der Matte entledigen konnte, die eigentlich schon viel früher fällig gewesen wäre. Vielleicht würde es doch noch sommerlich heiß werden? Für diesen Fall wäre ich nicht nur vom Kopfputz her gerüstet - auch der neue Sonnenschirm hätte geholfen, wäre er nötig geworden.


August
Die Tochter hatte wieder eine Wohnung gefunden. Natürlich freute ich mich für sie. Doch etwas wehmütig war ich auch, unsere räumliche Nähe wieder aufgeben zu müssen. Zu allem Elend stand in diesem Monat die verschobene, jährliche Eigentümerversammlung an, schon in guten Jahren ein Lowlight unter den Pflichtterminen. Sie verbesserte sich gegenüber den Referenzjahren durch die Location (draußen), den Abstand zur Nachbarschaft (groß) und die Abwesenheit des Ex-Mannes, der nun auch formal nicht mehr notwendig war. Schließlich muss ich mich seit Januar als unverheiratete und alleinige Eigentümerin wieder vor Heiratsschwindlern in Acht nehmen.
Galt ich dem Sohn in der Vergangenheit als Leugnerin (weil ich aus unerklärlichen Gründen nicht jeden Einkauf mit Einweghandschuhen bestreiten wollte), wagte er zum Ende des Monats etwas, das ich mich aus verschiedenen Gründen nicht getraut hätte: er flog nach Spanien. Immerhin hatte ich deswegen nicht nur Sorge; ich hatte auch sturmfrei. Das konnte ich zumindest vor Ort in vollen Zügen genießen.


September
Nach dem Januar war dies sicherlich der aufregendste Monat des Jahres 2020. Nicht nur, dass er weitere Sturmfreiheit mit sich brachte. Ich bekam in kurzer Abfolge gleich zweimal (unterschiedlichen) Besuch aus Berlin. Mit Übernachtungen chez nous, verrückt! Dann auch noch das einzige Konzert dieses Jahres. Als ob das nicht Aufregung genug gewesen wäre, vergurkte ich auch noch die Lage der Spielstätte, weshalb wir gezwungen waren, im Schweinsgalopp einmal durch die Stadt zu fahren, um nicht gänzlich zu spät zu kommen. Dass es ungefähr der kälteste Abend des ganzen Jahres war, tat der Freude keinen Abbruch. Zum Glück trug ich entgegen meinen sonstigen Usancen zu dieser Jahreszeit immerhin geschlossene Schuhe. Krank werden war schließlich nicht drin, schließlich fuhren wir am nächsten Tag für einen weiteren Garteneinsatz zu meinen Eltern. Aufregung pur eben, einen ganzen Monat lang.


Oktober
Noch größere Freiheiten als im späten Frühjahr ermöglichten, dass ich seit über einem halben Jahr wieder einen Tag in der Agentur zubringen durfte. Natürlich nur mit vorheriger Anmeldung und Platzbuchung. Der Wahrheit die Ehre war ich an diesem Tag deutlich weniger produktiv als an denen daheim: die zwei Monitore überforderten mich, die Tastatur schlug anders an als die des Laptops und die wenigen, sporadisch vorbeilaufenden Menschen führten selbst auf Abstand zu Reizüberflutung. Wie gut, dass die Lockerungen Mitte Oktober schon wieder aufgehoben wurden und mir weitere Expeditionen in die alte Arbeitswelt versagten.
Wegen des großen Erfolgs im Spätsommer, Flug, Reise und Test unbeschadet überstanden zu haben, wünschte sich der Sohn zu seinem Geburtstag (rauschendes Fest, Ehrensache!) eine weitere Reise. Diesmal nach Istanbul. Als gute Mutter schob ich meine Sorgen beiseite und schenkte zumindest den Flug. Immerhin spendierte ich mir damit wieder einmal schöne Stunden in Sturmfreiheit. Weiteres Geschenk an mich: dass er auch hiervon attestiert unbeschadet zurückkehrte.

(So muss ein Arbeitsplatz aussehen!)

November
Ausgefallene Halloween-Plünderungen sorgten dafür, dass meine Fenster Anfang November ausnahmsweise nicht von festgetrockneter Eierpampe befreit werden mussten. Sage ich doch: nicht alles an 2020 war schlecht. Konnte der Vormonat 2020 nicht mit seinen üblichen Attributen aufwarten, war der November überraschend golden und trocken. Leider musste ich feststellen, dass das schöne Wetter zu diesem Zeitpunkt nichts mehr reißen konnte, da die Sonne selbst zur Mittagszeit nicht den Weg über andere Dächer auf meinen Balkon schaffte. Anfangs war mir so, als ob sie tiefer stehe als in anderen Jahren. Dann wurde mir bewusst, bisher habe ich zu dieser Zeit wenig Mittage vor Ort erlebt. Es wird wohl schon immer so gewesen sein. Darauf lautete die Antwort, einfach keine Mittagspausen mehr und stattdessen noch mehr arbeiten. Dieses Modell kann ich nicht empfehlen, es steigert die angegangene Stimmung überraschend wenig. Als Aufheller verordnete ich mir wieder einen Friseurbesuch, diesmal allerdings mit dem Wunsch nach etwas Typveränderndem. So war ich es, die zum ersten Mal in ihrem Leben die Friseurin anwies, deutlich mehr abzuschneiden. Es wurde noch nicht ganz der altersgemäße, flotte Kurzhaarschnitt, aber für meine Verhältnisse sind die Haare ordentlich gekappt. Als ich dann noch eine Idee für den Adventskranz hatte, konnte der vermeintlich triste November trotz zu viel Zeit in der Tretmühle etwas besser als befürchtet abgeschlossen werden.


Dezember
Jede Familie hat ihre Adventstraditionen, meine ist es, die zwei Wochen vor Weihnachten in Spanien zu verbringen. Nach zu viel Arbeit in den vorangegangenen Wochen und keinem Urlaubstag seit Anfang Juni wäre eine Reise sicherlich verdient gewesen, doch es sollte nicht sein. Ein paar vorweihnachtliche Urlaubstage zu Hause mussten genügen. Weihnachten war bis auf ein paar weitere Enttäuschungen gar nicht so anders als in anderen Jahren. Der Baum war sogar größer als in den Vorjahren. Wenn uns 2020 etwas beigebracht hat, ist es Erwartungsmanagement, denke ich. Dass Silvester mehr oder weniger ausfällt, macht mir überhaupt keinen Puls. Meine Veranstaltung ist es ohnehin nicht. Lautes Knallen, schwefliges Feuerwerk und Fröhlichkeit auf Knopfdruck (siehe auch: Fasching) sind nicht meins. Dass Jüngere wie meine Kinder um diese Party gebracht werden, scheint sie auch nicht mehr zu stören. Sind sie doch schon seit längerem der generellen Feier ihres jungen Lebens beraubt.


Langer Rede, kurzer Sinn: 2020 war sicherlich auch nicht mein Jahr der Träume. Aber es hat mich vielleicht besser als manch‘ anderes gelehrt, was wichtig ist und was es braucht, um sich Tag für Tag bei Laune zu halten oder Stimmungstiefs gar nicht erst aufkommen zu lassen. Und Blumenzwiebeln spät zu setzen. Deshalb fühle ich mich gerüstet für 2021, von dem mir der Glauben fehlt, es werde ganz bald alles besser.



Dienstag, 29. Dezember 2020

The Days After

Neben dem Wecker deuten subtilere Anzeichen auf die Rückkehr zur Heimarbeit und das Ende des gepflegten Nichtstuns hin. Da wären zum Beispiel das schlechte Gewissen, mit der Tochter bis in die Puppen eine Folge Bridgerton nach der nächsten zu gucken. Oder die schlechte Laune, die sich am Sonntagabend breit macht, weil sich die Lust auf Arbeit in Grenzen hält. Diese Hinweise wären völlig ausreichend. Meinetwegen braucht die Hamburger Müllabfuhr nicht zusätzlich am Montag um 6:39 Uhr die neben meinem Schlafzimmer platzierten, über die Feiertage prall gefüllten Glascontainer zu leeren. Aber sicher ist sicher.

Freitag, 25. Dezember 2020

Weihnachten 2020

Es begab sich zu der Zeit, als das Gebot eines saisonalen Geflügels über uns erging. Also machten wir uns einen Tag vor Heiligabend auf, welches im niedersächsischen Umland zu besorgen. In einer Nebelsuppe, die selbst bei meiner Mutter nicht mehr als ihr oft konstatierter „Hochnebel“ durchging. Es war auch ohne Sicht schön, mal wieder aus der Stadt herauszukommen. Vor allem, da ich als Beifahrerin auf den Ortseingangsschildern aufmerksam die niederdeutschen Ortsnamen verfolgen konnte. Vermittelt fast etwas wie Urlaubsgefühl: ist doch egal, ob der Zweitname auf katalanisch oder auf plattdeutsch geschrieben steht. Exotik kommt schließlich auch bei „Öbelgünne“ auf, was komplett anders klingt als das ach so hochdeutsche „Övelgönne“. Unsere Destination erwies sich als bestens organisiert. Ein Pavillon mit zwei Eingängen wies uns den Weg zur Enten- oder Gänsegruppe. 

Erste Zweifel kamen auf, als eine Dame vor uns schwer beladen mit zwei durchsichtigen Plastiktüten, die ob der Größe des Geflügels bald auf dem Boden schleiften, das Zelt auf der Entenseite verließ. Mutierte Vögel, die in den Nähe des Atomkraftwerks aufgezogen wurden? Zum Glück zeigte sich unsere Gans nicht größer als die artverwandten Vorgängervögel. Zusätzlich erfreut wurde ich durch den Hinweis des verkaufenden Landwirts, ich könne mich bei Interesse „in die Hähnchen-Gruppe (WhatsApp) eintragen“. Obwohl die Liste vielleicht nicht ganz den Regeln der DSGVO entsprach, setzte ich mich natürlich gerne darauf. Nun bin ich sehr gespannt auf erste Nachricht aus meiner neuen Lieblingsgruppe. 
Zuhause angekommen zog ich in einem lichten Moment den recht ausladend vor der Wohnungstür liegenden Tannenbaum ins Wohnzimmer und stellte ihn dort unter Mühe in eine Ecke. Als ich anschließend Besuch bekam, stand dieser irgendwann nach dem Genuss einiger Gläser Glühwein kommentarlos auf, schnappte sich - im Gegensatz zu mir mühelos - den Baum und fragte mich, wo er stehen solle und später, ob er nicht schief stehe. „Ach, was! Das ist Natur!“ Sein Zupacken sparte mindestens eine Stunde, die ich gedanklich dafür veranschlagt hatte und die in der Vorweihnachtszeit mehr als doppelt zählt. 
Für den Vormittag des Heiligen Abends standen noch die letzten Einkäufe an. Auch sie brachten unerwartete Zeitersparnis mit sich, denn weder vor dem dörflichen Edeka, noch an der Kasse mussten wir anstehen. Die Honoratioren des Dorfes brachten ihre Zeit wahrscheinlich in den Schlangen des Wochenmarktes zu. Die wenigen Menschen kamen mir gelegen, denn ich musste mich mit roten Augen in die Öffentlichkeit wagen. Bin ich doch die einzige Person unter der (aktuell leider sehr tief stehenden) Sonne, die es schafft, sich bei dem Versuch, die Öffnung ihres Flakons zu reparieren, eine nicht unerhebliche Menge Parfüms in die Augen zu sprühen. So groß war der Zeitgewinn am Ende nicht - und der Verschluss kein Stück besser.
Mir blieb dennoch genügend Muße für den Konzeptbaum. Die erste, minimalistische Idee verwarf ich vergleichsweise schnell, da sie mir als übertriebene Lustlosigkeit hätte ausgelegt werden können.

(Als ob der kleidsame Fuß des Sohnes nicht ausreichend Deko wäre!)
Ich warf meine Weihnachts-Playlist an, die am Vortag bereits den Besuch „impressioniert“ hatte, und machte mich ernsthaft an die Arbeit. Leider unterliege ich dabei einigen Zwängen. Gaspare, Melchiorre und Baldassarre müssen in der richtigen Reihenfolge und himmlisch oben angebracht werden, Kugeln von oben nach unten größer werden, die einzelnen Themenbereiche ihren eigenen Platz und Glanz haben, Fliegenpilze müssen - Natur eben! - nach unten. Hinzu kam der Hinweis des Sohnes, eine Spitze fehle. Opferte ich eben meine Mütze. Im Schmückprozess, als noch die Leiter daneben stand, tauchte die Tochter auf und intonierte lediglich ein kurzes „Oh.“. Ich nehme an, es lag an Größe und Volumen des Baumes. Als ich das dritte Mal „Jauchzet, frohlocket...“ anstimmte (kein Wunder, dass ich diese Aufgabe alleine übernehmen sollte), sah ich mein Werk an, und es war gut.

(Wen kümmert da Unordnung?)
Die eingeschränkten Einkaufsmöglichkeiten limitierten nicht die allgemeine Freude über die Geschenke. Die Kinder freuten sich fast am meisten über ihre eigenen USB-Feuerzeuge (à 6,95€ von dm). Der Sohn gestand seinen Großeltern, seine Schwester und er haben sich im Advent über mein Exemplar „fast gestritten“. Ich striche „fast“. Wie viel macht das in österreichischen Schilling? 

Der Sohn war ebenso begeistert über sein fettes Küchenmesser - unter Mühen konnte ich ihn davon abhalten, es an „Pannenbaum“ (die Tochter damals) oder Kerzen einzusetzen. Das Bauernopfer einer gevierteilten Mandarine gab ich gerne - Fest der Liebe eben. Auch sein Reiskocher kam gut an. So gut sogar, dass er nach opulentem Weihnachtsmahl noch 700 Gramm (im trockenen Zustand) Reis darin kochte und diesen zu einem Gutteil inhalierte. Sein Codename lautet nicht umsonst unter anderem „Elise, der Ameisenbär“. 
Gut auch, dass er dadurch am ersten Weihnachtstag noch ein paar Reisreste hatte. Oma hatte die Kartoffelmenge zur Gans nicht ganz an den Kohlenhydratbedarf ihres jüngsten Enkels angepasst. Beim Geflügel handelte es sich um außerordentlich gutes Material, das von meiner Mutter in Perfektion zubereitet wurde. Das Wetter lud vorher zum Glück zum Spaziergang ein, der ausnahmsweise auch ohne Besuch eines portugiesischen Cafés zu schaffen war. Meine Vermutung ist, dass sich der Kalorienverbrauch der ansonsten exklusiv betriebenen Sportart Kniffeln in Grenzen hält. 
Die Tradition schreibt losgelöst vom Ausmaß der Bewegung und von der Anzahl der vorherigen Mahlzeiten vor, dass es am zweiten Feiertag selbstgebackenen Baumkuchen gibt. 

Dafür war allerdings unsere Medaillenhoffnung der Disziplin Kalorienvernichtung nicht mehr vor Ort. Der Sohn hatte sich schon vor dem Frühstück zu den Eltern seiner Freundin (und ihr) ins südliche Niedersachsen abgesetzt. Ich hoffe, sie wissen, dass sie mit der Einladung ein Weihnachtswunder der anderen Art erwartet. Fast so groß wie das, das dem knapp fünfjährigen Nachbarssohn begegnete: er war im Nachhinein angetan, überhaupt Weihnachtsgeschenke erhalten zu haben, seien dem senioren Weihnachtsmann als Mitglied der Risikogruppe doch eigentlich Besuche in anderen Haushalten verboten.





Mittwoch, 23. Dezember 2020

Menüfolge

Irgendwie war die Idee entstanden, Moussaka zu kochen. Die genaue Genese des Menüplans kann ich nicht mehr rekonstruieren. Wichtig ist es in jedem Fall, kurz vor den Feiertagen noch etwas Hochkalorisches auf dem Speiseplan zu haben. Wer weiß schon, wann es wieder etwas gibt? So scannte ich heute also meine Kochbücher, um ein passendes Rezept zu finden. Der Sohn empörte sich: „Mama, Du musst endlich mal im 21. Jahrhundert ankommen. Rezepte sucht man nicht in Büchern, die guckt man sich auf YouTube an.“ Da mir das andauernde Blöken irgendwelcher englischsprachiger Stimmen aus den Telefonen der Brut jedoch ein wenig auf den Geist geht, war ich nicht allzu angetan von seinem Vorschlag. Halbherzig kritisierte ich, ich habe die Mengenangaben lieber schwarz auf weiß. Versiert zeigte er mir, welche Stelle ich antippen müsse, um die Zutatenliste zu erhalten. Habe ich natürlich sofort vergessen. Überzeugt war ich erst, als er einen englisch (was sonst?) sprechenden Griechen aufgetan hatte. Akis Petretzikis oder so sprach in seinem Vortrag so wunderbar von diesem „Diss“, von „Besssamel Sauce“, „Vetzetabels“, „Aubertzines“, „Chreat (200°)“ und ähnlich schönen Dingen, dass ich beim Video backen blieb. Schade nur, dass kein „Tzicken“ in den Moussaka-Zutaten enthalten ist. Noch bevor ich mit dem Kochen anfing, wurde der Sohn leider in wichtiger Mission von zu Hause weggeholt. Ich musste also alleine mit Akis klarkommen. Fast sklavisch hielt ich mich an die Anweisungen des großen Meisters. Nur dass ich eine etwas größere Menge herstellen wollte. Der Authentizität wegen verzichtete ich nicht einmal auf Zimt und Muskat. Während ich im „Aubertzinen“-Dunst stand, erreichte mich eine Nachricht des Sohnes: „Kannst du mir ein Stück Moussaka aufheben, falls du das machst?“ Das sollte gehen, schließlich hatte ich mehr als das, was für die griechische Familie reichen muss. Wenn ich damit außerdem in der Generation Z meine digitale Kompetenz unter Beweis stellen kann, sind es umso besser investierte Kalorien. Und wirklich vom Munde absparen mussten wir uns auch nichts - obwohl das „Diss“ wie angekündigt wirklich „delissious“ war, blieb mehr als ein Drittel übrig.

Sonntag, 20. Dezember 2020

Geschenke, Geschenke

Wie bei vermutlich fast allen von uns gestaltet sich die Geschenkebeschaffung dieses Jahr schwieriger als ohnehin in der Vorweihnachtszeit. Zum einen musste ich meine Bemühungen einstellen, den globalen Online-Versandhändler zu boykottieren, denn zum anderen kommen die Wünsche der Brut bestenfalls zögerlich. Am Ende führt so unter den gegebenen Umständen kein Weg am amerikanischen Riesen vorbei. Doch ich will nicht klagen. Eine namhafte Drogeriekette half bei der Präsentfindung. Wegen zu erwartender Saisonhöhepunkte hatte ich mir bei dm ein sensationelles USB-Feuerzeug für 6,95€ geleistet. Wenngleich ich nicht behaupten kann, das Prinzip vollends verstanden zu haben, diente es bereits bei der Entzündung der statthaften Kerzenanzahl auf dem Adventskranz. Zwar gab sich die Tochter kosmopolitisch-unbeeindruckt - das Modell ihres Ex-Freundes sei besser gewesen und habe noch mehr Features gehabt -, doch am Ende konnte sie aus ihrer Herkunft aus einer Pyro-Familie keinen Hehl machen (ich bin unterdessen vermutlich das einzige aus der Art geschlagene Mitglied) und kaperte das Feuerzeug. Um damit meine Notizzettel anzukokeln. Meiner Ansicht nach stank diese Aktion im wesentlichen, doch als gute Mutter will ich dem Glück meiner Kinder nicht im Weg stehen. Leider entbrannte (!) daraufhin ein kleiner Streit um das Objekt der Begierde, denn der Sohn wollte dem Beispiel seiner älteren Schwester folgen und auch ein wenig zündeln. Er unterlag. Erst am nächsten Tag, als die Tochter bereits wieder in ihrer eigenen Wohnung war, kam seine Zeit. Er begutachtete das gute Stück geradezu liebevoll und meinte dann anerkennend: „Das ist der Tesla unter den Feuerzeugen.“ 
Als ich also beim nächsten Mal Klopapier kaufte, kam mir die Idee (in Ermangelung anderer), ich könnte jedem Kind ein solches Feuerzeug schenken. Anschließend dachte ich: Warum nicht auch für den Neffen eins mitnehmen und zumindest ein kleines Geschenk für ihn haben? Ich packte demzufolge drei dieser Highend-Produkte zusätzlich in meinen Einkaufskorb. Mit so vielen begehrten Produkten rechnete ich damit, an der Kasse zu hören, ich dürfe pro Haushalt nur eines besorgen. Ausnahmsweise war ich nicht unglücklich über die etwas längere Schlange vor der Kasse, denn so konnte ich versuchen, mir in der Wartezeit eine Geschichte zurechtzulegen. Unter Druck mögen zwar Diamanten entstehen, aber mir fällt nichts ein. Bang trat ich an die Kasse. Die einzige Frage des freundlichen Personals war jedoch, ob ich Payback-Punkte sammele. Ich kann also nach meinem Selbsttest beruhigen: Was für Klopapier oder Nudeln  nicht möglich ist, funktioniert mit USB-Feuerzeugen. 

Donnerstag, 17. Dezember 2020

Home Holidays

Folgerichtig wird in dieser Zeit die Heimarbeit an freien Tagen als Heimurlaub fortgesetzt. Während ich in den letzten Vorweihnachtszeiten beständig Zuflucht in Spanien fand, muss jetzt das dezemberliche Hamburg reichen. So gut Vorstellungskraft und Phantasie auch ausgeprägt sein mögen, es gelingt mir nicht aus Grünkohlpflanzen vor meinem geistigen Auge Palmen zu zaubern. Nasse Füße durch zu viel Modder im Schuhprofil provozieren auch nicht unbedingt die Bilder, mit nackten Füßen durchs Mittelmeer zu waten. Wenn sie denn einmal scheint, imitiert die hiesige Sonne aus tiefem Winkel und mit wenig Wärme definitiv nicht die des Südens. 
Doch wie üblich machen wir das beste aus der Situation. Unser „Urlaub in Italien“ (nicht wegzudenkender Bestandteil der „Fight the Virus“-Playlist) ist demnach ein Ausflug nach Moorfleet mit Spaziergang - daher immerhin mit nassen Füßen - und einem Besuch des dort ansässigen italienischen Spezialitätenladens. Dass wir auf dem Weg dorthin den Orient mitnehmen, steigert die Exotik nur: durch unvermeidliche Baustellen vom üblichen Weg abgebracht, befinden wir uns plötzlich inmitten im Stau zwischen Mercedessen und polnischen Lastwagen in einem Gewerbegebiet, in dem sich scheinbar endlos ein Markstand an den anderen reiht. Maximal gefüllt mit der üblichen Mischung aus Kleidung, Koffern, Töpfen, Teppichen und Kinderfahrrädern, ergänzt durch Second Hand-Kühlschränke, angereichert mit Plastikweihnachtsbäumen und ähnlicher Deko. Hervorgehoben durch blinkende bunte Schilder mit Leuchtschrift, auf denen sich Schlagwörter wie „Großhandel“, „Sonderpreis“, „Teppiche“ und „Import“ abwechseln. Dazwischen das passende Gewusel an Verkaufspersonal und Fußgängern. Unsere Sommerfrische an der See besteht aus einem Ausflug zur Wedeler Marsch. Auf dem Deich und mit viel Nebel klappt die Vorstellung, am Meer zu sein. Zugegeben, in ihrer Farbgebung ist es um diese Jahreszeit in jedem Fall die zurückhaltend-norddeutsche Variante des Meeres und nicht die ihres übertrieben bunten Parvenu-Stiefbruders, des Mittelmeers. Die vorherrschenden Farben sind - ein immerhin lichtes - Grau und Braun. Außerdem etwas Grün, lauer Witterung sei Dank. Auf dem Weg müssen wir immerhin nicht aufpassen, auf scharfkantige Muscheln zu treten, hier sind Schafshaufen die Hürden. Ein Hauch fremder Kulturen umweht auch den Deich, schließlich treffen wir neben den normalen Spaziergängern („Das ist ja das Tolle heutzutage. Wenn die Bilder nichts werden, kann man sie einfach wegschmeißen.“, „Meine Kusine Renate habe ich 1976 das erste Mal kennengelernt und seitdem auch nie wieder gesehen.“) auch auf vier junge Männer mit Profi-Kameras, die wir anhand ihres Idioms als Mitglieder der Associazione Giovanile Ornitologi vermuten. Einer von ihnen erzählt ausladend gestikulierend von Turkmenistan. Anzunehmen, dass auch dieses Land ein Kleinod der Vogelsichtung ist. Eine Vertiefung des Themas gibt die Kürze der Begegnung wie auch meine verbesserungswürdige Kenntnis der italienischen Sprache nicht her. Hier vor Ort sind selbst für uns Laien mit bloßem Auge viele Vögel zu sehen. Wenngleich in wenig Variationen: es scheint sich im wesentlichen um viele Enten oder Gänse der gleichen Art zu handeln. Ihre Spielregeln erschließen sich uns nicht. Irgendwann wechseln sie unter großem Geschnatter und Getöse das Feld - Halbzeit?. Die Wintersonne bricht durch den Nebel und wir beklagen, Sonnenbrillen und Sonnencreme vergessen zu haben. Wenn das man gut geht! Wieder einmal die Schuhe (in meinem Fall auch die Hosenbeine) voller Matsch kehren wir zufrieden zum Auto zurück, dessen zulässige Parkzeit wir nur leicht überschritten haben. Einzig der aus Gründen verhinderte Besuch in einem Café trübt die Urlaubsstimmung leicht. Doch uns bleiben noch immer Sehnsuchtsorte wie Aumühle, Blankenese oder Tiefstack.



Dienstag, 15. Dezember 2020

Season‘s Greetings

Es passt zur Perfektion in diese Zeit, dass jetzt auch mein Füller aufgibt. Ja, genau der, für den ich letzthin noch teure Tinte gekauft habe. Der mich schon einen Großteil meines Lebens begleitet, mit dem ich bereits das Abitur durchgestanden habe. Er zeigt wohl typische Alterserscheinungen - trifft die Besten von uns - und kann nicht mehr an sich halten. Verteilt, wenn überhaupt, die wertvolle Flüssigkeit nach dem Random-Verfahren auf Papier und Finger. Vor allem auf letztere. Es darf sich also niemand wundern, der von mir verschmierte Weihnachtspost bekommt, die zudem schwer zu lesen ist, da entweder zu viel oder zu wenig Tinte zum Schreiben ausgegeben wurde. Selbst die mit Sorgfalt ausgewählten Briefmarken habe ich - dank stylish midnightblauer Finger - zum Teil mit Tinte beschmiert. Hoffentlich gelten sie dadurch nicht als entwertet. Als ob die Weihnachtskarten in der Familie nicht schon ausreichend für Unruhe gesorgt hätten. Der Sohn empörte sich, dass nicht die Tochter und er Fotomotiv ebendieser Karten seien, sondern stattdessen der blöde Beagle („Schnupus“) abgebildet werde, der nicht einmal ein echter Hund sei. Mein Einwurf, sie haben sich doch immer geweigert, fotografiert zu werden, weswegen ich letztlich auf Motive zurückgegriffen habe, die sich nicht wehren, wurde weggewischt. Ich hätte sie immerhin fragen können, so sei es ihm auch nicht recht. Damit muss er zu leben lernen, fürchte ich, denn weiterer Zeitverzug durch endlose Diskussionen mit den Modells hätte am Ende bestenfalls zu Faschingskarten geführt. Das wollte wiederum ich nicht.
Doch zurück zur Herstellung. Zum Glück befindet sich ein weiterer Füller in meinem Besitz. Ein Geschenk und ein sehr ähnliches Modell, nur eben nicht auf mich eingeschrieben und mit einer deutlich schmaleren, für mich kratzig wirkenden Feder. Damit muss ich wohl zu leben lernen. Immerhin kann ich auf die Weise doch noch Karten beschriften und muss kein totes Kapital beherbergen, weil ich die neu erworbene Tinte sofort einsetzen kann. Nur meine Finger werde ich bis Weihnachten nicht von ihrem blauschwarzen  Schimmer befreien können. Uns alle wird über die Feiertage - und vielleicht darüberhinaus - das Wissen tragen müssen, dass ich mich für ein Qualitätsprodukt im Schreibwarensektor entschieden habe, das wirklich farbecht ist.



Freitag, 11. Dezember 2020

... heißa, dann ist Urlaubstag!

Mehr denn je ist die Fähigkeit gefragt, sich an kleinen Dingen des Lebens zu erfreuen. Zum Glück ist mir als Vizeweltmeisterin des Zweckoptimismus‘ in dieser Hinsicht einiges in die Wiege gelegt. Dennoch gestehe ich, nach bald zehn Monaten ununterbrochenem Home Office ohne nennenswerten Ausgleich oder gar Perspektivwechsel beständig trübtassiger geworden zu sein. Selbstverständlich ist mir bewusst, auch ohne Urlaub im Süden ein sehr privilegiertes Leben zu führen. Doch Glück, Freude und Zuversicht sehen eben anders aus. Um mich gerade zu dieser dunklen Jahreszeit nicht weiter in depressive Tiefen ziehen zu lassen, liste ich innerlich den einen oder anderen positiven Aspekt auf: Zum Beispiel die Kolleginnen, die sich dieser Tage in den Mutterschutz verabschieden, ohne dass wir sie jemals schwanger gesehen hätten. Wenn demnächst die Kinder da sind, kommen sie - mehr als ohnehin - einem Wunder gleich, das ein wenig an die Weihnachtsgeschichte erinnert. Toll! Dass wir uns diese Saison nicht in kilometerweit entfernte Post-Shops mit tieferbegabten Mitarbeitern quälen müssen, weil unsere Pakete, wenn nicht gar von uns selbst, dann auf jeden Fall von unseren nebenan heimarbeitenden oder unterdessen arbeitslosen Nachbarn angenommen werden. Hervorragend! Weil ich Kaffeepausen zwar nicht mehr auf dem Balkon verbringen kann, aber in ihnen zusätzlich zum Heißgetränk hübsche, selbstgebackene Kekse verhaften kann. Lecker! Dass ich am Montagabend eine Zwei-Haushalts-Fritierparty geben werde, bei der alles ins heiße Fett geworfen wird, das mir passend erscheint. Großartig! Weil mir das Kniffel-Orakel ein derart rosiges Liebesglück vorhersagt, dass mir dauergewinnende Spielpartner schon fast leid tun können. Spitze! Dass ich zwar nicht müßig in Cafés sitzen oder gar nach Spanien entschwinden kann, wie ich es in den letzten zehn Jahren zur hiesigen Dezembertristesse hielt, aber dennoch von Montag bis Weihnachten den Wecker ausschalten kann, weil ich Urlaub habe. Ausschlafen, Herumtrödeln und noch mehr Essen. Klasse! Oder, um es wieder einmal mit dem großen David Byrne zu sagen: Reasons to be cheerful.

Donnerstag, 10. Dezember 2020

Inflation

Mein Alter ist nicht zu leugnen, ich schreibe noch recht viel mit der Hand. Ich bin sogar so alt, dass ich dafür am liebsten Bleistifte oder Füller nutze. Letzterer ist so antiquiert, dass er keine Patronen hat, sondern aus einem Tintenfass befüllt wird. Es begab sich, dass dieses leer war. Ziemlich lange muss ich mich wohl aus dem Geschäft zurückgezogen haben. Meine Erinnerungen an den letzten Tintenkauf sind noch mit alter Währung verbunden. Als ich noch kinderlos war. Nach getaner Heimarbeit zog ich los, um unter anderem Tinte zu kaufen, denn für meine altmodischen Weihnachtskarten könnte sie hilfreich sein. Demnächst muss ich dafür sogar Briefmarken (WTF?!) besorgen, was mit den eingeschränkten Öffnungszeiten der Post - sehr sinnvoll, wenn sie in der Hochphase möglichst dichtes Gedränge produzieren wollen - schwer wird. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich ging also in eines der noch vorhandenen Kaufhäuser. Noch so eine vorsintflutliche Angewohnheit. Nach längerem Umherirren fand ich die Tintenecke. Und fiel aus allen Wolken. 19 Euro wollen sie für ein nicht merklich vergrößertes Tintenfässchen. An dieser Stelle ist es vermutlich wichtig, mit hoher Stimme lauthals anzumerken: „Das sind fast vierzig Mark!“ In jedem Fall ist es ein Vielfaches dessen, was ich früher dafür zahlen musste. Anmerken möchte ich zur Sicherheit, dass ich nicht so ein Luxusding bin, das Premiumtinte mit Blattgoldpartikeln als Produkt der Wahl ansieht. Es handelt sich bei meiner Sorte um normale Tinte. Blauschwarz von Montblanc, die heutzutage allerdings fancy „Midnight Blue“ heißt und dennoch günstiger ist als entsprechende Produkte von Pelikan. Seit diesem Erlebnis frage ich mich, was erstens in den letzten zwanzig-dreißig Jahren in der Tintenforschung passiert ist, dass es sich heutzutage um ein Highend-Produkt handelt, was zweitens auf dem Markt der Tintenrohstoffe los gewesen ist und welche Werte ich vielleicht noch unerkannt in meinem Sekretär verborgen habe. 

Montag, 7. Dezember 2020

Spannend

Am Wochenende war es so weit: das erste Mal seit drei Monaten aus Hamburg herausgekommen. Vielleicht liegt es an meinem Alter oder am unterschiedlichen Abwechslungsreichtum der beiden Städte, dass mir solche Zeitspannen damals in West-Berlin weniger ausmachten. Ansonsten fällt mir kein Grund ein. Schön war’s allemal, sich überraschend wenig Seewind um die Nase pusten zu lassen! 
 Doch Aufregendes passiert auch in der angestammten Hansestadt. Letzthin kam ich an einem Reformhaus vorbei. Im Schaufensterbereich hatten sie - jetzt kommt‘s! - Alkohol ausgestellt. Wie der Zufall es will, meinen favorisierten Prosecco in verschiedenen Gebindegrößen. Dieser ist zwar aus ökologischer Herstellung, sieht aber mit Reliefflasche und rosa-glitzernder Kopfbedeckung gar nicht so aus. Auch nicht so wie das, was ich sonst in „Home of the Kräuterblut“ dargeboten vermute. Er wurde mit einem Sonderangebot (mindestens einen Euro günstiger als in den einschlägigen Biosupermärkten) offensiv angedient. Mir schwirrte der Kopf: Reformhaus,  merkantile Stätte des gelebten Protestantismus, und Alkohol zum Sonderpreis, das passte nicht zusammen. Ich ging trotzdem hinein und kaufte zwei Flaschen. Tarnte sie nicht einmal mit einer Packung Holstener Liesl oder einem anderen veganen Topseller. Um mein Weltbild wieder herzustellen, bekam ich nicht nur den Kassenbon zurück („Damit können Sie sich bei Ihrem nächsten Einkauf die gesparte Mehrwertsteuer rückvergüten lassen.“), sondern auch die nicht-verkäufliche Warenprobe eines alkoholfreien Aperitifs in der Sorte („feinherb“) Curcuma-Ingwer. Na, bitte - geht doch! Bei so viel Exotik im Alltag braucht es eigentlich gar keine Fluchten.

Freitag, 4. Dezember 2020

Neue Besen

Das Update auf iOS 14.2 brachte mir nicht nur Störungen aufs Telefon. Gleichzeitig wurde auch die Wetter-App verschönert. Sie zeigt nun auch den „EUMETNET - Wetteralarm“ an. Zum Glück warnt sie jetzt vor „extremer kälte“. Im Dezember. In dem laut Prognose die nächsten zehn Tage - und Nächte! - kein einziges Mal die Temperatur unter 0° fallen soll. Von Groß- und Kleinschreibung möchte ich gar nicht sprechen. Ich kann meine Aufregung kaum mehr im Zaum halten, was bei dauerhaften Minustemperaturen passieren wird. Kommen sie endlich, die gleichermaßen falschen wie hässlichen Steigerungen „extremst“ oder „noch extremer“? (Die die von mir ohnehin wenig geschätzte Architektin letzthin bei ihrer Begehung meines Schlafzimmers selbstverständlich auch gebrauchte.) Das Leben kann eben auch im Home Office unglaublich aufregend sein.

Dienstag, 1. Dezember 2020

This Time of the Year Again

Als ob die allgemeine Lust-, Licht- und Trostlosigkeit nicht ausreichte, muss noch die dubelige Architektin, Typ Migränetante, mit einer Ortsbegehung aufwarten. Außerdem spinnt das Telefon herum. Nachdem ich es mit iOS Vierzehnpunktwasauchimmer auf den neuesten Stand gebracht habe, geht nur noch sehr wenig. Selbst mit den mühsam erlernten Skills der Mobile Native-Brut kann ich keine Sprachnachrichten mehr abhören. Mit Lautsprechern verbindet es sich nur noch nach eigenem Ermessen - und das ist äußerst wankelmütig. Aus diversen Apps werde ich grund- und ansatzlos herausgeworfen. Blogposts lassen sich anders als sonst nicht mehr verlinken. Das immerhin führt dazu, dass meine zuletzt leicht depressiven Texte von einem größeren Publikum gelesen werden, scheint mir. Obwohl Post-Titel und Fotos nicht mitkommen. Die Resonanz war jedenfalls sehr aufbauend. Doch auch Adventskranz und -kalender gelangen mir nicht ganz so wie gedacht. Kekse habe ich schon mal besser hinbekommen. Läuft gerade nicht richtig rund. Immerhin trifft es mich nicht allein. Letzthin lief ich an den Fenstern der Nachbarwohnung vorbei. Maskiert erkannte mich der herausblickende Nachbar nicht. Stattdessen guckte er ins Unendliche, mit einem Gesichtsausdruck wie Kinder, wenn sie gerade in die Windel machen. Nur viel, viel trauriger. Vielleicht sollte ich ihm beim nächsten Treffen einen Friseurbesuch empfehlen? Mir hat’s zumindest zeitweise geholfen.