Dienstag, 4. März 2025

Geschafft

Gestern morgen störte es mich ausnahmsweise kein bisschen, dass die Glascontainer neben meinem Ohr wieder einmal um 6:30 Uhr geleert wurden. Ich war ohnehin schon wach. Nicht freiwillig, sondern weil das Auszählen rief. Und das, obwohl wir erst ein paar Stunden vorher ein vorläufiges Ergebnis durchgegeben hatten. Sogar zweimal: einmal an die Wahlstelle und einmal an die Forschungsgruppe Wahlen. Auf letzteres hätten wir gut verzichten können, war doch die Abgeordnete der Meinungsforschung eine unangenehme Person. Zunächst meldete sie sich nicht zum vereinbarten Zeitpunkt. Ich hoffte daraufhin - vergebens -, sie werde wegbleiben. Nach über zehn Stunden ehrenamtlicher Arbeit mit etwa 400 Wählerinnen und Wählern, so nett sie im Einzelnen auch sein mochten, wäre ich für jede Person weniger dankbar gewesen. Doch sie kam. Ich maßregelte mich selbst gedanklich, als sie sich „legimitierte“: „Sei nicht so kritisch, ist auch ein schweres Wort.“ Als sie dann jedoch mehrfach seufzend aufrief, sie habe ihr Buch vergessen, ob jemand von uns etwas zu lesen habe, ihr werde sonst die ganze Zeit langweilig sein, wärmte sie nicht unbedingt mein Herz. Nicht so wichtig, im Gegensatz zum Tag war uns unterdessen vom Wahlurne Leeren und Stimmzettel Sortieren nicht mehr kalt. Als sie nach weiterer Klage über fehlende Lektüre zunächst nach einem Stift und dann nach einem Getränk verlangte, war es allmählich um meine Geduld geschehen. Wo sie sich etwas zu trinken besorgen könne? Nörgelnd befand sie den nächstgelegenen Kiosk als zu weit entfernt und den Wasserspender nutzlos, da wir ihr - empörend! - kein Behältnis zur Verfügung stellen konnten. Irgendwann ging sie unter Klagen, um sich etwas zu besorgen. Währenddessen musste ich nicht nur ein Auge auf die Stimmzettel, sondern auch auf die Tür werfen, die nach 18 Uhr verschlossen war, um sie wieder hereinzulassen. Irgendwann kam sie mit einer Bierflasche zurück. Macht sich in einer Schule immer gut. Sie habe in ihrem Auto noch eine Pfandflasche gefunden. Ist klar. Von da ab störte sie den Betrieb nur noch kurzzeitig, wenngleich regelmäßig. Wie ein kleines Kind auf langer Fahrt bohrte sie zwar nicht, wann wir da seien, aber wann sie Ergebnisse bekomme, dass wir uns ihretwegen zu beeilen und die richtige Reihenfolge einzuhalten haben. Mein Stellvertreter wurde schließlich etwas lauter, während ich nur noch mantramäßig die Schwachgeistenantwort gab, es brauche so lange, wie es brauche. Irgendwann gegen Ende brachte sie mich vollends aus dem Zähl- und Addiermodus, als sie mit dem Telefon am Ohr meinte, sie habe ihre Auftraggeber am Rohr und jetzt müssten wir aber wirklich mal etwas durchgeben. Die Ergebnisermittlung verzögerte sich dank dieser Aktion noch ein wenig. Was wir ihr mitteilten. Ebenso wie die Stimmverteilung drei Minuten später. Eigentlich wollte ich erst das Amt informieren und sie warten lassen. Dann siegte die Vorstellung, sie früher loszuwerden. Müdigkeit und Erschöpfung mögen die Toleranzschwelle senken, aber nicht vollständig das Denken hemmen.

(So schön ist Hamburg nach der Wahl.)