Samstag, 28. September 2024

Schlechter Charakter?

Wegen interkulturell ungebührlichen Verhaltens in jüngster Vergangenheit habe ich mit Abzügen der Karmapunkte zu rechnen.
Nicht nur, dass ich gestern kurz vor der freitäglichen Mittagspause die Dreistigkeit besaß, die französische Werkstatt anzurufen, ob sie den seit fast einer Woche nutzlos herumstehenden Wagen unterdessen zumindest schon einmal angesehen haben (Man versprach: « Cet après-midi. On vous tient au courant, madame! »). Nein, ich wiederholte meinen Anruf auch noch kurz vor 18 Uhr, bevor die Garage fürs Wochenende schloss. Offenkundig hatte man nicht vor, mich im preußischen Sinne auf dem Laufenden zu halten. Knapp eine Woche und diverse entnervte Reaktionen später also immerhin eine fachmännische Diagnose. Die sich praktisch nicht von meiner laienhaften unterschied. Undankbar wie ich bin, hielt sich meine Begeisterung über die Bestzeit in Grenzen. Ich räche mich, indem ich mich im asiatischen Mietwagen mit französischen Kennzeichen benehme wie eine offene Hose. Fällt aufs Departement 46 zurück.
Bei meinem anschließenden Strandspaziergang gestern Abend erboste ich dann Teile der Einheimischen. Ein Paar in den besten Jahren hatte seine beiden Plastikliegen einigermaßen unpassierbar quer zum Strand in die Wasserkante gestellt. Wären es fußlahme Menschen oder Kinder beim Kleckerburgenbauen gewesen, wäre ich die Letzte, die nicht brav einen Umweg angetreten wäre. So ging ich auf Hin- und Rückweg dicht hinter ihren Rückenlehnen her und bemühte mich nicht, spritzärmer als sonst durchs wadentiefe Wasser zu laufen. Ich gestehe, ihr Aufschrecken bereitete mir Freude. Auf dem Rückweg erwischte ich leider nur sie - er wiederum holte gerade irgendetwas aus ihren anderswo in den Weg geworfenen Taschen. Ohne das regulative Einlenken ihres Gatten war Señora in ihrem Unmut ungebremst und rief mir lautstark, vermutlich unflätige Worte hinterher, deren Sinn sich mir zum Glück nicht erschloss. 
Da kleine Sünden bekanntlich postwendend bestraft werden, hat man heute - am ersten Tag hier, an dem die Brandung attraktiver als am Wannsee ist - blauestem Himmel zum Trotz die rote Flagge gehisst. Baden verboten. Das habe ich jetzt davon.



Mittwoch, 25. September 2024

Alles wird gut

Es braucht schon einiges, wenn ich als bekennend Francophile in Freude ausbreche, weil wir die französische Grenze hinter uns gelassen haben. Und doch war es so. 
Dank der Intervention unserer Hotelbesitzerin durften wir einen Wagen mieten (nur etwa einen Kilometer entfernt vom Hotel). Der sogar ohne Probleme die Grenze passieren darf, so lange er weiterhin in der EU bleibt. Wieder stimme ich meine persönliche Glücksmelodie „Schengen, Schengen, Schengen“ an. Schwamm drüber, dass das Auto selbst nach Abzug der Versicherungserstattung ein Vermögen kosten wird. Die Erleichterung, nicht mehr im nassen Department Lot festhängen zu müssen, ist schon den einen oder anderen Euro wert. Endlich kam mein Premium-Europa-Führerschein im Pocketformat zu seinem ersten offiziellen Einsatz. Nachdem er ausreichend Würdigung erfahren hatte, brausten wir schnell zur Garage im Wald, um dort noch vor der Mittagspause mit verschlossenen Toren das restliche Gepäck aus dem liegen gebliebenen und von der Werkstatt bisher links liegen gelassenen Wagen in das Mietmodell zu transferieren. Besonders erfreulich: Die Hortensie mit Destination Spanien hatte genauso wenig aufgegeben wie wir - obwohl ihr Schicksal im Wald sicherlich trostloser war als unseres im 80 Kilometer entfernten Ort. In den wir anschließend wieder fuhren, um dort die Hotelrechnung zu begleichen und uns in Richtung Spanien aufzumachen. Wo wir sogar angekommen sind, wenngleich noch nicht ganz am gewünschten Ort. En route, das ist die Hauptsache. Wen kümmert da die klitzekleine Stinkbombe, dass die Hecktür des Leihwagens nicht schließt? Ein Gruß aus der Küche muss immer dabei sein.

Bon dia!

Dienstag, 24. September 2024

Irgendwo im Nirgendwo

Seit Sonnabend hängen wir nun fest. In einem kleinen Ort im Südwesten Frankreichs, der für die Durchreise schön sein kann, ansonsten an allen Ecken „province“ ausstrahlt. Für die Stimmung nicht eben zuträglich: Zu Hause sommerlicher Sonnenschein, hier ergiebiger Regen. Auch kein Trost, dass die Schlechwetterfront - wie üblich von Westen kommend - nun auch Deutschland erreicht hat. In unserem Hotel mischt sich die allgegenwärtige, herbstliche Herznote „Nasser Hund“ außerdem mit der Basisnote, die die zwei zusätzlich internierten Hotelhündinnen ausstrahlen. Abgesehen von ästhetischen Aspekten beide eher der Typ Hund, dem bei uns der Maulkorb auferlegt würde. Anders als ihre kanine Vorliebe vermuten lässt, ist Madame la Hotelière unglaublich nett und hilfsbereit. Sie versucht, uns an allen Ecken und Enden aus der Dauerschleife zu befreien zu helfen. Einen One-Way-Leihwagen gibt es hier nicht, ein Mietwagen wird uns ohnehin verwehrt mit dem Argument, zusätzlich zu gültigem Ausweis und Führerschein müsse man einen mindestens drei Monate gültigen Adressnachweis erbringen. Was das auch für ein Dokument sein mag. Die Versicherung bietet vollmundig eine 1. Klasse-Bahnfahrt für die gesamte Heimreise an (ursprünglich wollte ich nicht in den deutschen Herbst), vernachlässigt dabei aber den gesamten Inhalt des Autos, von dem ein Gutteil irgendwo im Wald im Fond des liegengebliebenen Autos gleichermaßen zurückgeblieben ist. Der soll nicht bei den sieben Zwergen überwintern. Überhaupt das Auto: Mit einer Diagnose ist frühestens an Tag 5 nach dem Abschleppen zu rechnen, eine Reparatur soll mindestens drei Wochen benötigen. Sämtliche Versuche, den Prozess zu beschleunigen, scheitern kläglich. Weniger daran, dass mein Französisch in automotiven Themen wirklich schwächlich ist, sondern mehr wegen der vollen Terminkalender allenthalben. Nie wieder möchte ich Klagen über den Fachkräftemangel als exklusiv deutsches Problem hören!
Noch bewahre ich mir meinen Zweitgeborenen-Zweckoptimismus. Doch wie lange noch? Es bleibt die Frage, ob und wenn ja, wann und wie wir hier wegkommen. Währenddessen zählen lustig die Urlaubstage herunter. Vielleicht sollten wir einen Hauskauf vor Ort erwägen? Dann klappt‘s auch mit dem Mietwagen. Irgendwann zumindest.



Samstag, 21. September 2024

Abenteuerurlaub

Gestern dachte ich, meine immer noch nicht ganz vollständige Urlaubsübergabe sei das aufregendste an diesen Ferien. Heute wurde ich eines Besseren belehrt. Während des Fahrens wunderte ich mich, dass mir das Auto immer wieder vorschlug, in den sechsten Gang zu schalten, obwohl ich mich darin befand. Außerdem stieg es immer mal wieder ohne Grund auf hohe Drehzahlen. Irgendwann spackte es vollkommen herum, weswegen ich warnblinkend eine Not-Haltebucht anfuhr. In weiser Voraussicht, wie sich herausstellte, denn beim anschließenden Startversuch ließ sich der Wagen zwar anlassen, aber nicht bewegen. Ein weiterer Glücksfall: Ausland-Notrufnummer und Mitgliedsnummer fanden sich schnell. Die kuriose Buchstabenfolge französischer Ortsnamen der bajuwarischen Stimme am anderen Ende klar zu machen, gestaltete sich schon schwieriger. Den süddeutschen Herrn auch dazu zu bewegen, einen Abschleppdienst in die unaussprechliche Einöde zu schicken, wurde noch heikler. Über eine Hotline in Italien funktionierte die Order dann. Keine halbe Stunde später kamen Laster und Fahrer, sogar nach Frankreich und nicht nach Italien. Als weiteres erstes Mal kann ich nun sagen, auf der Rückbank eines Abschlepplasters mitgefahren zu sein. Von meiner hohen Position aus konnte ich nichts weiter als den Asphalt erkennen. Vielleicht besser so. Irgendwann landeten wir bei einer Garage mitten im Wald. Einzige Menschen neben uns und vielen Bäumen waren der Garagenchef, der mit einem Traktor die Rasenfläche zwischen Eingangstor und Büro mähte, und eine rumänische Großfamilie, die ebendiesen Chef versuchte davon zu überzeugen, er möge doch statt eines 16er Reifens einen 17er als Ersatz nehmen. Seine Bemühungen ihnen zu erläutern, dieser passe nicht, wurden mit dem konzentriert vorgetragenen Argument weggewischt, größer sei immer besser und könne mehr. Irgendwann gaben die Automechaniker auf und meinten aktivistisch, sie müssten den Laden schließen, um dem Drängen aus dem Balkanraum aus dem Weg zu gehen. So standen wir mit Koffern, Jacken und anderem Kleinkram alleine gelassen vor den Toren der Werkstatt im Nirgendwo und hofften, uns werde dort irgendwann ein vorbestelltes Taxi abholen. In der Wartezeit fanden sich Pilze (O-Ton der Tochter:
„Pilze sind natürlich immer ne tolle Sache. Ich befürchte nur, dass ihr gerade wahrscheinlich wenig damit anfangen könnt“). Früher als befürchtet traf das Taxi ein, das uns zum etwa 80 Kilometer entfernten Etappenziel brachte. Versteht sich von selbst, dass vor Montag nichts passieren wird. Außer, dass nach dem Auto auch noch eins unserer Mobiltelefone (mit den Hotline-Nummern, versteht sich!) aufgegeben hat. Doch das Repertoire zweckoptimistischer Argumente ist zum Glück noch nicht versiegt („Wir müssen keinen Parkplatz vorm Hotel suchen.“, „Wir können beide trinken.“, „Wir haben die péage-Gebühren gespart.“, „Wie viel besser man die Landschaft ansehen kann, wenn man nicht auf die Straße achten muss.“ usw. usf.). Weitere Gründe werden gerne entgegengenommen.
Schwein gab es am Morgen beim Bäcker. Danach nicht mehr ganz so.



Sonntag, 15. September 2024

Regionale Bräuche

Der Sohn als Neu-Berliner (nicht zu verwechseln mit frisch gebackenem Pfannkuchen!) empörte sich letzthin, „in Berlin fallen ständig Bahnen aus, das habe er in Hamburg noch nie erlebt“. Mich als Alt-Berlinerin (nur mäßig vergleichbar mit altbackenem Pfannkuchen) traf diese Kritik, die ich im Übrigen nicht teile. Im Grunde scheinen mir die Unterschiede nicht so sehr im ÖPNV als vielmehr in der Kommunikation zu liegen. Während in Berlin offensiv mit Ausfällen oder Taktverringerungen (statt alle vier Minuten kommt die Linie 9 nur noch alle fünf Minuten etc.) umgegangen wird, werden sie in Hamburg unter den Tisch gekehrt. Die Anzeige, wann die nächste Bahn, der nächste Bus zu erwarten sei, erhöht sich einfach oder stagniert mal gerne zehn Minuten. Vielleicht nennen sie auch das hanseatisches Understatement. Egal. Prompt meint das gutgläubige Hamburger Kind, Ausfälle gebe es in der Hansestadt nie. Während sich die hektische Berliner Mutter an gleicher Stelle aufgerüscht denkt: „Hätten sie es mir gleich gesagt, hätte ich mir eine schnellere Alternative suchen können.“ 
Gestern habe ich in der Hamburger Innenstadt übrigens 35 Minuten auf den Bus gewartet, weil erst der vierte angekündigte kam. Die drei vorangegangenen verschwanden zwei bis fünf Minuten nach Plan von der Anzeige bzw. wurden in der App als „nicht mehr erreichbar“ (Ja, wie denn auch?) geführt. Nimm das, mein Sohn!
Dass der Fahrer des einzig erschienenen Busses kein Deutsch sprach, ich im vorderen Teil des Fahrzeugs die ehrenamtliche Verkehrsauskunft gab, und nicht allzu sicher in seinen Fahrkünsten war (hanseatisches Understatement: er rollte an der Haltestelle am Michel bergabwärts, als Fahrgäste ausstiegen, weil er wohl die Bremse vernachlässigte), steht auf einem anderen Blatt. Fachkräftemangel allenthalben.



Sonntag, 8. September 2024

Buchlese

Im Grunde sind Buchneuerscheinungen der einzig statthafte Grund, sich auf September/Oktober zu freuen (Don’t call it Herbst - or worse: Bücherherbst!). Zum ersten, mir möglichen Zeitpunkt außerhalb der System- oder gar Online-Buchhandlungen besorgte ich mir Freitag in der Mittagspause das neu erschienene Opus Magnum des „großen Frank Schulz“ (G. Henschel). Im vor Büchern berstenden kleinen Verkaufsraum fand ich das Buch nicht. Dies war umso erstaunlicher, als das Magnum in Opus mit etwa 750 Seiten durchaus wörtlich zu nehmen ist. Um die wartenden Kollegen nicht über Gebühr von der Arbeit abzuhalten (Sorgfaltspflicht als Chefin?), wandte ich mich an die sympathische grauhaarige Buchhändlerin. Sie tippte „schul“ und „goli“ in die Tasten und teilte mir freudestrahlend mit, sie habe das Buch vorrätig. Schob ein Regal zur Seite und fand es dahinter, irgendwo unten, alphabetisch sortiert eben. Da das Buch einen nicht unerheblichen Teil ihres Eigengewichts maß, konstatierte sie, ich habe mir ja einiges vorgenommen. Ich antwortete noch freudestrahlender, es sei nur gut so, jede Seite lohne sich bestimmt - und auch die lange Wartezeit seit dem letzten Buch. Sie guckte mich fragend an und gestand, noch nichts von Frank Schulz gelesen zu haben. So kam ich - hufescharrender Kollegen zum Trotz - zum ersten Mal in meinem Leben dazu, einer Buchhändlerin Leseratschläge zu geben: „Zum Einstieg empfehle ich seinen Erzählungsband „Anmut und Feigheit“ von 2018 im gleichen Verlag erschienen.“ Gleiches passierte Sekunden später (die Wartenden!) nochmals an der Kasse. Die etwas gewichtigere Kollegin dort, die man sich wegen ihrer Art und des Outfits eher im FC St. Pauli-Fanshop vorstellen könnte: „Boah, Sie haben sich ja einen Wälzer vorgenommen! Lohnt sich der?“ „Unbedingt!“
Nach der Arbeit fuhr ich am Abend zu meiner Einladung ins Outback. Die App sagte mir, ich komme mit nur minimalen Gehwegen in nur 40 Minuten direkt mit dem Bus dorthin. Mit Sitzplatz konnte ich das neue Buch nicht länger im Rucksack lassen. Während des Lesens setzte sich eine Mitfahrerin neben mich. Sie bekam mein Lachen und Schmunzeln mit, weswegen sie versuchte auf den Buchrücken, wie man im HVV-Dreierbus in Richtung Schenefeld eben sagt, zu luschern. Trotz fesselnder Lektüre hielt ich ihr das Buch hin. Sie habe meine Belustigung mitbekommen (ach, was?), Buch und Autor müsse sie sich merken. „Unbedingt!“
In meinem Umfeld habe ich damit allen im Vorfeld in den Ohren gelegen: Gestern dann die Lesung von Frank Schulz himself, fast noch in unserem beschaulichen Dorf. Nicht nur ist das Buch großartig, er las es auch wunderbar, kam im Gespräch sympathisch und charmant herüber. Nahezu einzige Kritikpunkte aus meiner Groupie-Sicht: Wieder einmal die junge Ehefrau und dass in den wenigen Stunden Netto-Lesezeit knapp ein Viertel des Buches bereits ausgelesen sind. 




Donnerstag, 5. September 2024

Time flies

Vor lauter einmaligen Erlebnissen komme ich nicht dazu, über sie zu berichten. Wieder einmal die Theorie widerlegt, im fortgerückten Alter geschehen keine ersten Male mehr. 
Premiere war beispielsweise, in meiner Geburtsstadt für ein klassisches Touri-Foto zu posieren (wenngleich nicht meine Idee!). Zu schön war das Schloss Charlottenburg in der Abendsonne. Und überhaupt, das bessere Wetter, die langen und breiten Sichtachsen, die mich immer wieder für Berlin einnehmen. 
Ein anderes erstes Mal dort, war die Wohnung des Sohnes zu besuchen. Dass ich ihn auf Sehenswürdigkeiten in seiner neuen Hood hinweisen konnte, gab mir ein befriedigendes Gefühl. Dass er in sehr eingeschränkten Möglichkeiten für mich kochte, rührte mich sehr. Er war mit seinem Werk zwar nicht zufrieden, ich in jedem Fall. Den gemeinsamen Nachmittag mit viel Neuem und Altbekannten haben wir beide sehr genossen.
Das Konzert, das all dem vorangegangen war, kann nur als Wiederholungstat bezeichnet werden. Es war wie jedes Mal das beste seiner Reihe.
Hart dann nur der Aufschlag in der Hansestadt. Wie erwartet kühler und mit mehr Arbeit versehen. Doch auch hier gibt es im Spätsommer - Don‘t call it Herbst! - manchmal Gelegenheiten, sich den Alltag zu versüßen.